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Mithridat und Theriak

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Textdaten
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Autor: Schmidt-Beerfelden
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Titel: Mithridat und Theriak
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 9, S. 148
Herausgeber: Adolf Kröner
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Erscheinungsdatum: 1894
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[148] Mithridat und Theriak. Zwei gewiß für viele fremdklingende Namen! Dennoch spielten sie einst eine hochwichtige Rolle und eine wahre Verehrung knüpfte sich daran. Das eine ist aus dem anderen hervorgegangen, beide galten als die weitaus berühmtesten Heilmittel und Jahrhunderte hindurch standen sie in höchstem Ansehen, ja selbst das 19. Jahrhundert zollte ihnen noch seinen Tribut.

Kein Geringerer aber auch als der mächtige König Mithridates von Pontus war es, der dem „Mithridat“ den Namen gab, er selbst war dessen Erfinder. Es kann dies nicht wunder nehmen; ist es doch geschichtlich bezeugt, daß der pontische König eine ungemeine Furcht vor Vergiftung hegte und daß er deshalb der Erforschung der Gifte und Gegengifte eifrigst oblag. An sich selbst zunächst, dann aber auch an Höflingen und Verbrechern erprobte er die Wirkung seiner Mittel, und er soll durch täglichen Gebrauch sich so an Gift gewöhnt haben, daß im entscheidenden Augenblick – als er im Jahre 63 v. Chr., von Pompejus besiegt, von seinem Sohne verraten, sich selbst vergiften wollte – die Giftwirkung versagte. Auf seinen Befehl mußte ein Sklave ihn töten.

Dem glücklichen Sieger Pompejus aber verfiel auch die Vorschrift zu dem damals bereits berühmten Heilmittel, dem „Mithridat“, ein Fund, wie Plinius berichtet, „bedeutender für die Gesellschaft als selbst der Sieg für den Staat“. Das „Mithridat“ zeigte eine äußerst verwickelte Beschaffenheit, über ein halbes Hundert Bestandteile enthielt es, und obwohl im Anfang nur als Gegengift berühmt, galt es doch bald als besonderer Schutz gegen alle ansteckenden Krankheiten.

Dieses „Allheilmittel“ nun suchte ein Jahrhundert später – um 60 n. Chr. – Neros Leibarzt Andromachus dadurch zu verbessern, daß er der latwergenartigen Mischung noch verschiedene andere Dinge, hauptsächlich aber Schlangenfleisch hinzufügte, und von da soll sich die Bezeichnung „Thyriak“, später „Theriak“ – nach der Schlange „Thyrus“ – herleiten. Wie dem auch sei, jedenfalls galt der Theriak bereits den Römern als hochgeschätztes, ja geweihtes Medikament, und durch fast zwei Jahrtausende bewahrte er seinen Ruf. Mit ganz besonderer Sorgfalt, unter obrigkeitlicher Aufsicht und unter Entfaltung großer Feierlichkeiten – Glockengeläute, Musik und militärischen Aufzügen – ward er bereitet, es war eine hochwichtige Staatsaktion, und geraume Zeit vorher schon waren alle Bestandteile dieses Wundermittels im unzerkleinerten Zustand zu jedermanns Einsicht ausgestellt. Die letzte mit allem Pompe umkleidete öffentliche Herstellung des „himmlischen Theriak“, wie er gepriesen wurde, geschah im Jahre 1754 in Nürnberg, und zwar in der noch heute bestehenden Kugelapotheke. Erwähnt auch die Geschichte von da ab keiner besonderen Feier mehr bei seiner Bereitung, so war er nichtsdestoweniger noch immer geschätzt, und die Vorschrift des Andromachus ging in alle Arzneibücher über, ja, die im Jahre 1880 ausgegebene „Pharmacopoea Germanica“, das Deutsche Arzneigesetzbuch, nahm noch Notiz davon, wenn auch nur im Auszug. Die Aerzte von heute aber verwenden das einst mit so wunderbarem Nimbus umgebene Mittel nicht mehr, völlig verschwunden aus dem Arzneischatz der Apotheken ist es jedoch immer noch nicht. Ab und zu verlangt noch ein Bäuerlein nach seiner heilwirkenden Kraft, hat er doch von seinem Großvater gehört, daß „Theriak“, mit Schnaps gemischt, ein vorzügliches Magenmittel sei, und daß er, in Warmbier gegeben, Pferden und Kühen wie überhaupt allen Stallbewohnern die Kolik vertreibe! Fragt ein Wißbegieriger schließlich nach der Zusammensetzung des Theriak, so mag er erfahren, daß er zur Zeit kaum ein Dutzend Bestandteile hat: Angelika, Baldrian, Meerzwiebel, Zimmet, Cardamomen, Myrrhe und Eisen, sowie geringe Mengen Opium; das Schlangenfleisch aber, woher er wie erwähnt seinen Namen erhielt, fehlt. Schmidt-Beerfelden.