Mathematische Principien der Naturlehre/Buch1-XIV
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§. 141. Lehrsatz. Zwei ähnliche Mittel werden von einander durch einen Raum getrennt, der beiderseits von parallelen Ebenen begrenzt ist, und beim Durchgange durch diesen Raum wird ein Körper perpendikulär gegen das eine der beiden Mittel gezogen oder gestossen; dabei wird er durch keine andere Kraft angetrieben oder verhindert. Ist nun die Anziehung in gleichen Abständen von beiden Ebenen, nach derselben Seite genommen, immer dieselbe; so steht der Sinus des Einfallswinkels in die eine beider Ebenen zum Sinus des Austrittswinkels aus der andern Ebene in einem constanten Verhältniss.
Erster Fall. Es seien Aa und Bb zwei einander parallele Ebenen. Auf die erste falle der Körper längs der Linie GH, und er werde während seines Durchganges durch den mittleren Raum gegen das Einfallsmittel gezogen oder getrieben. In Folge dessen wird er die krumme Linie HJ beschreiben und längs der Linie JK austreten. Auf die Austrittsebene Bb werde das Perpendikel JM errichtet, welches die verlängerte Einfallslinie GH in M, die Einfallsebene Aa in R schneidet; ferner treffe die verlängerte Austrittslinie JK die Linie HM in L. Aus L als Mittelpunkt werde mit dem Radius LJ ein Kreis beschrieben, welcher HM in P und Q, und die verlängerte MJ in N schneidet. Nimmt man nun zuerst die Anziehung oder den Anstoss als gleichförmig an, so ist (wie Galilei bewiesen hat,[1]) die Curve HJ eine Parabel, welche die Eigenschaft hat, dass HM² gleich dem Produkte aus einem Parameter in JM ist und dass die Linie HM in L halbirt wird.[2]
Fällt man daher auf MK das Perpendikel LO, so wird
und da
auch
Es ist aber
oder
und so das Verhältniss
Dasselbe giebt von HM² : LM², indem HM² = 4 · LM²; mithin wird auch durch Zusammensetzung das Verhältniss
oder
endlich
Im Dreieck LMJ ist aber
mithin das vordere Verhältniss constant, wobei offenbar LMR der Einfalls- und LRJ der Austrittswinkel ist. W. z. b. w.
Zweiter Fall. Es gehe der Körper nach und nach durch mehrere, von parallelen Ebenen begrenzte, Räume
und werde durch eine Kraft angetrieben, welche in jedem einzelnen Räume gleichförmig, in verschiedenen verschieden ist. Nach dem oben dargestellten Beweise steht der Sinus des Einfallswinkels in die erste Ebene Aa zum Sinus des Austrittswinkels aus der zweiten Bb im constanten Verhältniss. Der letztere Sinus, welcher zugleich der Sinus des Einfallswinkels in die zweite Ebene Bb ist, steht wieder zum Sinus des Austrittswinkels aus der dritten Ebene Cc im constanten Verhältniss, eben so der letztere zum Sinus des Austrittswinkels aus der vierten Ebene Dd, u. s. w. f. ins Unendliche. Durch Zusammensetzung findet man also den Sinus des Einfallswinkels in die erste Ebene zum Sinus des Austrittswinkels aus der letzten Ebene im constanten Verhältniss.
Nun vermindere man die gegenseitigen Abstände der Ebenen und vermehre ihre Anzahl bis ins Unendliche, so dass die Wirkung der Anziehung oder des Stosses nach irgend einem Gesetze continuirlich werde; alsdann wird das Verhältniss vom Sinus des Einfallswinkels in die erste Ebene zum Sinus des Austrittswinkels aus der letzten Ebene auch jetzt constant sein. W. z. b. w.
§. 142. Lehrsatz. Unter derselben Voraussetzung verhält sich die Geschwindigkeit des Körpers vor dem Eintritt zu der nach dem Austritt stattfindenden, wie der Sinus des Austrittswinkels zum Sinus des Einfallswinkels.
Man nehme
an und errichte die Perpendikel AG und dK, welche die Einfalls- und Austrittslinien GH und JK in G und K schneiden. Auf GH nehme man
an und fälle auf die Ebene Aa das Perpendikel Tv. Nach Gesetze, Zusatz 2. kann man die Bewegung des Körpers in zwei zerlegen, die eine perpendikulär auf Aa, Bb, etc, die andere ihnen parallel. Die anziehende oder stossende Kraft wirkt in der Richtung der Perpendikel, und ändert daher nicht die Bewegung in der Richtung der parallelen Linien; mithin wird der Körper bei dieser Bewegung in gleichen Zeiten diejenigen gleichen Räume längs der parallelen Linien zurücklegen, welche sich zwischen der Linie AG und dem Punkt H, wie auch zwischen dem Punkt J und der Linien dK befinden. Er wird daher in gleichen Zeiten die Linien
beschreiben.
Ferner verhält sich die Geschwindigkeit vor dem Eintritt zu der nach dem Austritt stattfindenden, wie
oder weil auch JK = TH, wie
d. h. wie der Sinus des Austrittswinkels zum Sinus des Einfallswinkels. W. z. b. w.
§. 143. Lehrsatz. Ist unter denselben Voraussetzungen die Bewegung vor dem Einfall geschwinder, als nachher; so wird der Körper indem die Einfallslinie sich neigt, endlich zurückgeworfen und der Zurückwerfungswinkel dem Einfallswinkel gleich.
Man denke sich, dass der Körper wie vorhin zwischen den parallelen Ebenen Aa, Bb, Cc, etc. parabolische Bogen beschreibe und es seien HP; PQ, QR, etc. diese Bogen. Die Schiefe der Einfallslinie GH gegen die erste Ebene Aa sei so beschaffen, dass der Einfallssinus sich zum Radius des Kreises, dem jener entspricht, verhalte wie derselbe Einfallssinus zum Austrittssinus aus der Ebene Dd in den Raum DdeE. Da so der Austrittssinus dem Radius gleich ist, so ist der Winkel selbst ein Rechter und es fällt daher die Austrittslinie mit der Ebene Dd zusammen. Der Körper gelange zu dieser Ebene im Punkte R, und da die Austrittslinie mit derselben zusammenfällt, so kann der Körper offenbar nicht weiter gegen die Ebene Ee vordringen. Eben so wenig kann er auf der Austrittslinie Rd fortgehen, weil er beständig gegen das Eintrittsmittel gezogen oder gestossen wird. Deshalb wird er zwischen den Ebenen Cc und Dd umbiegen, indem er den parabolischen Bogen QRq beschreibt, dessen Hauptscheitelpunkt (nach Galilei’s Beweis) in R liegt. Er schneidet die Ebene Cc unter demselben Winkel in q, wie vorher in Q, und indem er auf den parabolischen Bogen qp, ph, etc., welche den früheren QP, PH, etc. congruent sind, fortgeht, wird er auch die übrigen Ebenen in p, h, etc. unter denselben Winkeln wie früher in P, H, etc. schneiden und zuletzt in h bei derselben Schiefe austreten, bei welcher er in H eingetreten ist.Denkt man sich nun, dass die Zwischenräume der Ebenen Aa, Bb, Cc, Dd, Ee ins Unendliche vermindert, ihre Anzahl eben so vermehrt werde; so wird die Thätigkeit der Anziehung oder des Anstosses nach einem beliebigen angegebenen Gesetze continuirlich und der Austrittswinkel auch jetzt dem Eintrittswinkel gleich bleiben. W. z. b. w.
§. 144. Anmerkung. Nicht sehr unähnlich sind diesen Anziehungen die Zurückwerfung und Brechung des Lichtes, welche in einem constanten Verhältniss der Secanten stattfinden, wie Snellius gefunden, folglich auch in einem constanten Verhältniss der Sinusse, wie Cartesius auseinander gesetzt hat. Dass nämlich das Licht sich allmälig fortpflanze und in 7m bis 8m[3] Zeit von der Sonne zur Erde gelange, ist jetzt durch die Erscheinungen der Jupiters-Trabanten bekannt, wie verschiedene Astronomen durch Beobachtungen bestätigt haben. Die in der Luft befindlichen Strahlen werden aber (wie schon längst Grimaldi gefunden hat, indem er Licht durch eine Oeffnung in ein dunkles Zimmer eintreten liess, und wie ich auch selbst erfahren habe), indem sie nahe bei den Kanten dunkeler oder durchsichtiger Körper (wie den scharfen kreisförmigen Kanten von Münzen, die aus Gold, Silber oder Kupfer geprägt sind, oder den Schneiden von Messern, Steinen oder zerbrochenem Glase) vorübergehen, um diese Körper gekrümmt, gleichsam als ob diese sie anzögen. Von diesen Strahlen werden nur diejenigen, welche beim Vorübergange den Körpern am nächsten kommen, stärker gekrümmt, gleichsam als ob sie mehr angezogen würden, wie ich selbst auch fleissig beobachtet habe. Die in grössern Abständen vorübergehenden Strahlen werden weniger gekrümmt, die in noch grössern ein wenig nach der entgegengesetzten Seite und bilden daselbst drei Farbenbilder.
In der Figur bezeichne s die Schneide eines Messers oder irgend eines Keils AsB, und gowog, fnvnf, emtme, dlsld Strahlen, welche in Bogen
gegen das Messer gekrümmt sind und zwar mehr oder weniger, je nach ihrem Abstände vom Messer. Da aber eine solche Krümmung der Strahlen in der Luft, ausserhalb des Messers stattfindet, so müssen auch diejenigen Strahlen, welche in das Messer selbst eintreten, bevor sie dasselbe berühren, bereits in der Luft gekrümmt werden. Dasselbe Verhalten findet statt, wenn sie in Glas einfallen. Es erfolgt also die Brechung nicht im Einfallspunkte, sondern allmälig durch stetige Krümmung der Strahlen, theils in der Luft, bevor sie das Glas berühren, theils (wenn ich nicht irre) im Glase, nachdem sie in dasselbe eingetreten sind, wie dies bei den in r, q und p einfallenden Strahlen
dargestellt ist, welche zwischen k und z, i und y, h und x gekrümmt sind.
Wegen der Analogie, welche zwischen der Fortpflanzung der Lichtstrahlen und dem Fortschreiten der Körper stattfindet, erschien es daher zweckmässig, die folgenden Sätze für optische Zwecke hinzuzufügen, wobei ich jedoch nichts über die Natur der Strahlen (ob sie Körper sind oder nicht) behaupte, sondern nur die Bahnen der Körper als denen der Lichtstrahlen sehr ähnlich voraussetze.
§. 145. Aufgabe. Vorausgesetzt wird, dass der Sinus des Einfallswinkels auf irgend eine Oberfläche zum Austrittssinus im constanten Verhältnisse stehe, und dass die Krümmung des Weges der Körper in der Nähe jener Oberfläche in einem so kurzen Räume erfolgen, dass man denselben als einen Punkt ansehen könne. Man soll diejenige Oberfläche bestimmen, welche bewirkt, dass alle von einem gegebenen Orte nach und nach ausgehenden Körper nach einem anderen gegebenen Orte hin convergiren.
Es sei A der Ort, von welchem aus die kleinen Körper divergiren, B derjenige, nach welchem hin sie convergiren sollen und CDE die Curve, welche bei der Umdrehung um die Axe AB die gesuchte Oberfläche
beschreibt. D und E seien beliebige Punkte jener Curve, EF und EG Perpendikel auf die Wege AD und DB des Körpers. Es nähere sich der Punkt D dem Punkte E, und das letzte Verhältniss der Linie DF, um welche AD zunimmt, zu DG, um welche BD abnimmt, wird dasselbe sein, wie das des Einfallswinkels zu dem des Austrittssinus.[4] Das Verhältniss des Increments der Linie AD zum Decrement der Linie BD ist daher constant, und wenn man daher auf der Axe beliebig einen Punkt C annimmt, durch welchen die Curve CDE gehen soll, und das Increment CM der Linie AC zum Decrement CN der Linie BC in demselben constanten Verhältniss annimmt; so kann man aus den Mittelpunkten A und B mit den Radien AM und BN Kreise beschreiben, welche sich gegenseitig in D schneiden. Jener Punkt D wird in der gesuchten Curve CDE liegen und dieselbe bestimmen, indem er beliebige Punkte derselben treffen kann.
Zusatz 1. Indem man bewirkt, dass der Punkt A oder B bald sich in’s Unendliche entfernt, bald sich nach verschiedenen Theilen von C begiebt, erhält man alle diejenigen Figuren, welche Cartesius in der Optik und Geometrie zum Behuf der Brechungen dargestellt hat. Da er die Auffindung derselben für sehr wichtig hielt und dieselbe eifrigst verbarg, so schien es angemessen, sie durch diesen Satz hier darzustellen.
Zusatz 2. Fällt ein Körper auf die beliebige Oberfläche CD, längs der Linie AD, welche nach irgend einem Gesetze construirt ist, auf und tritt derselbe längs einer anderen beliebigen geraden Linie DK aus; denkt man sich ferner von C aus die krummen Linien CP und CQ gezogen, welche respective auf AD und DK perpendikulär sind: so verhalten sich die Incremente der Linien PD und QD, mithin auch die entstandenen Linien PD und QD selbst, wie der Einfallssinus zum Austrittssinus, und umgekehrt.
§. 146. Aufgabe. Unter denselben Voraussetzungen denke man sich um die Axe AB eine beliebige regelmässige oder unregelmässige anziehende Fläche CD beschrieben, durch welche die vom gegebenen Orte A ausgehenden Körper gehen sollen; man soll eine zweite anziehende Fläche EF finden, welche bewirkt, dass jene Körper nach einem gegebenen Orte B hin convergiren. Die Verbindungslinie AB
schneide die erste Oberfläche in C, die zweite in E, indem der Punkt D beliebig angenommen wird. Vorausgesetzt, dass der Eintrittssinus sich zum Austrittssinus der ersten Fläche, und ebenso der Austrittssinus zum Eintrittssinus der zweiten Fläche sich verhalte, wie
verlängere man AB bis G, so dass
ferner AD bis H, so dass
sei, endlich DF bis K, so dass
sei. Man ziehe BK, beschreibe aus D als Mittelpunkt mit DH als Radius einen Kreis, welcher die verlängerte Linie KB in L schneidet, ziehe
alsdann wird F in die Curve EF fallen, welche, um die Axe AB gedreht, die gesuchte Oberfläche beschreibt.
Man denke sich CP auf AD, CQ und ES auf FD und ER auf BF perpendikulär, also
alsdann ist (nach §. 145., Zusatz 2.)
mithin nach 4.
Hieraus folgt
d. h., weil
Da aber (wegen GL 2.) auch
so folgt
Nach §. 145., Zusatz 2. zwingt daher die Oberfläche EF, den längs DF in sie einfallenden Körper, seinen Weg auf der Linie FR nach B fortzusetzen. W. z. b. w.
§. 147. Anmerkung. Nach derselben Methode könnte man zu drei oder mehreren Oberflächen übergehen. Zu optischen Zwecken eignen sich aber am meisten die sphärischen Figuren. Bildet man die Objectivgläser von Fernrohren aus zwei sphärisch geformten Gläsern, welche Wasser zwischen sich enthalten; so ist es möglich, dass durch die Brechung des Wassers die Refractionsfehler, welche in den äusseren Oberflächen der Gläser entstehen, hinreichend genau verbessert werden. Solche Objective sind aber den elliptischen und hyperbolischen vorzuziehen, nicht allein, weil sie leichter und genauer hergestellt werden können, sondern auch, weil sie die ausserhalb der Axe des Glases gelegenen Strahlenbüschel genauer brechen.
Die verschiedene Brechbarkeit verschiedener Strahlen verhindert jedoch, dass optische Instrumente durch sphärische oder beliebige andere Figuren vollkommen werden. Wenn man die hieraus entspringenden Fehler nicht verbessern kann, so wird alle Mühe auf Verbesserung der übrigen Fehler ohne Ueberlegung verwendet.
Bemerkungen und Erläuterungen [des Übersetzers]
[Bearbeiten]- ↑ [593] No. 78. S. 222. Vergl. §. 140.
- ↑ [594]
No. 79. S. 222. Ist HC VW, wo VW die Hauptaxe der Parabel ist, so haben wir nach §. 31., Bemerkung. . Hier ist p der Parameter der Hauptaxe und α der Winkel, welchen die Tangente HM mit der Hauptaxe bildet. Da nun MJ = und x', MH = und y'; constant = P; so ist auch HM² = P · MJ. Zieht man eben so in J eine Tangente JL, nimmt MJZ als Durchmesser an und zieht man HZ JL; so ist MZ die Subtangente der Tangente MH in Bezug auf diesen Durchmesser als Abscissenaxe, und nach derselben Weise wie bei rechtwinkligen Coordinaten und der Hauptaxe als Abscissenlinie wird hier diese Subtangente MZ = 2 · JZ also MJ = JZ und somit ML = LH.
- ↑ [594] No. 80. S. 225.
Genauer nach Delambre 493s,198 „ Struve 497,827. - ↑ [594] No. 81. S. 227. Ist nämlich TR perpendikulär auf die Curve CDE so stellt PDR = TDA den Eintritts- RDS hingegen den Austrittswinkel dar. Wenn nun DP = DS, ferner PQ und SR auf DR senkrecht
sind, so ist der Eintrittssinus und der Austrittssinus. Da aber DE auf DR und EF auf DP senkrecht ist, so wird Δ DEF ∼ DPQ.
Ferner wird, da DE auf DR und EG auf DS senkrecht ist, auch Δ DEG ∼ DSR. Da nun der Eintrittssinus = und der Austrittssinus = ; so hat man DF : DG = Eintrittssinus : Austrittssinus.
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