Moltke in seinen Briefen

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Autor: Adolf Marquardt
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Titel: Moltke in seinen Briefen
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aus: Die Gartenlaube, Heft 12, S. 380–383
Herausgeber: Adolf Kröner
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Erscheinungsdatum: 1892
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Moltke in seinen Briefen.

Von Dr. Adolf Marquardt.


Mehr als ein Jahr ist vergangen, seit der Feldherr, der Deutschlands Macht und Einheit in glänzenden Siegen mitgeschaffen hat, für immer die Ruhe fand, nach der er sich oft gesehnt. Aber was so äußerlich von uns genommen wurde, ist in anderer Weise schöner wiedererstanden. Eine Reihe von Veröffentlichungen, in denen uns die „Gesammelten Schriften und Denkwürdigkeiten“ des wunderbaren Mannes geboten werden, hat uns sein geistiges Bild näher gebracht als je. Vor allem die Briefe an seine Angehörigen sind es, die sein tiefstes Wesen erschließen – diese einfache edle Größe des Denkens und Handelns, diese innere Freiheit von allem Kleinlichen, diese in sich selbst gegründete Stille mit dem weiten Blick ins Wesentliche und Ewige, dabei diese unbesiegliche Thatkraft. Wie vor etwas Vollendetem stehen wir vor solchem Leben, das, für die Geschichte lange schon unsterblich geworden, ungeschwächt bis an die Grenze menschlicher Tage reichte, um dann mitten aus dem Schaffen heraus mit einmal ein schmerzloses Ende zu finden, als sollte der Welt von diesem Manne nur die Erinnerung bleiben, daß er gehandelt, nicht daß er gelitten habe.

Und doch ist ihm nicht ein fertiges Glück in den Schoß gefallen; durch eine harte Jugend, durch eine Schule der Entbehrung und der eisernen Arbeit hindurch ist er zu der Höhe emporgestiegen, auf der wir ihn zu sehen gewohnt sind. Moltkes Jugend – in eine fernliegende Zeit müssen wir zurückgehen, um sie uns zu vergegenwärtigen: der gewaltige Hintergrund die Thaten des korsischen Eroberers, der wie ein unwiderstehliches Schicksal über die Völker Europas hereinbrach, dann die Jahre der Befreiungskriege mit ihrem Begeisterungssturm, ihrem opferfreudigen siegreichen Ringen, endlich jene große Stille, in welche die „Heilige Allianz“ das wachgewordene Europa einzuwiegen suchte – und auf diesem Hintergrund voller Kämpfe um die höchsten Güter fast überall ein Familienleben in schlichtestem Rahmen, eine bescheidene Häuslichkeit, in ihrem äußeren Zuschnitt bürgerlich einfach als eine kleine und gelegentlich kleinliche Welt für sich, in der die Autorität der Eltern das unumstößliche Gesetz, Gehorsam das Glück der Kinder bildete, in der wenig Raum blieb für anspruchsvolle Wünsche und desto mehr für ernste Arbeit.

Diese Welt war die des jungen Moltke; aus ihr ging der Charakter hervor, dessen Spiegelbild wir in den Briefen bewundern. Den Grund dazu legte die Erziehung der Mutter. Moltkes Eltern lebten früh getrennt. Der Vater, preußischer und später dänischer Offizier, war offenbar eine jener unruhigen Naturen, die in einer Häuslichkeit weder glücklich sind noch beglücken; Vermögensverluste kamen hinzu, so trennte er sich von seiner Gattin. In selbstverleugnender Liebe übernahm diese die Erziehung der Kinder und führte mit der entschlossenen stolzen Kraft ihres Wesens die Aufgabe durch, die bei den knappen Mitteln doppelt schwer fiel. Nach außen hin verschlossen, ernst, fast streng, und doch eine leidenschaftliche Natur mit liebeglühendem, treuem Herzen – so wird sie geschildert.

Es muß trotz aller Schatten eine frohe, kerngesunde Welt gewesen sein, die sich da aufbaute. Mochte vieles darin beengend sein, für eines hatte sie reichlich Platz und in dem Wirken der Mutter das eindrucksvollste Vorbild: für die schlichte Größe der Pflichttreue, die doch in allem, was sie thut, nur etwas Selbstverständliches erblickt. Mit behaglicher Anschaulichkeit führen uns einige Stellen der Moltkeschen Briefe in den Kreis der Seinen. Wir sehen früh morgens „die Kaffeemaschine auf dem Tische sprudeln, die Schwestern mit Stickerei, den Vips – Moltkes Bruder Victor – mit einer Rechentafel und einigen Chininpulvern“, sehen die Mutter, „mit ein paar entsetzlich zerrissenen Strümpfen (nämlich in der Hand) ein wenig kopfschüttelnd die Brille zurechtschieben, um dies Faß der Danaiden dicht zu machen“, und „in dem Eulensalon poltert und ruft etwas, wahrscheinlich einer der Herren Brüder, welcher sein verspätetes lever bemerkbar macht“. Wenn die Arbeit ruhen kann, dann sitzt man wohl „in bequemer Gemüthlichkeit“ auf dem Sofa der „gelben Stube“ und erzählt oder musiciert sich etwas vor. Und besonders anheimelnd ist’s an Weihnachten; da geben sich in den bescheidenen Räumen Zufriedenheit und harmlose Lust ein Fest, kein glänzendes freilich, aber ein wohlthuendes. Die Geschenke sind nahe beieinander: „saubere Handarbeiten“ von den Schwestern, von der Mutter „gute tüchtige Hemden und Strümpfe mit doppelten Fersen, als wären sie für Achill bestimmt“, und nebenbei „eine Bowle Punsch in der Perspektive“ – das genügt, um die Versammlung in muntere Stimmung zu versetzen.

Was solch stille Geborgenheit für das ganze Leben bedeutet, vergißt nur ein Undankbarer. Moltke giebt seinem Defühl für das Glück dieser Jahre noch als Mann einen rührenden Ausdruck in dem Worte, das er an seine Mutter schreibt: „Wie oft ist es mir vor die Seele getreten, daß von allen Wohlthaten der erste mütterliche Unterricht die größte und die bleibendste ist. Auf diese Grundlage baut sich der ganze Charakter und alles Gute in demselben, und wenn Du acht Kinder zu redlichen Leuten herangezogen, so muß ihr Dank und Gottes Segen auf Dir ruhen.“

Noch ein anderes war bestimmend für das Werden dessen, den wir in den Briefen finden – die Zeit in der Kadettenakademie zu Kopenhagen, in welche der elfjährige Knabe eintrat. Das war jene Zeit, über die Moltke noch ein Jahr vor seinem Tode wie eine Ueberschrift die Worte setzt: „Freudlose Jugend, spärliche Ernährung, fern vom Elternhause,“ die dem neunundzwanzigjährigen Lieutenant die bittere Aeußerung entlockt, die einzige derart in den Briefen: „Da ich keine Erziehung, sondern nur Prügel erhalten, so habe ich bei mir keinen Charakter ausbilden können. Das fühle ich oft schmerzlich. Dieser Mangel an Halt in sich selbst, dies beständige Rücksichtnehmen auf die Meinung anderer, selbst die Präponderanz der Vernunft über Neigung verursachen mir oft einen moralischen Katzenjammer, der bei anderen gerade aus dem Gegentheil einzutreten pflegt. – Man hat sich ja beeilt, jeden hervorstechenden Charakterzug zu verwischen, jede Eigenthümlichkeit wie die Schößlinge einer Taxuswand fein bei Zeiten abzukappen – so entstand die unglücklichste Eigenschaft des Charakters, die Charakterschwäche.“ Wohl hat an dieser Aeußerung eine augenblickliche Verstimmung theil, in der Moltke ungerecht wird gegen sich selbst, denn „Mangel an Halt“ und „Charakterschwäche“ waren ebensowenig die Fehler des Lieutenants Moltke, wie sie später die des Heerführers waren, aber das zeigt die Stelle doch wahrheitsgetreu, daß in jenen Jahren „fern vom Elternhause“ seine innere Welt nur aus sich selber werden konnte.

Was die Natur an kraftvollem Willen und überlegener Einsicht in diesen Geist gelegt hatte, das mußte sich unter solchen Verhältnissen doppelt mächtig und rasch entfalten, und so entsteht [381] das Außerordentliche, daß in den Briefen, die von 1823 bis 1890 gehen, von Anfang an dieselbe geschlossene Persönlichkeit uns entgegentritt. Es ist, als ob dieser reiche Baum immer in Blüthen und Früchten zugleich gestanden hätte: wie schon der Jüngling ganz die geistigen Züge des Mannes trägt, so besitzt noch der Neunzigjährige die Unermüdlichkeit der Jugend. Daß eine so einzigartige Stetigkeit des ganzen Wesens nicht ohne Kämpfe erreicht werden konnte, ist selbstverständlich. Aber das ist das Bezeichnende bei Moltke, daß sich die Kämpfe nicht auf die Oberfläche wagen dürfen, daß er es nicht der Mühe werth findet, ihnen in seinen Briefen, die doch auch bei ihm die geheimsten Zeugen der Entwicklung sind, Worte zu leihen. Nur einmal klingt etwas davon an, aber bloß, um sofort wieder als krankhaft zurückgewiesen zu werden; im Jahre 1825 schreibt er der Mutter von aeinem „verwundeten Herzen“, das „durch vereitelte Wünsche, Kränkungen und Feindschaft niedergedrückt“ sei, doch im nächsten Augenblick setzt er hinzu: „Aber in meinen Jahren ist dies Krankheit.“

Allein neben diesem unschätzbaren Ertrag an Klarheit und Energie des Strebens brachte jene entbehrungsvolle Zeit für Moltke anderes, was kein Gewinn zu nennen war. Niemand geht ohne inneren Verlust durch eine freudlose Jugend. Er selbst spricht von seiner „Zurückhaltung, welche die Frucht einer unter lauter feindseligen Verhältnissen verlebten Jugend sei und nothwendig wieder Zurückhaltung bei anderen erzeuge“; er leidet unter einem verschlossenen und spröden Wesen, das ihm unwillkürlich zu eigen geworden ist, und giebt diese Züge einem der Helden in seiner Novelle „Die beiden Freunde“, in der er zugleich seiner Jugendliebe ein wehmüthiges Denkmal setzt, jener Liebe, über die er in einem Briefe an seine Mutter mit dem stillen Wort der Entsagung weggehen muß. „Hier ist ein Mädchen, das recht verdient, Deine Schwiegertochter zu sein. Es ist eine Gräfin Reichenbach. Sie ist bildschön und erzogen – Du würdest sie auf Händen tragen. Aber leider ist sie unvermögend.“

An der Hofgarten-Kaserne in München.
Nach einer Zeichnung von P. Bauer.

Auch diese Neigung, die offenbar tief gegangen ist, sollte wie so vieles Schöne in seinem Dasein seiner Armuth zum Opfer fallen. Und daß ihn bei alledem die harte Jugend nicht selbst hart gemacht hat, das ist das Wohlthuende. Obgleich aus diesem Leben frühe die Illusionen schwinden müssen, die bei anderen die rauhe Wirklichkeit mit weichem Schimmer umkleiden und im Lande der Zukunft tausend reifende Hoffnungen zeigen, so wird es doch nicht nüchtern und selbstsüchtig. Die Vernunft giebt bei ihm den Dingen das Maß, aber er wahrt sich die Wärme des Gemüths. Wie herzlich ist das Verhältniß zu seiner Mutter, und wie anspruchslos und innig zugleich offenbart er sein Gefühl! Eine Blume von der höchsten Spitze der Schneekoppe, ein Oelzweig vom Grabe des Patroklus im fernen Troja, dem Briefe beigelegt, sagt der Mutter mehr als alle Worte, daß er in der Fremde ihrer gedacht. Ein Sternbild, das sie oft bewundert hat, nennt er „ihren Stern“. „Dein schöner Stern hat mir alle Morgen früh geleuchtet, wenn ich vor Sonnenaufgang ausritt,“ schreibt er aus Konstantinopel. Mit jedem Guten, das auf seinem Weg erblüht, verknüpft er dies Sternbild. Als er, schon ein gereifter Mann, in der jugendlich anmuthigen Marie Burt „ein Herz gefunden hat, welches ihn liebt“, da sagt er der Braut in einem der ersten Briefe: „Wenn Du abends nach neun Uhr gegen Süden blickst, so wirst Du einen prachtvollen Stern am Horizont aufsteigen sehen. Es ist derselbe. den meine selige Mutter so oft bewunderte. Ich sah ihn nie, ohne an sie dabei zu denken, und habe den Glauben, daß es mein guter Stern ist. Denke dann an mich! ... Oft wenn ich in fernen asiatischen Steppen den langen heißen Tag geritten und die Nacht herabsank, ehe die müden Pferde ihr Nachtquartier erreicht, oder wenn ich auf dem flachen Dache der Wohnung meine Teppiche zum Lager breiten ließ, trat er mit südlicher Klarheit aus dem Abendroth hervor und leuchtete so milde, als wollte er sagen. Reite nur getrost und vergiß alle Sorgen, du wirst doch noch ein Herz finden, welches dich liebt. Und so habe ich Dich gefunden, theure Marie.“ –

Moltke hat als spärlich besoldeter Lieutenant einen schweren Weg. Der Stand seiner Finanzen „ist oft so niedrig wie der des Wetterglases“, einen Brief aus Schlesien an seine Mutter muß er sich versagen, denn das Porto ist „so ungeheuer groß“, er frühstückt nie und ißt oft auch abends nichts, weil angeblich [382] „die sehr guten Speisen vom Mittag noch vorhalten“ – und doch zögert er keinen Augenblick, „eine Remuneration von sechzig bis achtzig Thalern“, die er erhält, dem Vater anzubieten und sich von einer kleinen Zulage monatlich fünf Thaler abziehen zu lassen um sie seiner Mutter zur Verfügung zu stellen. Der große Traum seines Lebens ist, „am liebsten auf dem lieben deutschen Boden“ „eine Scholle Land“ sein nennen zu können, aber nicht um es da bequem zu haben, sondern um dort den ganzen Kreis seiner Angehörigen zu versammeln. Er, dem „auf dorniger Rennbahn“ der Wunsch zuvörderst nach eigenem Glück so mensch!ich nahe gelegen wäre, kann von Glück für sich nicht sprechen, ohne der Mutter zu sagen: „Möchte ich es für Euch alle gewinnen!“

Halbe Naturen verzehren sich unter dem Druck widriger Verhältnisse in Mißmuth und Mitleid mit sich selbst. Moltke besaß zu viel sittliche Kraft, zu viel geistige Beweglichkeit, um sich verbittert abzuschließen. Was freundlicher Zufall und eine schmale Börse ihm an bescheidenen Vergnügungen gestatten, nutzt er dankbar; er schätzt Geselligkeit und weiß, daß zu Tanz und Wein ein fröhliches Herz gehört. Aber wie er über der täglichen Noth steht, mit der er zu kämpfen hat, so auch über dem Genießen. Er ist sich bewußt, daß alle Genüsse nur Arabesken sind am ernsten Bau des Lebens, und so verliert er sich nicht im Beiwerk, sondern hält sich stets das Wesentliche gegenwärtig, das, um dessen willen ein Menschenleben allein werth ist, gelebt zu werden: die Pflichttreue zielbewußte Arbeit. Dieses Streben, immer wieder von der Oberfläche zu der Tiefe zurückzukehren, aus der die sittliche That kommt, giebt seinem Wesen die charakteristische Färbung. Zufriedenheit ist es, was er dabei erreicht, denn „am Ende sind Arbeit, Hoffnung und Gesundheit alles, was zur Zufriedenheit gehört“, und Ruhe findet er so für das stille Lächeln des Humors, mit dem er das Widrige uberwindet. Er scherzt gelassen über „das halbe Pferd“, das er sich durch seine Aufsätze „zusammengeschrieben“ hat, und doch braucht er noch weitere zweieinhalb, die trotz der Zerlegung in ökonomisch leichter beschaffbare Hälften nicht in naher Aussicht stehen; und in einer Zeit, wo er seine „schreckliche Herzkrankheit“ noch nicht überwunden hat, entwirft er in einem Brief an seine Schwester Lene das drollige Krankheitsbild: „Mit meiner Gesundheit geht’s sonderbar. Oft liege ich acht bis zehn Stunden bewußtlos, d. h. des Nachts, nicht den mindesten Appetit nach Tisch, gegelt Abend solche krampfhafte Bewegungen und Dehnen ... Reißen in allen Gliedern – wenn es Dir nur nicht ebenso geht.“

Eines würde man in dem Bilde auch des jungen Moltke vergeblich suchen: jene träumerische Lust und Schwermuth, die aus Kleinem erschütternde Empfindungen schöpft und die Dinge mit Gefühlen, statt mit Wirklichkeiten mißt. Ueberall leuchtet aus den Briefen eine überlegene ernste Ruhe, jene Sachlichkeit, die keine sprunghaften Ueberraschungen aber auch keine Enttäuschungen bereitet. Es sind die tiefsten Quellen, aus denen dieser Charakter seine Kraft zieht, aber sie kommen nicht aus dem geheimnißvollen Dunkel leidenschaftlicher Erregung, in das kein Blick hinunterreicht, sondern aus der klaren und durchsichtigen Welt eines nie gebeugten, nie verwirrten Willens. So entrotlt sich dies Leben vor uns wie etwas Naturnothwendiges und dennoch in höchstem Grade Freigeschaffenes, und die Pflicht ist der Leitstern, dem es folgt. Aus unscheinbaren Anfängen erhebt es sich zu weltgeschichtlicher Bedeutung, aber nirgends zeigt sich ein ehrgeiziges Verlangen nach solcher Größe, nirgends ein anderer Beweggrund als eben der des Pflichtgefühls. Ein Mann, der sagen kann: „Je weiter man in diesem Leben vorschreitet, je weniger lernt man von demselben erwarten“, der geizt nicht nach dem Lorbeer und findet nicht in der Meinung anderer, sondern in sich selbst das Gefühl seiner Würde.

Von nichts ist denn auch in den Briefen Moltkes weniger die Rede als von dem Großen, das er erreicht, von der Mühe, die es ihn kostet; kaum daß das alles einmal eine kühle Erwähnung findet. Es ist fast lustig, zu sehen wie er so gelegentlich merken läßt, daß „so ein Feldzug doch die Kräfte sehr angreift, wenn man seine siebzig Jahre auf dem Rücken hat“, wie er auf die Schlacht bei Sedan nur deshalb zu sprechen kommt, weil eines seiner Pferde erkrankt ist „Eines der jungen Pferde steht stark im Kropf,“ schreibt er, „ich habe aber ein mir zugefallenes Beutepferd (bei Sedan über zehntausend) eingespannt.“ Das ist der ganze Bericht über die Schlacht, den er seinem Bruder Adolf schickt. In diesen trivialen Beispielen spiegelt sich ein tiefer Zug: der größte Feldherr des Jahrhunderts ging still hinweg über seine Erfolge ohnegleichen, weil er ein noch größerer Charakter war. Der Werth einer That bemißt sich für ihn nur nach der Gesinnung, aus der sie fließt, und an diesen Maßstab gehalten, dünkt ihm die eigene Leistung nicht höher als die anderer. „Es scheint wirklich ein gelungenes Fest gewesen zu sein,“ so schreibt er über die Enthüllung seines Denkmals in Parchim an seinen Bruder Ludwig, „aber es war mir doch angenehm, dasselbe aus sicherem Hinterhalt in Kreisau ansehen zu können. Denn wie mancher, der unter dem grünen Rasen Frankreichs schlummert, hat mehr gethan als wir Lebenden.“

Ein Geist von solcher Bescheidenheit und so überzeugtem Gefühl für den echten Werth mußte ein Feind alles Wortgeklingels und aller Vorurtheile sein. Die tönende Phrase und der theatralische Faltenwurf, mit denen die Mittelmäßigkeit zu wirken sucht, sind ihm ebenso herzlich zuwider wie eine klägliche Einbildung, die sich auf Vorzüge des Standes und Vermögens steift und dabei „so göttlich dumm“ sein kann. Was er achtet, das ist die tüchtige Kraft. Ihn freut darum die Schaffenslust des deutschen Wesens, „eine Nation in Pantoffeln“ ist ihm ein Greuel; mit Stolz begrüßt er auf einer Reise durch das öde Spanien die blühenden Kolonien jener Deutschen, die sich im 18. Jahrhundert dort angesiedelt hatten, und „die lieben treuen viereckigen deutschen Gesichter“. Ihn freut die aufstrebende Gegenwart, die an die Stelle verwitterter Wartthürme aus „alter unruhiger Zeit“ die geschäftigen Stätten der Industrie setzt; ohne Bedauern spricht er es aus: „Die Burgen zerfallen“ – denn dafür ist „die Hütte des geringen Mannes zum stattlichen Wohnhaus geworden.“

Inmitten dieses ernsten Lebens, das der Arbeit gehört, läßt die Liebe einer edlen Frau ein freundliches Glück erblühen, das nur mit ihrem Tode endet. Moltke hat sich in seinen Briefen wiederholt für die Verstandesehe ausgesprochen, aber seine eigene Ehe schließt er doch auf Grund eines innigen, wenn auch keines leidenschaftlichen Gefühls. Warmherzig klingt es wieder in den Worten des ersten Briefes, den er von Berlin aus an die Verlobte richtet: „Möchte ich Dich doch für alles entschädigen können, was Du um meinetwillen aufgeben mußt. Ja, liebe Marie, ich bitte Gott aufrichtig, daß, wenn ich Dich nicht glücklich machen kann, er mich lieber vorher abberufe.“ „Ich will Dich pflegen wie meinen Augapfel, Du zarte, kleine Pflanze,“ heißt es an anderer Stelle. Mit Offenheit und sicherem Takte erleichtert er der Sechzehnjährigen die Aufgabe, sich in den so viel älteren Mann einzuleben; er ist fern davon, „die Jugend aus ihrem Leben wegstreichen“ und ihre frische Beweglichkeit hemmen zu wollen; nur das möchte er, daß sie „bei so vielen glänzenderen Erscheinungen“, als er ist, sich stets das Gefühl bewahre, niemand meine es treuer denn ihr „alter Bär“. Humor und Ernst mischen sich wohlthuend in den Briefen des Bräutigams, so, wenn er als vorausschauender Stratege für die künftige Ehe die Parole ausgiebt: „Laß uns nur immer recht aufrichtig miteinander sein und ja niemals schmollen. Lieber wollen wir uns zanken und noch lieber ganz einig sein ... Jemand hat gesagt, es giebt nur zweierlei Ehen: solche, wo der Mann unter dem Pantoffel steht, und unglückliche. Ich verlange nichts Besseres, als unter Deinem Pantoffel zu stehen, und es wird Deine Aufgabe sein, mich durch Sanftmuth, Nachgiebigkeit und Güte auch dahin zu bringen.“ Ob wirklich der große Heerführer, der im Felde durchs Schwert nicht zu besiegen war, zu Hause gegen den so leichtsinnig heraufbeschworenen Pantoffel unterlag, muß wohl eine offene Frage der Geschichte bleiben, für deren Lösung nur der eine Anhaltspunkt vorliegt, daß seine Ehe eine glückliche war.

In seiner ganzen Selbstlosigkeit zeigt sich Moltkes Wesen, als ihm der Tod die theure Frau entreißt. Er klagt nicht über seinen Verlust und möchte die Verstorbene nicht „aus besserem Dasein“ zurückrufen. „Ich hätte nicht gemocht, daß sie wieder erwache,“ lauten seine schlichten Worte, „sie hat ein selten glückliches Leben genossen und ist des traurigen Alters überhoben.“ Völlig hat er aber diesen Verlust nie verwunden; die „Sehnsucht nach der Ruhe des Kapellenberges“ in Creisau, wo er die sterbliche Hülle der Gattin beigesetzt, hat ihn im Innersten nie mehr verlassen. In den Briefen thut er ihrer nur noch einmal ausführlicher Erwähnung, mitten in den großen Ereignissen von 1870. „Ja, hätte Marie diese Zeitläufe noch erlebt!“ ruft er aus. „Aber ich [383] denke, die hingeschiedenen Menschen verlieren nicht die Kenntniß irdischer Dinge und ihr patriotisches Herz nimmt an allem theil.“

Die letzten Briefe, die wir von seiner Hand haben, beschäftigen sich immer weniger mit dem wechselnden Treiben des Tages, mit menschlichem Schicksal und Kampf. Fremde Personen hereinzuziehen, war nie seine Sache. Selten findet sich über Dritte ein Urtheil und nie ein mißgünstiges. Mit vornehmem Schweigen geht er über das weg, was er nicht sagen könnte, ohne anzuklagen. Die Erscheinungen der Natur sind es, die nun immer gesteigerter seine Aufmerksamkeit fesseln. Wer Schlachten lenken will, der muß stets die großen Linien wie die Kleinigkeiten einer Landschaft festhalten können und wird so von Anfang an die Natur gewiesen. Und ist er kein leidenschaftlicher Geist, sondern von jener machtvollen Ruhe, die hervorgeht aus der unbegrenzten Stetigkeit des eigenen Wirkens, so muß ihn je länger je mehr statt der Eintagsdauer menschlicher Dinge die Natur anziehen in ihrer Gesetzmäßigkeit, ihren ewig waltenden Kräften. So sehen wir den Feldmarschall in seinem geliebten Creisau „das Naturleben belauschen in der Stille der herabsinkenden Dunkelheit“. Und so oft der Frühling ins Land kommt, ist’s ihm „eine besondere Gnade“, noch einmal das Erwachen der Erde beobachten zu dürfen, und gerne hält er dann still auf dem Kapellenberg. „Der Rothdorn steht in voller Pracht und tausend Knospen des Rosenstocks an der Kapelle sind im Aufblühen“. Sinnend schaut er in die Ebene hinaus – seine Aufgabe ist gethan; zwar ist auch ihm nicht „der Tod ein ganz willkommener Gast“, aber doch drängt sich ihm schon geraume Zeit vor seinem Scheiden der Wunsch auf die Lippen: „Däs nächste Jahr möchte ich nicht mehr erleben.“

So klingen die Briefe leise aus wie Glockenton, der nach dem Kampf den Frieden kündet. Es ist verwunderlich, wie tief der Eindruck ist, den sie im Lesen hinterlassen, denn sie sind weder besonders geistreich noch tragisch bewegt, und Kleinigkeiten, wie sie der Tag bringt, sind genug darin. Aber „aus vielen kleinen Tagesgeschichten setzt sich am Ende eine Lebensgeschichte zusammen“, und hier eine, die durch ihre ungesuchte Schmucklosigkeit und Wahrhaftigkeit alles menschlich Echte, alle innere Größe um so reiner zum Ausdruck bringt. Frei von der nervösen Unruhe und dem blendenden Schein einer modernen Entwicklung, geht dieses Leben hin in tiefer Achtung vor dem Segen der Arbeit, im Dienst für die Majestät der Pflicht, im hoffenden Ausblick auf eine überirdische neue Welt des Geistes. Den Charakter, der hier vor uns steht, hat man „antik“ genannt. Aber warum zum Vergleich nach Fremdem greifen? Soll es doch für unser Gefühl das Höchste sein, wenn wir sagen dürfen: er war ein deutscher Mann, groß durch seine Thaten, größer durch die Selbstlosigkeit, aus der sie flossen, am größten durch den stillen und doch jedes ewige Interesse des Menschengeistes in sich befassenden Sinn, mit dem er beispiellose Erfolge trug. Die Geschichte kann ihm keinen schöneren Lorbeer reichen, als den er selbst sich gab im Sieg über alles Kleinliche und Häßliche.