Noch ein Besuch im zoologischen Garten des Regentsparks zu London

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Autor: unbekannt
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Titel: Noch ein Besuch im zoologischen Garten des Regentsparks zu London
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 29, S. 385–386
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1856
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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Noch ein Besuch im zoologischen Garten des Regentsparks zu London.

Das Eland.

Die bell- und lancaster’sche Lehr- und Unterrichtsmethode erfreut sich nicht nur einer in Tausenden steigenden Anzahl von Schülern, sondern auch der prächtigsten und großartigsten Schulen. Keine noch so gelehrte, zünftige, vierfacultätige Universität der Welt kann sich mit der lancaster’schen zoologischen Hochschule im Regentsparke zu London vergleichen. Die Naturwissenschaft, auf den Universitäten veralteten Stils ein Winkel, ein geduldeter Eindringling, hat sich überall in der goldenen Breite und Thätigkeit des grünen Lebens Säulen und Tempel und Universitäten aufgebaut und fragt nicht mehr nach den vier Facultäten und Examinatoren in langem Talar und mit ciceronianischem Latein, nicht mehr nach Abiturienten-Zeugnissen, Matrikeln und dergleichen Firlefanz von schutzzöllnerischen Zunftartikeln. Sie öffnet ihre Hör- und Schausäle Jedem, der da kommen und sehen und sich durch die landlebendigen Formen und Gestalten der Natur freudig belehren und belehrend erfreuen will. Jede große Hauptstadt Europa’s hat bereits ihre Museen, zoologischen, botanischen und andern Gärten, Gartenlauben und Anstalten als blühende Lancasterschulen. Künftig werden sich auch kleinere Städte und Gemeinden mit diesen neuen Schulhäusern versorgen. Bis jetzt kann sich kein Ort der Welt so großartiger Anstalten dieser Art rühmen, als London mit seinem Krystallpalaste,[1] diesem lebendig gewordenen, in Fleisch und Blut verwandelten Conversations-Lexikon, seinen vielen botanischen [386] Gärten, Treibpalästen und zoologischen Parks. Keiner ist größer, reizender und vollständiger, als mein berühmter Nachbar hier, der zoologische Garten im Regentspark, in welchem seit seinem 26jährigen Bestehen über 14,000 fremde Thiere als – Professoren der Naturwissenschaft Millionen von Menschen durch ihr bloßes Dasein Anschauungsunterricht gaben. Jetzt beträgt die Zahl dieser Professoren zwischen 14 und 1500 Exemplaren, darunter manche, die noch nie anderswo in Europa gesehen wurden. (Die gewaltigste und umfangreichste dieser Raritäten hier, das Nilpferd, Hippopotamos, soll in einen gußeisernen Palast mit dem gehörigen Wasser gepackt werden, und auf dem Kontinente, durch Frankreich, Deutschland u. s. w. Kunstreisen machen.) Der naturwissenschaftliche Werth des zoologischen Gartens besteht aber weniger in solchen einzelnen Raritäten, als in ganzen Kolonieen solcher anderswo bis jetzt unmöglichen Seltenheiten, besonders Mollusken, Zoophyten und sonstiger niedriger und niedrigster Formen animalischen Lebens, die neuerdings solches Interesse erregen, daß Marine-Aquarien in England rasch zur herrschenden, ersten „nobeln Passion“ werden und die etwas geschmacklose Poultromanie, Leidenschaft für Vogel, besonders Hühnervieh, gänzlich verdrängen. Die Aufschließung der Meerestiefen mit ihren Millionen sonderbarer Pflanzen, Thieren und Feenpalästen durch das Zoophytenhaus in Regentspark giebt dieser Anstalt allein den höchsten, nicht leicht anderweitig erreichbaren Werth für die lebendige Naturwissenschaft, die von 1848 bis 1854 blos allein Montags (dem wohlfeilen Volkstage mit 6 Pence Entrée) über 700,000 Menschen zu Gute kam.

Ein anderweitiges, nicht hoch genug zu schätzendes Verdienst dieser zoologischen Hochschule ist ihre praktische Anweisung und Experimentirung, Geschöpfe anderer Klimate zu acclimatisiren und einzubürgern, in Haus und Hof einzuführen und für Industrie, Ackerbau, Leibesnahrung und Nothdurft zu verwerthen. In dieser Sphäre sind schon überraschende Ergebnisse erzielt worden. Alte Aeffinnen laufen mit ihren putzigen Säuglingen, ganz wahnsinnig vor Zärtlichkeit und „Affenliebe“ umher und drücken sie, daß die kleinen Monstra oft jämmerlich schreien und dadurch die Zärtlichkeiten der Alten nur leidenschaftlicher machen, so daß die Wärter oft die Mutter prügeln müssen, um ihre Liebe abzukühlen. Allerliebste, schlanke, graziöse Giraffenfüllen springen lustig umher um die endlos langen Beine der Mutter und guken schelmisch hoch hinauf zu den Augen, die im kleinen Kopfe hoch in der Lust schweben, und immer noch voller Verwunderung auf den dicken, tückischen Nachbar, das Flußpferd, herabstaunen. Schlangen haben Eier gelegt und aus den Eiern sind Junge herausgekrochen und gedeihen. Diese bürgerliche Häuslichkeit und das Familienglück von Bewohnern der heißen Klimate bekommt besondern Werth, wenn die Familien fähig werden, sich unsern Haus- und Nutzthieren anzuschließen. Auch hier kann man sich schon erfreulicher Resultate rühmen. Hühner-, Schafe-, Schweine-, Kuh-, Ziegen- und Pferdearten ferner Zonen sind auf dem Wege, nützliche Mitglieder unserer „gemäßigten“ bürgerlichen Gesellschaft zu werden.

Zu den interessantesten und nützlichsten dieser Bereicherung unseres Geldes, welches im Lateinischen direct von „Vieh“ herkommt (pecus Reichthum in Thieren, pecunia Geld), gehört die größte Sorte von Antelopen aus den südafrikanischen Wildnissen, das Eland. Ueberhaupt ist diese heitere, reiche Variation der Naturthemata: Hirsch, Reh, Schaf, Kuh, Ochse u. s. w., welche in den Antelopen von der Größe eines Hasen bis zu der eines Gemeindeochsen durchgespielt werden, im Regentsparke besonders reich vertreten. Die Elands kamen zuerst 1851 als Geschenk des ehemaligen Premierministers, Earl von Derby, in fünf Exemplaren in den zoologischen Garten. Jetzt sind es aus eigenen Mitteln derselben fünfzehn, und eines der hier Gebornen ist in diesem wunderschönen Monat Mai 1856 bereits wieder Mutter geworden. Sie haben in ihrer Gefangenschaft einen ziemlich großen Spielraum von Freiheit, kommen aber doch in ihren lustigen Sprüngen nach allen Seiten immer bald auf Eisenstäbe, vor welchen die Leute stehen und die Kinder ihre Händchen durchstecken, um sie an der Nase oder am Halse zu krauen und ihnen so die Sklaverei zu versüßen. Doch sie sind der Wildniß und uneingehegter Ebenen und Wälder ihrer Ahnen eingedenk und bedürfen jedenfalls wie fast jeder Sterbliche in der Civilisation, größerer Freiheit, um zu gedeihen. Und so nahte ihnen auch ein Befreier in der Person des Viscount Hill, eines mit Leiden- und Wissenschaft Ackerbau treibenden englischen Noblen, der einige der jungen Elands kaufte, um sie in die gesundere, sonnigere Atmosphäre seines großen Parks zu Hawkstone zu bringen, und sie zu Haus- und Nutzthieren zu bilden. Ihr Fleisch gilt als eine der größten Delikatessen der Jagd in Südafrika. Und da sie leicht fett werden und der Großvater im Regentspark ohne besondere Mast über 2000 Pfund schwer geworden, hat man alle Aussicht auf ein kostbares Stück Elandbraten in künftigen Hotels. Sie wachsen sehr schnell, und da ihre Fortpflanzungsfähigkeit in dem feuchten englischen Klima sich mehrfach bewährte, können unsere Gasttische in einer nicht zu fernen Zeit auf einen neuen, delikaten Gaumenluxus rechnen, und unsere Ackerbau und Viehzucht treibenden Männer praktischer Naturwissenschaft (das sollte jeder Bauer werden) auf eine eben so substantielle, als anmuthige Bereicherung seines lebendigen Vermögens.

Die Gruppe von Elands, nach dem Leben gezeichnet von dem deutschen Maler J. Wolf, dem speciellen Künstler der zoologischen Gesellschaft, redet für sich selbst und bedarf daher weiter keiner Erklärung. Namentlich ergiebt sich die Combination verschiedener Thiergebilde in Form und Gestaltung derselben sofort aus unmittelbarer Anschauung.


  1. Wir machen hier vorläufig auf die ausführliche und lebendige Schilderung des Krystallpalastes von unserm londoner Mitarbeiter H. Beta: „Der Krystallpalast von Sydenham, seine Kunsthallen, sein Park und seine geologische Insel?“ Mit 30 Abbildungen. (Leipzig. J. J. Weber) aufmerksam, um später ausführlicher darauf zurückzukommen.
    Die Redaktion.