Nicht zu heiß!

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Textdaten
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Autor: C. Falkenhorst
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Titel: Nicht zu heiß!
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aus: Die Gartenlaube, Heft 40, S. 659
Herausgeber: Adolf Kröner
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Erscheinungsdatum: 1887
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Nicht zu heiß!

Es wird nichts so heiß gegessen, wie es gekocht wird,“ sagt ein altes Sprichwort; es enthält gewiß eine unbestreitbare Wahrheit; es verschweigt aber eine andere ebenso unbestreitbare Thatsache, daß Vieles von Vielen zu heiß gegessen wird.

Die Köchin oder die Hausfrau bestimmt die Temperatur der Speisen; die Hausgenossen und Gäste beugen sich vor ihrem sachverständigen Urtheil. Wir essen dieses kalt, jenes warm, und das andere heiß, weil die allgemeinüblichen Küchenregeln es uns so vorschreiben.

Bis vor nicht langer Zeit kümmerte man sich wenig um die Bedeutung des Genusses kalter oder heißer Speisen. Der gesunde Magen verträgt viel und man muthet ihm nach beiden Richtungen hin alles Mögliche zu. Gefrorenes ißt man überall, und heißer Kaffee wird auch von Vielen für gesund gehalten. In Rußland trinkt man oft den Thee, wenn er noch beinahe siedend heiß ist und seine Temperatur gegen 80° Celsius beträgt. Bei uns ist auch ähnliche Unsitte im Schwang. Hat sich Jemand erkältet und soll er schwitzen, so muß er nach der alten Hausregel irgend einen Theeaufguß möglichst heiß trinken, und das Getränk wird auch hinuntergeschluckt, wenn es beinahe den Mund verbrennt. Auch der Glühwein wird möglichst heiß getrunken; die Sitte befiehlt es so.

Und was sagt der Magen dazu? Noch vor wenigen Jahren erging man sich in allerlei Vermuthungen über die Einwirkung heißer Nahrung auf diesen Tyrannen der Menschheit. Jetzt hat die Wissenschaft durch Versuche, zu welchen der hochverdiente Professor M. Pettenkofer Anregung gegeben hat, festzustellen vermocht, daß der Genuß überhitzter Speisen Blutüberfülluug der Magenschleimhaut zur Folge hat, welche zum Magenkatarrh führt und sogar Magengeschwüre erzeugen kann! Auch für die Zähne ist das Uebermaß der Wärme nicht zuträglich; das Email springt unter dem Einfluß zu heißer Speisen und Getränke. Hohlwerden und Verlust der Zähne sind die letzten Folgen eines solchen gesundheitswidrigen Genusses.

Was verstehen wir aber unter „zu heiß“? Es unterliegt keinem Zweifel, daß Speisen, welche die Temperatur des Blutes haben, am besten vertragen werden. Diese Temperatur beträgt nun bekanntermaßen 28° Reaumur oder 37,5° Celsius. Ein mäßiges Uebersteigen dieser Grenze um etwa 10° dürfte dem Magen keinen Schaden zufügen. Temperaturen von etwa 38° bis 40° Reaumur sind also als erlaubt anzusehen.

Und wie heiß speisen wir gewöhnlich? Wie heiß ist der Kaffee, den wir trinken, wie heiß die Suppe, der Braten?

Ich möchte wetten, daß von tausend meiner Leserinnen kaum eine auf diese Frage wird antworten können, und doch ist sie wichtig genug. Sie ist auch leicht zu beantworten; man braucht nur das Thermometer zur Hilfe zu nehmen. Viele werden alsdann zu ihrer Beruhigung sehen, daß sie die erlaubten Grenzen einhalten, viele aber auch die unangenehme Erfahrung machen müssen, daß sie ihren Magen jahrelang hindurch schwer geschädigt haben. Die Abhilfe kann hier leicht bewerkstelligt werden, und wenn Jemand nicht zu heiß speist, so verdirbt er sich dadurch den Genuß keineswegs, im Gegentheil, er erhöht ihn. Die Wärme hebt nämlich die Geschmacksempfindung auf; wenn wir die Zunge nur ½ bis 1 Minute in Wasser von 50° C. halten, so sind wir nicht mehr im Stande, mit ihr den süßen Geschmack des Zuckers wahrzunehmen. Bei höheren Wärmegraden tritt natürlich dieser Zustand sicherer und rascher ein. Diese Thatsache sollte namentlich von allen Köchinnen gewürdigt werden; denn in ihr ist eine heimliche Quelle des Versalzens der Speisen enthalten. Wer zu heiß die Suppe kostet, der kann ihren Geschmack nicht sicher prüfen und versalzt sie nur zu leicht.

Kein Wunder, daß in Anbetracht derartiger Thatsachen erfahrene Aerzte den Ausspruch nicht scheuten, daß auf den Eßtisch ein Thermometer gehöre und daß es an diesem Platze wichtiger sei als Salzfaß und Pfefferbüchse. Es gehört aber auch in die Küche; denn auch dort kann es beim Kochen und Backen treffliche Dienste leisten. Man hat sogar für die Küche besondere Thermometer konstruirt, welche die Temperaturen für verschiedene Speisen und Getränke angeben. Das Thermometer von Sophie Heuer, der Vorsteherin der Kieler Kochschule, welches, anstatt mit Quecksilber, mit unschädlich gefärbtem Alkohol gefüllt ist, hat die folgende interessante Skala: „Trichinentod. – Suppen, Fleisch und Gemüse. – Milch, Kaffee, Thee, Eierbier, Glühwein, Punsch. – Warmes Bad. – Hefeteig zum Aufgehen. – Mehl. – Zimmertemperatur. – Kaltes Bad. – Rothwein! – Trinkwasser, Bier. – Bier auf Eis, Weißwein. – Champagner.“

Das Thermometer in der Küche! Es klingt fast lächerlich, und in der That wäre es lächerlich, pedantisch und unnütz, wenn die Frau die Wärme aller Speisen mit dem Thermometer nachmessen wollte. Aber eine Zeit lang sollte jede Hausfrau auch in der Küche ein wenig mit dem Thermometer hantiren, um die Unterschiede zwischen heiß und zu heiß, kalt und zu kalt kennen zu lernen. Nach kurzer Uebung wird sie das Thermometer entbehren können und nach eigenem Gefühl die richtige Temperatur treffen. Die vorsichtige junge Mutter mißt ja auch zunächst die Wärme der Milch, welche sie in der Flasche ihrem Kinde reichen muß. Dabei kostet der Versuch nichts; denn Thermometer sind in jedem Haushalt vorhanden, und er ist auch interessant. – Ueber die erlaubte Grenze für heiße Speisen haben wir bereits Angaben gemacht; aber auch für kalte Getränke giebt es Grenzen, welche nicht überschritten werden sollten. Dr. J. Wiel giebt folgende Tabelle an:

Trinkwasser + 8° R.
Bier nicht unter + 9° R.
leichte Weine nicht unter + 10° R.
starke Weißweine + 6° R.
Rothweine + 12° R.

Selbstverständlich gilt das hier Gesagte nur für den gesunden Magen. Magenkranke müssen im Genuß zu kalter und zu heißer Speisen noch vorsichtiger sein. Für sie geben wir keine Vorschriften; denn es ist die Sache des Arztes für jeden einzelnen Krankheitsfall das Richtige zu treffen. C. Falkenhorst.