MKL1888:Griesinger

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Meyers Konversations-Lexikon
4. Auflage
Seite mit dem Stichwort „Griesinger“ in Meyers Konversations-Lexikon
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Band 7 (1887), Seite 737
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Griesinger. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885–1890, Band 7, Seite 737. Digitale Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/wiki/MKL1888:Griesinger (Version vom 26.04.2023)

[737] Griesinger, 1) Jakob, genannt Jacobus Allemannus oder Jakob von Ulm, Glasmaler, wurde 1407 zu Ulm geboren, ging als Soldat nach Italien, trat um 1440 als Laienbruder in den Dominikanerorden zu Bologna und widmete sich dort der Glasmalerei. Er starb 1491 daselbst. Von seinen Glasgemälden hat sich nur ein Fenster in San Petronio zu Bologna erhalten, dessen Stil ein Gemisch aus deutschem und italienischem Realismus ist. Er wurde im 19. Jahrh. selig gesprochen.

2) Theodor, Schriftsteller, geb. 11. Dez. 1809 zu Kirnbach bei Hornberg im Schwarzwald, studierte in Tübingen Theologie, war eine Zeitlang im geistlichen Amte thätig, widmete sich aber schließlich der Schriftstellerei. Er debütierte mit den beifällig aufgenommenen „Silhouetten aus Schwaben“ (Heilbr. 1838; 4. Aufl., Stuttg. 1868), redigierte 1839–41 die Zeitschrift „Der schwäbische Humorist“ und trat dann in eine Buchhandlung ein, bis ihn die Wogen des Jahrs 1848 wieder an die Öffentlichkeit rissen. Er gründete das demokratische Blatt „Die Volkswehr“, verfiel einem Hochverratsprozeß und mußte zwei Jahre in Untersuchungshaft auf dem Hohenasperg verbringen. Schließlich von den Geschwornen freigesprochen, wanderte er nach Nordamerika aus, kehrte aber 1857 nach Stuttgart zurück, wo er 2. März 1884 starb. Von seinen Werken, die zum Teil dem historischen Roman angehören, sind die bedeutendsten: „Lebende Bilder aus Amerika“ (Stuttg. 1858); „Emigrantengeschichten“ (das. 1858, 2 Bde.); „Die alte Brauerei, oder Kriminalmysterien aus New York“ (Tuttl. 1859; neue Ausg., Leipz. 1873); „Mysterien des Vatikans“ (4. Aufl., Stuttg. 1865); „Die Jesuiten“ (das. 1866, 2 Bde.); „Das Damenregiment an den verschiedenen Höfen Europas“ (das. 1866–70, 4 Bde.); „Württemberg, nach seiner Vergangenheit und Gegenwart in Land und Leuten geschildert“ (das. 1866) und „Zwölf Schicksalswege“ (das. 1870, 3 Bde.).

3) Wilhelm, Mediziner, geb. 29. Juli 1817 zu Stuttgart, studierte in Tübingen, Zürich und Paris, war 1839–41 Assistenzarzt Zellers an der Irrenheilanstalt Winnenthal in Württemberg, machte 1841–42 wissenschaftliche Reisen nach Paris, Belgien und Wien und wurde 1843 Assistenzarzt Wunderlichs an der Tübinger Klinik. 1847 ward er zum außerordentlichen Professor ernannt, 1849 ging er als ordentlicher Professor der Poliklinik und Pathologie nach Kiel, 1850 als Leibarzt des Vizekönigs Abbas Pascha, Direktor der medizinischen Schule zu Kasr el Ain und Präsident des Conseil de santé für Ägypten nach Kairo, kehrte aber 1852 nach Europa zurück, veröffentlichte die Resultate seiner Studien über die Krankheiten in Ägypten und folgte 1854 einem Ruf als Professor der medizinischen Klinik und Pathologie nach Tübingen. 1860 als Professor der medizinischen Klinik und Pathologie nach Zürich berufen, errichtete er in dem alten Irrenhaus eine psychiatrische Klinik und nahm an der Einrichtung der neuen Irrenanstalt teil. Ostern 1865 folgte er einem Ruf nach Berlin als Professor der Poliklinik und Psychiatrie und dirigierender Arzt an der Charitee in den Abteilungen für Gemüts- und Nervenkrankheiten. Er starb 26. Okt. 1868. Griesingers Bedeutung liegt auf dem Gebiet der Geisteskrankheiten, für welche er in seiner „Pathologie und Therapie der psychischen Krankheiten“ (Stuttg. 1845; 4. Aufl., Braunschw. 1876) zum erstenmal eine wirklich wissenschaftliche Darstellung des Gesamtmaterials gab. Er führte das sogen. No-restraint-System durch und machte auch weitgehende Vorschläge für die Reform des Irrenanstalts- und Verpflegungswesens, welche einen jahrelangen Streit hervorriefen, dem er erst durch den Tod entzogen wurde. Für Virchows „Handbuch der speziellen Pathologie und Therapie“ schrieb er die „Infektionskrankheiten“ (2. Aufl., Erlang. 1864), und seit 1867 gab er ein „Archiv für Psychiatrie und Nervenkrankheiten“ (Berl.) heraus. Nach seinem Tod erschienen noch „Gesammelte Abhandlungen“ (Berl. 1872, 2 Bde.). Vgl. Wunderlich, W. G. Biographische Skizze (Leipz. 1869).