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MKL1888:Sizilien

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Meyers Konversations-Lexikon
4. Auflage
Seite mit dem Stichwort „Sizilien“ in Meyers Konversations-Lexikon
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Band 14 (1889), Seite 10021006
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Sizilien. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885–1890, Band 14, Seite 1002–1006. Digitale Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/wiki/MKL1888:Sizilien (Version vom 28.07.2024)

[1002] Sizilien (hierzu Karte „Sizilien“), die größte Insel des Mittelländischen Meers, die an Naturfülle reichste, historisch und archäologisch interessanteste, zwischen 12° 19′–15° 42′ östl. L. v. Gr. und 36° 38′–38° 18′ nördl. Br. gelegen, hat die Gestalt eines Dreiecks und einen Flächenraum (mit den umliegenden kleinen Inseln) von 29,241 qkm (nach Strelbitskys Berechnung nur 25,798 qkm oder 468,5 QM.). Die Nordküste wird vom Tyrrhenischen, die Ostküste vom Ionischen und die Südküste vom Afrikanischen Meer bespült. Die Meerenge (Faro) von Messina, an ihrer schmälsten Stelle nur 3,2 km breit, trennt S. vom Festland, doch muß bei der geringen Breite und Tiefe der Meerenge und der überraschenden Übereinstimmung im geologischen Bau beider Seiten derselben S. wohl als eine latente Halbinsel des italienischen Festlandes, mit dem es auch historisch stets eng verbunden gewesen ist, aufgefaßt werden.

[Physische Verhältnisse.] S. ist durchaus Gebirgsland und stellt sich als eine an den Rändern, namentlich im N., etwas gehobene Platte dar, die sich sanft zum Afrikanischen Meer abdacht und eine mittlere Höhe von 600–700 m hat. Wir finden daher an der Nordseite nur kleine, an der Südwest- und Ostseite Flüsse mit längerm Lauf. Die höchsten, nicht vulkanischen Erhebungen liegen im N., wo die Insel von der Meerenge her bis weit nach W. hin von einer Gebirgskette durchzogen wird, die als eine Fortsetzung der nach Süden hin geologisch sich immer mannigfaltiger [1003] gestaltenden Hebungslinie zu betrachten ist, welche unter dem Namen Apennin das ganze Festland Italiens durchzieht und in S. eine Brücke nach Afrika hinüber geschaffen hat. Scharf ausgeprägt ist der Charakter des Kettengebirges bis zu einer deutlich erkennbaren, auch politisch wiederholt wichtig gewordenen Einsenkung bei Polizzi, von welcher der nördliche und der südliche Himera der Alten (Fiume Grande und Fiume Salso) den entgegengesetzten Meeren zueilen. Nur der unmittelbar dieser Einsenkung vorgelagerte westlichste Teil der ganzen Kette, zugleich auch der höchste, hat einen einheimischen, volkstümlichen Namen: Le Madonie. Sie erreichen im Pizzo dell’ Antenna 1975 m (nach dem Ätna die höchste Erhebung der Insel), im Monte Salvatore 1910 m. Gewöhnlich bezeichnet man wohl die Madonie nebst der Kette im N. und NW. des Ätna als Nebrodisches Gebirge und unterscheidet das letzte Stück nach der Meerenge hin als Peloritanisches Gebirge, in welchem sich der Dinnamari oder Antennamare nahe bei Messina noch zu 1130 m erhebt. Westlich jener wichtigen Wasserscheide ist zwar der Charakter der Kette noch erkennbar, und es liegen die höchsten Erhebungen alle nahe der Nordküste (Monte San Calogero bei Termini 1245 m, weiter ins Innere die Busambra 1574 m); aber je weiter nach W., um so mehr löst sie sich in einzelne Berge und Berggruppen auf, bis die steil zum Meer bei Trapani hinabstürzende Felsenpyramide des Monte San Giuliano (Eryx, 727 m) den westlichen Grenzpfeiler der Insel bildet. Die höchste Erhebung der Insel ist der Ätna (3313 m, s. d.), das riesige Vulkangerüst, das sich in einem ehemals in die Ostküste einschneidenden Golf, der noch heute in der einzigen ansehnlichern Ebene der Insel, der von Catania, erkennbar ist, seit der Tertiärzeit aufgebaut hat. Im Innern der Insel, südlich der Busambra, erheben sich der Monte Cammarata noch zu 1576, der Monte Rose zu 1436 m. Vom Peloritanischen Gebirge abgesehen, das aus Gneis, kristallinischen Schiefern und Granit besteht und von jungtertiären Bildungen umschlossen ist, besteht das Gebirge der Nordseite bis zum Monte San Giuliano und Monte Rose ganz aus kompaktem Kalk- und Sandstein der Jura- und Kreideformation. Das Innere, der Süden und Südwesten bestehen aber aus tertiären, versteinerungsreichen Kalken, aus Mergeln, Thonen und Gipsen, in welchen sich die reichen Schwefel- und Steinsalzlager finden, von denen erstere zu den größten Schätzen Siziliens gehören. Valguarnera, Caltanissetta, Sommatino, Favara, Comittini, Cianciona und Lercara sind die Zentren des großartigen Schwefeldistrikts. Dieser Formation gehören auch mehrere Gruppen kleiner Schlammvulkane an, die bekanntesten die Maccaluben nördlich von Girgenti, die mit vulkanischer Thätigkeit nichts zu thun haben, sondern auf durch Zersetzung organischer Substanzen erzeugte Gase, namentlich Kohlenwasserstoffgas, zurückzuführen sind, die gerade in thonigem, schlammartig aufgeweichtem Boden zu Tage treten. Nur durch einen schmalen Rücken bei Caltagirone (628 m) mit den übrigen Gebirgen verbunden, bildet der Südosten der Insel ein ganz selbständiges Gebirgssystem, das in seiner fast kreisrunden Gestalt und den radienförmig von einem Mittelpunkt, dem Monte Lauro (985 m), ausgehenden Flüssen noch seine Entstehung verrät. Es ist durch zahlreiche, erst unterseeische Eruptionen, welche mit langen Ruhepausen, während welcher sich am Meeresgrund Muschelkalke über den vulkanischen Schichten ablagern konnten, abwechselten, aufgebaut und schließlich gehoben worden. Die tief eingeschnittenen Thäler der meist wasserreichen kleinen Flüsse lassen deutlich die interessante Wechsellagerung dieser in der Tertiärzeit entstandenen Schichten erkennen.

Die Flüsse der Insel, obwohl sehr zahlreich, sind meist wasserarm und versiegen im Sommer völlig oder führen nur in der Tiefe Wasser. Die größten sind der Simeto oder Giarretta (s. d.), der am Monte Sordo entspringt und, nachdem er die fast gleichgroßen rechten Nebenflüsse Fiume Salso, Dittaino und Gurnalonga aufgenommen, in die Bucht von Catania mündet. Die größten Flüsse der südlichen Abdachung sind der Fiume Salso, der Platani und der Belice, der nördlichen der Leonardo und der Fiume Torto. Die Flüsse des Peloritanischen Gebiets sind sämtlich Fiumare, die nur im Winter Wasser führen, breite Betten und tief eingeschnittene Thäler haben, in denen sie oftmals verheerend ungeheure Massen von Gerölle dem Meer zuschieben. Von Landseen ist nur die Lagune von Lentini zu nennen; der berühmte Lago dei Palici (Naftia), der in trocknen Sommern ganz verschwindet, ist eine Kohlensäuregasquelle.

Herrlich ist das Klima von S., namentlich an der Nord- und Ostküste, weder überheiß im Sommer noch kalt im Winter und fast immer gleichmäßig. Die mittlere Jahrestemperatur beträgt 18–19°, die des Winters 11–12°, des Sommers 24–25° C.; die maximalen, bei dem trocknen, belästigenden Scirocco (s. d.) eintretenden Augenblickstemperaturen sind 40° C., die minimalen infolge starker Wärmestrahlung in klaren Winternächten bis −2° C. Doch tritt solche Kälte nur für Stunden ein, mittags wird man sehr selten weniger als 10° C. beobachten. Schnee fällt selten und bleibt vielleicht einmal in 50 Jahren einen Tag liegen. Die Niederschläge, 650 mm für die ganze Insel, konzentrieren sich auf den Winter, die drei Sommermonate sind gänzlich regenlos. Es muß dann für die noch vegetierenden Kulturpflanzen künstliche Bewässerung eintreten, die mit der seit 1860 rasch steigenden Bodenkultur sich immer mehr ausdehnt; immer mehr Quellen und Flüsse werden aufgefangen, selbst die unterirdisch fließenden Gewässer werden schon gefaßt und verwendet. Die außerordentliche Verwüstung der Wälder hat allerdings auch das Klima beeinflußt, und stagnierende Gewässer erzeugen in einigen Gegenden Malaria. Dennoch ist die Vegetation der Insel eine reiche und üppige zu nennen, namentlich an der Nord- und Ostseite, während das Innere im Sommer, wo die ungeheuern, baumlosen Ebenen und Hügellandschaften, die im Winter von Weizenfeldern grünten, sonnverbrannt daliegen, der Steppe gleicht. Die wildwachsende Flora ist vermöge der historischen Beziehungen und der geographischen Lage der Insel mitten im Mittelmeerbecken eine sehr reiche, man zählt 3000 Arten. Es gedeihen die Zwergpalme, die namentlich im SW. weite Flächen mit ihrem Gestrüpp bedeckt, die Dattelpalme und andre Palmenarten; Bananen reifen ihre Früchte, mehrere tropische Ficus-Arten, zahlreiche australische Pflanzen, Erythrinen, Magnolien u. dgl. gedeihen herrlich. Man unterscheidet drei Regionen, deren unterste bis 500 m als die der Dattelpalme, der Opuntien und der Agrumen mit überwiegender Baumkultur, die zweite bis 1000 m als die der Getreidekultur (Weizen) und die dritte über 1000 m als Wald- und Weideland bezeichnet werden kann.

[Bevölkerung.] Die Bevölkerung Siziliens ist als eine mannigfach gemischte zu bezeichnen; zu dem alten sikulischen Element sind als Hauptbestandteile

[Ξ]

SIZILIEN
Maßstab 1 : 1.100.000.
[Nebenkarte:] DIE ÄGADISCHEN INSELN im Maßstab der Hauptkarte

[1004] Griechen im O., später Araber und Berber im W. hinzugekommen, beide noch physisch, in Sprache und Sitte nachweisbar. Von geringerer Bedeutung, wenn auch noch heute abgesondert erhalten, sind die Einwanderungen von Lombarden und griechisch redenden Albanesen gegen Ende des Mittelalters (Piana dei Greci, Contessa, Palazzo Adriano). Der sizilische Volksdialekt, der schon im 13. Jahrh. am Hofe Friedrichs II. zur Sprache der Poesie ausgebildet wurde, und in dem zahlreiche, sich durch Tiefe und Wärme auszeichnende, noch immer fortlebende Volkslieder gedichtet sind, unterscheidet sich wesentlich von den Dialekten des Festlandes. Die Zahl der Bewohner beträgt (1881) 2,927,901 und dürfte jetzt ungefähr wieder den besten Zeiten des Altertums gleichstehen, hat aber sehr bedeutende Schwankungen durchgemacht; im 16. Jahrh. z. B. war sie infolge beständiger Kriege, Fehden und Korsareneinfälle auf 800,000 gesunken. Die mittlere Volksdichtigkeit beträgt demnach 113 auf 1 qkm, ist aber sehr verschieden, am stärksten an der Nord- und Nordostseite, am dünnsten im Innern. Eigentümlich ist auch, daß sich die Bevölkerung auf wenige Wohnplätze (ca. 800) verteilt, die demnach im Durchschnitt 3660 Einw. haben, so daß Dörfer im deutschen Sinn selten sind und infolgedessen auch die Bewirtschaftung der entlegenen Felder von diesen großen Zentren aus sehr schwierig ist. Die allgemeine Unsicherheit hat diese Anhäufung meist auf steilen Felsenhöhen veranlaßt; doch beginnt die wiedergekehrte Sicherheit und das neugeschaffene Verkehrsnetz auf die Verteilung der Bevölkerung in kleinere Gruppen über das Land zu wirken. Dieselbe ist jetzt in rascher, stetiger Zunahme begriffen, indem man 1861 nur 2,392,414 Einw. zählte. Die Volksbildung war bis 1860, wo sie ganz in den Händen der zahlreichen Geistlichen lag, völlig vernachlässigt und beginnt sich seitdem erst zu heben; namentlich die großen Städte, Palermo voran, bringen dem Schulwesen große Opfer. Doch steht die Volksbildung trotz der bedeutenden Fortschritte in den südöstlichsten Landschaften Siziliens noch immer tiefer als irgendwo in Italien. Günstiger ist der Sekundärunterricht in Lyceen (1883–84: 20), Gymnasien (60) und technischen Schulen (43) bestellt. Von den drei Universitäten zu Palermo, Catania und Messina haben namentlich die beiden letztern geringe Frequenz und ungenügende Lehrmittel und Lehrkräfte aufzuweisen. An öffentlichen Bibliotheken ist kein Mangel (32 in ganz S.); die Biblioteca nazionale und die Biblioteca municipale in Palermo sind bedeutende Institute. Auch für Pflege der Kunst ist gesorgt; das Museum von Palermo entwickelt sich herrlich und ist namentlich durch griechische Kunstwerke jeder Art (Metopen, Münzen), auch durch mittelalterliche und neuere Werke der Skulptur und Malerei ausgezeichnet. Die Reste griechischer Tempel, Theater etc. in Selinunt, Girgenti, Segesta, Syrakus werden sorgsam erhalten, ebenso die mittelalterlichen der normännischen Zeit. Der Volkscharakter der Sizilianer zeigt außerordentliche Lebhaftigkeit und Beweglichkeit, natürliche Intelligenz, Witz und Sprachgewandtheit, rasches Aufflammen in Liebe und Haß, wogegen Ausdauer in Verfolgung gesteckter Ziele seltener sein mag. Der Sinn für Bildung, Wissenschaft und Kunst ist jedem Sizilianer eigen und hat sich, seit der Druck des Despotismus gewichen ist, rasch wieder zu zeigen begonnen. Das ganze Land ist, trotz der geringen Förderung seitens der Regierung, seit 1860 in raschem materiellen und geistigen Aufschwung begriffen, der durch die dem Fernstehenden so auffallende Erscheinung der Mafia (s. d.), eines Erzeugnisses jahrhundertelangen Druckes und übler sozialer und wirtschaftlicher Verhältnisse, nicht dauernd beeinträchtigt werden kann. Diese nicht eigentlich organisierten, sondern aus dem stillschweigenden Einverständnis aller gegenüber einer fremden, kein Recht achtenden, brutalen Gewalt bestehenden Gesellschaften werden verschwinden, und die immer nur reichen Grundbesitzern gegenüber gefährdete Sicherheit wird zurückkehren, wenn es gelingt, den allgemeinen Wohlstand und die allgemeine Bildung zu heben und vor allen Dingen der Masse der Bevölkerung die Möglichkeit zu gewähren, selbst Besitz zu erwerben. Bisher ist dies nämlich in den meisten Gegenden Siziliens nicht möglich, sondern aller Besitz als eine Erbschaft der Feudalzeit in wenigen Händen vereinigt; selbst der Verkauf der Kirchengüter seit Ende der 70er Jahre in kleinern Losen hat bei der völligen Mittellosigkeit der großen Menge, lauter kleinen Pächtern und Arbeitern, da sich erst in den Städten durch Handel und Handwerk ein Mittelstand zu entwickeln begonnen hat, nur dazu geführt, Spekulanten zu bereichern u. den Großgrundbesitz noch mehr abzurunden. Derselbe ist meist in den Händen des zahlreichen, mit Fürsten-, Herzogs- und Markgrafentiteln geschmückten Adels, der in den Städten lebt und seine Güter fast nie besucht. Verwalter bewirtschaften dieselben und vermitteln zwischen dem unbekannten Herrn und den zahlreichen kleinen Pachtern.

[Erwerbszweige.] Trotz schlechter Bewirtschaftung, primitiver Werkzeuge und noch immer ungenügender Verkehrswege ist der Ackerbau, von dem die bei weitem überwiegende Masse der Bevölkerung lebt, ebenso lohnend wie im Altertum. Am meisten wird Weizen gebaut (1886: 4,5 Mill. hl), der noch immer hochgeschätzt ist und meist zum Export gelangt, wogegen geringerer eingeführt wird. Neben Weizen spielen Gerste (1885: 1,3 Mill. hl) und Bohnen (600,601 hl) eine große Rolle. Sehr wichtig ist der Weinbau, der hier durch den Einfluß Fremder rationeller betrieben wird als sonst in Italien; über 211,000 Hektar sind der Rebe gewidmet und geben eine Ernte von durchschnittlich 7,6 (1886 sogar 8) Mill. hl, wovon immer bedeutendere Mengen zur Ausfuhr fähig und haltbar hergerichtet werden; vor allem die Weine von Marsala, die Weine von der Nord- und Ostküste, welche in Milazzo, Messina (Farowein), Riposto (Mascaliwein vom Ätna), Catania, Syrakus und Vittoria (süße Muskatweine) zum Export gelangen, sind Naturweine und werden vielfach zur Vermischung mit leichtern Sorten nach den Wein fabrizierenden Ländern, insbesondere Frankreich, verschifft (vgl. Puglisi, La Sicilia e i suoi vini, Palermo 1885). Von Bedeutung ist ferner die Olivenkultur, deren Ertrag seit 1883 etwas gesunken ist (von 575,000 hl auf 323,000 hl in 1885), welche aber noch immer für ca. 20 Mill. Lire Öl zur Ausfuhr liefert, das freilich noch meist unrationell behandelt wird, dann die Agrumenkultur, besonders die Kultur von Orangen und Limonen. Die Zahl der Agrumenbäume beläuft sich auf mehr als 10 Mill., die der Früchte durchschnittlich auf 21/2 Milliarden Stück. Ein großer Teil der Früchte sowie der hieraus bereiteten Essenzen gelangt zur Ausfuhr (nach Nordamerika, Großbritannien, Österreich etc.). Wichtig ist noch, namentlich in der Provinz Palermo, die Kultur des Sumach (Rhus coriaria) als Gerbstoff; er trägt jährlich mit 20 Mill. Lire zur Ausfuhr bei. Auch die Kultur der Opuntien ist wichtig, da dieselben die in S. fast gar nicht gebauten Kartoffeln ersetzen und im [1005] Herbst vier Monate die Masse der Bevölkerung vorwiegend nähren. Im großen werden ferner gezogen: Johannisbrot, Mandeln, Haselnüsse, Feigen, Mannaeschen, Süßholz etc. Die Viehzucht ist unbedeutend und liefert infolge schlechter Behandlung geringen Ertrag, Krankheiten treten oft verheerend auf; am zahlreichsten sind noch Schafe (1881: 477,493) und Ziegen (171,558). Sehr lohnend und ein wichtiger Faktor in der Ernährung der Bevölkerung ist die Fischerei, namentlich auf Sardellen und Thunfische, die in zahlreichen großen Tonnaren rings um die Insel gefangen werden. An trefflichen, zum Teil sehr edlen Bausteinen ist S. reich, obschon es ihm auch an lohnendem Bergbau fast völlig fehlt. Nur die Schwefelproduktion ist bedeutend, wenn auch die Methode der Gewinnung noch sehr primitiv ist. Sie ist von 300,000 metr. Ztr. im J. 1830 in den letzten Jahren auf 3,300,000 gestiegen, die im Wert von 25 Mill. Lire zur Ausfuhr gelangen, während nur etwa 60,000 metr. Ztr. im Land selbst verbraucht werden. Die reichen Steinsalzlager werden noch kaum ausgebeutet, da man Seesalz in den Salzgärten von Syrakus, Augusta, Trapani und Marsala massenhaft und billiger gewinnt. Ein eigentümliches Erzeugnis Siziliens ist auch Bernstein, der an der Küste des Golfs von Catania gefunden und in Catania verarbeitet wird. Mineralquellen hat S. 82, meist Schwefelquellen, wovon die bedeutendsten und schon seit alter Zeit besuchtesten die von Termini und Sciacca (Thermae Selinuntinae) sind. Die Industrie ist in S., soweit sie nicht mit der Urproduktion unmittelbar zusammenhängt (Gewinnung von Essenzen, konzentriertem Zitronensaft, Öl, Weinstein, Mahlen von Getreide und Sumach, Schwefelraffinerie etc.), sehr gering; es bestehen nur einige Fabriken für Maschinen, Messingbetten, Zement, Thonwaren, Handschuhe, Teigwaren und Seife. Bedeutender, wenn auch noch immer viel in den Händen von Deutschen, Schweizern und Engländern, ist der Handel, der sich seit 1860 rapid entwickelte, seit sich die Bodenkultur im Innern gehoben hat und Verkehrswege geschaffen sind, die ihre Erzeugnisse an die Küste zu bringen erlauben. Seit dem Jahr 1863 hat sich allmählich das Eisenbahnnetz der Insel entwickelt, eine Linie verbindet Palermo mit Girgenti und Porto Empedocle, eine zweite Palermo mit Trapani, eine dritte Messina mit Syrakus, eine vierte geht von Catania durchs Innere über Caltanissetta nach Licata und entsendet zwei Abzweigungen zur Linie Palermo-Girgenti. Das Gesamtnetz umfaßt gegenwärtig 805 km. Auch auf Hafenbauten in Palermo, Messina und Porto Empedocle sind bedeutende Summen verwendet worden. Landstraßen gibt es verhältnismäßig wenig (ca. 3500 km) und in mäßigem Zustand. Der Verkehr war daher immer hauptsächlich auf das Meer angewiesen. In sämtlichen (60) Häfen von S. liefen 1886: 31,337 Schiffe mit 5,292,798 Ton. ein. Die Handelsmarine der sizilischen Häfen hatte Ende 1886 einen Stand von 1491 Schiffen mit 122,384 T., worunter sich 76 Dampfer mit 52,828 T. befanden. Der Warenverkehr in sämtlichen Häfen betrug in der Einfuhr 1,050,000 T., in der Ausfuhr 1,488,000 T. Hauptartikel sind in der Einfuhr: Getreide und Mehl, Kohlen, Eisen, andre Metalle und Maschinen, Garne und Gewebe, Holz und Petroleum; in der Ausfuhr: Schwefel, Wein, Agrumen, Seesalz, Gerbstoffe, Getreide und Hülsenfrüchte, Mehl, Johannisbrot, Mandeln, sonstige Früchte, Farbstoffe, Fische, Öl etc. Zu S. gehören auch noch die Liparischen Inseln nebst Ustica auf der Nord-, die Ägatischen Inseln auf der Westseite und die Insel Pantelleria nebst den Pelagischen Inseln (Lampedusa, Linosa, Lampione) an der Südseite. Die Insel zerfällt in sieben Provinzen: Caltanissetta, Catania, Girgenti, Messina, Palermo, Syrakus und Trapani. Vgl. Hoffweiler, S., Schilderungen aus Gegenwart und Vergangenheit (Leipz. 1870, illustriert); Gregorovius, Siciliana (6. Aufl., das. 1888); Franchetti und Sonnino, La Sicilia nel 1876 (Flor. 1877); v. Adrian, Prähistorische Studien aus S. (Berl. 1878); Th. Fischer, Beiträge zur physischen Geographie der Mittelmeerländer, besonders Siziliens (Leipz. 1877); v. Lasaulx, S., ein geographisches Charakterbild (Bonn 1879); Schneegans, S., Bilder aus Natur, Geschichte und Leben (Leipz. 1886); Gsell Fels, Sizilien (in „Meyers Reisebüchern“, das. 1889); „Carta geologica della Sicilia“, 1 : 500,000 (hrsg. vom Ufficio geologico, Rom 1885).

Geschichte.

S., früher Trinakria („Dreispitzen“), führt seinen Namen von den Sikelern oder Sikulern, die einst den ganzen Westen der Apenninenhalbinsel südlich vom Tiber bewohnten, bis sie, von den Oskern vertrieben, um 1100 v. Chr. nach S. hinübergingen, wo sie die Ureinwohner, die Sikaner und Elymer, in den westlichsten Teil der Insel zurückdrängten. Wegen ihrer günstigen Lage im Zentrum des Mittelländischen Meers wurde S. bald das Ziel der Handelsthätigkeit der Phöniker, die zahlreiche Niederlassungen hier gründeten, unter denen eine der ältesten das heutige Palermo (Machanath choschbim, später Panormos) ist. Ihnen folgten seit dem 8. Jahrh. ionische Griechen, welche den Norden der Ostküste, dann dorische, welche den südlichen Teil derselben kolonisierten und dann sich auch über die Nord- und Südküste ausbreiteten. Ionische Städte waren: Naxos, Zankle (später dorisch Messana), Katane, Leontinoi, Himera; dorische: Syrakus, Megara, Kamarina, Gela, Akragas oder Agrigent, Selinus. Die griechische Kolonisation der sogen. Sikelioten (sizilischen Griechen) war so zahlreich und mächtig, daß sie bald die ganze Insel, auch den später karthagischen Teil, hellenisierte.

Die Herrschaft in den griechischen Kolonien lag anfangs in den Händen der edlen Geschlechter, während die niedern Stände und die spätern Ansiedler ohne Teilnahme an der Regierung waren. Diese Rechtsungleichheit erzeugte Unzufriedenheit in der niedern Bürgerschaft, die von ehrgeizigen Männern zur Gründung von Tyrannenherrschaften benutzt wurde. Den Anfang machte 565 v. Chr. Phalaris in Agrigent; einem seiner Nachfolger, Theron, und Gelon, dem Tyrannen von Syrakus, war zur Zeit der Perserkriege der größte Teil der Insel unterthänig. Dadurch wurden die Besitzungen der Karthager, welche an Stelle der Phöniker getreten waren, im Westen der Insel gefährdet, und es kam infolgedessen zwischen ihnen und den Griechen zum Kampf, welcher mit dem Sieg der letztern bei Himera (480) endete. Die Tyrannis, welche sich bald durch hohe Steuern und Bedrückung des Volkes verhaßt machte, wurde zuerst (465) in Syrakus und bald darauf in allen übrigen Städten der Insel beseitigt. Das ehrgeizige Streben von Syrakus nach der Vorherrschaft über die sizilischen Hellenen hatte die Einmischung der Athener in die Verhältnisse der Insel (sizilische Expedition, 415–413, s. Syrakus) zur Folge. Zwar wurde diese zurückgewiesen, und Dionysios von Syrakus vereinigte 376 fast ganz S. unter seiner Herrschaft. Nach dessen Tod jedoch zerfiel die Macht von Syrakus, die auch Agathokles nicht auf die Dauer [1006] herstellen konnte. Von ihrem Waffenplatz Agrigent aus dehnten daher die Karthager ihre Herrschaft immer weiter aus und behaupteten sie auch gegen den anfangs siegreichen König Pyrrhos von Epirus, bis sie in dem Frieden, der dem ersten Punischen Krieg ein Ende machte (241), ihren Anteil an der Insel an die Römer abtreten mußten. Die Osthälfte blieb zunächst unter der Herrschaft von Syrakus und wurde erst nach dessen Eroberung 212 mit dem Westen zur Provincia Sicilia vereinigt.

Als römische Provinz war S. die Kornkammer Italiens; ein Krebsschaden war jedoch die ausgedehnte Sklavenwirtschaft. Wiederholt, am gefährlichsten 136–133 und 103–98, kam die Erbitterung der auf das grausamste behandelten Sklaven in blutigen Aufständen (Sklavenkriegen, s. d.) zum Ausbruch. Der Reichtum der Insel und die Kunstschätze der Städte verführten die Statthalter zu Erpressungen und Räubereien, und nur selten fanden die Geschädigten in Rom einen Fürsprecher, wie in Cicero gegen Verres. Griechische Sprache und Sitten blieben jedoch lange herrschend; erst in der römischen Kaiserzeit wurde die Insel latinisiert. In den letzten Zeiten des weströmischen Reichs von öftern Raubzügen des Vandalenkönigs Geiserich heimgesucht, kam S. mit dem Untergang des Reichs an Odoaker, nach dessen Sturz an die Ostgoten und 551 n. Chr. an das byzantinische Reich. 827 landeten die Araber auf S. und nahmen bis auf Syrakus, das erst 878 nach tapferer Verteidigung erobert wurde, die Insel in Besitz, die ihnen 1062–91 durch die Normannen unter Roger entrissen wurde. Rogers Sohn, Roger II., vereinigte 1130 S. mit Neapel zu einem Königreich (s. Sizilien, Königreich beider). Durch die Sizilianische Vesper (30. März 1282) wurde S. wieder von Neapel getrennt und kam unter die Herrschaft Peters von Aragonien, der es 1285 auf seinen zweiten Sohn, Jakob, vererbte. Als dieser 1291 König von Aragonien wurde, verzichtete er zu gunsten der Anjous auf S.; doch wollten die Sizilianer ihre Unabhängigkeit nicht aufgeben und erhoben Peters jüngsten Sohn, Friedrich II. (1291 bis 1337), auf den Thron, der sich siegreich gegen die Anjous und den Papst behauptete und eine Hauptstütze der Ghibellinen in Italien war. Nach der kurzen Regierung seines Sohns Peter II. (1337–42) folgten dessen Söhne Ludwig (1342–55) und Friedrich III. (1355–77), welch letzterer, um vom Kirchenbann losgesprochen zu werden, die Oberlehnsherrlichkeit des Papstes und Neapels anerkannte und sich zur Zahlung eines Zinses an letzteres verpflichtete. Unter der Herrschaft von Friedrichs III. Tochter Maria, welche minderjährig war, wurde S. von Parteiungen zerrissen, indem ein Teil der Barone einem italienischen Prinzen die Hand der Königin und die Herrschaft verschaffen wollte, ein andrer zu Aragonien hinneigte. Letztere Partei siegte, indem Maria mit dem Enkel Peters IV. von Aragonien, Martin, vermählt wurde; doch starb dieser schon 1409, ohne männliche Erben zu hinterlassen, und nun fiel S. an Aragonien, das unter Alfons V. 1442 auch Neapel erwarb. Während dieses 1458–1501 wieder selbständig wurde, blieb S. mit Aragonien vereinigt und stand bis 1713 unter der Herrschaft Spaniens. Im Frieden von Utrecht (1713) wurde S. als Königreich dem Herzog von Savoyen zugeteilt, 1720 aber von demselben gegen Sardinien an Österreich abgetreten, das nun Neapel und S. unter seiner Herrschaft vereinigte und beide Lande 1738 den spanischen Bourbonen als Sekundogenitur überließ. Als König Ferdinand IV. 1806 von Napoleon seines Throns entsetzt wurde, floh er nach S., das er unter dem Schutz der englischen Flotte behauptete, und dem er auf Verlangen des englischen Befehlshabers Lord Bentinck 1812 auch eine freisinnige Verfassung gab. 1815 wurde die Insel mit Neapel zum Königreich beider Sizilien (s. d.) vereinigt. Als 1820 in Neapel die Revolution ausbrach, versuchte S. sich wieder loszureißen; nur durch Personalunion wollte es mit Neapel verbunden sein. Doch wurde der Aufstand mit der Eroberung Palermos (5. Okt.) unterdrückt. Anfang 1848 erneuerte es den Versuch, sagte sich 13. April förmlich von den Bourbonen los und wählte 11. Juli den Herzog von Genua zum König. Indes wurde es im Mai 1849 von den Neapolitanern wieder unterworfen. 1860, als Garibaldi in Marsala landete, schloß sich S. ihm sofort an und ermöglichte hierdurch den Sturz des bourbonischen Königreichs. Doch stieß die italienische Regierung in S. auf große Schwierigkeiten, da der gesetzlose Sinn der Bevölkerung der Errichtung einer kräftigen Verwaltung und gerechten Handhabung der Gesetze widerstrebte. Die Korruption und der Widerstand gegen Gesetz und Recht waren in der Mafia (s. d.) förmlich organisiert und konnten auch durch energische Ausnahmemaßregeln nicht ausgerottet werden. Vgl. di Blasi, Storia del regno di Sicilia (Palermo 1844, 3 Bde.); San Filippo, Compendio della storia di Sicilia (7. Aufl., das. 1859); La Lumia, Studi di storia siciliana (das. 1870, 2 Bde.); Duca di Serradifalco, La antichità della Sicilia (das. 1835–42, 5 Bde.); Holm, Geschichte Siziliens im Altertum (Leipz. 1870–74, 2 Bde.); Amari, Storia dei Musulmani di Sicilia (Flor. 1853–73, 3 Bde.); Derselbe, Biblioteca arabo-sicula (Par. u. Leipz. 1856 ff.; ital. 1880, 2 Bde.; Nachtrag 1889); Bazancourt, Histoire de la Sicile sous la domination des Normands (Par. 1846, 2 Bde.); Graf v. Schack, Geschichte der Normannen in S. (Stuttg. 1889, 2 Bde.); Amari, La guerra del Vespro Siciliano (9. Aufl., Mail. 1885, 3 Bde.); Derselbe, La Sicile et les Bourbons (Par. 1849); Querner, Die piemontesische Herrschaft auf S. (Bern 1879); „Documenti per servire alla storia di Sicilia“ (Pal. 1879 ff.).