Nestroy und der Mann des Juxes

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Titel: Nestroy und der Mann des Juxes
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aus: Die Gartenlaube, Heft 2, S. 31–32
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1869
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[31] Nestroy und der Mann des Juxes. Der Schauspieler Ignaz Stahl war vor drei Jahrzehenten ein sehr verwendbares Mitglied des Theaters an der Wien und eine grundehrliche Haut; – aber er war dabei so possirlich zänkisch und bärbeißig, daß er jahrelang der Mann des Juxes war für seine Collegen. Wenn man es zu arg mit ihm trieb, wurde er grob wie ein Sesselträger und man ließ ihn einige Tage in Ruhe.

Aber wie zu seiner Zeit es den Arm juckt, der an den Aderlaß gewöhnt ist, so juckte es auch den Schauspieler Stahl, wenn man ihm zu seiner Zeit keinen Possen spielte, an den er gewöhnt war. „Laßt mich ungeschoren!“ brüllte er. Und wenn man ihn ungeschoren ließ, schien sein Auge wehmüthig zu fragen: „Warum scheert Ihr mich denn nicht?“ Der Arme konnte den Aderlaß nicht mehr entbehren.

Es ist eine Stunde vor der Vorstellung. In der Herrengarderobe des Theaters an der Wien finden wir sie alle bei einander die lustigen und traurigen Räthe der papiernen Krone: die Komiker Scholz, Nestroy, Grois, Hopp, den herrischen Kunst, den schönen Gämmerler, den grimmigen Spielberger und andere Musensöhne, die einen Spectakel machen, daß ihre jungfräulichen Mütter ihnen sicher einen strengen Verweis gegeben hätten, wenn ihnen der Weg vom Apollo bis zum Director Karl nicht zu weit gewesen wäre.

Das Bühnenvölkchen lebte in der Zeit der goldenen Laune und bot eine Anzahl von theuern und billigen Späßchen im Ausverkauf feil, wie z. B. die sogenannten „Bären“, die damals Castelli aus der Wildniß herbeigezogen. Wenn Scholz mit seinem eisernen Ernst im Gesicht seine „patscheten Bären“ oder „Rathsel“ vorführte, brach man sich vergebens die Köpfe, denn die Lösung war zu blitzdumm, um von gewöhnlichen Menschenkindern gefunden zu werden.

„Aufgepaßt, meine Herren!“ rief Kunst. „Ein Bär, oder vielmehr Räthsel als Bär: Die Erste ist das Haus eines Gimpels, – die beiden letzten war Friedrich der Große und das Ganze ist der Vater eines sehr bekannten Lumpen.“

„Nest–roy! Nest–roy!“[1] riefen Alle nach ein paar Secunden.

„Richard Löwenherz hat sich blamirt! Da weiß ich ein ganz anderes ‚Rathsel‘, das nicht so leicht zu lösen ist,“ bemerkte Scholz mit höchst wichtiger Miene.

„Das wird wieder was Sauberes sein!“

„Heraus damit, Wenzel! Laß den wilden Bären los!“

„Es ist ein Rathsel in vier Silben. Die Erste ist ein Engländer, die Zweite ein Vieh, die beiden letzten eine Engländerin und das Ganze hat heute mein Pudel gefressen. Was ist das?“

Die Gesellschaft sann nicht lange nach, denn, wie gesagt, die „Rathsel“ des Komikers Scholz waren zu berüchtigt, um sich mit ihnen lange zu befassen.

„Die Lösung! Die Lösung!“ begehrten Alle.

Serviladi!“ sagte Scholz.

„Bravo, Wurstmacher! bravo!“

Die Bärenjagd wurde unterbrochen, denn Stahl, der Mann des Juxes, trat in strengster Balltoilette in die Theatergarderobe und in den Kreis seiner staunenden Collegen.

„Was hast denn Du heut vor, Nazi?“ frug Nestroy.

„Ich bin zum Ball und Hochzeitschmaus geladen,“ antwortete der Gefragte mit wohlgefälligem Schmunzeln, indem er sich schnell auskleidete und sich in’s Costüm seines zärtlichen Bühnenvaters warf. „Mein Ballkleid, – meine Cravatte und Stiefel bleiben unberührt auf meinem Platz!“ befahl er streng dem Garderobier. „Ich muß mich über Hals und Kopf umkleiden nach meiner letzten Scene!“

Die lustigen Brüder waren mäuschenstill, – blinzelten jedoch mit fragenden Augen auf Nestroy hinüber, der offenbar wieder über einen neuen Schabernack brütete.

Die Vorstellung begann und haspelte sich ziemlich rasch und lebendig aus der trocknen Kehle des durstigen Souffleurs. Im dritten Acte, während Stahl als zärtlicher Vater das Liebespärchen auf der Bühne mit aller Salbung segnete, – stand Nestroy mit einem vollen Bierkruge, umringt von den Verschworenen, in der Garderobe und füllte eines der glänzend lackirten Ballstiefelchen fast bis zur Hälfte mit edlem Gerstensaft an. Der Vorhang fiel. Stahl stürzte in die Garderobe, warf das Theatercostüme von sich, brachte eiligst seinen Kopf in Ordnung, schlang sich die weiße Cravatte um den Hals, legte die Beinkleider an und fuhr hastig mit einem Fuß in den gefüllten lackirten Stiefel hinein. Der edle Gerstensaft machte sich Luft und sprudelte in zwei rothen Fontainen an beiden Strupfen empor. A tempo hörte man ein gewaltiges Grunzen, wie in van Aken’s Gesellschaftssaal bei der Fütterung, sah den Mann des Juxes wie einen Kautschukmann bis zum Plafond emporschnellen und, als er wieder auf festen Füßen stand, dem Schneiderjungen in die Haare fahren, daß dieser ein Zetergeschrei erhob, als müßte er der Löschmannschaft einen Theaterbrand signalisiren.

Das gutmüthige Künstlervölkchen blickte mit der rührendsten Theilnahme auf den unglücklichen Collegen und brachte eiligst aus allen Winkeln Schuhwerk herbei, um ihm so schnell als möglich aus der Noth zu helfen. Nestroy bot ihm Filzgaloschen, Scholz ein paar alte Pelzstiefel, Gämmerler sogenannte Kanonen, Grois rothe Schnabelschuhe aus den Zeiten der Madame Pompadour, Kunst seine hirschledernen Ritterstiefel und Hopp ein Paar zerrissene Pantoffeln. Aber Stahl schleuderte seinen Collegen die Gaben der Liebe an die Köpfe und schrie zähneknirschend die Fäuste ballend: „Gebt mir den Bösewicht her, der mir das angethan hat! Gebt ihn mir her – mir kömmt’s auf einen kleinen Mord nicht an! Aber es soll der letzte Streich sein, den Ihr mir gespielt habt, das schwör’ ich Euch!“

[32] Er hatte jedoch falsch geschworen, denn noch in derselben Woche wurden ihm zwei andere lose Streiche gespielt. –

Stahl hatte sich oft auf das Bitterste beklagt, daß er in allen Novitäten nur mit unbedeutenden kleinen Rollen oder Episoden betheilt wurde. An einem Abende brachte ihm der Theaterdiener zu einer neuen Posse, die auf dem Repertoire stand, seine Rolle in die Theatergarderobe.

„Morgen um neun Uhr Probe und Abends Vorstellung, Herr Stahl!“ sagte der Theaterdiener Maxel phlegmatisch, indem er sich den Empfang der Rolle bestätigen ließ.

Die Rolle war ein Ungeheuer, wie sie kein Mime noch gesehn. Stahl wog sie mit einem Gesichte, das kein Spiegel wiedergeben kann, in der Hand. Eine Rolle von mindestens zwanzig Bogen! Und die sollte er bis morgen studiren, – es schwindelte ihm vor Entsetzen und Entzücken! Nach der Vorstellung lief er nach Hause, als ob ihm der Kopf brannte, ließ eine halbe Klafter Holz in den Ofen werfen, schwarzen Kaffee sieden, hüllte sich in seinen Schlafrock, zündete eine Kerze an und nahm das Ungeheuer in die Arbeit. Es war von der ersten bis zur hundertundvierundsechszigsten Seite ein schwülstiger, bombastischer Unsinn, aber Stahl declamirte ihn mit so kräftiger Stimme und so begeistert, als ob ihn Shakespeare oder Goethe gedichtet hätte. Er brauchte drei volle Stunden, bis er die Rolle ein einziges Mal durchgelesen, – und als er sie zwei Mal, drei Mal durchgelesen, wußte er noch immer nicht, was er gelesen hatte.

„Was muß denn das für ein Charakter sein?“ frug er kopfschüttelnd. Ich kenne mich nicht aus. Und diese Sprache, – bald in Versen, bald in Prosa, – bald local-, bald reindeutsch, – bald im jüdischen, bald im böhmischen Dialect, – sogar hebräisch und türkisch oder so was dergleichen hab’ ich einige Seiten zu reden. Zudem finde ich gar keinen Zusammenhang. Man weiß nicht, was der Mensch eigentlich will und warum er so viel plaudert. Eine verflucht schwierige Aufgabe das! Aber ich will sie lösen, mit Ruhm und Ehre lösen, damit sich der Director endlich überzeugt, welch’ ein schätzbares Mitglied er an mir hat!“

Stahl büffelte fort bis zum frühen Morgen, – und als er sich fast verrückt gebüffelt hatte, wankte er wie ein Trunkener zur Probe.

„Hinaus! Hinaus! Ihr Stichwort, Herr Stahl!“ rief der Inspicient nach der dritten Scene.

Mit übereinander geschlagenen Armen betrat Stahl die Bühne und declamirte mit Pathos:

„Ihr Götter seht, zum hüpfenden Gesellen
Springt nackt die keusche Nymphe aus den Wellen, –
Und die Kanonen donnerten am Meeresstrande,
Heil dir, mein Siegeskranz, im Vaterlande!“

„Was zum Teufel sprechen Sie denn da?“ rief höchst erstaunt Director Karl, der persönlich die Probe leitete.

Aber Stahl ließ sich nicht decontenanciren und declamirte weiter:

„Und innig küßt die leichtgeschürzte Dirne
Des weißen Stieres hochgewölbte Stirne,
Indeß Endymion ganz ruhig saß
Und Hammelfleisch mit sauren Gurken aß.“.

„Sind Sie toll geworden? Geben Sie mir Ihre Rolle!“ schrie der Director, indeß das lose Gesindel auf der Bühne und hinter den Coulissen Grimassen schnitt, wie Jemand, der niesen will und nicht darf.

Nachdem Karl das Ungethüm von Rolle empfangen und ganz verblüfft durchblättert hatte, rief er den Theaterdiener.

„Wie kommt Herr Stahl zu dieser Rolle, Maxel?“

„Sie ist ihm zugetheilt!“ antwortete der Theaterpudel. „Da, unter dem Titel der Posse, steht der Name Stahl unter dem Ihrigen, Herr Director.“

„So, so! Und wie bist Du zu dieser Rolle gekommen?“

„Wie zu den anderen. Ich habe sie in der Kanzlei in meiner Mappe gefunden.“

„Schon gut! Herr Stahl, man hat sich wieder einen Jux mit Ihnen gemacht. Sie haben in dem heutigen Stücke einen alten ehrwürdigen Diener zu spielen und nichts weiter zu sagen, als ‚Die Pferde sind gesattelt!‘“

Die Pferde sind gesattelt!!“ brüllte Stahl, daß die Logen zitterten und die Sperrsitze krachten, und stürzte davon, daß das Podium erbebte und die Donnermaschine zu arbeiten anfing.

„Ich kann den Eulenspiegel errathen, der sich da wieder einen Jux gemacht,“ sagte Director Karl, indem er einen Seitenblick auf Nestroy warf, – und er hatte richtig gerathen.

Freilich war es Nestroy, der aus hundert Blättern der Theater-Maculatur eine Rolle geschaffen, die den armen Stahl so stolz und fast verrückt gemacht hatte.

  1. Der Verfasser der Posse „Lumpaci-Vagabundus“, wie bekannt.