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MKL1888:Mensch

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Meyers Konversations-Lexikon
4. Auflage
Seite mit dem Stichwort „Mensch“ in Meyers Konversations-Lexikon
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Band 11 (1888), Seite 470473
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Mensch. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885–1890, Band 11, Seite 470–473. Digitale Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/wiki/MKL1888:Mensch (Version vom 20.03.2024)

[470] Mensch (Homo sapiens L.), das höchst entwickelte organisierte Wesen, unterscheidet sich in seiner körperlichen Organisation in keiner Weise von einem Tier, er besitzt kein einziges Organ, das nicht auch bei diesem sich fände. Ebensowenig bestehen fundamentale Unterschiede der äußern Gestaltung zwischen ihm und den ihm zunächst stehenden sogen. anthropoiden (d. h. menschenähnlichen) Affen, dem Gorilla, Schimpanse und Orang. Mit Recht reiht man daher den Menschen dem Tierreich ein, statt ihn, wie dies namentlich de Quatrefages thut, auf Grund gewisser Qualitäten der Intelligenz (Vorstellung von Gut und Böse, Glaube an höhere Mächte, an die Fortdauer nach dem Tod) als Vertreter eines besondern Schöpfungsreichs aufzustellen. Nur in betreff seiner Stellung im Tierreich finden sich Meinungsverschiedenheiten. Cuvier, Owen u. a. stellten für den Menschen eine besondere Ordnung der Säugetiere, die Zweihänder (Bimana), auf, während Häckel, Darwin u. a., wie dies bereits Linné that, den Menschen mit den Affen zu der Ordnung der Primates, der „Hochtiere“ (Brehm), vereinigen, in welcher er nur eine besondere Familie bilden soll. Der M. teilt mit den schmalnasigen Affen der Alten Welt (Simiae catarrhinae) die wichtigsten Merkmale: Zahl und Art der Zähne, Schwanzlosigkeit, Grundcharakter der hintern Gliedmaßen als echter Füße. Ebenso ist der Grundplan des Gehirns der gleiche. Die Unterschiede zwischen M. und Affe liegen zunächst in der Bildung des Gesichts- und Hirnschädels, in dem Überwiegen des letztern über erstern beim Menschen, wodurch das Gesicht nicht vor, wie bei den Affen, sondern fast senkrecht unter die geräumige Schädelkapsel zu liegen kommt. Eine Annäherung an die tierische Schnauzenbildung findet sich indessen als Prognathie (d. h. Vorspringen des Kieferteils des Gesichts) bei niedern Menschenrassen. Bedingt wird jenes Überwiegen des Schädels beim Menschen durch die mächtige Entwickelung seines Inhalts, des Gehirns, namentlich des Großhirns in seinen Vorder- und Hinterlappen. Die Hirnwindungen und -Furchen sind ferner reichlicher ausgebildet und bewirken so eine bedeutende Oberflächenvergrößerung des Organs (besonders die als Sitz des Sprachsinns beim Menschen angesehene dritte Hirnwindung, welche bei Affen und Mikrokephalen nur rudimentär ist; vgl. Rüdinger, Ein Beitrag zur Anatomie des Sprachzentrums, Stuttg. 1882). In der Gesichtsbildung ist es außer der fehlenden Schnauzenbildung, die durch die Kleinheit des Kieferapparats bedingt wird, besonders die Form der Nase und Nasenöffnung sowie das Hervorragen des untern Teils des Unterkiefers als Kinn, ebenso die geschlossene, nicht durch Lücken unterbrochene Zahnreihe, welche den Menschen von den nächstverwandten Affen unterscheiden. Dazu kommt noch die besondere Konfiguration des Kehlkopfes, dessen Ausbildung den Menschen zu den ihm eigentümlichen sprachlichen und gesanglichen Leistungen befähigt. Beim Affen ist der Arm immer länger als das Bein (namentlich Vorderarm und Hand); beim Menschen überwiegt die mächtige Entwickelung der Beine als säulenartige Träger des lediglich von ihnen gestützten, aufrecht gestellten Körpers. Mit diesem aufrechten Gang, der das Charakteristische der menschlichen Körperhaltung ist und der selbst von den höchstgestellten Affen nur ganz vorübergehend ausgeführt werden kann (vgl. Brehm, Tierleben, Bd. 1, S. 47 und Abbildung), geht nun Hand in Hand eine weitere Reihe von Verschiedenheiten im Bau und der Entwickelung der Knochen und Muskeln beider Lebewesen, so namentlich die schaufelförmige Bildung des Beckens, die mehrfache Krümmung der Wirbelsäule, die stark entwickelte Gesäß- und Wadenmuskulatur des Menschen. Der Fuß des Menschen ist nach demselben Plan wie der Affenfuß gebaut, so daß letzterer mit Unrecht als Hand, vielmehr als Greiffuß zu bezeichnen ist. Der wesentliche Unterschied beruht darin, daß die Innenzehe beim Menschen nicht daumenartig wie bei den Affen den übrigen Zehen entgegengestellt werden kann, daß die Fußwurzel- und Mittelfußknochen zu einem Gewölbe verbunden sind, und daß die Sohle dem Boden horizontal zugewendet ist; die einzelnen Knochen und Muskeln sind aber im Grund bei beiden dieselben. Auch in der Hand finden sich Unterschiede, die in der bedeutend geringern Ausbildung des Daumens bei den Affen ihren Hauptgrund haben. Derselbe ist auffallend klein, schwach und kurz. Ebensowenig wie im gröbern Körperbau unterscheidet sich der M. fundamental von den Tieren in der mikroskopischen Struktur der seinen Körper aufbauenden Gewebe und in den Leistungen seiner verschiedenen Organe, also in physiologischer Beziehung. Es kommt somit wesentlich darauf an, ob die geistige Entwickelung des Menschen, der Besitz der Vernunft und von moralischen und religiösen Begriffen sowie [471] die artikulierte Sprache genügen, um ihn als außerhalb des Tierreichs stehend anzusehen. Vom rein naturwissenschaftlichen Standpunkt muß diese Frage verneint werden.

Die Naturauffassung Darwins wirft ihr Licht auch auf die Frage der Stellung des Menschen zu den Tieren. In folgerichtiger Durchführung des Entwickelungsprinzips sieht sie in ihm nur das Endglied einer unendlichen Reihe von Ahnen; in der gegenwärtigen Schöpfungsperiode sind die sogen. anthropoiden (menschenähnlichen) Affen seine nächsten Verwandten, und beide, M. und Anthropoiden, führen auf einen gemeinsamen Urtypus zurück. Nach Häckel bestand noch eine Zwischenstufe beider, die er als Affenmenschen (Pithecanthropi) oder sprachlose Urmenschen (Alali) bezeichnet. Ihnen soll noch die wichtigste menschliche Eigenschaft, die artikulierte Wortsprache, und damit die höhere Begriffsbildung gefehlt haben. Darwin entwirft folgendes Bild des „Urmenschen“: allgemeine Behaarung des Körpers, Bartbildung bei beiden Geschlechtern, beim Mann große Hundszähne als Waffe, bewegliche, zugespitzte Ohren, Fuß mehr zum Greifen eingerichtet. „Die Ahnen des Menschen lebten ohne Zweifel für gewöhnlich auf Bäumen in einem mit Wäldern bedeckten heißen Land.“ Man stellt sogar als Ursprungsstätte desselben einen jetzt unter die Fläche des Indischen Meers versunkenen frühern großen Kontinent, Lemuria (s. d.), hin, der von Ostafrika bis nach Ostasien gereicht haben soll. Wenn auch in dieser hypothetischen Abstammung des Menschen von den Tieren für die naturforschende Betrachtung nichts Erniedrigendes liegt (ebensowenig wie für die dogmatische in der Formung aus einem Erdenkloß), so muß doch gesagt werden, daß thatsächliche Belege für dieselbe noch ausstehen. Nur so viel steht fest, daß im Skelettbau des Menschen gelegentlich sich Abweichungen vorfinden, die man als Wiederauftauchen affenartiger Bildungen und somit als pithekoide bezeichnen muß, und die im Sinn des Darwinismus als Rückschläge in die frühere niedere Ahnenstufe angesehen werden. Dahin gehört z. B. der sogen. Stirnfortsatz der Schläfenschuppe, eine abnorme Verbindung, welche das Stirn- und Schläfenbein durch Bildung eines Fortsatzes eingehen, während sonst beim Menschen beide Knochen getrennt erscheinen. Dieselbe bedingt, ebenso wie die abnorme Schmalheit der normalen Nahtverbindung zwischen Keil- und Scheitelbein an dieser Stelle, eine Verkümmerung der Stirngegend (Stenokrotaphie nach Virchow). Die anthropoiden Affen Gorilla und Schimpanse besitzen ausnahmslos diesen Fortsatz, während er beim Orang-Utan wenigstens bisweilen vorkommt. Diese tierartige Bildung (Theromorphie) findet sich namentlich bei gewissen niedrig stehenden Menschenrassen. Eine andre hierher gehörige Bildung ist die eigentümliche Gestaltung der Nasenöffnung (Apertura pyriformis), deren unterer Saum nicht, wie sonst, scharfrandig erscheint und so scharf den Nasenboden von der Oberkieferaußenfläche absetzt. Es findet vielmehr ein allmählicher Übergang beider statt, indem statt des Saums eine schiefe Ebene mit grubenartiger Einsenkung besteht (Fossae praenasales). Auch die Verkümmerung der Nasenbeine gehört hierher, die an die Bildung der katarrhinen Affen streift (daher von Virchow Katarrhinie genannt). Die mächtige Entwickelung der Augenbrauenbogen gemahnt, in Verbindung mit einer starken Hebung des mittlern, die Sagittalnaht tragenden Teils des Scheitels, an die Kammbildung bei anthropoiden Affen. Dahin gehört auch der sogen. Torus occipitalis transversus (Schaaffhausen, Ecker, Joseph, Waldeyer), eine im Bereich der Nackenlinien der Hinterhauptschuppe auftretende, bei niedern Rassen häufige pithekoide Bildung. (Vgl. Anthropologie, S. 630.) Auch was bisher von fossilen Menschenresten gefunden ist, spricht nicht für die Annahme einer niedern, den Affen nahestehenden Bildung, und die Hypothese, daß der Vorfahr des Menschen sich von ausgestorbenen Affenarten abgezweigt habe, würde erst dann in der Wissenschaft anerkannt werden können, wenn Zwischenformen und Übergänge von jenen Affen der eocänen Zeit zu den heutigen Menschen irgendwo entdeckt würden. Was das mutmaßliche Alter des Menschengeschlechts betrifft, so haben die anthropologischen Forschungen ergeben, daß dasselbe bedeutend höher anzunehmen ist, als die biblische Überlieferung lehrt (vgl. Anthropologie, S. 629). Die Berechnungen begründen sich meist auf die Dicke von Anschwemmungsschichten, unter denen man Spuren menschlicher Thätigkeit (Topfscherben, Steinwaffen etc.) fand, unter Zugrundelegung einer bestimmten Ablagerungsdauer derselben, und sind daher höchst unsicher und schwankend. Ebenso unbestimmt lautet die Antwort nach der Abstammung von einem oder mehreren Menschenpaaren (Mono- oder Polyphylie). Während Agassiz, dem auch Nott und Gliddon folgen, die einheitliche Schöpfung des Menschen aus dem Grund bestreitet, weil der M. an bestimmte Faunen- und Florengebiete gebunden sei, halten andre, wie Peschel und Quatrefages, für wahrscheinlich, daß der M. nur von einem einzigen Schöpfungsherd aus die Erde bevölkert hat.

Das Leben des Urmenschen kann nur ein höchst kümmerliches gewesen sein, denn vielleicht jahrtausendelang vermochte er sich lediglich aus Stein, Knochen und Horn ganz rohe Werkzeuge herzustellen. Erst allmählich schritt er zur Fabrikation besserer, d. h. feiner behauener und polierter, Steinwerkzeuge fort (s. Steinzeit). Auch diese Periode, aus welcher die Kjökkenmöddinger (s. d.), die Hünengräber (s. d.), die Pfahlbauten (s. d.) etc. stammen, war eine ungemein lange; als dann der M. mit der Verarbeitung der Metalle, insbesondere der Bronze und des Eisens, bekannt wurde (s. Metallzeit), schritt er zu einer höhern Kulturstufe empor. Diese Entwickelung ist zweifellos von örtlichen Verhältnissen abhängig gewesen und hat sich demgemäß an verschiedenen Gebieten des Erdballes zeitlich sehr verschieden verhalten. So kommt es, daß noch jetzt bei gewissen Völkern, die man als Naturvölker bezeichnet, vielfach Zustände sich vorfinden, die denen der rohen Urzeit entsprechen. Auch eine wenigstens örtliche rückläufige Entwickelung, ein Zurückverfallen in tiefere Barbarei aus verhältnismäßig höhern Kulturstufen, ist nicht ausgeschlossen, ohne daß jedesmal an eine Verdrängung eines höhern Kulturträgers durch ein kräftigeres, roheres Volk zu denken wäre.

Das geistige Wesen des Menschen zu erforschen, ist die Aufgabe der Psychologie (s. d.). Die geistige Entwickelung des Menschengeschlechts zur Zivilisation verfolgt die Kulturgeschichte (s. d.) mit ihren Zweigen: Sprachenkunde, Sitten- und Sagenkunde, Mythologie, Geschichte der Industrie, der Entdeckungen, der Kunst, der Litteratur, des Handels, der Wissenschaften, der Kirche, der Staaten, der Kriege und der Nationalökonomie. Schon in vorhistorischer Zeit tritt der M. mit einem wenn auch geringen Umfang industrieller Fertigkeiten und Kenntnisse auf; unsre Vorfahren lebten offenbar in einem ähnlich rohen Zustand wie die jetzigen Urbewohner [472] Australiens, Polynesiens und Amerikas. Allein wie diese, so verstanden die Menschen in frühster Zeit gewiß schon so manche einfache Künste, durch welche sie sich ihren Lebensunterhalt verschafften und gegen Klima und Witterung schützten; sie lernten das Hüttenbauen sowie das Feueranmachen durch Reiben zweier Hölzer aneinander; sie fertigten sich Waffen, Geschirre und Kleidung, machten Jagd auf Tiere. Doch scheinen sie auch, wie man aus gewissen, allerdings noch ziemlich zweifelhaften Erscheinungen bei Höhlenfunden in Belgien schloß, ebenso wie die jetzigen Anthropophagen (s. Anthropophagie) Menschenfleisch verzehrt zu haben. Allmählich erlernten sie primitiven Ackerbau, züchteten Haustiere, trieben Weberei etc.; sie traten in Handel und Verkehr mit Nachbarvölkern. Aus dem einfachen patriarchalischen Familienleben schritten sie durch die Stammesgenossenschaften zur Staatenbildung vor; aus dem ursprünglichen Naturdienst bildeten sich mythologische Anschauungen. Wie noch jetzt bei Urvölkern mochten Zauberer als weise Männer gegolten haben; doch später gelangte die Priesterschaft zu höherm Ansehen und gründete eine hierarchische Verfassung. Für die Hebung der Industrie war die Teilung der Arbeit, bessere Erkenntnis der Eigenschaften des Materials und die Handelsverbindungen mit immer fernern Erdteilen von größtem Einfluß. Mit dem Aufblühen der Wissenschaft und Kunst tritt die menschliche Gesellschaft in eine weitere Kultursphäre ein. Für die vergleichende Völkerpsychologie, die sich auf umfassende Studien über physische und kulturhistorische Zustände jetzt lebender Urvölker stützt, war vor allen das Werk von Waitz: „Anthropologie der Naturvölker“ (Leipz. 1859–71, 6 Bde., Bd. 5 u. 6 von Gerland) epochemachend. Vgl. Kulturgeschichte.

Zu einem ganz besondern Gegenstand der Forschung wurde in neuerer Zeit die Sprache des Menschen erhoben, indem teils die Frage der Lautbildung mittels der Sprachwerkzeuge, teils die Frage, wie sich die Sprache aus Urlauten entwickelt habe, teils die Frage über Verschiedenheit und Verwandtschaft der Sprachen der Völker in den Vordergrund trat. Man gruppierte die Sprachen je nach ihrer Verwandtschaft und nach der vermuteten Ableitung von gemeinschaftlichen Sprachstämmen; allein die Sprache eines Volkes darf man keineswegs als hauptsächliches Merkmal bei der Rasseneinteilung benutzen, denn viele Völker haben ihre ursprüngliche Sprache mit einer andern vertauscht. Dagegen machte die Sprachwissenschaft die Erklärung einer Menge alter Ausdrücke und dunkler Gebräuche sowie mythologischer Vorstellungen möglich. Auch kann man aus gewissen einer Sprache eigentümlichen Benennungen und Bezeichnungen von Gegenständen schließen, inwieweit das betreffende Volk mit diesen Gegenständen schon in der Urheimat bekannt war oder erst später mit denselben durch andre Völker bekannt wurde. So eröffnet die Sprachwissenschaft weite Fernblicke in die Urgeschichte der Menschheit. Schließlich begründet sich durch sie eine Gesetzlichkeit in der Entwickelung von Dialekten und neuen Sprachformen (Lautverschiebungsgesetz); man hat auch in dieser Hinsicht auf eine Analogie mit der Evolutionstheorie Darwins hingewiesen (s. Sprache und Menschenrassen). – An die Geschichte, Entwickelung und Verbreitung der Sprache schließt sich die Erfindung und der Gebrauch der Schrift (s. d.) eng an, denn sie ist ein wesentliches Moment für den geistigen Fortschritt der Menschheit. Durch Mythe und Sage äußert sich ein wichtiger Teil im Geistesleben der Menschheit. Schon bei unentwickelten Völkern kommen religiöse Regungen zu Tage in einem Kultus der Naturkräfte, in der Verehrung des Wassers und der Sonne, im Stein-, Baum- und Tierdienst, im Fetischkultus, dann im Heroenkultus. Der Schamanismus, der Buddhismus, die dualistischen Religionen, die Lehre des Moses, der Islam, die christliche Lehre sind von höchster Bedeutung für die Kulturentwickelung des Menschen.

Die Einteilung des Menschengeschlechts durch eine systematische Gruppierung geschieht nach verschiedenen Gesichtspunkten, je nachdem man die körperliche Beschaffenheit, die geistige Begabung oder die Kulturzustände in den Vordergrund stellt. Man konnte dabei nicht stehen bleiben, einfach die Völker als solche voneinander zu unterscheiden und sie etwa nach dem Grad ihrer Zivilisation in Ur- oder Naturvölker (Wilde) und Kulturvölker, vielleicht auch je nach ihrer Beschäftigung in Jäger-, Fischer-, Ackerbau-, Industrie- und Handelsvölker einzuteilen. Vielmehr stellte sich mehr und mehr heraus, daß viele Völker in mehr oder weniger naher verwandtschaftlicher Beziehung zu einander stehen. Die Forschungen nach dieser Richtung hin sind besonders Aufgabe der Ethnologie oder Ethnographie (s. d.). Allein die großen Gruppen, die sich bei solcher Untersuchung der Völker auf ihre Verwandtschaft, auf ihren ethnischen Zusammenhang aufstellen lassen, werden von der Anthropologie (s. d.) als Menschenarten oder Rassen bezeichnet. Wenn nun auch die ethnologischen Grenzen vielfach mit den geographischen zusammenfallen, so zeigen sich doch überall große Schwierigkeiten bei Bestimmung der Verwandtschaftsgrade und der Zusammengehörigkeit der Völker nach Rassen. Denn einesteils kamen in geschichtlicher und vorgeschichtlicher Zeit ausgedehnte Wanderungen und Übersiedelungen der Völker vor, so daß verwandte Völker und Stämme nunmehr weit entfernt voneinander wohnen; andernteils schwanden körperliche Merkmale durch Vermischung, Kreuzung und Einfluß des Klimas; schließlich änderten sich Sitten und Sprachen durch fremde Eindringlinge und Nachbarvölker. Unter diesen Verhältnissen bleiben immerhin die körperlichen Charaktere der verschiedenen Völker und Stämme die sichersten Anhaltspunkte für die Bestimmung der Rassen. Deshalb haben Schädel- und Skelettbau, die Proportion der Gliedmaßen, die Farbe und Beschaffenheit der Haut, der Haare und der Regenbogenhaut der Augen das höchste Interesse für die Rassenlehre. Vgl. Menschenrassen.

Die Verbreitung des Menschen über die Erde ist eine sehr ausgedehnte. Das Gedeihen gewisser Rassen ist allerdings von einem bestimmten Klima abhängig; allein bis zu einem gewissen Grad ist es dem Menschen möglich, sich verschiedenen Lokalitäten zu akklimatisieren (vgl. Bevölkerung). Die Bevölkerungszahl der Erde schätzt man auf 1495 Mill., davon kommen auf die einzelnen Erdteile:

  Bewohner   auf 1 qkm
Europa 338 Mill. 34,0
Asien 835 19,0
Afrika 212 7,0
Australien und Ozeanien 5 0,6
Amerika 105 2,5

Ausführlicheres darüber s. unter Bevölkerung (mit Karten und Tabellen). Die Statistik ermittelte ferner die Durchschnittszahlen der Dimensionen, welche die einzelnen Teile des menschlichen Körpers zeigen. Die Proportionslehre der menschlichen Gestalt wurde auch in ästhetischer Hinsicht schon von A. Dürer, dann von K. G. Carus, Fechner u. a. kultiviert. In [473] den aufgefundenen Verhältniszahlen sollen die Gesetze des „goldenen Schnittes“ zur Geltung kommen. Man berechnet in der Regel die Größe der einzelnen Teile nach Kopf- oder Nasenlängen. Die genaue Ausmessung der sämtlichen Körperteile ist Aufgabe der Anthropometrie, welche die Grundlage für die Rassen- und Völkerkunde bildet. Vgl. Schadow, Polyklet, oder von den Maßen der Menschen (3. Aufl., Berl. 1877); Quételet, Über den Menschen und die Entwickelung seiner Fähigkeiten (deutsch von Riecke, Stuttg. 1838); Weisbach, Körpermessungen verschiedener Menschenrassen (in der „Novara-Reise“, Wien 1868, und in der „Zeitschrift für Ethnologie“, Berl. 1878); Gould, Investigations in the military and anthropological statistics of American soldiers (New York 1869); Quételet, Physique sociale, Bd. 2 (Brüssel 1869); Derselbe, Anthropométrie (das. 1870); Harleß, Lehrbuch der plastischen Anatomie (2. Aufl. von R. Hartmann, Stuttg. 1876). Die Körperlänge erreicht nach Quételet ihr Maximum erst im 25.–30. Jahr und nimmt vom 50. Jahr an wieder ab. Ebenso wie die einzelnen Lebensabschnitte, haben auch das männliche und das weibliche Geschlecht verschiedene Wachstums- und Proportionsverhältnisse. Das erste Lebensjahr umfaßt das Säuglingsalter; die ersten sieben Lebensjahre, d. h. die Zeit vom Durchbruch der Zähne bis zum Wechseln derselben, werden als Kindesalter bezeichnet; das Jugendalter (Knaben- und Mädchenjahre) reicht bis zur eintretenden Mannbarkeit; hieran reiht sich das Jünglings- und Jungfrauenalter bis zum vollendeten Wachstum im 24. Jahr für den Mann, im 20. Jahr für das Weib; von da an beginnt das Mannesalter, vom 50.–55. Jahr an das Greisenalter. Das höhere Greisenalter ist die Zeit des Welkens (Involutionsperiode), und schon in dem Alter von 40–45 Jahren hört das Weib auf, zeugungsfähig zu sein (klimakterische Jahre). Das Körpergewicht des Neugebornen beträgt meistens 3–31/2 kg, das mittlere des Mannes 63–75 kg, das des Weibes 55–65 kg; im höhern Alter gehen 6–7 kg durchschnittlich wieder verloren. Klima, Lebensweise etc. beeinflussen die Lebensdauer (s. Sterblichkeit); der Tod an Altersschwäche tritt in der Regel zwischen dem 60. und 80. Jahr ein.

Vgl. Huxley, Zeugnisse für die Stellung des Menschen in der Natur (deutsch von Carus, Braunschw. 1863); Vogt, Vorlesungen über den Menschen (Gieß. 1863, 2 Bde.); Lyell, Das Alter des Menschengeschlechts (deutsch, 2. Aufl., Leipz. 1873); Le Hon, L’homme fossil (4. Aufl., Brüssel 1877); Lubbock, Die vorgeschichtliche Zeit (deutsch, Jena 1874, 2 Bde.); Darwin, Abstammung des Menschen und die geschlechtliche Zuchtwahl (deutsch, 4. Aufl., Stuttg. 1882, 2 Bde.); Derselbe, Der Ausdruck der Gemütsbewegungen bei dem Menschen und den Tieren (deutsch, 4. Aufl., das. 1884); Fuhlrott, Der fossile M. aus dem Neanderthal (Duisb. 1865); Ratzel, Vorgeschichte des europäischen Menschen (Münch. 1874); Dawkins, Die Höhlen und die Ureinwohner Europas (deutsch, Leipz. 1876); Baer, Der vorgeschichtliche M. (hrsg. von Hellwald, das. 1873–74); de Quatrefages, Das Menschengeschlecht (deutsch, das. 1878, 2 Bde.); Joly, Der M. vor der Zeit der Metalle (deutsch, das. 1880); Marquis de Nadaillac, Les premiers hommes et les temps préhistoriques (Par. 1881) und „L’Amérique préhistorique“ (das. 1883; beide Werke vereinigt deutsch von Schlösser u. Seler u. d. T.: „Die ersten Menschen und die prähistorischen Zeiten“, Stuttg. 1884); Geikie, Prehistoric Europe (Lond. 1881); Ranke, Der M. (Leipz. 1886, 2 Bde.). Vgl. auch die Litteratur bei Anthropologie.


Jahres-Supplement 1890–1891
Band 18 (1891), Seite 613
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[613] Mensch (Alter desselben). Während die Existenz des Menschen in der Quartärzeit (Diluvium) von keiner Seite bestritten wird, werden gegen die Annahme, daß derselbe bereits während der Tertiärzeit gelebt hat, von namhaften Anthropologen Einwände erhoben. Die von Bourgeois in den Mitteltertiärschichten von Thenay (Landschaft Beauce in Frankreich) aufgefundenen Feuersteine sollen nicht, wie derselbe behauptet, von Menschenhand bearbeitet sein, sondern vielmehr der zufälligen Einwirkung von Naturkräften ihre Gestalt verdanken. Auch die Spuren menschlicher Thätigkeit, welche an den aus den Sandgruben von St.-Prest (unweit Chartres) zu Tage geförderten Tierknochen nachgewiesen wurden und die ebendaselbst aufgefundenen Feuersteingeräte, ferner die von Ribeiro in den mittel- und spättertiären Ablagerungen des Tajothales (Portugal) gesammelten Feuersteine und Quarzite sowie jene an den Rippen eines unweit Poggarione (Toscana) in spättertiären Mergeln aufgefundenen Walfischskelettes nachzuweisenden Einschnitte, die von Capellini auf die Thätigkeit des Tertiärmenschen zurückgeführt werden – alle diese Thatsachen und Beobachtungen werden als nicht beweiskräftig genug erachtet, um damit die Lehre, daß der Mensch bereits während der Tertiärperiode in Europa existiert hat, mit Sicherheit zu begründen. Anderseits kann die Thatsache, daß während der Tertiärzeit Amerika bereits von Menschen bewohnt war, kaum noch bestritten werden. Durch genaue Feststellung und Untersuchung der Umstände und der Lokalität, wo vor mehreren Jahrzehnten in der Sierra Nevada Kaliforniens der Calaverasschädel aufgefunden wurde, gelangt Emil Schmidt zu dem Schlusse, daß der Inhaber dieses Schädels, wenn nicht schon früher, doch spätestens während des Pliocäns (Spättertiärzeit) gelebt hat. Weiterhin wird die Existenz des Tertiärmenschen in Nordamerika bezeugt durch die von Menschenhand hergestellten Artefakte, die auf dem Boden von Thälern aufgefunden wurden, deren Bildung außerordentlich weit in die Vergangenheit zurück reicht. Auch die kürzlich in Butte-County (Kalifornien) bei der Bearbeitung der dortigen Minen in pliocänen Kiesablagerungen entdeckten Steinmörser, die offenbar menschlicher Thätigkeit ihre Entstehung verdanken, liefern einen Beweis für die Existenz des Menschen während der Tertiärzeit. Vgl. Emil Schmidt, Die ältesten Spuren des Menschen in Nordamerika (Hamb. 1887); Sketchley, On the occurrence of stone mortars in the ancient river gravels of Butte-County, California (im „Journal“ des Anthropol. Instituts von Großbritannien, 1889).


Jahres-Supplement 1891–1892
Band 19 (1892), Seite 606607
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[606] Mensch. Merkmale tierischer Bildung. Eigentümlichkeiten der menschlichen Körperbildung, die auf die Abstammung des heutigen Menschen vom Tiere hindeuten und wenigstens teilweise an die Körperbildung der Affen erinnern (daher pithekoide, d. h. affenähnliche, Merkmale), sind teils als Atavismus, teils als rudimentäre Organe aufzufassen, d. h. als Körperteile, die in vergangenen Entwickelungszuständen des Menschen für denselben von Wichtigkeit waren, jetzt aber unter veränderten Lebensbedingungen keine Bedeutung mehr für das Fortbestehen der menschlichen Gattung besitzen. Aus jenen atavistischen Bildungen und rudimentären Organen ergeben sich nun wichtige Schlüsse bezüglich der körperlichen Beschaffenheit der Vorfahren des heutigen Menschen. Nach Wiedersheim ist es zweifellos, daß bei denselben die Wirbelsäule viel länger war als diejenige des heutigen Homo sapiens, daß die Vorfahren des Menschen geschwänzt waren, daß das Becken früher ungleich weiter nach hinten, bez. nach unten lag als heutzutage, und daß ein allmähliches Vorwärtsrücken des Kreuzbeines sowie des gesamten Beckengürtels vom Schwanzende der Wirbelsäule nach dem Kopfende derselben hin stattgefunden hat. Ferner ist es unverkennbar, daß beim Menschen, bez. dessen Vorfahren die Zahl der Rippen ehedem eine größere war als jetzt, daß der Brustkorb sich immer mehr verkürzt hat, dafür aber in die Breite gewachsen ist, und daß auch für die Zukunft eine weitere Verkürzung des Brustkorbes und Verminderung der Rippenzahl (schon jetzt läßt das elfte und zwölfte Rippenpaar die beginnende Verkümmerung erkennen) mit Sicherheit zu erwarten steht. Der bei Amphibien, Reptilien, Monotremen und Marsupialien sich findende Episternalapparat ist beim Menschen durch die im Gelenk zwischen Brustbein und Schlüsselbein auftretenden Knorpel noch angedeutet. Ganz besonders zahlreich sind die pithekoiden Bildungen am Schädel des heutigen Menschen. Der bei gewissen Menschenrassen fast regelmäßig vorhandene Knochenwulst des Hinterhauptsbeines ist als Überrest des mächtigen Hinterhauptskammes der Affen aufzufassen. Ferner werden von Belsanti zu den pithekoiden Merkmalen des menschlichen Schädels gerechnet: ausgesprochene Vieleckigkeit des Schädels, Schwund der Nasenbeine, Fehlen des Nasenstachels, Hufeisenform des knöchernen Gaumens, stark entwickelte Knochenleisten, Einfachheit der Knochennähte, bedeutende Entwickelung des Stirnfortsatzes des Schläfenbeines, rückwärts gebogene Keilbeinflügel und der Reihe nach zunehmende Größe der Molarzähne. Ferner sind als pithekoide, bez. tierähnliche Bildungen anzusehen: die Durchbohrung des Oberarmknochens unmittelbar über dem Ellbogengelenk sowie die starke Entwickelung der „rauhen Linie“ (linea aspera) und das Vorhandensein eines dritten Knochenvorsprunges (Trochanter tertius) am Oberschenkelbein. Auch im Bereich des Muskelsystems finden sich beim heutigen Menschen Bildungen, die den charakteristischen Verhältnissen gewisser Affen genau entsprechen. Der breite Halsmuskel stellt beim Menschen wahrscheinlich den letzten Rest eines bei Säugetieren fast über den ganzen Rumpf verbreiteten Hautmuskels dar; die mimische Muskulatur des Menschen, d. h. jene Muskeln, welche den Gesichtsausdruck bedingen, gehören ebenfalls jener Muskulatur an, die ursprünglich den ganzen Körper bedeckt hat. Auch die Muskelgruppe, die ursprünglich zur Bewegung der Ohrmuschel gedient hat, ist beim Menschen noch teilweise erhalten, wie auch jene Muskeln, vermittelst deren geschwänzte Säugetiere den Schwanz bewegen, beim Menschen an der vordern und hintern Fläche sowie am Seitenrande des Steißbeines in rudimentärem Zustand nachgewiesen werden können. Bemerkenswert ist endlich noch die Thatsache, daß jener bei den Beuteltieren zur Brutpflege in inniger Beziehung stehende Beutelmuskel auch beim Menschen in die Scheide des geraden Bauchmuskels mit eingeschlossen in rudimentärem Zustand angetroffen wird. Vgl. Wiedersheim, Der Bau des Menschen als Zeugnis für seine Vergangenheit (Freiburg 1887).

Die Körperproportionen sind in verschiedenen Entwickelungszuständen und Lebensaltern verschieden. Infolge des bedeutenden Wachstums des Kopfes sinkt beim Fötus das Verhältnis des Rumpfes zur Gesamtkörperlänge (letztere zu 100 angenommen) von 38,1 auf 36,8 herab. Während der ersten Jahre nach der Geburt wächst dann aber der Rumpf dermaßen, daß sein Verhältnis zur Gesamtkörperlänge auf 42,5 steigt. Vom vierten Lebensjahr an sinkt infolge des rapiden Wachstums der Beine das Verhältnis des Rumpfes zur Gesamtkörperlänge allmählich wieder bis auf 36,3. Bei Europäern ist der Rumpf des Weibes verhältnismäßig etwas länger als derjenige des Mannes; die Länge der Extremitäten ist beim Weibe im allgemeinen geringer als beim Manne. Die Entwickelung der Extremitäten wird durch die Beschäftigung wesentlich beeinflußt. Bei Personen des Arbeiterstandes beträgt die Länge der obern Extremität 43,4 Proz., bei geistig thätigen Männern durchschnittlich nur 42,6 Proz. der Gesamtkörpergröße. Bei Seeleuten, die vorzugsweise die Beine anstrengen, beträgt die Länge der obern Extremität 43,2 Proz., diejenige der untern Extremität 47,5 Proz. der Gesamtkörpergröße; auch ist der Rumpf der Seeleute durchschnittlich kürzer als derjenige der Arbeiter und der geistig thätigen Personen. Während des Fötallebens ist der Vorderarm (inkl. Hand) anfangs länger als der Oberarm; später kehrt sich das Verhältnis um. Beim Fötus und in den ersten zwei Lebensjahren ist der Unterschied zwischen der Länge des Oberschenkels und derjenigen des Unterschenkels geringfügig; vom zweiten Lebensjahr an wächst aber der Oberschenkel dermaßen, daß vom sechsten bis neunten Lebensjahr letzterer zum Unterschenkel im Verhältnis von 100 : 79 steht. Bei den Kulturvölkern steht das Weib durch die Schmalheit der Schultern, die geringe Entfernung der Brustwarzen voneinander, die geringe Kapazität des Brustkastens und andre Eigentümlichkeiten dem kindlichen Typus nahe. Bei den unzivilisierten Völkern ist insofern eine Annäherung an den Affentypus vorhanden, als bei denselben die obere Extremität durchschnittlich länger ist als bei den Kulturvölkern. Vgl. Ranke, Über die Körperproportionen bei der bayrischen Bevölkerung („Beiträge zur Anthropologie und Urgeschichte Bayerns“, Bd. 8, Heft 1 u. 2).

Daß der M. während des frühsten Abschnittes der Diluvialzeit (Quartärzeit) sich den aufrechten Gang noch nicht vollständig angeeignet hatte, wird bewiesen durch Untersuchungen, die Fraipont an den Schienbeinen der in der Höhle von Spy (Provinz Namur in Belgien) ausgegrabenen, mit dem Schädel des Neanderthals eine bemerkenswerte Übereinstimmung aufweisenden menschlichen Skelette angestellt hat. Daraus, daß beim Spy-Menschen ebenso wie [607] beim Gorilla eine entsprechend der Längsachse des Schienbeinkörpers gezogene Linie die obere Gelenkfläche dieses Knochens nicht mehr trifft, ist zu folgern, daß der M. von Spy mit eingeknickten Knien einherschritt, wobei der Gelenkteil des Schienbeines mit dem Schienbeinkörper einen nach hinten offenen stumpfen Winkel bildete. Die besagte Konformation des obern Schienbeingelenkes bedingte es auch mit Notwendigkeit, daß die Körperhaltung des Menschen jener Epoche auch beim Aufrechtstehen weniger aufrecht war als diejenige des jetzt lebenden Menschen. Albrecht glaubt, daß das Auftreten gewisser chirurgischer Krankheiten beim Menschen auf den Übergang von dem Gang auf allen vieren in die aufrechte Stellung zurückzuführen ist. Durch die Verlegung des Schwerpunktes wurden Rückgratsverkrümmungen, Entzündungen der Wirbelkörper (bedingt oder begünstigt durch den auf ihnen lastenden Druck), Deformierungen des Kniegelenkes, Krampfadern, Erweiterungen der Venen des Samenstranges, Hämorrhoiden (Erweiterungen der Mastdarmvenen), Leisten- und Schenkelbrüche hervorgerufen oder doch wenigstens die Entstehung dieser Krankheitszustände begünstigt. Auch die Wanderungen der Nieren, Hoden und Eierstöcke beruhen darauf, daß diesen Organen mit der aufrechten Stellung ihrer Träger Gelegenheit gegeben wurde, sich vor der Wirbelsäule hinweg zu verschieben. Für die Zukunft ist nach Albrecht zu erwarten, daß auch die Nieren und Eierstöcke im Hodensack, bez. in den großen Schamlippen liegen werden.