Marokkanische Frauen
[55] Marokkanische Frauen. (Mit Illustration S. 53.) Wenn wir in den von Wasser durchrauschten Gartenhöfen der Alhambra umherschlendern, die phantastische Pracht dieses märchenhaft schönen Maurenschlosses anstaunen, gelangen wir auch wohl in einen grotesk gewölbten, mit dem üppigsten Arabesken-Ornament rings bekleideten Saal, aus dessen Fenstern man hinabblickt in einen stillen Garten von Jasmin und Rosen, Orangen- und Myrthendickicht. Um diesen Garten liegen die Gemächer der schönen, unglücklichen Königin Lindoraja, welche arabische Poesie besungen hat in Sprüchen und Liedern. Wie ein Märchen aus Tausend und einer Nacht muthen uns diese stillen Räume an. Alle Pracht des Orients ist da einst aufgehäuft worden, um die Herrin zu erfreuen. Kostbare Stoffe, seltene Wohlgerüche, Blumen, Möbel von Perlmutter und Rosenholz, schwellende Polstersitze statteten die maurischen Gemächer mit den schlanken Hufeisenbogen aus. Durch Gesang und Saitenspiel suchten talentvolle Sklaven der Gebieterin die Zeit zu kürzen, deren einzige Beschäftigung war, sich in Sammt und schwarz Brokat zu hüllen, den schlanken Leib mit prachtvollen Stickereien, mit Perlen und Geschmeide zu schmücken, dann aber alle diese Ringe, die brennenden Augen, die zarten Glieder in weite Schleiertücher zu verbergen, schön zu sein nur für sich selbst und den Mann, der mehr Gebieter als Gatte war. Denn kein freier Ausblick in die paradiesisch schöne Welt, kein Verkehr mit anderen Menschen ist ihr gestattet; mag das Gitter, welches Fenster und Wendelgänge des Mirador schließt, noch so kunstvoll sein, es macht den glänzendsten Harem doch zu einem wohlbewachten Gefängnisse.
Viele Jahrhunderte sind vergangen, seit die holdselige Königin Lindoraja in ihrer Einsamkeit diesen Wänden ihr Leid geklagt, seit sie den strafbaren Versuch gemacht, die Fesseln zu brechen, das glühende Herz, das dem düsteren Herrscher niemals gehört, dem geliebten Manne in dem heimlichen Dickicht der Laube von Jasmin zu offenbaren. Mit grausiger Todesqual hat sie ihre Schuld büßen müssen, seitdem sind die Gemächer der Lindoraja leer und verödet. Die Mauren haben den christlichen Eroberern hier wie überall in Europa weichen müssen, das Maurenschloß auf den Rosenhügeln der Sierra Nevada allein erzählt von der fernen Vergangenheit.
Viele Jahrhunderte sind vergangen. Heute müssen wir weit wandern, über das Meer fahren, um Aehnliches zu finden. Weder in Algier noch in Tunis hat arabische Art sich so rein erhalten wie in Marokko, dessen Bevölkerung noch kaum von abendländischen Einflüssen berührt ist. Dieselben Sitten, dieselbe Volksart, dieselbe Strenge in der gesellschaftlichen Stellung der Frauen, die in dem spanischen Granada ehemals geherrscht, haben die arabischen Stämme in Marokko sich zum großen Theil treu bewahrt. Vor Allem bei den Mächtigen, Vornehmen und Reichen des Landes können wir heute die ehemalige Lebensführung in reiner Form beobachten. Bei den niedern Ständen finden wir schon Spuren neuer Wandlung, denn überall, wo Volksstämme von früherer Höhe abwärts steigen, lockern sich zuerst in den niederen Schichten, bei Armen und Ungebildeten, die ungeschriebenen Gesetze der Sitte und des Herkommens. So sehen wir neben Jüdinnen und Kabylinnen die Weiber des gemeinen Volkes auch in Marokko scheu durch die engen Gassen huschen, gierig vor den in den Bazaren aufgehäuften Kostbarkeiten kauern, in den Apotheken und Spezereigewölben bei einander hocken, um lustig zu plaudern und zu klatschen.
Weit weniger gut hat es die vornehme, mit allem erdenklichen Luxus umgebene marokkanische Frau. Gleich der schönen Lindoraja erblickt sie die Außenwelt nur durch die engen Vergitterungen der Fenster oder der [56] Sänfte, die Natur nur in den Laubgängen des von hoher Mauer umschlossenen Gartens. Was hilft ihr aller Schmuck, alle Pracht, womit die Orientalen ihre Weiber zu umgeben lieben? Die schwellenden Teppiche, die mit Elfenbein inkrustirten Möbel, die schweren Vorhänge, das wundervolle Geräth, welches die orientalischen Kunstgewerbe unnachahmlich schön bilden, vermögen die Leere nicht auszufüllen, welche die vornehme und geistig entwickelte maurische Frau empfindet.
Die Türkin, das Weib aus mongolischem Stamme, ist gröber geartet. Plump und derb in der äußeren Erscheinung, fett, mit gewulsteten Lippen, ohne jene Rassenschönheit der semitischen Frauen, läßt sie sich auch an materiellem Dahinleben genügen. Ihr bereiten die Juwelen, die gestickten Gewänder Freude, mit denen der Gatte sie behängt, sie nascht mit Leidenschaft Süßigkeiten, verschmäht gelegentlich auch wohl den Haschisch nicht und träumt auf dem Divan gestreckt vom Paradiese, von den Entzückungen ewigen Wohllebens, ewiger müßiger Sorglosigkeit. Sie fühlt sich glücklich im Harem in wunschlosem Verkehr ihres Gleichen.
Die arabische Frau, wie der Harem vornehmer Marokkaner sie in seinen Gemächern birgt, ist von edler, höherer Rasse. Gertenhaft schlank und geschmeidig, mit zarten Gliedern, seinem Schnitt der Züge, kleinem Kopfe, mit feurigem, sehnsuchtsvoll ins Ungewisse blickendem Auge, kann sie von großer Schönheit sein, die sich fast immer mit Anmuth paart. Ist sie aber zufrieden und glücklich? Nur selten dringt ein profaner Blick in das Innere marokkanischer Frauengemächer, nur selten lüftet sich ein Zipfel der verhüllenden Schleiertücher. Was wir aber auf solche Art von dem Wesen dieser Frauen erhaschen, das nöthigt uns, diese armen Reichen eher zu bemitleiden als zu beneiden. Auf weißem Kameele, vermummt in gelbe, die ganze Gestalt umhüllende Schleier, folgt die Braut ihrem Gatten in sein Heim, folgt ihm vielleicht als kostbarste Habe, aber doch immer als ein Eigenthum, über das der Herr unbedingt gebietet, das er vor jeder Berührung mit der Außenwelt streng behütet. Glücklich, wenn das junge schöne Wesen niemals zum Bewußtsein seiner Abhängigkeit gelangt, wenn es dahinlebt in kindlicher Harmlosigkeit, seine Welt sieht und genießt in den Räumen des Harem, in Saitenspiel, Gesang und Erfüllung ihrer kaum drückenden Pflichten. Erwacht aber die Seele der Gefangenen zu selbständigem Leben, zu freieren Regungen, und dringt vielleicht ein zündender Funken von außen her in das arme Herz, dann muß die fein und zart organisirte arabische Frau schwer leiden, tief und aussichtslos unglücklich werden, so unglücklich wie Lindoraja auf ihrem Königsthron von Granada. Fritz Wernick.