Mirabeau in Berlin

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Autor: Ingo Ettmüller
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Titel: Mirabeau in Berlin
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aus: Die Gartenlaube, Heft 44, S. 697–699
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1868
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Mirabeau in Berlin.

Es war am 20. Juli 1786, als dem französischen Gesandten in Berlin, dem Grafen Esternon die Karte eines Landsmannes überreicht wurde, der, von Paris kommend, einige Zeit in Berlin zu verweilen gedenke. Auf der Karte stand: „Honoré Gabriel Riquety, comte de Mirabeau.“ Esternon hatte kaum den Namen gelesen, als er sich unwillig zu seinem Secretär wandte und ihm sagte: „Melden Sie dem Herrn Grafen mein Bedauern; Geschäfte machen es mir unmöglich, ihn zu empfangen, und,“ setzte er hinzu, „bringen Sie das Alles mit einer so abweisenden Miene vor, daß er das Wiederkommen vergißt.“ Etwas erstaunt führte der Secretär den Befehl aus; als er zurückkam, setzte ihm sein Herr huldvollst die Gründe dieses Verfahrens auseinander.

Der Graf von Mirabeau war in den Kreisen des Hofes und des Adels nicht beliebt, den Einen war er zu bedeutend, den Andern zu verrufen, und in der That, seine Vergangenheit giebt so recht ein Bild der damals herrschenden Verwirrung aller sittlichen Anschauungen.

Er entsprang einer altadeligen Familie. Sein Vater, der Marquis Mirabeau, war einer jener verschrobenen Nationalökonomen, die unter der Maske biederer Grobheit die feilste Gesinnung verbargen: eine vierzehntägige Ungnade brachte ihn fast zur Verzweiflung. Seine Frau trennte sich von ihm, als er ihr seine Geliebte zur Gesellschafterin aufdringen wollte, und hieraus entsprang ein scandalöser Scheidungsproceß, in welchem der Marquis seine Frau und seinen Sohn, der für die Mutter auftrat, mit den schmählichsten Verleumdungen überhäufte. Der junge Mirabeau hatte nie an ihm einen zärtlichen Vater gehabt; der Marquis schrieb einmal über seinen Sprößling: „Dieses Kind gleicht nicht übel dem Policinell, denn es ist ganz Bauch und Rücken, es scheint mir Talent zu einer Schildkröte zu haben: es zeigt den Rücken und läßt sich schlagen.“ Fünf Jahre, von 1767 bis 1772, that der Graf Militärdienste; dabei begegnete es ihm, daß er im Spiel vierzig Louisd’or verlor und seinen Obersten in der Gunst einer Dame ausstach, für Beides steckte ihn sein Vater vermittelst eines lettre de cachet in’s Gefängniß auf der Insel Rhé. Darauf kam Mirabeau junior mit seinem Regiment nach Corsica. Hier begann er Geschmack an seinem Berufe zu finden und erwarb sich Kenntnisse. Als aber der Papa dies merkte, nahm er ihn nach Hause, um ihn „rural“ zu machen, d. h. ihn zu verbauern. Zu dieser Zeit verwandelte sich die Abneigung des Vaters in unversöhnlichsten Haß, der gewiß einzig in seiner Art ist: der Marquis wurde auf die Begabung seines Sohnes eifersüchtig, er fürchtete, von ihm verdunkelt zu werden! Der Ehezwist vollendete den Bruch.

Nun beginnt die eigentliche Leidens- und Festungsperiode des jungen Mirabeau. Auf nicht sehr ehrenhafte Weise gewann er die Hand einer reichen Erbin, jedoch ohne einen Thaler Mitgift. Auf seinem kleinen Gute spielte er nun den großen Herrn, bald hatte er hundertsechszigtausend Franken Schulden. Sein sehr reicher Vater ließ den Sohn unter Vormundschaft stellen und in das Schloß If bringen, wo er in kargem Gewahrsam büßen und bereuen sollte. Er that dies zwar nicht, aber etwas Anderes: er verführte die Frau des Gefangenwärters. Dies wurde ruchbar, der gekränkte Ehemann schlug Lärm, und Mirabeau wurde auf eine einsame Festung im Jura versetzt. Das Schloß Joux, das war der Name des neuen Verwahrungsortes, war aber in der Nähe des Städtchens Pontarlier; der Graf erhielt die Erlaubniß, die Gesellschaft des kleinen Ortes zu besuchen, und machte bald die nähere Bekanntschaft der zwanzigjährigen Frau des siebzigjährigen Herrn von Monier. Er entfloh mit seiner Geliebten erst nach der Schweiz, dann nach Holland. In Amsterdam ließ sich das Pärchen nieder, und es ist wirklich rührend, wie der Graf Alles aufbietet, um sich eine bescheidene Existenz zu verschaffen. Er lebte von literarischen Arbeiten, die sein damals schon berühmter Name empfahl. Als er aber eines Abends nach Hause kam, fand er seine Sophie in den Händen französischer Polizeiagenten, die ihn nun auch mitnahmen, obgleich das nicht in ihrer Instruction stand. In verschlossenem Wagen brachte man sie über die Grenze, in Paris wurde die junge Frau in ein Kloster gebracht, ihr Verführer aber nach dem Gefängnisse zu Vincennes. Vier Jahre blieb er daselbst und schrieb geistreiche Briefe an seine Sophie, die zu seinen besten schriftlichen Leistungen gehören, selbst in Versen versuchte er sich und bewies durch sie, daß ihm die Natur nicht alle Talente verliehen habe. Durch ein gerichtliches Urtheil wurde er der Entführung schuldig erklärt und in effigie umgebracht. Nach seiner Entlassung strebte er eine Revision des Processes an, doch ohne großen Erfolg.

Seine Gattin, die ihm ohnehin nur mit halbem Herzen die Hand gereicht hatte, lebte auch nach seiner Freilassung von ihm getrennt. Von aller Welt gemieden, von seinen Blutsverwandten verstoßen, ohne Hülfsquellen, aber doch stolz auf seinen Adel, zersplitterte Mirabeau nun seine Gaben in allerlei Gelegenheitsschriften, die ihm dürftiges Honorar, aber reichliche Feinde einbrachten. In einem Processe mit seiner Gemahlin entwickelte er zum ersten Male seine Rednergabe, die ihm eine ehrenvolle Stelle in der Geschichte verschafft hat. Der Advocat seiner Gegner zerbrach in Verzweiflung den Stift, mit dem er sich Notizen gemacht hatte, seine Gemahlin selbst wurde zur Bewunderung hingerissen.

Einige Bekanntschaft mit den Ministern Vergennes und Calonne erweckte in ihm die Hoffnung, in Staatsdiensten emporzukommen; er suchte nur die Gelegenheit, seine Talente anwenden zu können, des Erfolges war er gewiß. Schon hier zeigt sich das Verhängniß, das in spätern Jahren so erschreckend hervortritt: der Hof stieß mit Ekel den einzigen Menschen zurück, der es sich zur Lebensaufgabe machte, das Königthum zu retten, den Einzigen, dem dies vielleicht möglich war. Auf unablässiges Drängen erhielt er endlich eine geheime Sendung nach Preußen, doch ohne jede Vollmacht oder Beglaubigung; man willfahrte ihm, um ihn los zu sein.

Diesmal hatte also Graf Esternon einen Fehler begangen, der ihm auch einen Verweis des Ministeriums zuzog. Mirabeau war gekommen, um im Interesse des französischen Staates den großen Proceß zu beobachten, der sich eben vollzog: den Uebergang des Staatsruders aus den Händen Friedrich’s des Zweiten in die seines Neffen. Nebenbei sollte er auch andere Länder seiner Aufmerksamkeit würdigen und Fäden anknüpfen, die sich gegebenen Falles zu einem artigen Netze verweben ließen.

Der französische Gesandte war wohl nicht sehr entzückt, als er dem Mann mit dem berüchtigten Namen in einer großen Audienz den Zutritt in die höchsten Kreise formell eröffnete, und auch hier stieß Mirabeau auf manches Gesicht, das sich unwillig verzog, wie es den Fremden gewahr wurde. Man hatte überhaupt die Sendlinge der großen Nation ein für allemal satt bekommen; unter dem verstorbenen Könige waren sie lange genug mächtig gewesen, um sich vollständig verhaßt zu machen. Ueber die Unverschämtheit dieser welschen Glücksritter hielten sich selbst ihre Landsleute zuweilen auf, und in den Briefen jener Zeit ist uns mancher bezeichnende Zug erhalten worden. So fragte einmal einer dieser Edelleute den kriegsberühmten und allbekannten Feldherrn Friedrich’s des Zweiten, den Herzog von Braunschweig: „Beiläufig, Sie, haben Sie auch gedient, Monseigneur?“ Der Gleiche meinte, als ihm der Kurfürst von Sachsen seine Edelsteine zeigte, bekanntlich die reichste Sammlung in ganz Europa: „Sehr artig, gewiß, sehr artig; wie viel hat Sie das gekostet?“ Ein anderer dieser Muster französischer Höflichkeit sah in Prag den Truppen zu, die ihrem Kaiser zu Ehren manövrirten, und schüttelte schließlich dem erstaunten Monarchen freundlich die Hand, freute sich, seine Bekanntschaft zu erneuern, und sprach sich sehr anerkennend über die Tüchtigkeit der kaiserlichen Soldaten aus. Einige Wochen später saß er in Berlin an der Tafel des Kronprinzen, als das Gespräch auf einen[WS 1] seiner Freunde kam; plözlich fährt der Franzose in die Tasche, reißt einen Brief heraus und wirft ihn quer über den Tisch dem Prinzen zu mit den Worten: „Ach, ich hätte es beinah vergessen! Da habe ich Ihnen etwas von ihm abzugeben!“

Traf also Mirabeau auf ungünstige Vorurtheile mancher Art, so wurden diese durch seine äußere Erscheinung nicht gehoben. Er war von hoher, breitschultriger Gestalt; das ohnehin übergroße Haupt wurde durch eine riesige Frisur in’s Ungeheuerliche vergrößert; die Gesichtszüge hatten die Blattern schon in seinem dritten Jahre entstellt. Sein Kleid war mit farbigen Knöpfen [698] von unmäßigem Umfange besetzt, desgleichen seine Schuhe. Die ganze Toilette zeigte eine übertriebene Nachäffung der Tagesmode. Er wollte sich höflich zeigen und übertrieb seine Verbeugungen; seine ersten Worte waren gespreizte und ziemlich gewöhnliche Complimente.

Mirabeau schildert uns das neue Regiment in scharfen, aber nicht ungerechten Zügen. Der König war in den Händen des Sachsen Bischoffswerder und des Preußen Wöllner, die ihn mit sanfter Mystik zu verdummen begannen; seine Geliebte war damals ein Fräulein von Voß; die Intriguen, die ihr die zweifelhafte Ehre einer morganatischen Ehe verschaffen sollten, nehmen einen nicht geringen Theil der Berichte des Franzosen ein. Mit den französisirenden Einrichtungen, mit den Monopolen und Verpachtungen Friedrich’s des Zweiten wurde auch sehr viel Gutes über Bord geworfen, durch die Bevorzugung seiner Landsleute machte Bischoffswerder sich und den König verhaßt. Ein Regiment, dem man einen sächsischen Grafen Totleben als Major zuschickte, „um den Dienst zu lehren“, schrieb zurück: „Hat man uns den Herrn von Totleben geschickt, um uns zu unterrichten, so ist dies eine Erniedrigung, die wir nicht verdient haben und nicht ertragen werden; soll er aber sich unterrichten, so kann er nicht als Major eintreten!“ Vor dem geheimnißvollen Treiben der Geistesumnebler konnten die ehrlichen Feldsoldaten der vergangenen Zeit nicht Stand halten, sie fielen sämmtlich in Ungnade. Ja, es kam so weit, daß selbst in bürgerlichen Kreisen der große Todte klein gemacht wurde. Der französische Spion Mirabeau lehrt diese Deutschen deutsch denken, indem er ausruft: „O, wenn seine großen Augen, mit denen er nach dem Belieben seiner Heldenseele verführte oder schreckte, sich einen Augenblick wieder öffneten, – hätten sie den Muth, vor Scham zu sterben, diese unsinnigen Götzenanbeter!“

Dem gewandten und geistreichen Sendlinge gelang es bald genug, sich Freunde und Gönner zu erwerben. Besonders begünstigte ihn der Prinz Heinrich, der Oheim des Königs, und machte ihn zu einem Vertrauten aller kleinen Zurücksetzungen, die er erleiden mußte und die den alten Herrn tief kränkten. Mirabeau nahm die Freundschaft und Gastlichkeit des Prinzen gern an, wenn er aber des Abends spät in seiner Wohnung ankam, so setzte sich er hin und machte sich in einem Berichte an seine Auftraggeber über den Ehrgeiz im Kleinen und andere Schwächen seines Protectors lustig.

Eine wichtigere Bekanntschaft machte er in dem Herzog von Braunschweig, von dem er schon auf seiner Herreise in Braunschweig selbst freundlich aufgenommen worden war. Da der Herzog aber für’s Erste selbst ein Mann von Geist war und zweitens in seinem Einflusse bei dem Könige durch Wöllner und Bischoffswerder verdrängt wurde, so konnte Mirabeau von ihm nicht die Vortheile ziehen, die er wünschte. Immerhin vernahm er genug, um seiner Regierung nicht unwichtige Andeutungen geben zu können; der Herzog war jedem Kriege in den gegenwärtigen Verhältnissen entgegen und machte aus dieser Ansicht kein Hehl; da er der einzig mögliche Heerführer war, so hatte seine persönliche Meinung doppeltes Gewicht.

Mehrere Male kam Mirabeau mit dem Könige, Friedrich Wilhelm dem Zweiten, zusammen, der den Grafen nicht ungern sah. Dieser durfte es sogar wagen, ihm einmal über gewisse Maßregeln der Administration Vorstellungen zu machen. Unter den Monopolen, die fallen sollten, war auch das der Tuchfabrication, das sich in den Händen eines gewissen Smits befand. Mirabeau gab dem Könige zu verstehen, ehe man das alte Haus niederreiße, müsse man wissen, wo man sein Haupt hinlegen könne, bis das neue fertig sei.

„Ah,“ sagte der König lächelnd, „Smits ist Ihr Bankier!“

„Allerdings,“ erwiderte der Graf, „aber er hat mir von dem Gelde, das ich durch ihn erhalten, nichts geschenkt.“

Ein andermal wurde Mirabeau zur Abendtafel geladen, an welcher auch Fräulein von Voß erschien. Der König hatte von einem Mitgliede der französischen Akademie ein Buch über die Hazardspiele erhalten nebst einer sehr schmeichelhaften Dedication „an den ersten Fürsten, der durch Verbot und Abschaffung des Lotto den Vortheil seiner Cassen dem der Bevölkerung nachgesetzt habe“! Es war nun fatal, daß diese Abschaffung des Lotto in der That eine schöne Fabel war, die dem französischen Gelehrten irgendwer aufgebunden haben mußte; Mirabeau wußte indessen den König zu beruhigen, indem er hervorhob, daß schon der bloße Wille, den Wilhelm geäußert, höchst lobenswerth sei, worauf der König wieder heiter und zufrieden wurde und entschuldigend anführte, daß ja zudem mehrere Institute, wie z. B. die Militärschule, auf den Ertrag des Lotto angewiesen seien.

Selbstverständlich erweckte die wenn auch noch so geringe Begünstigung Mirabeau’s den Neid der Höflinge. Als wenige Zeit nachher der König beim Spiele fragte: „Wo bleibt denn der Graf von Mirabeau? Ich habe ihn seit tausend Jahren nicht mehr gesehen!“ da entgegnete man ihm: „O, das ist leicht begreiflich, er bringt sein Leben bei Struensee mit Biester und Nikolai zu!“ Biester und Nikolai waren aber arge Feinde der Dunkelmänner, wie sie ja auch mit dem eingebildetsten der Lichtauslöscher jener Zeit, mit Lavater, in Streit geriethen, und daher beim Könige gar nicht gut angeschrieben.

Unter all den kleinen Intriguen und Eintagswichtigkeiten waltete Mirabeau seines Amtes. Mit schweren Kosten wußte er sich eine Copie der sehr geheim gehaltenen so eben vollendeten topographischen Karte Sachsens zu verschaffen; ebenso ließ er insgeheim einen Kataster des Kurfürstenthums, welcher ein genaues und eingehendes Verzeichniß der Hülfsquellen aller Art bot, abschreiben; Beides Dinge, die damals überall fremden Augen möglichst entzogen wurden. Ueber die politische Lage im Norden, namentlich Kurlands, arbeitete er mehrere Denkschriften aus, die an tiefen Wahrheiten und vortrefflichen Räthen überreich sind – und nicht gelesen wurden. Seine eingehenden Studien über Preußen hat er nachher in sieben Foliobänden der Öffentlichkeit übergeben, die freilich zum wenigsten seine eigene Arbeit sein sollen. Daneben erfreute er die Minister mit manchen piquanten Geschichtchen, zu denen Hof und Stadt reichlichen Stoff lieferten.

Eine nicht sehr willkommene Unterstützung erhielt er in einer abenteuernden Dame, die, nachdem sie in Paris ihre Rolle ausgespielt hatte, sich nach Deutschland wandte und mit großem Gefolge gekommen war, mit der ausgesprochenen Absicht, den König zu erobern. Empfehlungsbriefe brachte sie nur Einen mit: den an ihren Bankier. Im Gefühle der Seelenverwandtschaft schloß sie sich sogleich eng an den Grafen Mirabeau, beehrte ihn mit ihrem Vertrauen, das er „gern zum Teufel geschickt hätte“, und bot ihm ein gegenseitiges Schutz- und Trutzbündniß an. Es war für unsern Helden eine fatale Lage; er wollte sich die Donna nicht zum Feinde machen, weil man doch nicht wissen konnte etc.; denn bei Gott und den Fürsten war kein Ding unmöglich – so verschaffte er ihr denn den Zutritt am Hofe, verwahrte sich aber ernstlich gegen jede Verantwortlichkeit. – Die holde Schöne erhielt denn auch wirklich eine Audienz beim König und schied nicht ohne Hoffnung, denn Ihre Majestät waren sehr leutselig gewesen und hatten sich bitterlich über das Ennuyante ihres Metiers beklagt. Doch war sie allzu bekannt in der galanten Welt, um ernstlich auf Erfolg rechnen zu können. Nachdem sie noch einige Wochen lang die Berliner durch ihr tolles Wesen geärgert, verschwand sie zur großen Freude Mirabeau’s; sie ging nach Warschau, um dort ihr Glück zu versuchen.

So verstrich ein Monat um den andern; immer mehr fühlte der Graf das Schmähliche seiner Stellung. Bereits dämmerte in ihm der Gedanke auf, daß er sich vielleicht geirrt habe, als er die erste Staffel der Ruhmes- und Aemterleiter zu besteigen glaubte. Auf die dringendsten Anfragen erhielt er keine Antwort; die lebhaftesten Vorstellungen wurden nicht beachtet. Da begann er immer mehr für sich zu intriguiren.

Sein nächstes Augenmerk richtete er auf den Gesandtschaftsposten in Berlin. Manche seiner Briefe wimmeln förmlich von Invectiven, von feinen und groben Sticheleien auf den damaligen Gesandten Esternon. Das Kleinste weiß er zu einer ungeheueren Kugel aufzublasen, die er diesem in den Weg wirft, damit er darüber stolpere. – Eines Abends war durch ein Mißverständniß der russische Gesandte an den Spieltisch der Königin, der französische aber nebst den Andern nur an den der Prinzessin Friederike gekommen. Das war natürlich eine schwere Beleidigung; Graf Esternon wies die ihm zugedachte Ehre in harten Worten zurück, erklärte, daß er heute nicht spiele, und ging im Bewußtsein gekränkter Unschuld nach Hause. Hierauf großes diplomatisches Kunstboxen; der englische Gesandte beeilte sich zu erklären, daß er zwar vor Keinem den Vortritt verlange, o gar nicht; daß er aber nie, nie dulden werde, daß ihm Jemand vorangehe. Aehnlich [699] ließen sich die Vertreter anderer Nationen vernehmen; die Königin wußte jeden der erhitzten Kämpen durch ein eigenhändiges Begütigungsschreiben wieder zufriedenzustellen.

Dies war für Mirabeau eine erwünschte Gelegenheit, den Gesandten der Tactlosigkeit zu beschuldigen und als unmöglich zu erklären. „Ich,“ meinte er dann, „ich hätte einfach nach dem Tisch der Königin gesehen und gesagt: ‚Ich sehe, daß wir hier durcheinander sitzen, und daß Loos konnte nur nicht günstiger fallen.‘ Mit dem letzteren nämlich,“ so erläuterte er des Weitern, „konnte man zugleich ein Compliment für die Prinzessin verbinden.“

Leider blieb dies wie früher wirkungslos, und nicht besser ging es mit anderen Plänen. Er anerbietet sich, das russische Reich in einer Verkleidung zu durchforschen. Man geht nicht darauf ein. – Dann bittet er um eine diplomatische Stellung in Baiern und wird abschlägig beschieden. – Später wünscht er von Hamburg aus den Norden zu beobachten. Auch dieses erhält er nicht. – Mit Berufung auf sein Verhältniß zum Herzoge sucht er um eine Beglaubigung in Braunschweig nach. wird wieder abgewiesen. Ebensowenig kann er eine Stellung in Kurland erhalten. – Da anerbietet sich der holländische Gesandte in Paris, seine Verwendung bei den Verhandlungen mit der Prinzessin von Oranien zu erwirken. Das Ministerium will nichts von der Candidatur Mirabeau’s wissen. – Auf’s Aeußerste gebracht rief der Graf endlich seinen Auftraggebern zu: „Das sind schlechte Menschenkenner, die mich zu einem Neuigkeitskrämer machen möchten, und noch schlechtere die, die glauben, daß ich mich hiezu brauchen lassen werde!“

Um diese Zeit begann in Frankreich das Gewitter loszubrechen, das bei seiner Abreise in schweren schwarzen Wolken aufgezogen war. Der König sah sich zur Einberufung der Ständeversammlung gezwungen. Hier eröffnete sich dem Grafen ein neuere Wirkungskreis.

Als er auf nochmalige Anfrage bei Gelegenheit der Abreise Esternon’s die alte Antwort erhalten hatte, verließ er nach einjährigem Aufenthalte Berlin und Deutschland. Einige Zeit später wurde er von dem Volke seines Wahlkreises jubelnd gewählt und auf seiner Reise nach Paris mit Triumphbögen und Ehrenfesten gefeiert. Er hatte sich zuerst seinen Standesgenossen als Vertreter angeboten, war aber nicht nur verworfen, sondern auf Grund eines Formfehlers in schmählichster Weise von ihren Berathungen ausgeschlossen worden.

Durch Mangel gezwungen, hatte er die Berichte, die er dem Ministerium zuschickte, einem Buchhändler verkauft, und sie erschienen unter dem Titel: Correspondance secrète sur la cour de Berlin. – Das Werk erregte großes Aufsehen; noch nie waren die Schwächen eines Hofes mit solcher Offenheit enthüllt worden, es gereichte aber nicht weniger dem französischen Minister zur Unehre, daß er in dieser Weise eine Spionage ausüben ließ. Auf Reclamation Preußens wurde das Buch durch Henkershand verbrannt. Es war anonym erschienen und Mirabeau fand für gut, seine Vaterschaft abzuleugnen. Rettete dies ihn aber vor den Gerichten, so rettete es ihn doch nicht vor der öffentlichen Meinung, die sich nicht beirren ließ. Es wurde auch bald nach seinem Tode unter die gesammelten Werke des Grafen aufgenommen.

Das war also nicht jener Sendlinge, wie sie zu Hunderten an allen Höfen zu finden waren und wohl noch zu finden sind. Doch wird sich wohl kein Zweiter von solcher geistigen Bedeutung unter ihnen finden, und noch weniger wird ein Zweiter durch so großartige spätere Leistungen die Schmach der Vergangenheit vergessen machen. Denn Mirabeau’s That ist und bleibt es, den in bürgerlicher Gewohnheit dem Glanz der Krone gegenüber noch befangenen Männern des dritten Standes der Nationalversammlung durch seinen Widerstand gegen den königlichen Auflösungsbefehl, durch sein kühnes Wort: „Wir sitzen hier im Namen des französischen Volks und weichen nur der Gewalt der Bajonnete!“ den Muth der Revolution erst eingehaucht und dadurch der neuen Zeit zum Aufleben verholfen zu haben.

Ingo Ettmüller.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: einer