Zum Inhalt springen

Meschhed Ali

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
<<< >>>
Autor: Heinrich von Maltzan
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Meschhed Ali
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 51, S. 846
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1872
Verlag: Verlag von Ernst Keil
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite

[846] Meschhed Ali. Die fortschreitende Civilisation beginnt die meisten Gegenden und Gegenstände der Romantik und Poesie zu entkleiden, so daß die Journalisten ihren Lesern gegenüber, die in unserm Jahrhundert, dem nüchternen, noch nach Außergewöhnlichem verlangen, einen harten Stand haben. Indessen wer sucht, der findet immer noch Manches, was den literarischen Commis voyageurs entgangen. Diese Behauptung will ich durch nachstehende flüchtige Skizze illustriren. Sollte trotzdem wider Erwarten eine solche Skizze schon existiren, nun, dann habe ich mich einfach blamirt – ich lasse es darauf ankommen!

Etwa sechsunddreißig Stunden südlich von Bagdad liegt ein Ort, der, ziemlich verborgen vor aller Welt, erst seine Bedeutung durch den dort befindlichen Begräbnißplatz eines Propheten erhielt, den die Geschichte als den Concurrenten Muhammed’s, des Propheten, bezeichnet. Es ist Ali, der Schwiegersohn Muhammed’s, und der Ort, wo er begraben wurde, trägt den Namen Meschhed Ali (Meschhed bedeutet Begräbnißplatz eines Heiligen). Dieses Meschhed Ali ist das Mekka Persiens, denn nach der Meinung der Perser ist Ali der wahre, unverfälschte Prophet; der Engel habe sich nämlich bei der Verkündigung gefälligst geirrt und sei zu Muhammed gegangen, was ja leicht möglich, da es dazumal keine Adreßkalender gab. Jeder Perser, der nun selig werden will, glaubt dies sicher zu erreichen, wenn er alle seine Kostbarkeiten dem begrabenen Ali vermacht, und so sind denn schon länger als zwölfhundert Jahre dort jene unglaublichen Schätze, bestehend in Perlen, Gold und Diamanten, in der Kuppel der Moschee, in der daselbst befindlichen Schatzkammer aufgehäuft worden, die ihres Gleichen suchen.

Die Perlen allein wiegen nach der Versicherung des dortigen Schatzmeisters siebenzig Kantar (etwa achttausendfünfhundert Pfund). Die beiden Minarets der Moschee, die Kuppel derselben und zahllose Verzierungen an den Wänden außerhalb sind mit Goldplatten bedeckt, die Hängelampen im Innern und viele andere Kostbarkeiten mit Diamanten besäet. Da auch den Türken jener Ali heilig, so greifen sie diese Schätze nicht an, sondern lassen die Perser immer noch mehr herbeischleppen. Eine ähnliche Moschee befindet sich zwölf Stunden westlich vom ehemaligen Babylon, genannt Meschhed Hussein, wo Hussein, der Sohn Ali’s, begraben liegt.

Was in diesen und noch manchen anderen Moscheen an Schätzen ungenützt verborgen, davon hat man gar keinen Begriff und man muß es selbst sehen, um es zu glauben. Es wird sich dem Leser, nachdem er von der großen Hungersnoth in Persien gehört, unwillkürlich der Gedanke aufdrängen, daß die Perser sich wohl hätten vermittelst dieser Schätze Brod in Menge verschaffen können. Jawohl – aber man wolle bedenken, daß es kaum bigottere Menschen giebt als die Orientalen, gleichviel ob von der Secte der Schiiten oder der Sunniten. Sie würden es als das größte, todwürdigste Verbrechen ansehen, geheiligte Schätze anzugreifen, selbst wenn sie dadurch dem Hungertode entgehen könnten.

Außerdem kommt dabei noch ein Factor mit in Rechnung, das ist der ausgeprägteste Fatalismus, der sich durch vollkommene Passivität dem Schicksale gegenüber charakterisirt, der dem Orientalen gebietet, die Hände in den Schooß zu legen, wenn das Unglück an ihn herantritt, anstatt dasselbe nach Kräften abzuwehren. Kismet, Schicksal, sagt der Orientale, wenn ihm sein Haus abbrennt, und sieht ruhig zu, seinen Tschibuk rauchend. Kismet und wieder Kismet! Dieser Fatalismus entspricht gar zu sehr dem phlegmatischen Temperament, der Schlaffheit und Dummheit dieses Volkes, als daß man es darin zu bekehren vermöchte. Der Begriff von Sinn und Unsinn ist überhaupt bei dieser Sorte von Menschenkindern, sobald ihre Religion oder ihre Sitten und Gewohnheiten mit in’s Spiel kommen, sehr verwirrt. Es giebt allerdings aufgeklärte, d. h. bis zu einem gewissen Grade aufgeklärte Orientalen, bei denen die Glaubensartikel noch einige geheime Zusatzartikel anti-koranischen Inhalts enthalten, die, wie ja auch in der Politik Aehnliches stattfindet, die einzigen sind, denen gemäß gehandelt wird. So giebt es z. B. Türken, die einen Nordhäuserkümmel zu jenen geistigen Genüssen rechnen, die nicht zu verachten sind. Diese sogenannten Kümmeltürken, auch Jungtürken, befinden sich jedoch bisjetzt noch in der Minorität; der Charakter, die Anschauungsweise der meisten Islamiten spotten jeder besseren Einsicht; es ist überhaupt ein Volksstamm, der aus Mangel an geistiger und physischer Kraft seinem gewissen Untergange entgegengeht, denn er vermag der andrängenden Civilisation nicht zu widerstehen.

H. v. M.