Neueste englische Literatur

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Titel: Neueste englische Literatur
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aus: Das Ausland, Nr. 45; 47–50. S. 177–178, 186–187, 190–191, 194–195, 199–200.
Herausgeber: Eberhard L. Schuhkrafft
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1828
Verlag: Cotta
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Erscheinungsort: München
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[177]

Neueste englische Literatur.


Es bedarf nur eines oberflächlichen Blickes in die englische Literatur, um sich zu überzeugen, daß die Bildung, deren Produkt sie ist, das ausschließliche Eigenthum der höhern Stände sey. Wenn Voltaire’s Werke in den Händen des Tagelöhners, des Bettlers sind, der sich in der abschreckendsten Gestalt auf den Straßen von Paris umhertreibt; wenn Tasso’s unsterbliche Gesänge noch jetzt in dem Munde der Barcarolen von Venedig leben[1]: so würde der englische Landmann dagegen die Sprache seiner Dichter, seiner Redner, seiner Gelehrten nicht verstehen. Dem guten Yorkshireman, der das Wort englisch noch in dem alten Sinne unseres Deutsch, nehmlich für deutlich braucht, begegnet es wohl, daß er von dem jungen Cockney, der ihn in Ausdrücken aus der Büchersprache seiner Gnade versichert, erwiedert: Speak Englisch, Sir, I do n’t understand your Latin!

Zwar hat in neuerer Zeit sich eine eigene Gesellschaft zur Verbreitung nützlicher Kenntnisse unter dem Volke (the Society of useful knowledge) gebildet und – so viel wir vernehmen – bereits den Anfang damit gemacht, eine ganze Bibliothek zum Gebrauche des Volkes herauszugeben. Doch dürfte die Hauptschwierigkeit, welche die Gesellschaft zur Lösung ihrer philanthropischen Aufgabe zu überwinden hätte, weniger die seyn, Bücher für das Volk zu schreiben, als dieses dahinzubringen, sie zu lesen, und besonders ihm die Mittel zu geben, welche bei jeder Lectüre vorausgesetzt werden: Zeit, Geld und Wohlseyn. So lange dafür nicht gesorgt ist, – wozu aber weder die Pauper-rates der Kirchspiele, noch die großmüthigen Subscriptionen in London hinreichen dürften – so lange wird auch die englische Literatur nie aufhören, gleich unserer deutschen, die Literatur einer Kaste zu seyn, und sich in Form, Gehalt und Richtung als solche kund zu geben.

Eine charakteristische Erscheinung in dieser Beziehung ist das, was die Engländer ihre literary season, oder überhaupt the season (die Jahreszeit) nennen. Wie in Deutschland die beiden großen Büchermärkte auf Ostern und Michaelis, in die Ferienzeiten unserer Conrectoren und Schulmeister fallen, so beginnt nehmlich in England der literarische Markt mit Anfang des Winters, – wo der hohe Adel und mit ihm die „gute Gesellschaft“ von seinen Landsitzen in das Westende von London zurückkehrt, – und dauert bis in den Sommer, wo derselbe die Stadt wieder verläßt. Um unseren Lesern eine vollständige und zugleich schnelle Uebersicht der neusten englischen Literatur zu geben, glauben wir daher nicht zweckmäßiger zu Werke gehen zu können, als indem wir ihnen eine fortlaufende Reihe von Berichten über den jedesmaligen Marktzustand des Tages mittheilen, denen dann – nach englischer Art – Auszüge oder Proben beigefügt werden sollen, weniger um zum Belege unseres Urtheiles zu dienen, als um selbst ein Urtheil hervor zu rufen.

Das Wichtigste, was seit Anfang dieses Jahres auf dem englischen Literaturmarkte erschienen ist, waren zwei biographische Werke: das Leben des größten Feldherrn und Staatsmanns, und das Leben des größten Dichters unserer Zeit: The life of Napoleon Buonaparte by W. Hazlitt (Lond. 1828. 4. vols. 8.) und Lord Byron and some of his Contemporaries by Leigh Hunt. (Lond. 1828. 4.)

Ueber Napoleon ist bereits so viel und von so vielen gewichtigen Autoritäten, und doch oft so albern und daher so widersprechend gesprochen und geschrieben worden, daß jeder, der mit der Versicherung auftritt: es sey nicht mehr möglich, etwas Neues über ihn zu sagen, und überhaupt in unserer noch durch ihn bewegten Zeit nicht möglich, sicher über ihn zu urtheilen, des allgemeinen Beifalls aller derer gewiß seyn kann, welche die Ueberzeugung haben, daß ihnen dieß in der That nicht möglich fallen würde. Allerdings ist es schwer, einen Thurm zu messen, wenn man unmittelbar am Fuße desselben steht; und am schwierigsten möchte ein solches Unternehmen während eines Erdbebens seyn; aber wir müssen zuvörderst gestehen, daß wir Napoleon weder für einen Thurm noch für einen Oger oder Polyphem halten, sondern für einen Mann, nahe der größten Höhe, die Sterblichen verliehen ist, aber keinesweges erhaben über jeden Maaßstab derselben. Außerdem scheinen uns zwölf Jahre eine hinreichende Entfernung zu seyn, um auch dem kleinsten Zwerge freies Urtheil über einen Riesen zu verstatten, und was die Bewegung betrifft, [178] von der wir hören, so nahmen wir wenigstens auf unserer Studirstube bisher keinen sonderlichen Effekt von derselben wahr.

Der Hauptgrund der irrigen Urtheile, die über Napoleon bisher gefällt worden sind, liegt ohne Zweifel in der Gewohnheit, große Männer nicht als das Geschöpf, sondern als Schöpfer ihrer Zeit zu betrachten, auf ähnliche Weise, wie z. B. das Feuer gewöhnlich nicht als das Produkt eines chemischen Prozesses, sondern als ein selbstständig wirkender brennder Stoff angesehen wird. So gilt Luther seit drei Jahrhunderten nicht als das Instrument, sondern als der Instrumentator, der Stifter der Reformation. Und schwerlich wäre man so inconsequent gewesen, nicht auch Napoleon für den Urheber der französischen Revolution zu erklären, wenn damit die unbedeutende Charge eines Secondelieutenants, die er bei dem Ausbruche derselben bekleidete, nicht allzuschwer zu vereinigen gewesen wäre. Und doch war Napoleon nie größer, als auf dem Congresse von Erfurt, wo er zum Erstaunen der versammelten Fürsten eine an sich gleichgültige Erzählung anfing: Comme j’étais encore simple lieutenant d’artillerie en second – und, als er das allgemeine Stillschweigen der Ueberraschung bemerkte, lächelnd sich verbesserte: Comme j’avais l’honneur d’être lieutenant d’artillerie en second! Die Masse der Thaten, welche den Pöbel in Erstaunen setzt, macht vielleicht den großen Mann, aber nur die innere Seele, das volle Bewußtseyn, das innige Gefühl der Menschheit den großen Menschen; und Napoleon war – noch mehr als das erste – das letztere.

Wir zählen uns nicht zu jenen blinden Verehrern Napoleons, welche seine Größe darein setzen, daß er, der ächte Republikaner, die Nothwendigkeit einer Dictatur unter den obwaltenden Umständen erkannt, die Zügel derselben kühn ergriffen, und mit Festigkeit gehandhabt habe; uns scheint häufig unter dieser Verehrung der Dictatur nur eine gewisse Unselbstständigkeit verborgen zu liegen, welche, der Freiheit unfähig, sich willig unter das Joch der Despotie beugt, und dieser – um mit der Zeit fortgeschritten zu scheinen – gern einen glänzenderen Namen leiht. Nein, Napoleon war kein Dictator einer Republik, und wollte dieß auch nicht seyn; er war Despot! Aber er war ein großer Mensch; und doppelt bewundern müssen wir ihn, wenn – durch den Gang der Ereignisse, den er nicht bestimmen konnte, zur Despotie hingedrängt, auf einem Standpunkte, auf welchem selbst denen, die darauf geboren werden, schwindelt, und auf welchem ihm die Menschenmenge zu seinen Füßen nur zu leicht als ein Haufen eklen Gewürmes erscheinen konnte – er dennoch nie das Gefühl der Menschenwürde vergaß.

Daß Walter Scott, ein so feiner Psycholog, Napoleon nicht von dieser Seite aufgefaßt hat, betrachten wir als einen großen Verlust der Literatur; doch müssen wir bekennen, daß dieser Mißgriff, der von vorn herein den Dichter unfähig machte, seinen Helden würdig darzustellen, entschuldigt wird, wenn wir die Schwierigkeiten bedenken, die Walter Scott zuerst als Engländer, und dann als Tory zu überwinden hatte. Wem es bekannt ist, welche Vorstellung man sich allgemein in England von Napoleon machte, den kann die verfehlte Schilderung eines so ächt nationellen Volksdichters nicht befremden; wir sind Walter Scott in der That Dank schuldig, daß er ungeachtet seiner eigenen, zum Theil wirklich albernen, Irrthümer, doch soviel dazu beigetragen hat, den bei der Masse seiner Landsleute verbreiteten Aberglauben, der sich Napoleon als eine Art von menschenfressendem Ungeheuer, einen Popanz der französischen Revolution, eine Ausgeburt der Hölle dachte, zu zerstreuen.

Hazlitt, ein bisher nur als Kritiker und Philosoph bekannter Schriftsteller, ist auf dieser Bahn in seinem Leben Napoleons schon einen beträchtlichen Schritt weiter gegangen; wobei ihm freilich sein Antagonismus gegen das englische Feudalwesen, welches den Poeten durch seine romantischen Reize gefesselt hielt, sehr zu Statten kam. Wir bedauern von dem Werk Hazlitts bisher nur einen zu kleinen Theil gesehen zu haben, um uns ein umfassendes Urtheil über dasselbe zu erlauben. So weit wir aber dasselbe gelesen haben, fanden wir kein Wort, welches die Sache der Freiheit verriethe. Die Revolution ist – wenn nicht so kurz, wie dieß in einer Geschichte Napoleons vielleicht der Fall seyn sollte – doch mit schneller und treuer Feder beschrieben; und was das Schwerste war, er hat die Charaktere der Hauptacteurs in diesem schrecklichen Schauspiel mit vielem richtigen Gefühl und großer Klarheit aufgefaßt, und dadurch für die gewöhnliche Lesewelt begreiflich gemacht. Er hat gezeigt, auf welche Weise Menschen in Ungeheuer verwandelt werden, und bewiesen, daß wenn Paris von Schurken angefüllt war, welchen Verbrechen jeder Art leicht und alle Laster angeboren waren, dieß nicht die Schuld der Revolution ist, sondern der alten Regierung, welche das Volk so tief entwürdigte, daß es in diesen Abschaum ausarten mußte, der dann die Urheber seines Elendes durch die Wirkung desselben züchtigte. –

[186]
Hazzlitt’s Leben Napoleon Bonaparte’s.

Hazzlitt’s Schilderung des Zustandes, welcher der französischen Revolution voranging, scheint uns gleich geeignet, den Geist wie den Styl seines Werkes, besonders der Walter Scott’schen Darstellung gegenüber, zu charakterisiren.

„Die Gerechtigkeit wurde offen, gleich jeder andern Waare, auf dem Markte gekauft und verkauft. Das Gesetz war nur ein zweckmäßiges Instrument in den Händen des Reichen gegen den Armen. Wer ohne Freunde oder ohne Geld in einen Gerichtshof kam, um Recht zu suchen, war sicher – so grob er auch beleidigt seyn mochte – mit einer noch gröberen Beleidigung und mit einer kränkenden Erniedrigung seiner hülflosen und schmachvollen Lage wieder hinauszugehen. Wenn er eine schöne Frau oder Tochter hatte, oder um die Geheimnisse eines Großen wußte, so hatte er weniger Grund zu verzweifeln. Der Bauer war bei übertriebener Arbeit halb verhungert, harten Worten und harten Schlägen ausgesetzt, unaufhörlichen Erpressungen und jeder Art kleiner Tyrannei unterworfen, sowohl von Seiten seiner erhabenen Herren, als ihrer Bedienten; während in den Städten eine Menge eben so ungesunder als unnützer Gewerbe und eine Ueberzahl trägen Gesindels die Laster der Großen pflegte, oder ihrem Stolz und Luxus fröhnte. Die Straßen und Dörfer waren von Bettlern und allen Gegenständen des Elends und Jammers erfüllt. Die Erziehungsweise und die Ansichten über die Behandlung der Armen und Hülflosen waren voll von Aberglauben und Barbarei, die man sich keine Mühe gab auszurotten, und die zu den traurigsten Folgen führten. Die Hoffnungen und Arbeiten des Landmanns wurden durch das Wild zerstört, das die Großen in ihren Jagdrevieren hegten; und wenn dasselbe in einem Anfalle von Ungeduld oder in drückender Noth erlegt ward, so war dieß eine Beleidigung, die nimmer vergeben wurde, weil sie weniger gegen das Eigenthum, als gegen die ausschließlichen Vergnügungen der Besitzer des Landes gerichtet war. Die Zehnten waren eine neue schwere Last. Bei der Auflage von Steuern wurde weder auf die Bequemlichkeiten noch auf die Bedürfnisse des Armen Rücksicht genommen, während die privilegirten Klassen völlig von denselben befreit blieben. Wenn ein reicher Mann einen armen schlug, mußte der letztere dieß stillschweigend ertragen; wenn ihm ein Haus oder Garten genommen wurde, und er klagte, so ward er in das Gefängniß geworfen. Ja es sind Fälle bekannt, wo das gemeine Volk, das auf der Straße seines Weges ging, oder Arbeiter auf den Gipfeln der Häuser, statt der Zielscheibe gebraucht und auf der Stelle erschossen wurden, ohne daß davon die geringste Notiz genommen worden wäre. Ein Ding, wie Freiheit der Presse, oder Geschwornengericht, oder überhaupt öffentliches Gericht und Zeugenverhör existirte nicht. Die große Masse des Volkes wurde von den Vornehmen als eine niedere Gattung betrachtet, deren Existenz nur geduldet wurde um jenen zum Gebrauch zu dienen; die Absicht war, sie in den möglichst niedrigen Zustand der Abhängigkeit und des Elendes zu versetzen, und sie denselben bei jedem Schritte fühlen zu lassen. Nur die menschliche Form, und kaum diese blieb ihnen übrig; in jeder anderen Beziehung waren die Hunde und Pferde der Großen besser daran und mit weniger Grausamkeit und Verachtung [187] behandelt. Die willkührlichen Haftbefehle des Hofes waren nicht so häufig als früher, aber es war keine Sicherheit gegen dieselben; so daß das Volk, erfreut über die Schonung, nicht unwillig über den Gebrauch der Macht war, gleich dem armen Vogel, der niederkauert und zittert, wenn er den Klauen des Habichts entgangen ist. Die Wahrheit zu reden, die Sache der Menschlichkeit zu vertheidigen, zog sicher immer die Rache der Regierung nach sich, und war eben so viel, als seine eigene Verurtheilung zu unterzeichnen. Loyalität war eine Folge der Berechnung schmutziger Gewinnsucht oder panischer Furcht. Keine Geistesgröße, kein Selbstvertrauen, keine Charakterstärke, sondern an deren Statt List, Verschmitztheit, lächelnder Betrug, zahmer Knechtssinn, Mangel an allem öffentlichen Gefühl; daraus entsprangen dann die Ausschweifungen der Revolution, als die Gewalt in die Hände eines Volkes kam, welches nicht im geringsten gewohnt war, dieselbe zu gebrauchen, und ungeduldig wurde bei jedem Hindernisse, welches sich seinen Wünschen entgegenstellte, aus Mangel an Achtung vor sich selbst und gegenseitigem Vertrauen. Daher die Verrätherei und das schwankende Wesen der Führer, die Wuth der Parteien. Marat widmete vor der Revolution sich ganz dem Studium abstrakter Wissenschaften, und vermied, sich in die Politik zu mischen, aus eingeständlicher Furcht vor der Bastille; es ist nicht zu verwundern, wenn in einem Geiste, gleich dem seinigen, dieses drückende und kleinmüthige Gefühl sich, als seine Reihe kam, zu rächen suchte, indem es denselben Schrecken auch Andern einflößte. Außerdem hatten die Sitten des Hofes das Aeußerste der Leichtfertigkeit und Verworfenheit erreicht, so daß die Tugend dadurch ihre Würde, das Laster jede Scham verlor. „Die Geistlichkeit, ausgeschlossen von den Freuden des häuslichen Lebens, suchte das zu beflecken, was sie nicht genießen konnte, und die allgemeine Ausschweifung für den Vortheil ihres Standes zu benützen. Ihre blutdürstige Bigotterie ward in nicht weniger hassenswerthen versteckten Skepticismus verwandelt, und in glatte, aber um so gefährlichere Nachsicht gegen die Laster der Individuen und die Mißbräuche der Gewalt. Am Hofe Verdorbenheit; in der Kirche Heuchelei; Leichtsinn und Ausgelassenheit im Volke. Der Einfluß des haut ton (wie dieß genannt wurde) hatte sich weit und breit verbreitet, hatte die Literatur durchdrungen und der Philosphie ein falsches und nachtheiliges Gepräge gegeben, indem die Laster des Hofes als unbestreibare Grundsätze der menschlichen Natur dargestellt wurden. Die ganze Gesellschaft war in einer falschen Lage. Alles was man von Loyalität wirklich übrig gelassen hatte, war die Bewunderung der letzten neuen Hoftrachten; von religiösem Eifer, das Verlangen einer imposanten kirchlichen Ceremonie zuzusehen, oder in eine leere Pfründe zu schlüpfen; das wenige, was noch von bürgerlicher Treue und häuslicher Ehrbarkeit im gemeinen Leben vorhanden war, wurde unter den Fuß getreten oder durch das Beispiel der höhern Stände zerstört. Die alte Regierung und die alten Institutionen hatten ihren Halt in den Vorurtheilen und Gefühlen der Gemeinheit verloren, und blieben eigentlich nur als ein Stein des Anstoßes im Wege der Verbesserung zurück, oder als eine gothische Ruine, welche auf die Verbesserer zu fallen und sie zu vernichten drohte; es war hohe Zeit, daß sie fortgeschafft wurde, um einer vernünftigeren und bei der gegenwärtigen Lage der Dinge natürlicheren Ordnung Platz zu machen. Ein System, welches seinen Ursprung in den Feudalzeiten und dem dunkeln Mittelalter hat, und das in dem Zeitalter der Vernunft und Forschung sein Feld behaupten will, ist eine eben so große Abnormität in der moralischen Welt, als eine Geistererscheinung am hellen Tage in der physischen seyn würde. Lächerlichkeit und Ekel treten in diesem Falle unabwendbar an die Stelle der Scheu und Verwunderung. In einem so unzusammenhängenden und unnatürlichen Zustande ist alles erzwungen und unächt. Alte Vorurtheile und Institutionen bleiben nur, um das Gedeihen neuer zu verhindern, oder denselben eine falsche Richtung zu geben, so daß sie, so lange dieß der Fall ist, zu keinem guten und bleibenden Zweck führen können. Eines von beiden: entweder muß die Gesellschaft rückwärts gehen, was doch kaum möglich ist, oder sie muß, jedem entgegenstehenden Hindernisse zum Trotz, vorwärtsschreiten.“ 1. Band S. 161–166.

Wir bedauern keinen Raum nehr für weitere Auszüge aus diesem in mancher Beziehung interessanten Werke zu haben, hoffen aber, sobald dasselbe vollständig in unsern Händen seyn wird, nochmals auf dasselbe zurückkommen zu können.

[190]
Leigh Hunt’s „Lord Byron und einige seiner Zeitgenossen.“

Nach Napoleon möchte vielleicht Byron der Name seyn, den die letzten Jahrzehnde in den widersprechendsten Beziehungen genannt haben; nur tritt uns sogleich, als ein wesentlicher Unterschied in den Charakteren dieser beiden größten Geister unserer Zeit – nicht von beiden ließe sich mit gleichem Recht sagen; the lions of the day – entgegen, daß der Feldherr jene Art der allgemeinen Aufmerksamkeit eben so sehr vermieden, als der Dichter sie gesucht zu haben scheint. Bei Napoleon war das Aufsehenmachen, wo er sich desselben [191] bediente, nur Mittel, bei Byron war es Zweck. Jene Eitelkeit, die allen adlichen Seelen angeboren ist und die am Ende nur in dem innigen Verlangen besteht, die unentwickelte innere Schönheit zur äußeren Erscheinung zu bringen und ebenbürtigen Geistern zur Pflege, zur Anerkennung und Vereinigung anzubieten, geht bei ebenmäßig fortschreitender Bildung zuletzt in der vollsten Klarheit des Selbstbewußtseyns auf – wie dieß ohne Zweifel bei Napoleon der Fall war – während sie da, wo äußere Verhältnisse die Bildung des Verstandes, des Gefühls oder des Willens zurückdrängen, bald in krampfhafte Verzerrungen ausbricht, welche oft die edelsten Keime zerstören. Wenn Byron das Glück gehabt hätte, in einem Kreise geboren zu seyn, in welchem alle seine Fähigkeitn sich frei entwickeln konnten – also zuvörderst nicht in England – so wäre er ein großer Mann geworden; in der Lage, in welche er fast in allen Perioden seines Lebens sich versetzt fand, konnte er nur ein großer Dichter werden.

Das Werk von Leigh-Hunt, einem durch seine Poesien und durch seine ultraliberale Zeitungspolitik[2] bekannten Freunde Byrons: „Ueber Byron und einige seiner Zeitgenossen,“ hat das doppelte Verdienst – wenn gleich ohne alles Wissen des Verfassers – auf der einen Seite zu zeigen, wie der größte Geist dem unablässig wiederholten Andrang der Gemeinheit allmälig Raum geben, und mit dem unedlen Stoff, der ihn umweht, sich wenigstens äußerlich in vieler Hinsicht assimiliren muß; auf der andern Seite uns ein schlagendes Beispiel von dem Eindruck zu geben, welchen Seelenadel auf Geister einer niedern Ordnung zu machen pflegt, wenn diese sich auch noch so sehr durch Verstand oder Gelehrsamheit vor der gewöhnlichen Masse auszeichnen.

Zuvörderst versichert Hr. Hunt seine Leser, daß er nichts als die Wahrheit angeben wolle. Wir haben, ungeachtet des eben gesagten, zu viel Achtung vor seinem Charakter, als daß wir dieser Versicherung nicht in so weit glauben sollten, daß wir alle von ihm berichteten Facta wirklich für wahr annehmen; aber man darf nur einige Seiten des Buches gelesen haben, um zu sehen, daß Mr. Hunt mit dem Poeten sehr übel zufrieden war und unwillkührlich durch dieß persönliche Mißfallen in seinen Urtheilen bestimmt wurde.

Byron war, nach Mr. Hunt, der Leidenschaft der Liebe unfähig, wenigstens in der Art, die er allein Liebe nennt, und die in der That eine sehr besondere seyn muß. Was er selbst aber unter dieser Leidenschaft versteht, wird uns nicht berichtet. Nachdem er von der körperlichen Gewandheit Byrons und dem verwegenen Gebrauch, den der Dichter von derselben machte, gesprochen hat, zieht er daraus – wie es scheint – den Schluß, daß es ihm an Muth fehlte. „Byron war ein guter Reiter, fährt er fort, saß schön zu Pferde und hielt einen festen Sitz. Er hörte gern davon reden, und – um die Wahrheit zu sagen – es war ein Vergnügen, ihm davon zu reden. Guter Gott! welche Huldigungen würde dieser Mann nicht gefunden, welche Liebe und welches Vergnügen erweckt haben, wenn er sich mit der Wahrheit hätte begnügen können, und wenn er selbst Wahrheit genug besessen hätte, um etwas besser von seinen Nebenmenschen zu denken! Aber stets suchte er die unzugänglichsten Quellen der Zufriedenheit. Den ersten Tag, als wir mit einander ausritten, scherzte er über das schlechte Reiten dieses und jenes seiner Bekannten. Sichtlich hoffte er, das Vergnügen zu haben, mich der Liste beifügen zu können; und als er fand, daß bei dem Schauspiele meiner Reiterei eben nichts besonderes zu bemerken sey, sagte er in einem Tone, der seine verfehlte Erwartung ausdrückte: „Wie, Hunt, Sie reiten ja ganz gut!“ Wir führen diese kleine Anekdote an, weil sie uns charakteristisch für die Beurtheilung – nicht nur Byrons durch Mr. Leigh Hunt, sondern jedes ausgezeichneten Menschen durch die gewöhnliche Menge zu seyn scheint. Ein große Naturerscheinung macht immer den Eindruck des Erhabenen, weil in der physischen Welt ein Maaßstab der Vergleichung vorhanden ist. In der Geisterwelt dagegen, in dem Gebiete des Unendlichen, ist kein Unterschied zwischen groß und klein; jeder Mensch glaubt als geistiges Wesen gleiche Ansprüche auf Geistesgröße zu haben, und wenn er dennoch gezwungen wird, die Ueberlegenheit eines andern anzuerkennen, so betrachtet er dieß als ein ihm wiederfahrenes Unrecht, als persönliche Beleidigung. Menschen, die wirklich groß sind, werden daher in der Regel gehaßt und verfolgt, die nur groß scheinen wollen, verhöhnt oder ausgelacht; der größte Triumph aber, und leider! nicht bloß des Pöbels, ist es, wahre Größe ableugnen und mit einigem Schein als eitle Anmaßung an den Pranger stellen zu können.

Es war uns ein schmerzliches Gefühl zu sehen, daß ein Mann, den Byron seinen Freund nannte, dem großen Dichter, dem edlen Menschen, dem sein ganzes Leben hindurch vom Unglück verfolgten und dennoch standhaften Kämpfer nach seinem Tode diesen letzten Dienst erweisen mußte; möge es uns verziehen werden, wenn wir durch eine Betrachtung, die vielleicht nur für Wenige Interesse hat, uns auf einen Augenblick von den allgemein interessanten Thatsachen abziehen ließen, von denen Hunt’s Memoiren eine so reiche Fülle darbieten.

[194] Einzelne Stellen aus Leigh-Hunts Memoiren sind durch die englischen Zeitungen auch in deutsche Journale übergangen; doch glauben wir, daß die Neugierde des Publikums durch dieselben mehr gereizt, als befriedigt worden ist, und hoffen, indem wir in diesen Blättern eine Reihe von Auszügen mittheilen, in welchen wir das von andern bereits gegebene zu vermeiden suchen, unsern Lesern eine nicht unangenehme Gabe darzubringen.

„Ich erinnere mich, eines Tages, als er da stand und aus dem Fenster sah, ihn auf das lebendigste dem Portrait ähnlich gesehen zu haben, welches Philipps von ihm machte, bei weitem das beste, was erschienen ist – ich meine das beste aus der besten Zeit seines Lebens, und das ähnlichste sowohl in den Zügen als im Ausdruck. Er saß dem Maler eines Morgens so lange, daß Lady Byron zweimal herauf sandte und ihm sagen ließ, daß sie auf ihn warte. Ihre Herrlichkeit pflegte in Henderson’s Garten zu fahren, um Blumen zu holen. Ich hatte nicht die Ehre sie zu kennen, und sah sie nur ein einziges Mal, als sie eben aus der Thüre trat. Sie hatte einen schönen ernsten Blick, mit einem wahren „Aepfelchengesicht,“ ein Epithet, mit welchem sie sich zum Scherz selbst bezeichnete. Der erste Besuch, den ich Byron machte, war gerade nach ihrer Trennung. Das Publikum, welches vielen Antheil an der Lady nahm, und mit Recht (da Frauenzimmer sich in ihren Verhältnissen zu dem männlichen Geschlecht stets im ungerechtesten Nachtheile befinden), hatte indeß keine Idee von der peinlichen Unruhe, welche ihr Gemahl damals empfand. Er war wirklich krank, sein Gesicht gelb von Galle; daß Lady Byron seiner Gesellschaft entsagte, hatte ihn ganz außer Fassung gebracht und war ihm, wie ich überzeugt bin, völlig unerwartet gewesen; dann regten die Angriffe, welche sich die Journale bei dieser Gelegenheit auf ihn erlaubten, sein Gefühl auf; und um alles zu krönen, so hatte er Exekution im Hause. – Uebrigens nahm er die Ursache der Zwistigkeit ganz auf sich, und bestach meine Selbstliebe so sehr für Lady Byron, daß er mir erzählte, ihr gefiele mein Gedicht[3] und sie habe seinen Charakter mit dem von Giovanni, dem Gemahl meiner Heldin, verglichen. In ihm selbst sah ich nur eine edle Natur, vielleicht den Aufwallungen eines reizbaren Temperaments unterworfen, aber offen, gefühlvoll, äußerst bemitleidungswerth und – wenn ein Weib die Art wüßte, wie er geliebt seyn wollte, oder von andern ihr erlaubt würde, ihn zu lieben – äußerst liebenswürdig. Was mich um so wärmer für ihn einnahm, war ein Brief, welchen er mir zeigte, und den Lady Byron geschrieben hatte, da sie das Haus bereits verlassen und im Begriff war, zu ihren Verwandten zu gehen, die sie beredeten nicht mehr zurück zu kehren. Er war mit dem oben erwähnten Beiwort unterzeichnet und in dem Tone guter Laune ja sogar einer Zärtlichkeit geschrieben, die – obwohl nichts darin stand, was ein Weib nicht schreiben sollte und was ihr nicht Ehre machte zu schreiben – mir doch fast zu gut schien, um sie jedermann zu zeigen. Aber der Fall war außerordentlich und das Compliment für mich, mir den Brief zu zeigen, wurde dadurch um so größer. Ich wußte damals noch nicht, daß Seine Herrlichkeit die Gewohnheit hatte, einen jeden zu seinem Vertrauten zu machen, der ihm nahe kam: eine Indiscretion, die es zu einem um so größeren Glück für viele machte, daß seine Freunde meist sehr discret waren. Ich will jetzt meinen Lesern gerade heraus sagen, was ich über die ganze Sache denke. Jedermann weiß, was bei dem gegenwärtigen schönen Zustande der Verhältnisse zwischen beiden Geschlechtern unter Convenienz-Heirathen verstanden wird. Sie werden meist bald eben so wenig convenient, als Personen, die in die Jahre der Discretion kommen, geeignet werden, indiscret zu seyn. Byron’s Heirath, war – wenigstens von seiner Seite – eine Convenienz-Heirath, obgleich die Lady unter diesem Namen niemals etwas davon würde haben hören wollen. Er heirathete des Geldes wegen; doch warb er als ein Mann von Genie, und die Lady überredete sich selbst, sie habe ihn gern, theils weil er Genie hatte, theils [195] weil es natürlich ist, die zu lieben, welche sich bemühen, uns zu gefallen. Außerdem war der Poet darauf piquirt seine Dame zu gewinnen, weil sie in dem Ruf stand, sehr delicat in solchen Dingen zu seyn; und die Lady war darauf piquirt, sein Weib zu werden, nicht sowohl, weil sie den Herrn nicht schon vor der Heirath gekannt hätte; sondern gerade weil sie ihn kannte und hoffte, daß ihre Liebe ihre Aufrichtigkeit und ihre Ueberlegenheit sie in den Stand setzen würden, ihn zu bessern. Das Experiment war gefährlich und gelang nicht. Ein anderes Paar würde nun still gesessen und sein Glück der Eitelkeit, glücklich zu scheinen, geopfert haben. Lord Byron aber hatte zu viel Eigenwilligkeit und seine Gemahlin zu viel Offenheit – vielleicht auch zu viel Unruhe und Rachsucht. Die Ausschweifungen seiner Laune, denen er, (wenn er nicht gerade in der Stimmung war, sich selbst Vorwürfe zu machen), vielleicht über die Grenzen dessen, was er wirklich fühlte, nachgab, waren so beängstigend für ein junges und getäuschtes Weib, daß sie zu zweifeln anfing, ob er seiner Sinne mächtig wäre. Um hierüber zur Gewißheit zu kommen, ergriff sie Maßregeln, die ihn auf das äußerste beleidigten, und obgleich sie in gutem Vernehmen mit ihm war, als sie ein eben nicht angenehmes Haus verließ, um ihre Freunde auf dem Lande zu besuchen, und Lady Byron – wie ich keinen Zweifel habe – leicht von ihm zur Rückkehr hätte beredet werden können, wenn so viel Liebe oder nur Artigkeit auf seiner Seite gewesen wäre, als auf der ihrigen Verlangen, an seine Verdienste zu glauben, so ist es doch nicht zu verwundern, daß andre, welche sie soviel längere Zeit gekannt und geliebt, und welche kein Interesse dabei hatten, blind gegen seine Fehler zu seyn, sie überredeten weg zu bleiben. Das „Lebewohl,“ welches er schrieb und das so viele gefühlvolle weisse Taschentücher in Bewegung setzte, ging nur aus seinem poetischen Talente hervor, sich in eine eingebildete Lage zu versetzen und in der Gestalt eines andern sich selbst zu bemitleiden. Er hatte keine Liebe für den Gegenstand dieses Gedichts, sonst würde er nicht später über sie auf eine so völlig verschiedene Weise geschrieben haben. In der That, ich glaube nicht, daß er jemals das Glück hatte zu wissen, was wirklich Liebe ist; – wenn wir unter Liebe ein Verlangen verstehen, welches durch das Gefühl veredelt wird, und das Glück und die Erhebung des geliebten Gegenstandes bezweckt. Er konnte je und je eine Stelle schreiben, welche zeigte, daß er dieser Empfindung nicht unfähig war; aber die Leidenschaft, bei welcher es ihm Vergnügen machte zu verweilen, ist entweder die von muthwilligen Knaben, die eben die Schule verlassen haben, oder von Heldinnen, die sich mit Vergnügen einem etwas eigensinnigen Helden hingeben.“ –

„Es ist kein Zweifel, daß Lord Byron den Scandal der Trennung tief fühlte. Auch ist wahrscheinlich, daß er um so mehr nach der Anhänglichkeit seines Weibes sich zu sehnen anfing, als er sah, daß sie nicht zurückkehren würde. Die Unmöglichkeit, sie zu besitzen, gab ihr in seinen Augen einen höhern Werth. Auf alle Fälle piquirte die Lady seinen Eigensinn, der seine schwache Seite war; alle Cirkel wurden laut, ihn zu verdammen; auch war er besorgt um sein Kind, auf welches er, als seinen einzigen Repräsentanten und den Abkömmling zweier alten Familien, wenigstens vielen Stolz setzte. Aber diese Gefühle, welcher Art sie immer waren, hinderten ihn nicht, seinen Unwillen auf eine Weise zu äußern, welche alle seine Freunde beklagen müssen, noch auch sich später aller jener ehelichen Eigenthumsrechte zu bedienen, welche die galante und ritterliche Gerechtigkeit des stärkern Geschlechtes sich selbst zuertheilt hat, um einen Trost dafür zu haben, daß es nicht im Stande ist, das Weib glücklich zu machen.“

[199] Von dem Unterhaltungstone Byron’s gibt Mr. Hunt uns einen sehr unvortheilhaften Begriff: „Lord Byron konnte keine Conversation führen, wenn wir dieß Wort im eigentlichen Sinne nehmen. Er war nicht im Stande seine Ideen oder Ansichten auszutauschen, wie man von einem wissenschaftlich gebildeten Manne erwartet. Seine Gedanken bedurften der Concentration der Stille und des Studiums, um zur Klarheit zu kommen, und legten dann das Resultat in Form einer Stanze nieder. Seine Bekanntschaft mit der Literatur war sehr beschränkt. Dieselbe persönliche Erfahrung indessen, die er sehr richtig als die Quelle seiner Schriftstellerei benutzte, würde ihn zu einem weit interessanteren Gesellschafter gemacht haben, als viele, die besser reden konnten; und der Grund, weshalb seine Unterhaltung die Erwartung täuschte, war nicht, daß er nichts zu reden gewußt hätte, sondern daß er von einer beständigen Affektation geplagt war, und nicht aufrichtig seyn konnte. Es waren nur vorübergehende Anfälle, wenn er im Ernst sprach, oder keine außerordentlichen Aufschlüsse (extraordinary disclosures) gab, indessen wußte man nie, was in seiner Rede Ironie war. Sein gewöhnlicher Ton waren Sticheleien und Scherze, aber nicht von der angenehmsten Art, und eben so weit von einfacher Gradheit als von wahrem Witze entfernt. Das Beste, was man davon sagten konnte, war, daß er wußte, daß Spielerei mit Größe verträglich ist, und das schlimmste, daß er glaubte, alles an ihm sey groß, selbst bis auf seine Gemeinheiten. – Wenn er diesen und jenen Anspruch aufgegeben hätte, so würde er wie ein Mann gesprochen haben, und nicht wie ein bloßer Elegant oder wie ein verzogener Schulknabe. Man darf jedoch hieraus nicht folgern, daß seine Scherze nicht zuweilen in der That sehr glücklich waren, oder daß Bewunderer Seiner Herrlichkeit, die ihm Besuche machten, ihn nicht oft mit noch größerer Bewunderung verließen; ich rede nur von seiner Unterhaltung im allgemeinen und von dem Eindruck, den sie machte, verglichen mit dem, was man von einem Manne von Geist und Welt erwarten konnte.“

„Seine Lieblingslectüre waren Geschichte und Reisebeschreibungen. Ich glaube, daß ich mich nicht irre, wenn ich Bayle und Gibbon seine Lieblingsautoren nenne. Gibbon war ein Schriftsteller, ganz gemacht, ihm zu gefallen. Er hatte eine gewisse Prunksucht, einen Weltton, eine Selbstgefälligkeit und ein Spiel mit Sarcasmen, eine Vorliebe für aristokratisches Wesen, mit einer Tendenz, in andern Punkten liberal zu seyn, und, um allen diesen Eigenthümlichkeiten die Krone aufzusetzen, den glänzendsten Erfolg in der literarischen und einen hohen und piquanten Standpunkt in der modischen Welt, lauter Eigenschaften, welche die stärkste Sympathie in dem Busen seines adelichen Lesers fanden. Dazu kam, daß Gibbon in seinem Privatleben ein wollüstiger Einsiedler war; er hatte seinem Aufenthalt in der Fremde Celebrität gegeben, besaß die schuldige Achtung vor den Verdiensten des Ranges und des Reichthums, und war endlich, was vielleicht nicht als unbedeutend betrachtet werden darf, gleich Byron kein Redner im Parlament. Ich füge noch hinzu, daß sein mühsam ausgearbeiteter Stil dem Freunde des Erkünstelten in der Poesie gefiel, während der cynische Genius seiner Satire sich an dem Gebilde eines Don Juans ergötzte. Endlich versah seine Gelehrsamkeit und Forschung den nachläßigen Schriftsteller mit dem Wissen, welches er in der Schule gelassen hatte.“

„Byrons Büchersammlung war arm, und bestand größtentheils nur aus neueren Werken. Ich erinnere mich wenig mehr bei ihm gesehen zu haben, als die bekannten Basler Ausgaben englischer Werke und einige neuen, die ihm gelegentlich von England gesandt wurden. Er vergaß nie, darauf aufmerksam zu machen, daß er Shakspeare und Milton nicht besäße; „weil,“ sagte er, „man ihn beschuldigt hätte, von ihnen geborgt zu haben.“ Er affectirte zu zweifeln, ob Shakspeare ein so großer Genius gewesen sey, als man angenommen, und ob nicht ein großer Theil an dieser Meinung auf Rechnung der Mode komme – eine Verleugnung, deren sich nur ein hochadlicher [200] Schriftsteller schuldig machen konnte. Doch lag dieser Ansicht ein größeres Zugeständniß zu Grunde, als er selbst vermuthen mochte; vielleicht hatten die Umstände ihn wirklich außer Stand gesetzt, einen richtigen Begriff von Shakspeare zu haben, obgleich seine Ueberzeugung gewiß der Wahrheit näher stand, als sein ausgesprochenes Urtheil. – Spenser konnte er gar nicht lesen, wenigstens versicherte er dieß. Der Geschmack dieses poetischsten aller Poeten stimmte mit dem seinigen in nichts überein. Ich lieh ihm einen Band der Fairy Queen (Feenkönigin) und er sagte: er wolle versuchen, Gefallen daran zu finden. Des andern Tages brachte er mir ihn zurück und sagte: „Hier, Hunt, hier ist euer Spenser. Ich kann nichts darin finden;“ wobei er es nicht erwarten zu können schien, daß ich ihm das Buch aus der Hand nehme, als ob er gefürchtet hätte, daß man ihn beschuldigen könnte, einen so unbedeutenden Schriftsteller nachgeahmt zu haben. Daß er wirklich gar nichts in Spenser fand, ist nicht sehr wahrscheinlich: aber ich glaube in der That, daß er nicht viel darin fand. Spenser war zu sehr außer, und er zu sehr in der Welt.“

Außer diesen Erinnerungen an Byron finden wir in Hunts Memoiren mehrere Züge von Thomas Moore, Campbell, Hook und andern public characters, von denen wir hier nur in Bezug auf die beiden letztgenannten Einiges ausheben wollen.

„Als ich diesen ausgezeichneten Mann (den Dichter Campbell zuerst sah, machte er auf mich den Eindruck eines französischen Virgils. Nicht daß er einem Franzosen gleichsähe, und am wenigsten dem französischen Uebersetzer Virgils – vielmehr fand ich ihn so hübsch, als der Abbé Delille häßlich gewesen seyn soll – aber er schien mir die ideale Vorstellung eines Franzosen von dem lateinischen Dichter zu verkörpern; etwas trockener und schärfer zugeschnitten, als ich erwartet hatte, gedrungen und elegant, kritisch und scharf in jedem Zuge das Bewußtseyn der Autorschaft; ein ängstliches Bestreben, sich keine Blöße zu geben, und ein Verfeinern und Abschleifen der Natur, wie in dem Spiegel eines Putzzimmers. In dieser Auffassung seines Charakters wurde ich in dem Laufe der Unterhaltung dadurch bestärkt, daß er sich über die Größe Racine’s verbreitete. Er hielt dabei einen Band des französischen Tragikers in der Hand. Seine Stirne war scharf und fein, und – um mit dem Phrenologisten zu reden – mit allen jenen Reflexions- und Liebesorganen, die man in seiner Poesie wiederfindet. Sein Gesicht und seine Gestalt waren von etwas kleinem Maaßstabe; seine Züge regelmäßig; sein Auge lebendig und durchdringend; und wenn er sprach, spielten Grübchen um seinen Mund, der aber nichts desto weniger etwas zurückgezogenes und verschlossenes an sich hatte. Es war als ob eine hübsche Puritanerin in seine Familie gekommen wäre, und zum Zeichen davon auf seinen Zügen jenen Ausdruck zurückgelassen hätte, welchen wir auf dem weiblichen schottischen Gesichte häufiger als auf dem männlichen sehen. Doch schien er dafür nichts weniger, als dankbar zu seyn. War er mit seinen Kritiken und seinem Virgilianismus zu Ende, wie wenig einem Puritaner ähnlich sprach er da! Schnell schien er alles, was ihn eine Zeitlang lästig beengt und beschränkt hatte, von sich zu werfen, und auf einmal aus Delille’s Virgil in den Cotton’schen verwandelt, loszubrechen, wie ein Knabe, der aus den engen Wänden der Schule gelassen wird. Wenn ich jetzt das Vergnügen habe ihn zu hören, so vergesse ich seinen Virgilianismus und denke nur an den angenehmen Gesellschafter, den offenen Menschenfreund und den Schöpfer einer Schönheit, die so viel werth ist, als alle Heldinnen Racines zusammengenommen.“

„Eines Tags kam zu Sydenham Mr. Theodor Hook unerwartet mit zu Tisch, und ergetzte uns sehr durch sein Talent, Verse zu extemporisiren. Er war damals ein schlanker, bräunlicher junger Mann, von gutem Aussehen, mit kleinen Augen und mehr vollen als hageren Zügen; ein Gesicht, das Ausdruck und Laune hatte, aber wenig Feinheit. Seine Extempore-Verse waren in der That überraschend. Es ist leicht genug, im Italienischen zu extemporisiren – und man muß sich nur verwundern, wie in einer Sprache, wo alles sich vereinigt, das Versemachen zu erleichtern und in der es schwer ist, Reime zu vermeiden, auf dieses Talent noch soviel Gewicht gelegt werden kann – aber im Englischen ist dieß etwas ganz anderes. Ich kenne nur einen einzigen Mann, außer Mr. Hook, der englische Verse improvisiren kann, und diesem fehlt die Fähigkeit, vielleicht das Selbstvertrauen, dieß öffentlich zu thun. Ich spreche hiebei natürlich von Reimen. Reimfreie Verse zu extemporisiren wird man, mit geringer Uebung, im Englischen eben so leicht finden, als das Reimen im Italienischen. Bei Mr. Hook unterlag sein dießfalsiges Talent keinem Zweifel. Er konnte nicht wissen, wer die Gäste alle seyn würden, und noch weniger kannte er den Gegenstand der Unterhaltung, als er eintrat und er sprach lange mit, bis er aufgefordert wurde, als Improvisator aufzutreten; dennoch flossen seine Scherze und seine Verse auf uns alle mit höchster Leichtigkeit – indem er von jedermann etwas Charakteristisches sagte oder ein Wortspiel gebrauchte, und endlich eine höchst unterhaltende Scene einer ländlichen „Lästerschule“ darstellte, worin die Mitglieder der Gesellschaft sprechend eingeführt wurden, Mr. Campbell aber, der mit gegenwärtig war, zur Zielscheibe des Witzes diente. Ich habe seit dieser Zeit mich nicht enthalten können zu wünschen, daß Mr. Campbell etwas weniger genau und sorgfältig in dem seyn nöchte, was er für das Publikum arbeitet. Mr. Campbell zeigt sich als Autor sehr für eine gewisse Feinheit und Classicität eingenommen, wenn gleich nicht ohne eine große Beimischung von Pathos und üppiger Phantasie. Sein lustiger Jongleur, Mr. Hook, hat vielleicht zu nichts weniger Neigung, als zu irgend einer dieser Kostbarkeiten; doch muß ich gestehen, daß ich bei dem bloßen Vergnügen der Erinnerung an den Abend, den ich mit ihm zugebracht hatte, nicht im Stande war einen Wunsch zu unterdrücken, der vielleicht eben so wenig verständig war, als der andere: nämlich, daß Mr. Hook, statt über Politik zu schreiben, bei diesen humoristischen Schwänken und Farcen bleiben möchte, zu denen er allein wahres Talent hat.“

  1. Im Allgemeinen gilt freilich Byron’s:

    In Venice Tasso’s echoes are no more,
    And silent rows the songless gondolier -

    doch kann ich, als einzelnes Beispiel, dagegen anführen, daß der Gondolier, dessen ich mich in Venedig bediente, die ganze Gerusalemme auswendig wußte, und unaufgefordert lange Bruchstücke daraus in der bekannten eintönigen Melodie sang, freilich ohne ein Echo zu finden.
    K. H. H.
  2. Als Herausgeber des radicalen Wochenblattes: The Examiner.
  3. Francesca da Rimini.