Musik und Elektricität

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Autor: Georg Buß
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Titel: Musik und Elektricität
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aus: Die Gartenlaube, Heft 3, S. 92-93
Herausgeber: Adolf Kröner
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Erscheinungsdatum: 1892
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Musik und Elektricität.
Von Georg Buß.

In einer Zeit, in welcher die Elektricität von Jahr zu Jahr neue Verwendung für die verschiedensten Zwecke findet, in welcher der Phonograph die menschliche Stimme wiedergiebt und das Telephon dieselbe auf einige hundert Kilometer fortpflanzt, erscheint die Anwendung elektrischer Kraft für die Zwecke der Tonkunst sehr natürlich. Das ist nicht etwa so zu verstehen, daß die Elektricität einfach als Mittel benutzt wird, um bei Tastaturinstrumenten an Stelle der menschlichen Hand die Tasten niederzudrücken – eine solche Anwendung, welche thatsächlich schon längst geschehen ist, ergiebt nichts weiter wie einen Leierkasten, der sein Stück abspielt, ohne daß die menschliche Empfindung, die nur in den Anschlag mittels der Hand hineinzuströmen vermag, zu ihrem Rechte gelangt. Nein, es handelt sich um die Erzeugung der Töne durch unmittelbare Einwirkung der Elektricität auf die Saiten, wobei für die Hand der Druck auf die Tasten gewahrt und es mithin der menschlichen Empfindung unbenommen bleibt, sich im Spiel in reichstem Maße zu äußern.

Eine solche Erfindung liegt vor in dem „elektrophonischen Klavier“ des Dr. Richard Eisenmann, eines Berliner Rechtsanwalts. Dem Erfinder ist schon vor längerer Zeit ein Patent ertheilt worden auf „eine elektromagnetische Mechanik an Flügeln und Pianinos zu Verlängerung einzelner Töne, sowie zur Nachahmung anderer Instrumente“. Auf einem von Hagspiel in Dresden gebauten Flügel angebracht, wurde diese Erfindung auf der elektrotechnischen Ausstellung zu Frankfurt a. M. vorgeführt, und der Zudrang des Publikums zu dem Instrument bewies am besten, welches Aufsehen diese neue Verwendung der Elektricität in den weitesten Kreisen erregt.

Der Gedanke, ein Tastaturinstrument zu erfinden, an welchem man jeden Ton nach Belieben fortdauern und durch mehr oder weniger Druck auf die Tasten anschwellen bezw. abnehmen lassen kann, ist allerdings nicht mehr neu. Unter den älteren Versuchen ist besonders jener bemerkenswerth, welchen Dr. Florens Friedrich Chladni, der Begründer der Akustik als Wissenschaft und seltsamerweise von Beruf ebensalls Jurist, im Jahre 1880, allerdings auf völlig anderem Wege und ohne Elektricität, angestellt hat und welcher zum Bau seines Klavicylinders führte – eines auf Reibung beruhenden Instruments, dessen Hauptbestandtheile ein wagrecht gelagerter Glas- oder Zinkcylinder, abgestimmte Metallstreifen und eine Tastatur bildeten.

Mit diesem Klavicylinder konnte bereits der Ton vom pianissimo zum fortissimo gesteigert und in beliebiger Stärke festgehalten werden, wenn die Metallstreifen mittels der Tasten gegen den in schnelle Drehung versetzten Glas- oder Zinkcylinder gepreßt wurden, so daß Reibung entstand.

Chladni mag zll dieser Erfindung durch das von Benjamin Franklin erfundene Glasharmonium veranlaßt worden sein, das im wesentlichen aus einem drehbaren Kegel bestand, der aus ineinandergeschobenen und abgestimmten Gläsern zusammengesetzt war und auf welchem in der Weise gespielt wurde, daß während seiner Drehung mit angefeuchteten Fingern fester oder loser gegen die Oberfläche der einzelnen Gläser gedrückt und jedes derselben zum Tönen gebracht wurde.

Auch bei diesem wundervoll klingenden Reibungsibstrument, für welches sich die Gesellschaft zu Ende des vorigen Jahrhunderts lebhaft begeisterte und welchem insbesondere Jean Paul die größte Verehrung entgegentrug, kann der Ton zum Anschwellen gebracht und beliebig lange gehalten werden. Das Klavier dagegen, das Pianoforte und der Flügel, wie überhaupt alle Instrumente, auf welchen der Klang nicht durch Reibung, sondern durch Anschlag hervorgebracht wird, besitzen jene Eigenschaft nicht, so daß man Bindungen, synkopirte Noten und lange Aushaltungen, bei welchen die Töne nach dem ersten Angeben an Stärke zunehmen oder mit gleicher Stärke fortdauern sollen, nicht auf denselben vortragen kann. Erinnert sei nur an die Schwierigkeit, welche es kostet, im Schlußsatze von Robert Schumauns „Papillons“ (op. 2) das tiefe d sechsundzwanzig Takte hindurch zu halten.

Mit der Eisemnannschen Erfindung ist jene schwierige Aufgabe gelöst.

In seiner Lehre von den Tonempfindungen beschrelbt Helmholtz das berühmte Experiment, die Vokale der menschlichen Stimme durch eine Anzahl von Stimmgabeln nachzuahmen, welche durch Elektromagnete in Schwingungen gesetzt werden. Dadurch kam Dr. Eisenmann auf den Gedanken, Elektromagnete mit intermittierendem Strom als Erzeuger der Schwingungen für die Saiten des Flügels und Klaviers zu verwenden, um diese Instrumente gesangreicher zu machen und das Anschwellen und Halten der Töne zu ermöglichen. Demgemäß ist über jeder Saite ein kleiner Hufeisenelektromagnet in geringer Entfernung angeordnet. Alle diese Elektromagnete sind befestigt an einer quer über die Saiten laufenden Leiste. Das eine Drahtende aller Elektromagnete ist an eine gemeinsame Metallschiene gelegt, welche durch den Druck auf ein Pedal mit dem einen Pol einer galvanischen Batterie verbunden wird, deren anderer Pol mit Stromunterbrechern in Verbindung steht. Das zweite [093] Drahtende eines jeden Elektromagneten führt zu je einer Metallfeder, welche durch das Anschlagen der Taste die Schließung der Batterie, unter gleichzeitiger Einschaltung der Stromunterbrecher, herbeiführt.

Jene Stromunterbrecher, als welche der Erfinder anfänglich Stimmgabeln, dann aber mit vortrefflichem Erfolge Mikrophone verwendet hat, sind nothwendig, damit die Saiten an dem Elektromagneten unter der Einwirkung des Stromes nicht haften bleiben, sondern wieder abgestoßen werden. Das eingestrichene a schwingt in der Sekunde 440, das zweigestrichene a 880 und das dreigestrichene a 1760 mal. Wird das dreigestrichelte a angeschlagen, so muß also der Strom 1760 mal unterbrochen werden.

In dem Augenblicke, wo nun das vorerwähnte Pedal niedergedrückt und eine Taste angeschlagen wird, fließt ein Strom durch die Umwindungen des zugehörigen Elektromagneten und durch die Mikrophone; diese unterbrechen den Strom ebenso oft, wie die Saite Schwingungen macht, und dieser schwingende Zustand der Saite kann solange angehalten werden, als die Taste niedergehalten wird: so klingt der Ton in gleichmäßiger Stärke beliebig lange fort. Drückt man die Taste nur mäßig nieder, fließt also weniger Strom zu den Elektromagneten, so tönt die Saite leise, um aber stärker und stärker anzuschwellen, je tiefer die Taste herabgedrückt wird und je kräftiger der Strom wirkt.

Die Mikrophone ruhen auf einem dünnen Brettchen über den Saiten, sie könnten aber ebenso gut unmittelbar auf oder unter dem Resonanzboden angebracht werden.

Werden nun zwei oder mehrere Tasten angeschlagen, so theilt sich der Batteriestrom in ebenso viele Zweigströme, welche durch die zu den betreffenden Saiten gehörigen Elektromagnete und Stromunterbrecher fließen und daher nach dem Verhältniß ihrer Verzweigung schwächer werden. Dementsprechend wird auch die Wirkung der Elektromagnete auf die Saiten schwächer und die Tonstärke geringer sein. Um aber beim Anschlagen von Accorden eine unverminderte Tonstärke zu erhalten, ist noch ein besonderes Pedal angebracht, welches beim Niederdrücken die Leiste mit den Elektromagneten den Saiten nähert. Schon eine geringe Annäherung der Elektromagnete an die Saiten genügt, um die Wirkung der ersteren erheblich zu verstärken, da die Anziehungskraft der Elektromagnete im quadratischen Verhältniß zur Entfernung von den Saiten wächst.

Bei der Vorführung der Erfindung in Frankfurt zeigte sich, daß die musikalische Wirkung des elektrophonischen Klaviers eine ganz eigenartige ist. Die gewöhnliche Klangfarbe des Klaviers ist völlig verändert, so daß eigentlich die Bezeichnung als elektrophonisches „Klavier“ nicht ganz zutreffend ist. In den höheren Lagen klingen die Töne ähnlich denen einer vom Winde bewegten Aeolsharfe, in den Mittellagen ähnlich jenen des Cellos und in den tieferen Lagen ähnlich jenen der Orgel und des Harmoniums. Die Vereinigung dieser verschiedenfarbigen Klänge des Instruments ergiebt eine eigenartige, reizvolle Harmonie.

Nicht unerwähnt mag bleiben, daß gleichzeitig elektrisch und mit dem gewöhnlichen Hammerwerk, also gemischt gespielt werden kann. Ebenso ist es möglich, den ganzen elektrischen Apparat völlig außer Thätigkeit zu setzen und einfach wie bisher zu spielen. Auch ist der Apparat an jedem beliebigen Flügel oder Pianino anzubringen, erforderlich sind nur die Elektromagnete, die Mikrophone und eine Batterie von mehreren Elementen welche aber fortfällt, sofern Anschluß an eine elektrische Leitung vorhanden ist.

Was dem Erfinder bei dem elektrophonischen Klavier noch zu thun übrig bleibt, das ist, die Stärke und Modulationsfähigkeit der Töne zu steigern und zu ermöglichen, daß der Spieler den Klangkörper noch mehr wie jetzt beherrschen und seine Empfindung nachdrücklicher in denselben übertragen kann. Aber es steht zu erwarten, daß auch nach diesen Richtungen in kurzem Fortschritte erzielt werden, welche das Instrument zu einem nach unsern Begriffen denkbar vollkommenen erheben.

Jedenfalls handelt es sich um die geniale Lösung eines Problems, welche auf musikalischem Gebiete die bedeutsamsten Nachwirkungen erzeugen dürfte. Zwar behaupten viele, daß unsere gegenwärtigen Flügel und Pianinos das Ausgezeichnetste leisten. Allein dasselbe glaubten auch zu Anfang dieses Jahrhunderts Beethoven und die berühmte Firma Broadwood zu London von den ihrigen. Damals schrieb Beethoven in einem vom 3. Februar 1818 datierten Briefe an jene Firma, daß der ihm geschenkte kostbare Flügel vollkommen sei und ihn zu neuen Inspirationen begeistern werde. Noch jetzt wird jener wenig bekannte Brief von der Firma als ein heiliges Vermächtniß aufbewahrt. Und in unseren Tagen hat sich Hans von Bülow veranlaßt gefunden, in seiner Cottaschen Beethoven-Ausgabe eine Stelle in der As-dur-Sonate (opus 110) umzukomponieren, weil dieselbe nur in Rücksicht auf Beethovens unzureichendes Instrument in solcher verbesserungsbedürftigen Weise habe entstehen konnen.

Man ersieht aus diesem Beispiele am besten, daß anscheinend Vollkommenes immer durch noch Vollkommeneres ersetzt wird und daß auch auf dem Gebiete der Tastaturinstrumente kein Stillstand stattfinden kann. Fortschritt ist auch auf diesem Felde der Arbeit die einzig gültige Losung.