Meine erste Luftreise
Die Luftschifffahrt, namentlich ihre Entwickelung und Vervollkommnung, hatte schon seit langer Zeit mein ganzes Interesse in Anspruch genommen, und eine Ballonreise, mochte sie ausfallen, wie sie wollte, war und blieb für mich immer das Ziel aller Wünsche. Mit Freuden begrüßte ich daher die Nachricht der bremischen Tagesblätter, daß der Aeronaut Sivel aus Paris vom Garten von „Ludwigslust“ bei Bremen aus eine Reihe von Luftfahrten ausführen und bei entsprechender Tragfähigkeit seines Ballons „Etoile polaire“ einige Passagiere mitnehmen werde. Gleich nach Sivel’s Ankunft verschaffte ich mir einen Platz für die erste Aufsteigung und traf in aller Eile – denn schon am folgenden Tage sollte die „Luftexcursion“ vor sich gehen – die nothwendigsten Vorkehrungen, während der Vorstand des „Naturwissenschaftlichen Vereins“ zu Bremen mir zur Anstellung meteorologischer Versuche und Beobachtungen, insoweit die kurze Fahrzeit von wenigen Stunden es gestatten werde, die vorzüglichsten Instrumente zur Verfügung stellte.
Bei der ersten und zweiten Auffahrt war indeß die Füllung des Ballons in Folge des geringen Gasdruckes eine so unvollständige, daß die Mitnahme von Passagieren nothgedrungen unterbleiben mußte und Sivel nur allein zum Aufsteigen gelangte. Für die dritte Auffahrt am 27. August 1873 wurde von der Gasanstalt Alles aufgeboten, und während des Füllungsactes die größte Vorsicht beobachtet, um die Auffahrt mit wenigstens zwei Personen zu bewerkstelligen. Ich ließ daher zum dritten Male, wenn auch mit wenig Hoffnung, Instrumente und Brieftauben nach dem Ort der Aufsteigung schaffen, fand aber den Ballon zu meinem Erstaunen ebenso mangelhaft gefüllt und anscheinend von derselben geringen Tragfähigkeit, wie an den Tagen zuvor. Sivel versprach jedoch, mich auf alle Fälle mitnehmen zu wollen, selbst wenn es mit Zurücklassung jeglichen Ballastes geschehen müßte. Die Gondel wurde unter dem Ballon befestigt; unsere Plaids und Mäntel wurden an der Außenseite des Korbes in Riemen geschnallt, und der „Capitain“ nöthigte mich zum Einsteigen. Kaum hatte ich Platz genommen und meine Instrumente oberflächlich geordnet, als das Commandowort „Los!“ ertönte. Aber wir lagen wie Blei an der Erde, und der Ballon hob sich nicht einen Zoll weit. Der letzte Sandsack wurde über Bord geworfen; die Gondel schwankte – aber hob sich nicht. Unsere Plaids und Mäntel wurden abgelöst, die beiden Sessel und die letzte Flasche Wein hinausgeworfen, aber die geringe Entlastung war kaum bemerkbar. Verlegen sah mich Sivel an: „Voulez vous monter sans ancre?“ [781] (Wollen Sie ohne Anker aufsteigen?) – „Sans ancre!“ – Ein Schnitt, der Anker stürzte, und unter allgemeinem Jubel der versammelten Zuschauer fuhren wir empor.
Ich gestehe, es beschlich mich anfangs ein ganz neues und eigenthümliches Gefühl. Die Bewegung, welche uns aufwärts trug, war indeß für uns vollständig unmerklich; nicht wir, sondern die Erde schien sich fortzubewegen, indem sie in immer weiter greifenden Kreisen ihre Oberfläche vor uns ausbreitete, und bald umfaßte unser Blick das benachbarte Bremen und seine ganze Umgebung. Immer tiefer sank die Erde unter uns hinab, die Gegenstände wurden kleiner und kleiner, und die Gruppe der zahlreichen Zuschauer schrumpfte in dem Maße zusammen, in welchem ihr Abschiedsruf nach und nach verhallte. Dieser Augenblick der Auffahrt hatte in der That etwas unbeschreiblich Feierliches. Wir winkten unsern Freunden zum letzten Male mit dem Hute, und suchten uns dann selbst von den Empfindungen Rechenschaft zu geben, die uns so ungewohnt bewegten. – Die urplötzliche Erhebung von der Erde und die rapide Erweiterung des Gesichtskreises hatten anfänglich ein unverkennbares Gefühl der Beklommenheit erzeugt; nachdem ich es aber über mich gewonnen hatte, die Augen senkrecht nach unten zu richten, war auf einmal alle Besorgniß entschwunden. Ich empfand nunmehr ein wunderbares Wohlbefinden und war entzückt über das unvergleichliche Schauspiel, welches sich inzwischen zu unsern Füßen entfaltet hatte. Der Ballon strich in fast östlicher Richtung und hatte nach Verlauf von zehn Minuten eine Höhe von dreitausend Fuß erreicht. Wir traten in eine Windstille, die uns Zeit ließ, das prächtige landschaftliche Bild unter uns mit Muße zu bewundern.
Vor uns lag Bremen; klein, wie aus Figuren eines Nürnberger Spielkästchens zusammengesetzt, reihte sich Straße an Straße. Auf den freien Plätzen bemerkten wir ein Gewimmel mikroskopisch kleiner Punkte; es waren Zuschauer unserer Fahrt, die dort zusammenliefen. Gleich einer sauber ausgeführten Reliefkarte, auf der selbst die kleinsten Gegenstände mit überraschender Genauigkeit hervortreten, lag die Stadt mit den angrenzenden Ortschaften vor uns ausgebreitet, während die zahlreichen Chausseen und Eisenbahnen wie die Radien eines großen Spinngewebes im Weichbild Bremens zusammenliefen. Mitten durch das ganze Bild zog sich gleich einem schmalen Silberbande in vielfachen Krümmungen die Weser; scharf und deutlich hoben sich die zahlreichen Schiffe und weiterhin die kleinen Inseln und Sandbänke vom Wasser ab, während wir vor und hinter uns ein zweites und drittes graues Bändchen als Aller und Hunte erkannten. Westlich erstreckte sich der Blick weit über Oldenburg hinaus, südlich bis Nienburg, ja ich glaubte fern am Horizont, in Nebel gehüllt, die Höhen des Deisters und Wesergebirges zu erblicken. Unter uns schimmerten Aecker und Weiden in mannigfaltiger Färbung; wie die Felder eines Schachbrettes abgetheilt und gegliedert erschien das Terrain, und weißen Schnüren gleich zogen sich Wege und Gräben netzförmig verschlungen darüber hinweg.
Wir öffneten den Käfig und ließen die erste Taube fliegen, die nach Art der Raubvögel in großen Bogen unter uns hinabschoß und erst ganz nahe der Erde ihren Flug in horizontaler Richtung auf Bremen nahm.
Mein kecker Begleiter schwang sich auf den Rand der Gondel und kletterte in den Reifen; dadurch aus dem Gleichgewicht gebracht, gerieth der Korb in starkes Schwanken, und wenn auch keine ernste Gefahr zu fürchten war, so konnte ich mich doch des Gedankens an die Möglichkeit eines Unfalles nicht erwehren. Ich bat ihn deshalb, wieder herab zu steigen. Inzwischen war der Ballon in eine gegenläufige Luftströmung gelangt, und wir trieben nach Norden. Die ruhige Luftschicht, welche wir soeben durchschnitten, bildete demnach die Grenze zwischen der unteren beinahe nordwestlichen und der oberen südlichen Strömung, und hatte eine nach dem Stand der Instrumente berechnete Höhe von wenigstens sechshundert Fuß. Eine derartige Windstille muß sich an den Berührungsflächen der sich kreuzenden Luftströmungen immer von selbst einstellen, und sie ist nach meiner Ansicht diejenige Region, welche bei der Lösung des Problems der Lenkung des Luftschiffes mehr Beachtung verdient, als die verschiedenen Windströmungen selbst, da diese, in Richtung und Geschwindigkeit oft wechselnd, nur in den seltensten Fällen mit Vortheil zu benutzen sind, während die neutralen Luftschichten, wenn auch von geringerer Ausdehnung, als die von uns durchstrichene, den etwaigen mechanischen Fortbewegungsmitteln ein stets ruhiges und gleichmäßiges Medium bieten.
Es war dreißig Minuten nach der Auffahrt. Das Aneroïdbarometer war von 28.2 auf 24.3, das nasse Thermometer des Psychrometers von 17.7 auf 10.0, das trockene von 20.0 auf 12.5 gefallen; wir hatten demnach die Höhe von viertausenddreihundertsiebenundsiebzig Fuß erreicht, während der Feuchtigkeitgrad um etwas geringer geworden war. Nunmehr eröffnete sich uns der Blick bis Bremerhafen und weiter zur Wesermündung; deutlich sahen wir das befestigte „Langlütjensand“, die „Weserplaten“, und als einen kleinen grauen Punkt mitten im Wasser den Leuchtthurm; links, von der goldenen Abendsonne beleuchtet, den Jahdebusen mit Wilhelmshafen, und einen eben bemerkbaren hellen Streifen, der nach Süden verlief, die Jahde. Auffallend nahe gerückt erschienen uns die Gegenstände, und nur mit Hülfe einer Specialkarte vermochten wir uns mit Sicherheit zu orientiren. Wir passirten eine von doppelten Baumreihen eingefaßte Chaussee; sie erschien uns wie eine weiße Linie mit dunkler Randung, während wir eine Anzahl unförmlicher schwarzer Punkte in derselben als Gefährte oder Gruppen von Spaziergängern zu erkennen glaubten. Mein wackerer Pilot war fortwährend beschäftigt, die Sandreste, welche beim Umschütten eines Sackes Ballast in der Gondel liegen geblieben, zu sammeln und über Bord zu werfen, und das unausgesetzte Steigen der Aneroïdnadel ließ die Wirkung dieser geringen Entlastung deutlich erkennen.
In der Höhe von fünftausend Fuß traten wir in eine Schicht feiner Dunstbläschen, die feuchtend auf Gesicht und Hände niederfielen und sich in Form kleiner Perlchen auf unsere Kleider setzten. Ruhig und majestätisch schwebte der Ballon über die grünen Gefilde des Blocklandes[1], die von den zahllosen Canälen und Gräben wie von silbernen Fädchen durchwirkt erschienen. Ueber Bremen breitete sich allmählich ein leichter Nebelschleier, aus welchem die Thürme gleich unscheinbaren Stäbchen nur eben hervorragten. Unter uns glänzten im Abendsonnenschein die spiegelglatten Flächen der Wumme und Hamme; sich links vor uns vereinigend, führten sie unsern Blick nach den reizend gelegenen Ortschaften Lesum und Vegesack mit den zahlreichen Villen und Parkanlagen der bremischen Kaufmannswelt. Vor uns dehnten sich weite Moor- und Haideflächen[2] aus, die in ihrer unheimlich dunklen Färbung, welche nur hier und da von einzelnen Gehöften und Ortschaften unterbrochen wurde, dem Auge einen wenig erquicklichen Anblick darboten, während dasselbe mit Lust auf den buntbelebten Gänse- und Viehweiden zu unserer Rechten weilte. Trotz der bedeutenden Höhe vermochten wir die einzelnen Thiere als unendlich feine weiße Pünktchen von dem dunkelgrünen Wiesengrunde zu unterscheiden. Sie geriethen in sichtliche Aufregung, namentlich die Gänse liefen wild durcheinander; ohne Zweifel witterten sie in dem herannahenden Ballon einen drohenden Feind.
In der Höhe von siebentausend Fuß passieren wir die Wumme. Das Thermometer fiel auf acht Grad, und wir fühlten hin und wieder eine naßkalte Strömung aus Westen, die uns die zurückgelassenen Mäntel sehr unangenehm vermissen ließ. Die zweite Taube wurde entlassen; sie setzte sich auf den Rand der Gondel und blickte um sich; ich berührte sie mit der Hand; sie nahm ihren Flug nach Norden und war bald im Nebel verschwunden.[3]
Das ausgeworfene Log (Papierschnitzel) fuhr immer noch mit großer Geschwindigkeit vor uns hinab; der Ballon war also noch in fortwährendem Steigen begriffen. Die Luft wurde reiner; die Sonne war soeben hinter eine Wolke getreten, und unter uns trieben, vom Winde gejagt, graue Nebelschwaden. Kaum hatten wir diese Nebelregion hinter uns, als sich das großartigste Schauspiel der ganzen Fahrt vor uns entrollte, indem plötzlich ein Strahlenmeer über die angehende Dämmerung sich ergoß [782] und nun die Sonne selbst noch einmal wie zum Abschiede in ihrer vollen Schönheit hervortrat. Der Horizont hob sich zusehends. Die Erde erschien tief ausgehöhlt, und wir schwebten inmitten einer großen Hohlkugel, deren gewaltige Wölbung halb in der Erde, halb durch den Himmel ihren erhabenen Abschluß fand. Die untergehende Sonne warf reiche Goldströme auf die unter uns laufenden Nebelmassen und ließ ihre letzten Strahlen mit röthlichem Schimmer auf den zarten Wolkenbildungen zu unseren Häuptern weilen, so daß der ganze Himmel wie von einem Purpurschleier umflossen schien. Aber weihevoller und erhebender noch wurde der Anblick dieser majestätischen Natur durch ihr erhabenes Schweigen. Kein Laut mehr drang von der Erde zu uns herauf, und eine feierliche Stille umgab uns inmitten des blauen Aethers. Gleich jenem Schäfer in Uhland’s „Sonntagsliede“ ward unsere Seele unwillkürlich von dem Gefühle der Andacht erfüllt. Es war der schönste und erhabenste Augenblick meines Lebens.
Allein bereits erinnerte uns das Sinken des Ballons, daß die Erde ihre entflohenen Söhne wieder anzog; das Gesetz der Schwere übte seine Herrschaft wieder aus und zwang uns, die Region der Träume zu verlassen und zum alten Gehorsam zurückzukehren. Der Ballon stand senkrecht über den „Blänken“, einem etwa zweihundert Morgen großen flachen Gewässer. „Nous descendons“ (Wir sinken) sagte Sivel und wies mit verlegener Miene auf die unter uns befindliche Wasserfläche. Er hatte Recht. Ein Blick auf das Barometer überzeugte mich, daß wir schon in starkem Sinken begriffen waren. Die Instrumente wurden in Sicherheit gebracht. Plötzlich vernahmen wir über uns ein seltsames Krachen, das in der Höhlung des Ballons einen starken und eigenthümlichen Wiederhall fand. Unsere Augen richteten sich nach oben, ohne jedoch die Ursache jener merkwürdigen Erscheinung zu entdecken; aber bald verkündete uns die schnelle Niederfahrt, daß der Ballon einen Riß bekommen hatte und das Gas mit großer Heftigkeit ausströmte.
Unsere Lage begann eine bedenkliche zu werden, denn ohne Anker und Ballast aufgestiegen, besaßen wir kein Mittel, um den verhängnißvollen Sturz nach unten zu hemmen. Wir waren machtlos dem Gesetze der Schwere verfallen. Ich fühlte den gewaltigen Luftdruck auf Augen und Ohren und warf mich auf den Boden der Gondel nieder. „Levez-vous! Levez-vous!“ (Richten Sie sich auf!) rief Sivel und ergriff mich beim Arme. Schnell sprang ich auf, denn auch mir war jetzt klar, daß unter diesen Umständen nichts gefährlicher und unsicherer sein konnte, als sich im Augenblicke der Landung niederzulegen; vielmehr galt es, die ganze Elasticität des Körpers und Geistes aufrecht zu erhalten, um auf alle Vorkommnisse gerüstet zu sein.
In weniger Zeit, als ich brauche, um es niederzuschreiben, hatten wir in fast senkrechter Richtung eine Wegstrecke von dreitausend Fuß durcheilt, und als der Ballon bis auf viertausend Fuß herabgekommen war, trieb ihn die untere Luftströmung über die „Blänken“ hinweg in die Richtung auf eine Wiese. Mit Windeseile schien dieselbe uns entgegen zu fliegen, und reißend schnell nahmen die Gegenstände an Größe und Ausdehnung zu. Um die Gewalt des Sturzes zu mäßigen, warfen wir den Taubenkäfig über Bord. Die Wirkung war augenblicklich bemerkbar; aber dennoch schlugen wir mit einer Wucht zu Boden, daß wir Beide niedergeworfen wurden. Eben hatten wir uns erhoben und am Rande der heftig schwankenden Gondel festgeklammert, als wir uns wieder fünfzig bis sechszig Fuß hoch in der Luft sahen. Durch das Aufschlagen der Gondel plötzlich um vierhundert Pfund erleichtert, hatte nämlich der Ballon gleichsam frischen Athem geschöpft und war, ehe wir es uns versahen, nochmals emporgeschossen. Aber bald zog ihn die Erde wieder an sich, und wir schlugen zum zweiten Male, jedoch weit weniger heftig, auf. Dies wiederholte sich etwa vier- bis fünfmal, immer schwächer werdend in Höhe und Heftigkeit. Endlich schleifte die Gondel noch einige Schritte nach, und – wir standen. Wie aus Einem Munde fragte Jeder den Andern: „Sind Sie beschädigt?“ Aber merkwürdig, trotz des furchtbaren Falles waren wir Beide unverletzt. Allerdings fühlte ich später beim Gehen einige Schmerzen in der Seite und im rechten Fuße, die sich aber schon am nächsten Tage wieder legten.
Sivel zog mit aller Kraft das Ventil, und ich hörte einen Laut, wie wenn aus einer Maschine der überschüssige Dampf ausströmt. Er bat, mich ja nicht von der Stelle zu rühren, da wir sonst noch einmal vom Winde gefaßt und emporgeschleudert werden könnten.
Schon bei dem Tanzen des Ballons hatte ich in einiger Entfernung einen größern Knaben bemerkt, dem ich nun heranzukommen winkte. Zaghaft und zögernd nahte er sich, als ich ihn aber aufforderte, die Gondel zu fassen und festzuhalten, lief er scheu davon. Auf meine wiederholten Zurufe schien er Vertrauen zu gewinnen und faßte, wenn auch vorsichtig, den Korb an.
Noch schwebte der Ballon hin und her; aber er war gebändigt. Das Gas entströmte mit voller Kraft; noch einige Minuten ohnmächtigen Zuckens, und unser Polarstern sank machtlos zu Boden. Wir verließen die Gondel. Das Erste war, nach der Ursache unseres jähen Falles zu suchen. Sie war bald gefunden. Dicht am Ventil klaffte der Ballon weit auseinander; es war ein Riß von wenigstens acht Fuß Länge, wie mit einem Messer hineingeschnitten. Wie gnädig waren wir noch davon gekommen! Hätte nicht das Netz von außen und der Druck des Gases von innen die gesprengte Hülle zusammengehalten, wir wären unrettbar verloren gewesen.
Rings um uns in weitem Umkreise vernahmen wir jetzt ein immer näher kommendes Rufen von Menschen. In weniger als fünf Minuten waren gegen vierhundert Menschen auf dem Platze, Männer und Frauen, Kinder und Greise; selbst die Behörde war in Gestalt einiger Gensd’armen und Grenzwächter vertreten, welche letztere mit anerkennenswerther Dienstbeflissenheit unsere Gondel nach zollpflichtigen Waaren durchsuchten. Hinter mir entstand plötzlich ein homerisches Gelächter. Ich sah mich um und bemerkte einen Mann, der, von oben bis unten durchnäßt, in Einem Holzschuhe zu uns heranhumpelte.
„Na,“ sagte er, „man still! Ick will mi de Franzosen un ähr Luftmaschin ook mal ansäh’n.“
In seiner Neugierde hatte er sich nicht die Zeit genommen, einen Umweg zu machen, war mitten durch Moorgräben und Sümpfe watend zu uns geeilt und hatte dabei Havarie mit seinen Holzschuhen erlitten.
Inzwischen hatte Sivel unter Beihülfe einiger dienstfertiger Landleute den Ballon vollends entleert, zusammengerollt und in die Gondel verpackt. Bald kam auch der bereits bestellte Wagen herangefahren; ein Dutzend kräftiger Arme hob die sechs Centner schwere Last hinauf, und nunmehr wanderten wir, begleitet von unseren biederen Moorcolonisten, über Haide und Sand nach dem nächsten Orte. Es war ein bescheidenes altniedersächsisches Dorf und hieß Moorhausen. In dem freundlichen Wirthshause warteten unser bereits einige Bekannte; bald fanden sie noch mehrere ein, und in vertraulicher Gesellschaft bei einem Glase Wein wurde der Abend dieses unvergeßlichen Tages beschlossen.- ↑ „Blockland“ nennt man den nördlichen Theil des bremischen Gebietes, der, unter dem Spiegel der benachbarten Wumme liegend, im Winter unter Wasser steht, aber gegen den Sommer durch große Pumpwerke trockengelegt und als Weide benutzt wird.
- ↑ Die großen Moor- und Haidedistricte von Stade und Lüneburg.
- ↑ Beide Tauben haben ihren Schlag wieder aufgefunden, die erste noch an demselben Abende, die zweite am folgenden Tage.