Meine Turcos-Studien

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
<<< >>>
Autor: Heinrich von Maltzan
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Meine Turcos-Studien
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 52, S. 884-886
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1870
Verlag: Verlag von Ernst Keil
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite
[884]
Meine Turcos-Studien.
Von Heinrich Freiherrn von Maltzan.


Der Name „Turcos“, der jetzt so vielfach genannt wird, ist keineswegs die wirkliche Benennung der einheimischen algierischen Infanterie-Soldaten. Officiell heißen sie „Tirailleurs algériens“, das heißt „Algierische Plänkler“, und dies ist auch die einzige Benennung, welche die Araber, so schwer es ihnen auch wird, diese französischen Worte auszusprechen, der Truppe geben und welche diese sich selbst beilegt. Im arabischen Munde kommt freilich das „Tirailleur“ sehr verhunzt heraus, so daß man es kaum verstehen kann, und lautet etwa wie „Diralljir“. Aber das Wort Turco zu gebrauchen, erscheint dem Araber zu standeswidrig, da er weiß, daß kein einziger Türke jetzt in diesem Corps dient oder vielleicht jemals darin gedient hat. Daß die Turcos selbst sich nicht so nennen, hat seinen Grund darin, weil der ganze Name durch seine Endsylbe „o" eigentlich nur ein Spitzname mit verächtlicher Nebenbedeutung ist und etwa der kleine verächtliche Türke bedeutet.

Die Turcos sind ein sogenanntes Fremdencorps. Obgleich nämlich die Algierer französische Unterthanen sind, so haben sie doch nicht das französische Bürgerrecht. Der Name „Franzosen“ in seiner politischen Bedeutung wird ihnen abgesprochen. Als Fremdencorps steht die Truppe der Turcos auf gleichem Fuße mit der Fremdenlegion, und Fremde aller Nationen können sich in sie aufnehmen lassen. Ich begegnete eines Tages zwei Turcos in Algier, deren weiße Haut und blonde Haare deutlich ihren nicht afrikanischen Ursprung verriethen, und war nicht wenig erstaunt, sie im geläufigsten Plattdeutsch sich unterhalten zu hören: Sie waren aus der Gegend von Braunschweig und hatten erst in die Fremdenlegion treten wollen; da diese aber überfüllt war, so mußten sie Turcos werden und hießen jetzt „Mustapha“ und „Hassan“. Jeder Europäer nämlich, der Turco oder Spahi (einheimischer Reiter) wird, muß einen arabischen Namen annehmen. Der Unterschied in der Zusammensetzung dieser beiden Fremdencorps, der Turcos und der Fremdenlegion, scheint mir jetzt der zu sein, daß man die Einheimischen nur in die Turcos aufnimmt, während letzteres Corps in jeder anderen Beziehung sich aus denselben Elementen recrutieren kann wie die Fremdenlegion. Die Bedingungen zum Avancement sind bei den Turcos auch ganz dieselben wie bei der Fremdenlegion. Bei beiden sind alle Officiere, vom Hauptmann an, ausschließlich Franzosen: Der Fremde kann es in beiden Corps nur bis zum Oberlieutenant bringen. Bei den Turcos wird der Einheimische in dieser Beziehung den Fremden ganz gleich gerechnet. Ich kannte einen Italiener, der Lieutenant bei den Turcos war und die Truppe verließ, weil er es nicht weiter bringen konnte. Bei Arabern kam es wohl früher einige Male vor, daß sie bis zum Hauptmann avancierten um vorzüglicher Dienste willen; aber das war für sie ein rein nomineller Rang, denn der einheimische Hauptmann stand unter dem Commando eines französischen Lieutenants und hatte gar nichts zu sagen. Solche Beispiele, wie Jussuf, der General geworden, sind große Ausnahmen, die aus den Anfangszuständen der Colonie herrühren. Heut’ zu Tage bringt es kein Araber mehr zu hohen Ehren.

Die Elemente, aus denen die Turcos bestehen, sind also sehr verschiedenartig, da, wie gesagt, auch Deutsche (hoffentlich jetzt keine mehr) darunter dienten. Gleichwohl kann man ein vorherrschendes Element unterscheiden; dieses sind die Kabylen, namentlich die aus Großkabylien und aus der Provinz Constantine. Die Kabylen sind bekanntlich Ureinwohner, die ihre eigene Sprache reden. Ihr Gesichtstypus läßt sich von dem arabischen meist gut unterscheiden. Der Araber hat längliche Züge, eine gerade oder eine Adlernase und im Ganzen einige Aehnlichkeit mit dem Inder. Der Kabyle dagegen hat ein mehr rundliches Gesicht, zuweilen hervortretende Backenknochen, oft eine Stumpfnase, meist einen großen Mund. In der Hautfarbe herrscht große Mannigfaltigkeit. Ich sah Kabylen, die weiße Haut und blonde Haare hatten. Sie waren von jenem Stamme, den man gewöhnlich für Abkömmlinge der alten Vandalen hält, obwohl auf keine anderen Anzeichen hin, als die erwähnten physiognomischen. Andere sah ich, die ganz dunkelbraun waren, aber nicht etwa Negerblut in ihren Adern hatten, denn der Kabyle verachtet die Schwarzen und wird nie eine Negerin heirathen.

Ist nun schon das kabylische Element bei den Turcos von sehr mannigfaltiger äußerer Erscheinung, so gewinnt doch das Gesammtbild noch bedeutend an Buntheit durch die Beimischung von Abkömmlingen anderer einheimischer Stämme und Mischracen. Unter den Mischracen sind zwei, deren Angehörige sich mitunter bei den Turcos anwerben lassen, nämlich die Mulatten und die Kuluglis. Letztere sind Mischlinge von Türken und Arabern, Abkömmlinge der früher in Algier herrschenden türkischen Janitscharen und arabischer Frauen. Das Wort soll „Sohn des Einäugigen“ bedeuten, weil der erste Türke, der eine Algiererin heiratete, einäugig gewesen wäre. Die Kuluglis haben die kriegerischen Instincte ihrer Vorfahren geerbt, und deshalb werden sie gern Soldaten; da sie aber auch deren Stolz geerbt haben, und dieser bei der gedrückten und wenig ehrenvollen Stellung, die ein Turco einnimmt, keine Nahrung findet, so lassen sich nur die verkommensten Subjecte unter ihnen bei dieser Truppe anwerben. Gleichwohl giebt es immer eine Anzahl Kuluglis bei den Turcos, und die Franzosen sehen sie gern, da sie etwas disciplinfähiger sind, als die übrigen. Der Typus der Kuluglis unterscheidet sich wenig von dem der Südeuropäer. Besonders ihr Bartwuchs gleicht durch seine Fülle dem europäischen, während der echte Araber nur spärlichen Bart hat.

Die Mulatten sind die unliebsamste Zugabe zu den Turcos, welche die Franzosen zwar annehmen, wenn Mangel ist, aber nicht gern. Die algierischen Mulatten sind nämlich meist schwächlich, sowohl an Körper, als an Geist, und sehr schwer zu discipliniren, nicht ihrer Ungebundenheit, sondern lediglich ihrer sprüchwörtlichen Dummheit wegen.

[885]

Aus den Reihen unserer Gegner.
Studienköpfe nach der Natur von Prof. W. Camphausen in Düsseldorf.

[886] das allerdunkelste Hauptelement, der echte Neger, kommt unter den Turcos vor, jetzt freilich seltener als früher, denn diejenigen Neger, die noch als Sclaven nach Algier kamen, sind jetzt zu alt, um zu dienen, da seit 1848 keine Sclaven mehr eingeführt wurden. Von den in Algier geborenen Negern, die Schuschân genannt, gilt dasselbe, was von den Mulatten gesagt wurde, nur in noch erhöhtem Grade. Sie sind meist zu schwach zum Dienst. Gleichwohl giebt es einzelne Ausnahmen, und so findet man denn hie und da einen Schuschân bei den Turcos. Am beliebtesten sind aber die echten Neger. Von Zeit zu Zeit nämlich verliert sich ein freier Neger, der noch jung ist, an die Küste und läßt sich dann, da er meist zu faul ist zu arbeiten, gern anwerben, denn das Leben der Turcos im Frieden hat für solche geborene Faulenzer eine große Anziehungskraft.

Früher hatten es die Turcos freilich noch viel besser, als heutzutage. Sie waren ein auf hohen täglichen Sold und Kostgeld gesetztes Corps, deren einzelner Mann etwa einen Franc (acht Groschen) täglich erhielt. Jetzt hat man ihnen das Kostgeld entzogen und giebt ihnen die gewöhnlichen Soldatenrationen. Dennoch führen die meisten von ihnen bei der Truppe ein besseres Leben, als sie es zu Hause gewohnt waren, namentlich die Kabylen, die in ihrer Heimath ein so frugales Leben führen, daß die bekannte spartanische Suppe noch Völlerei dagegen wäre. Der Kabyle ißt im gewöhnlichen Leben nichts, als seine säuerlichen, öligen Gerstenmehlteige, die er Brod nennt. Dazu trinkt er ungeläutertes Olivenöl. Fleisch genießt er nur an großen Festen, wenn ihn ein Stammeshäuptling damit tractirt. Selbst zu schlachten, dazu ist er zu geizig. Kommt nun ein solcher Kabyle in die Stadt, wo er ein schönes reines Weizenbrod findet, so erscheint ihm dieses wie ein köstlicher Leckerbissen: Das französische Kommißbrod ist freilich nicht schön und weiß, aber doch immer noch besser als das kabylische. Hat aber der Kabyle Brod und Oel dazu, so entbehrt er gern andere Speisen, besonders da er es in Bezug auf die mohamedanischen Speiseregeln sehr streng nimmt. Im Uebrigen ist er oft ein sehr schlechter Moslem, aber in diesem Punkte hält er seine Glaubensvorschriften heilig. Schweinestall ist ihm der Gräuel aller Gräuel, und ich kann mir deshalb sehr gut erklären, warum ein gefangener Turco neulich einem Frankfurter Bürger die Wurst in’s Gesicht schleuderte, die dieser in seiner Gutmüthigkeit und Unkenntniß moslemischer Speisegesetze ihm anbot. Es würde mich sehr wundern, wenn die in Deutschland internirten gefangenen Turcos, d. h. diejenigen, welche Kabylen sind, sich unsere Speisen schmecken ließen. Wenn man ihnen nicht gestattet, für sich zu kochen, so werden sie sich wahrscheinlich auf Brodgenuß beschränken. Entbehrung wird dies für sie nicht sein, denn auch zu Hause sind sie’s nicht anders gewohnt. Kannte ich doch in Algier einen Kabylen, der im Dienste eines sehr reichen Franzosen stand, und dem der Koch täglich die feinsten Dejeuners und Diners anbot, die aber der stoische Kabyle immer ausschlug, da sie ihm nicht koscher waren, und für die er sich mit trockenem Brode begnügte. Als ich fragte, ob er diese Kost nicht einförmig fände, versicherte er mir, nichts schmecke ihm besser. Das Brod sei wahrer Kuchen gegen sein gewohntes. Allerdings bekam er in dem reichen Hause das beste feinste Brod, das er sich nur wünschen konnte.

Ebenso streng sind die Kabylen in Bezug auf den Weingenuß. Wenn man einen betrunkenen Turco sieht, so kann man zehn gegen eins wetten, daß er kein Kabyle, sondern am wahrscheinlichsten ein Kulugli sei. Denn diese Abkömmlinge der Türken nehmen es in Bezug auf das Weinverbot sehr leicht. Dies ist für sie nur da, um umgangen zu werden. Auch Neger und Mulatten trinken gern. Echte Araber sind selten bei den Turcos. In ihren Sitten haben sie aber vieles mit den Kuluglis gemein, das heißt wenn sie sich in Städten niederlassen oder bei der Truppe eintreten.

Im Ganzen kann man sagen, daß sich die Truppe der Turcos nur aus den alleruntersten und unmoralischsten Schichten der Bevölkerung recrutirt. Ein echter Stadtaraber oder ein angesehener Landbewohner wird eher daran denken, sich aufzuknüpfen, als seinen Sohn Turco werden zu lassen. Es ist unter den Arabern nur eine Stimme über die Turcos. Sie werden allgemein verachtet, von den frommen Moslems deshalb, weil sie einem Ungläubigen dienen, von den Patrioten, weil sie helfen, ihr Vaterland zu unterdrücken, von den Stammesstolzen, die bei den Arabern stets stark vertreten sind, weil sie hergelaufenes Gesindel sind, von den Wohlhabenden, weil sie ein Bettelhandwerk ausüben, und von der ganzen Welt, weil sie eben von den Franzosen verachtet und verächtlich behandelt werden, trotz ihrer anerkannten Tapferkeit. Diese unleugbare Tapferkeit stellt sie dennoch in den Augen der Welt nicht höher. Ihre Landsleute sehen dieselbe, da sie ja einem ungläubigen Herrscher dient, eher wie ein Uebel an. Denn Tapferkeit ist dem heutigen Moslem nur ehrenwert, wenn sie im Dienste des Islam ausgeübt wird. Die Franzosen aber lassen nicht gern Tapferkeit bei anderen, als bei ihren Landsleuten gelten. Ich hörte oft Franzosen sagen, die Tapferkeit des Turco sei nur die rasende Wuth eines wilden Thieres. So dankte man den armen Teufeln, die ihr Blut für Frankreich, für eine ihnen völlig fremde, ja ihnen feindliche Sache verspritzten. Es ist wahr, Napoleon beschenkte die Turcos mit Medaillen, einige selbst mit der Ehrenlegion. Aber die Franzosen in Algier haben sich gewöhnt, das Ehrenkreuz, wenn es ein Araber trägt, für etwas ganz Anderes anzusehen, als wenn es auf dem Rock eines Franzosen glänzt. Einmal befand ich mich in einer Gesellschaft, wo auch ein großer Araberhäuptling, dem die Regierung das Commandeurkreuz der Ehrenlegion für seine ausgezeichneten Dienste verliehen hatte, einsprach, aber ganz erbärmlich behandelt wurde. Darüber erstaunt, wandte ich mich an einen hohen Beamten um Aufklärung. Dieser sagte mir, recht bezeichnend für einen französischen Bureaukraten: „Es ist ja nur ein schmutziger Araber, und die Ehrenlegion steht ihm, wie dem Schwein ein goldenes Halsband.“

Bei dieser allgemeinen Verachtung, in welcher die Turcos stehen, muß nichts komischer erscheinen, als jene Nachricht, welche neulich die Zeitungen brachten, daß nämlich die französische Regierung daran dächte, dem Emir Abd-el-Kader den Oberbefehl über sämmtliche Turcos zu geben. Wenn sie den Emir in den Augen seiner Landsleute lächerlich und verächtlich zugleich machen wollte, so hätte sie kein besseres Mittel wählen können. Denn von dem stolzen Stammeshäuptling, der immer nur freie Araber befehligte, zu dem Anführer einer feigen Söldlingstruppe, die für den Unterdrücker des Vaterlandes kämpft, ist ein ebenso tiefer Abstand, wie von dem vornehmen Abkömmling des Propheten zu dem Haupte einer Rotte verachteter Vagabunden. Zudem wäre der Oberbefehl doch nur nominell gewesen und Abd-el-Kader hätte in Wirklichkeit unter dem Befehl eines französischen Obersten gestanden. Der Emir wäre dadurch für alle Zeiten bei den Arabern unmöglich geworden.

Aber nicht nur Verachtung, sondern auch den tiefsten Abscheu und die gerechteste Entrüstung haben die Turcos hervorgerufen und zwar in den verschiedenen Feldzügen, in denen sie europäischen Feinden gegenüberstanden, und so auch wieder im gegenwärtigen. Die Entrüstung der deutschen Zeitungen über die Grausamkeiten der Turcos ist gewiß eine gerechte. Aber wem kommt die Schuld davon zu, daß die Grausamkeit sich gegen Deutsche bethätigen konnte? Niemand als der französischen Regierung, der „civilisirtesten Nation“ der Erde. Daß die Kabylen von Natur grausam sind, daß sie ihre Gefangenen unter Folterqualen zu Tode martern, daß ihre Frauen sogar wetteifern in Verstümmelung der Verwundeten und ihre Söhne zu demselben Blutwerk anfeuern, das wissen die Franzosen aus ihren kabylischen Feldzügen. Daß sie also solche Blutmenschen in einem europäischen Kriege verwenden, gereicht ihnen zur Schande. Noch größere Schande aber ist es, daß sie, weit entfernt die wilden Instincte der Turcos zu mäßigen, diese noch anfachen, indem sie den unwissenden Söldlingen die abschreckendsten Beschreibungen von dem Feinde machen und seine Wuth dadurch noch reizen. Ich hörte im Jahre 1859 Franzosen zu den Turcos sagen, die Oesterreicher, gegen die sie damals kämpftem seien wilde Barbaren, die die schändlichsten Handlungen begingen etc. Aehnliches wird man ihnen auch jetzt von den Truppen des Reiches gesagt haben. Ist doch die Meinung, als seien die Deutschen Barbaren, die wie Vandalen und Hunnen hausen, selbst unter den Franzosen in Algier gang und gäbe. Was Wunders, daß die Turcos daran glauben? Möge unser Vaterland auch in Zukunft von dieser Landplage verschont bleiben, wie es Dank der weisen Kriegsführung der deutschen Feldherren bis jetzt gelungen ist, diese wilden Horden vom deutschen Boden fernzuhalten.