Meister Hans

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Autor: Mariam Tenger
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Titel: Meister Hans
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aus: Die Gartenlaube, Heft 28, S. 440-443
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1868
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Meister Hans.

Blätter aus einem zugeklappten Buch.

Es war, glaube ich, im Jahre 1854, als eine Landsmännin des unlängst verstorbenen österreichischen Bildhauers Hans Gasser, dem die Kunst außer vielen anderen bedeutenden Statuen und plastischen Gruppen die in Weimar errichtete Wielandstatue verdankt, mich zum ersten Mal in sein Atelier führte. Auf Bestellung gearbeitete, eben fertig gewordene Portraitbüsten besichtigend, waren mehrere Personen anwesend. Wir wechselten nur wenige Worte mit dem Künstler, doch konnte ich nicht umhin, der scharf ausgeprägten Eigenthümlichkeit seiner Erscheinung und seines Benehmens eine neugierige, verwunderte Aufmerksamkeit zuzuwenden. Hans Gasser wurde zu den bedeutendsten Künstlern Oesterreichs gerechnet, und auch im Auslande hatte sein Name einen guten Klang. Die Wielandstatue in Weimar, Statuen im Karltheater und im neuen Arsenal in Wien, die Büste der vielberühmten, früh verstorbenen Schauspielerin Viereck und viele andere Arbeiten legten Zeugniß ab von der seelenvollen Innigkeit seines Denkens und von der gewissenhaften Sauberkeit seiner technischen Ausarbeitung. Wie viele Jahre, deren fieberhafte Kämpfe ausführlich zu schildern er nicht Lust und nicht Zeit hatte, wie viele schwere Jahre mußten an ihm vorbeigegangen sein, ehe der arme Bauernbursche aus Kärnthen es so weit bringen konnte! Die Berührung mit dem Stande, dem er entwachsen war, mußte in der langen, langen Zeit nothwendiger Weise in dem Maße aufgehört haben, in dem seine Thätigkeit ihn mehr und mehr den höheren, den höchsten Gesellschaftskreisen näher brachte. Dennoch hat er Zeit seines Lebens von den äußeren Gewohnheiten, von den Sitten und Manieren dieser Kreise nicht das Mindeste sich angeeignet. Wie man sich bei dieser und jener Gelegenheit kleidet, wie man sich gegen Diesen, wie gegen Jenen verbeugt, in welcher Form man mit dem Einen oder dem Andern redet, wie und wann man kommt und wieder geht, sich setzt, spricht, schweigt, lächelt, ernsthaft ist – von Alledem wußte Hans Gasser nichts. Die ganze Stufenleiter äußerlicher Verfeinerung, auf deren Gipfelpunkt der vollendete Cavalier und die vollendete Weltdame stehen, war ihm völlig unbekannt.

In einem Arbeitskittel von grauer Leinwand steckte er, wenn er zu Hause war; eine schwarze Alltagsblouse, eine schwarze Sonntagsblouse – er nannte natürlich alles Kittel – und der Hut seiner Großmutter[1] (sein Sonnen- und Regenschirm zugleich) bildeten seine Tracht außer dem Hause. Wenn ein rothseidenes Halstuch, unter einen reinen Hemdkragen geknüpft, an ihm zu sehen war, wenn sein langes braunes Haar und sein langer Bart, auf den er große Stücke hielt, staublos und seine Hände ganz rein gewaschen waren, dann hatte Hans Gasser Alles geleistet, was er in dieser Richtung zu leisten vermochte.

Was seinen Gruß betrifft, so war es seine immer gleiche Art, wenn Fremde zu ihm kamen, sich von der Arbeit ab- mit einem ernsthaften, fragenden Blicke, von einem kaum merklichen Neigen des Hauptes begleitet, ihnen zuzuwenden und zu warten, bis sie ihn anredeten. Wollten sie sein Atelier besichtigen, so ließ er sie herumgehen, ohne weiter Notiz von ihnen zu nehmen; doch hörte er mit scharfem Ohr auf kunstgerechte Bemerkungen, und nur solche veranlaßten ihn manchmal, mit dem, der sie geäußert, ein Gespräch anzuknüpfen. Uebrigens kam das, wie er uns selbst[WS 1] mitgetheilt, selten vor.

„Die Wiener leben zu gut und lernen zu wenig,“ pflegte er zu sagen. Waren es Bekannte, liebe Bekannte, Freunde, die ihn besuchten, dann sagte er „Grüeß Gott!“ und streckte ihnen die Hand, wohl auch beide Hände entgegen, in welch’ letzterem Falle er dann wohl Meißel oder Maßstab, zuweilen Beides zwischen die Zähne faßte, bis er mit der Begrüßung fertig war. Im Uebrigen kümmerte er sich auch um die liebsten Bekannten nicht weiter, wenn er eben recht in der Arbeit war.

Verbinden wir also mit dem Worte Bauer den Begriff der Unkenntniß oder Nichtbeachtung aller üblichen Lebensformen, dann war Hans Gasser, der liebe, gute, „lange Hans“, wie wir ihn unter uns mit aller Innigkeit zu nennen pflegten, ein Bauer durch und durch. Wollte man aber das gemein Unmanierliche, das grob Derbe und andererseits wieder scheu Zurückhaltende oder gar Duckmäuserische darunter verstehen, dann paßte nichts so wenig auf den unbefangenen, offenen, naiv rückhaltslosen Mann wie eben dieses Wort. In der Haltung, in dem Benehmen, in der Sprache, in der ganzen Art, wie Gasser sich gab und was er war, lag so viel natürliche Würde, so viel von jenem ursprünglichen Adel, den weder Geburt noch Erziehung geben können, daß man das, was er nicht war, nicht vermißte.

Zur Zeit, wo wir, d. h. meine Mutter, meine Freundin Auguste und ich, den Künstler näher kennen lernten, häuften sich ihm die Arbeitsbestellungen.

Die Kärnthner Stände unterhandelten wegen einer heiligen [441] Elisabeth, die sie der jungen Kaiserin für ihren Betstuhl zum Geschenk machen wollten. Bald darauf sollte er für die Westbahngesellschaft das überlebensgroße Standbild der Kaiserin anfertigen, das jetzt den großen Wartesaal im Bahnhofgebäude schmückt.

Wir wußten von der Bestellung der heiligen Elisabeth und hatten den Meister lange nicht bei uns gesehen, als eines Tages sein langer Schatten in das Fenster fiel, an dem meine Mutter, immer fleißig arbeitend, zu sitzen pflegte. Wir freuten uns, ihn zu sehen, und sagten es ihm auf’s Freundlichste, merkten aber bald, daß er in sich gekehrt war.

„Ihre Gedanken sind nicht bei uns, lieber Gasser!“ bemerkte ich.

„Sind überall und nirgends,“ sagte er. „Ich suche und finde nicht!“

„Was suchen Sie?“ frug meine Mutter.

„Eine fromme Hand,“ entgegnete er.

Wir sahen ihn verwundert an.

„Wie schade, daß die Frau Mutter zu alt ist!“ sagte er, ohne unser Erstaunen zu bemerken., „Sie würden sie mir doch gewiß geben, nicht wahr?“

„Wir verstehen Sie nicht, Meister Hans,“ antwortete ich an meiner Mutter Stelle, die gar nicht begriff, um was es sich handelte.

„So? Habe ich denn nicht gesagt, daß mein Elisabethmodell fertig ist und daß die Herren nächstens kommen wollen, um es anzusehen?“

„Nein, davon haben Sie nichts gesagt. Aber was weiter?“

„Was weiter? Das Modell hat keine Hände, und die Hände sind eben hier die Hauptsache! Verstehen Sie jetzt?“

„Halb und halb,“ meinte ich. „Sie werden in Wien, wo es so viel schöne Mädchen und Frauen in allen Ständen giebt, doch zwei schöne Hände finden –“

Er ließ mich nicht ausreden.

„Schöne Hände – ja – zu schöne sogar! Aber fromme Hände! das ist selten – äußerst selten.“

Der Ausdruck war mir so neu, daß ich noch immer nicht an dessen Ernsthaftigkeit glaubte. Er merkte es und sagte:

„Die Hände haben so gut ihren Charakter wie das Gesicht. Von der üppigen Hand, welche das Auge reizt, bis zu der frommen Hand, die das Gemüth bewegt, giebt es gar viele Abstufungen, die von der Weisheit Gottes zeugen.“

„Sie sind schon ein einziger Mensch, Gasser,“ rief ich seelenvergnügt, „und dafür sollen Sie auch Ihre Hand haben. Warten Sie nur ein wenig!“

Er sah mich ungläubig an. Bald darauf hörte ich Augusten, die im anstoßenden Zimmer geruht hatte, sich bewegen. Ich rief hinein, daß Meister Gasser da sei, woraus sie auch bald eintrat. Ich hatte mich nicht geirrt: ihre Hände, diese beinahe zu schmalen, durchsichtig weißen Hände mit den feinen Fingern, die zu beben anfingen, wenn sie etwas festhalten sollten, paßten, wie der Meister es sich nicht besser wünschen konnte. Er fing gleich zu zeichnen an, und schon am nächsten Tage sollte Auguste ihm in seinem Atelier zur ersten Probe sitzen. Da mehrere Sitzungen dieser ersten folgten, begleitete ich meine liebe Freundin manchmal dahin.

An einem solchen Tage, wo er bereits im Stein arbeitete, sprach ich nach langem, unverwandtem Zusehen meine Bewunderung der Bildhauerkunst in Worten aus.

„Der Streit, welcher unter den schönen Künsten der Vorrang gebührt, wird wohl nie entschieden werden,“ sagte ich, „aber, wie ich Ihnen so bei der Arbeit zusehe, Meister Hans, scheint es mir, als ob Ihre Kunst die unbegreiflichste, die schwierigste wäre. Der Baumeister fügt Stein zum Stein, wenn er schafft; der Maler Farbe zur Farbe, der Musiker Ton zum Ton, der Dichter Wort zum Wort. Der Bildhauer aber muß zerstören, um zu schaffen! Er, von dem das, erhabenste Ebenmaß, die edelsten Linien gefordert werden, muß durch Zerstörung zum Ideal des Schönen gelangen.“

Gasser hörte ruhig zu und sagte dann, die Augen fest auf den Marmor gerichtet, aus dem er die heilige Elisabeth herausarbeitete:

„Das Bild ist ja drin, ich brauche nur die Umhüllung wegzunehmen.“

Wie wir den schlichten Mann im grauen Leinwandkittel anstaunten, wir Kinder der feinen, vornehmen Welt! Wie glücklich wir uns priesen, daß uns der Sinn für seine Höhe nicht verloren gegangen war, daß wir sein echtes Künstlerwort in unsere bewegten Herzen aufnehmen und darin bewahren konnten, gleich wie wir die Erinnerung an ihn für alle Zeit darin bewahren werden!

Die obenerwähnte Landsmännin Hans Gasser’s, welche unser erstes Bekanntwerden mit ihm vermittelte, ist unzertrennlich mit unserer Erinnerung an ihn verflochten. Wir wollen sie in diesen kleinen Mittheilungen als Caroline B. bezeichnen. Immer eifrig bemüht, ihren hilfsbedürftigen Mitmenschen, insonders ihren Landsleuten, wo und wie es ging, durch Rath und That beizustehen, interessirte sich Caroline auch für Hans Gasser zu einer Zeit, wo noch Berge von Hindernissen in seinem Wege lagen, wo er als unbekannter Handlanger eines nicht minder unbekannten Grabsteinschneiders noch keinen Maßstab für die Kunst, noch keinen für das eigene können hatte, wo dem den lieben langen Tag um Brod und Obdach Ringenden bei Nacht zu Muthe war, „als ob ihm die Welt den Brustkasten eindrückte“.

Caroline B. benutzte ihre ausgebreiteten Bekanntschaften in den verschiedensten Gesellschaftskreisen, um den armen Burschen in aller Stille unausgesetzt zu fördern, bis er endlich nach München gehen und dort noch tüchtig darben – aber auch tüchtig lernen konnte. Als er nach Wien zurückkehrte, war wieder sie es, die ihm die ersten Bestellungen zu verschaffen wußte, an die sich nach und nach mehrere reihten, bis endlich die Werke für den Meister sprachen und er des Anpreisens nicht mehr bedurfte. Dann freute sich die Edle wie eine Mutter über den Sohn, wie eine ältere Schwester über den Bruder, wenn sie das Gedeihen sah, an dem sie so unablässig mitgearbeitet hatte; es ängstigte sie aber auch Alles, was das Emporkommen des Meisters in materieller Beziehung gefährden konnte. –

Hans Gasser hatte keine Zeit und keinen Hang, sich irgend einer anderen Leidenschaft, als der für seine Kunst, hinzugeben.

An die weiten, kellerartig kühlen Räume seines Ateliers stieß eine Kammer, in der zwischen altem Gerümpel ein Feldbett, ein Stuhl und ein Tisch standen. Eine grobe Wolldecke verhüllte das Bett, eine Waschschüssel stand auf dem Stuhle, Zeichnungen, Bleistifte, Meißel, Grabstichel und das Nibelungenlied lagen auf dem Tische. Ein kleiner Mauerschrank enthielt nebst dem ganzen Toilettebedarf des Meisters ein Brod, von dem er hastig ein Stück abschnitt, um seinen Hunger zu stillen, wenn er die Mittagsstunde in dem nächsten Speisehause versäumt hatte, und eine Flasche Lacrimä Christi, aus der er einen raschen Zug that, um sich zu erwärmen, wenn seine Hände so kalt waren, daß er sein Werkzeug nicht mehr halten konnte. Ein Eichhörnchen, das er einmal aus dem Walde heimgebracht hatte, wo er es halb erstarrt vorgefunden, und die Milchschüssel des niedlichen Thierchens, das bald zwischen den Büsten und Statuen an den Wänden, bald auf der Achsel seines Retters Quartier nahm und sich dann allerlei Freiheiten mit seinem Bart erlaubte, vervollständigten den Hausrath des originellen Mannes. Der dicke, rothwangige Geselle, der einzige, den er damals hatte und der unter seiner – ich glaube, sehr nachsichtigen – Aufsicht aus dem Groben herausarbeitete, lebte ohne Zweifel besser, als sein Herr. Der gutmüthige Bursche erzählte uns manchmal, „daß er den Herrn heut’ wieder vergeblich daran erinnert habe, zum Mittagessen zu gehen.“

„Er gönnt seinem eigenen Leibe nichts, sieht aus wie die sieben mageren Jahre’ und steckt das Geld in den alten Moder,“ jammerte die gute Caroline B., als Gasser uns zum ersten Male in diese Kammer, „in seine Schatzkammer“ führte und mit unsäglichem, sein ernstes Gesicht verklärendem Behagen die Gegenstände vor uns ausbreitete, die ich weiter oben - o Schatten des edlen Meisters, verzeih’ mir! – in den schnöden Ausdruck „altes Gerümpel“ zusammengefaßt habe.

Größere und kleinere, von Motten und Mäusen zernagte Stücke uralter Gobelins, altdeutscher Kirchenteppiche, vergilbte Altarspitzen, vom Zahn der Zeit und von Holzwürmern halb zerfressene Holzstücke, die einst Pulte, Kelche, Schemel und dergleichen vorstellten, lieferten das zahlreichste Contingent zu dem Steckenpferde unseres Freundes. Auf dieses bezieht sich ausschließlich mein obiges schnödes Wort. Denn, obgleich wir im Princip gegen alle derartigen Ankäufe stimmten, konnten wir doch nicht umhin, den wundersam anziehenden Altarstücken und Holzbasreliefs, Scenen der Anbetung und der Leidensgeschichte Christi darstellend, unseren Tribut an Lob, ja an Ekstase darzubringen. Das bei weitem [442] Liebste an der Sache war und blieb uns jedoch die sinnige Art, mit welcher der Meister sich in die kindliche Reinheit jener ersten Kunstbestrebungen vertiefte. Alles, was damit zusammenhing, packte und bewegte ihn, und wir konnten bei dieser Gelegenheit bemerken, daß er jede freie Stunde dem Studium der altdeutschen Geschichte und Poesie, des alten Kirchenwesens und der ihm dienenden Kunstentfaltungen widmete. Meines Wissens hat das Griechenthum ihn kalt gelassen. Er äußerte sich wenigstens zum öftersten dahin, daß im deutschen Geiste, nach allen Seiten hin, das Höchste, das Beste, das Schönste verborgen liege, daß er allein bestimmt ist, als Führer auf allen Wegen zu dienen. Entwürfe zu Nibelungen-Gruppen beschäftigten sein tiefstes Denken, und ich glaube nicht zu irren, wenn ich sage, daß dem Meister die Gestalt Volker’s vorschwebte, als er die vielleicht zu wenig bewunderte, weil zu wenig bekannte Gestalt des Hammerschmiedes, eine seiner Arsenal-Statuen, meißelte. –

Während einer Pause, die Gasser nothgedrungen in seinen Arbeiten machen mußte, weil die Blöcke, die er erwartete, sich verspäteten, kam er öfters zu uns, und wenn er einmal da war, vergaß er leicht das Fortgehen. So fand ich ihn einmal, als ich kurz vor Tische von einem Ausgange heim kam, vor meiner Mutter sitzend und eifrig erzählend.

„Wollen Sie einen Löffel Suppe mit uns essen?“ sagte ich.

„Suppe?“ antwortete er, rasch aufstehend. „Ich esse keine Suppe.“

„Nun, nun,“ sagte ich lächelnd, „das ist so eine Redensart, wenn man Jemand einladet, ohne sich vorher auf einen Gast eingerichtet zu haben.“

„Sie machen also auch Redensarten!“ brummte er, sich den Bart zausend. „Wozu nur das gut ist? Die Frau Mutter macht keine Redensarten.“

„Ich bin schon zu alt,“ schaltete meine Mutter mit sanfter Stimme ein. „Ich rede überhaupt nicht.“

„Caroline B. macht auch keine Redensarten,“ bemerkte er dagegen. Es war schwer, ihn von einem Gegenstande abzubringen, der seine Gedanken, ob angenehm, ob unangenehm, beschäftigte. Wir saßen schon bei Tische, Auguste sprach von der Madonna mit dem Kinde, die er ihr vor Kurzem geschenkt hatte, und ich frug ihn, wieso er ihr seine Madonna und mir seine schöne Flußnymphe zugedacht habe, als er mit demselben brummigen Tone von vorhin murmelte: „Wo die Leute nur die Zeit hernehmen?“

„Die Zeit wozu, Meister Hans?“ fragte Auguste.

„Nun, zum Redensarten machen.“

Wir mußten herzlich lachen, und ich sagte, indem ich ein schönes Stück Fleisch auf seinen Teller legte: „Sie sind furchtbar eigensinnig, Meister Hans!“

„Ja, das bin ich!“

„Nun, so lassen Sie mit sich handeln,“ meinte Auguste. „Gewöhnen Sie sich den Eigensinn ab – wir “

„Nein, das geht nicht!“ fiel er ihr in’s Wort, „das ist so die Art des Landvolks –“

„Ja, dann,“ fuhr Auguste, die er sehr lieb hatte, scherzend fort, „dann geht es wohl auch nicht, daß wir uns die Redensarten ganz und gar abgewöhnen! Das ist so die Art des Stadtvolks.“

„Na – nichts für ungut!“ sagte Gasser jetzt freundlich, „der liebe Gott läßt Jeden mit seinen Fehlern anrennen! Wenn Sie mich wieder einmal Heimsuchen – die Frau Mutter kommt vielleicht auch mit, und die liebe Caroline B. auch – dann trinken Sie von meinem Lacrimä Christi auf die Natur und auf die Kunst … da ist Alles wahr, einfach und schön.“

Gasser nannte meine Mutter nicht „Gnädige Frau“. Das Titelgeben verstand er nicht. Wenn er aber in der dritten Person zu ihr sagte: „Hat die Frau Mutter gut geschlafen?“ oder: „Na, wie geht es der Frau Mutter?“ so lag in dem Tone, mit dem er diese nach unseren Ansichten ungehörige Form gebrauchte, eine so kindliche Ehrfurcht, daß wir Alle, und meine gute Mutter vor Allen, auch nicht ein Iota daran hätten ändern mögen.

Bemerkte er, daß meine Mutter etwas sagen wollte, so brach er die lebhafteste Unterhaltung kurz ab, winkte uns still zu sein und lauschte, seinen Oberkörper so weit er konnte vorbeugend, den leisen Worten der alten Frau mit einer Aufmerksamkeit, als ob sie das Beste enthielten, was an das Ohr eines Menschen dringen kann.

Einmal kam er mit seinem gewöhnlichen langausschreitenden Gange über den Corridor, der an unserer Wohnung entlang lief, als die Glasthür, die nach unserem Vorzimmer führte, sich öffnete und meine Mutter langsam und vorsichtig heraustrat, um nach der Kirche zu gehen. Gasser hielt plötzlich an, und den Hut seiner Großmutter rasch vom Kopfe ziehend, drückte er sich, so fester konnte, an das Geländer, um ihr Platz zu machen. Auguste und ich sahen den Vorgang aus dem Fenster, an dem wir saßen, und konnten nicht umhin, dem sonst so formlosen Manne diese Ehrerbietigkeit hoch auzurechnen. Wir sahen auch, daß er meine Mutter nicht anredete, sondern mit entblößtem Haupte so lange stehen blieb, bis sie in der Treppenbiegung verschwand. Wie hätte er auch mit einem Wort die Andacht stören mögen, mit der sie selbstverständlich den Weg nach dem Gotteshause antrat!

„Es freut mich, daß Sie meine Mutter so verehren, lieber Gasser!“ sagte ich eines Tages zu ihm.

„Mütter sind heilig!“ antwortete er und fügte nach einer Pause hinzu: „Die Frau Mutter mahnt mich an meine Mutter.“

Nun hatte ihn Auguste bei dem Thema, auf das sie ihn schon lange bringen wollte, und ließ ihn nicht mehr los. An diesem Abende erfuhren wir von ihm, der sonst nie von sich selbst reden wollte, einige interessante Züge aus seiner Kinderzeit.

Er war der jüngste von sechs Brüdern. Ein Geschlecht von Riesen wären sie. Der Vater ein Goliath. „Mit zwölf Jahren konnt’ ich meine Mutter schon unter meinem Arm weggehen lassen.“ Doch war Hans als Kind schwächlich gewesen und deshalb lange bei der Mutter zurückgeblieben, wenn die Brüder mit dem Vater und mit der Großmutter auf’s Feld gingen, um zu arbeiten. Die Mutter liebte ihn sehr, erzählte ihm Geschichten, und wenn sie Brod buk, durfte er ihr helfen und die Teigreste aus dem Troge für sich zusammenscharren. Anstatt aber aus diesem Teige ein kleines Brod für sich zusammenzukneten, was die Mutter wohl beabsichtigen mochte, knetete er allerlei kleine Figürchen daraus. Der Vater schalt, die Brüder neckten das müßiggehende Muttersöhnchen oft, und Ersterem riß endlich die Geduld, so daß er den Birken-Hans zu Hülfe nehmen wollte, um seinem Sohne Hans etwas Kraft einzubläuen. Die Mutter schützte und rettete ihn oft. Als aber der Vater eines Tages sich selbst mit rollenden Kohlenaugen und zum Dreinschlagen erhobenen Händen, seine fünf fleißigen Söhne als ungeschlachte Riesen, den Herrn Pfarrer und den Herrn Caplan, mit Einem Worte alle Leute aus dem Dorfe, nur Mutter und Großmutter ausgenommen, aus Brod, der lieben heiligen Gottesgabe, geknetet auf einem Brette aufmarschirt und leider mehr oder weniger carikirt vorfand, da half kein Flehen der Mutter, kein Bitten der Großmutter mehr! Durchgebläut wurde der „mißrathene“ Bursche von Vater Goliath, daß ihm Hören und Sehen verging, und den nächsten Tag mußte er mit, um tüchtig zu dreschen, wollte er selbst nicht nochmals gedroschen werden.

Darauf folgte eine lange böse Zeit und endlich der Tod der lieben Großmutter, die ihrem Lieblingsenkel Hans sechs Silbergulden, in einen alten Strumpf vielfach eingenäht, und ihren breitkrämpigen schwarzen Filzhut vermachte. Verstohlen schlich Hans da und dorthin, um Thiere und Menschen zu beobachten und abzuzeichnen. Zwischen ihm und dem Vater gab es niemals Frieden.

Einmal, als die Familie aus dem Sonntagsgottesdienste heimgekehrt war und sich eben wieder zwischen Vater Goliath und seinem „nichtsnutzigen“ Sohn ein arger Auftritt entsponnen hatte, fiel es der Mutter in ihrer Herzensangst ein, zu dem Vater die Worte zu sagen: „Aber, lieber Mann, der liebe Gott, der die Leute erschafft, die die ganze Woche auf dem Felde arbeiten, muß doch auch die Leute erschaffen, welche die schönen Muttergottesbilder machen, die sie am Sonntag um Beistand in der Arbeit und in aller Noth bitten können. Unser Hans ist vielleicht vom lieben Gott dazu bestimmt.“

Vater Goliath sah sein Weib verwundert an und sagte nichts. Er sagte mehrere[WS 2] Tage nacheinander nichts. Auch die Mutter und Hans waren ganz still. Eines Tages ging der Alte zu dem Gutsherrn, der die Familie kannte und sich schon einige Mal dahin geäußert hatte, daß sie den Hans in die Welt ziehen lassen sollte, damit er etwas lerne. Als der Alte wieder kam, zog er die Schublade des Kastens auf, in welcher der Beutel mit dem Gelde lag. Nach einigem Besinnen seufzte er tief auf, nahm fünf Gulden heraus, wog und drehte sie in den Händen hin und her, und endlich gab er sie mit abgewendetem Gesichte seinem Sohne Hans.

[443] „Der Herr fahrt nach Wien. Du darfst hinten aufsitzen und mitfahren. Der Herr will auch schau’n, daß er Dich zu einem Steinmetz in die Lehr’ bringt. Ich erlaub Dir’s, Hans! Die Muttergottes soll Dich beschützen!“

Hans Gasser nahm die sechs Gulden von der Großmutter und die fünf Gulden vom Vater, den grauen Leinwandkittel und den Hut von der Großmutter und den Segen des Vaters und das Gebet der lieben lieben Mutter und ging – in die weite, weite Welt! –

In jenen dem Künstler aufgedrungenen Ruhetagen ward uns auch ein Mal die Gelegenheit geboten, ihn im Freien zu sehen, uns an dem Behagen, sagen wir an dem Jubel zu ergötzen, mit dem er Wald und Wiese, jede Blume, jeden Baum wie liebe lang entbehrte Freunde grüßte. Wir machten für einen ganzen Tag einen weiteren Ausflug über Land. Es war eine größere Gesellschaft, auch mehrere junge Mädchen; wir baten ihn herzlichst mitzukommen, und er nahm es an. So wie an diesem Tage haben wir ihn vorher und nachher nie gesehen, Caroline B. behauptete schon damals, daß sein Körper überarbeitet sei, daß er den Keim einer Krankheit, die an seinen Säften und Kräften nage, nicht beachte oder nicht beachten wolle. Wir redeten ihm zu, öfters dergleichen Ausflüge zu machen, mehr von Sonnenlicht und kräftiger Nahrung zu sich zu nehmen und - zu heirathen, damit er Jemanden um sich habe, der für ihn sorge etc. Er hörte uns ruhig, ja mit einer gewissen Freudigkeit an, wie wir Pläne für seine Zukunft machten, und Caroline B. vertiefte sich so lebhaft in den Gegenstand, daß sie zu unserem und des Meisters Ergötzen schließlich in die Worte ausbrach:

„Sehen Sie, Gasser! Sie müssen zu Grunde gehen, wenn Sie nicht eine Frau nehmen, die Sie aus dem Staube erlöst, in dem Sie sich statt im Wasser baden! eine Frau, die pünktlich kommt und sagt: ,So, lieber Hans, jetzt wasche Dich, zieh’ Dich ordentlich an, und komm zum Essen,’ und dann wieder: ,So, lieber Hans, jetzt hast Du genug gearbeitet, jetzt wasche Dich, zieh Dich ordentlich an, dann gehen wir spazieren!’ Sie brauchen eine Frau, welche die Trödeljuden zum Teufel schickt, die Ihnen Ihr Geld für den alten Plunder aus der Tasche stehlen u. s. f. ...“

Es war rührend, wie der lange Hans seiner alten Freundin aufmerksam zuhörte, die noch Vieles, Vieles hinzusetzte, was sich nicht nacherzählen läßt! Rührender noch war es, wie er nach wiederholten treuherzigen Versicherungen, daß sie Recht, sehr Recht habe, dem Gespräch damit ein Ende machte, daß er tief aufseufzend sagte:

„Wo ist aber das Mädchen, das mich nimmt wie ich bin, ungewaschen, ungebürstet, uneingerichtet, mit all’ dem Staub und Plunder meiner Werkstatt und meiner – Schatzkammer – wo sie alles findet, nur das Nöthigste nicht – Geld!?“

Wir kannten ein sinniges, einfaches junges Mädchen, das ihm sehr gefiel und das ihn gern genommen hätte so wie er war. Aber ihr Vater war ein aufgeblähter reicher Narr und sie – ist bald nach jenen Tagen, wo Hans Gasser’s Freunde für ihn schöne Luftschlösser bauten, unter dem grünen Hügel schlafen gegangen.

Auch meine gute Mutter ging dahin, und der kleine Kreis, der den strebsamen edlen Künstler, den allzuspärlich lebenden, allzumagern, allzubleichen langen Hans eine Zeitlang warm und innig umschlossen hatte – fiel auseinander. –

Anekdotische Bruchstücke aus seinem Leben, einige scherzhafter, andere tiefernster Natur, sind mir seitdem aus dritter Hand zugekommen.

Der Kaiser hatte das Standbild der Kaiserin besichtigt und Gräfin E., die damalige Obersthofmeisterin, beauftragt, dem Meister zu sagen, daß das Gesicht allzuernst sei und der Krönungsmantel zu hoch über die Schultern heraufkomme. Die Gräfin entledigte sich ihres Auftrages in zartester Weise. Als sie die Bemerkung wegen des Mantels machte, sagte Gasser:

„Ausziehen kann ich leicht, anziehen wäre schwerer,“ und als die Dame des Kaisers Wunsch wegen des Ausdrucks in den Zügen vorbrachte, meinte der Meister:

„Wenn die Frau Kaiserin mir ein freundliches Gesicht macht, kann ich ihr auch eines machen.“

Hoher Rath wurde gepflogen und in diesem beschlossen, Hans Gasser während der Sonntagsmeßzeit in dem Corridor in der Burg aufzustellen, wo der Hof durchgehen muß, wenn er aus der Kirche kommt. Man rechnete auf die Wirkung, welche der plötzliche Anblick des Blousenmannes inmitten der festlich gekleideten Hofchargen hervorbringen mußte. Gasser wurde ersucht, sich dahin zu verfügen, um die Kaiserin, die er nach einem Portrait abgenommen hatte, persönlich vor sich zu sehen. Er kam. Den Hut in den riesigen, unbekleideten Händen haltend, das rothe Halstuch als den höchsten Putz um den Hals geschlungen, stand er zwischen den Pagen und den Officieren der Garde, die hier auf ihrem Posten waren. Man hatte sich nicht verrechnet. Die junge Kaiserin lachte über das ganze, von der Anstrengung, ein lautes Auflachen zu unterdrücken, auf’s Rosigste angehauchte Gesicht und ging langsam vorüber. Der Kaiser blieb vor Gasser stehen und frug ihn, „ob das genügend sei, ob er den Ausdruck im Gedächtniß behalten werde.“

„So lang ich lebe,“ antwortete er. –

Hans Gasser ließ es sich in den Sinn kommen, ein Haus zu kaufen, was er schon erworben, hineinzustecken, zu bauen und dabei, Gott weiß wie, übervortheilt zu werden und Sorgen ohne Ende auf sein Haupt zu laden. Das zweite Steckenpferd vollendete den Ruin, den das erste langsam angebahnt hatte. Hans Gasser, der zu entbehren und zu darben verstand, wie kaum ein Anderer – zu rechnen, richtig zu rechnen muß er doch wohl nicht verstanden haben! Er brachte mehrere Monate im Schuldgefängnisse zu und soll, um sich daraus zu befreien, seines Geistes schöne, seiner Hände schwere Arbeit für Jahre und Jahre voraus verkauft haben. Was war er nun noch, als der Sclave derer, denen sein einst so freudiger – jetzt vielleicht so freudloser Fleiß gehörte!

Vor Jahren hatte er sich beim Ausmeißeln einer Büste an der rechten Hand eine Wunde geschlagen, diese aber vernachlässigt. Diese Wunde ist ihm schließlich tödtlich geworden.

Im Familienkreise eines Freundes, des Ingenieurs der Staatseisenbahn-Gesellschaft Herrn Hugo Frick, ist Hans Gasser im besten Mannesalters Freitag den 1. Mai 1868 in Pest gestorben.

Im Namen Aller, die ihn als Mensch, als Künstler hoch hielten und lieb hatten, rufe ich ihm ein Lebewohl nach in sein frühes Grab.

Mariam Tenger.



  1. Gasser war ein Kärnthner; er trug wirklich lange Jahre den unverwüstlichen Filzhut seiner Großmutter, ein Erbstück!

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: sebst
  2. Vorlage: mehre