Noch einer vom alten Schrot und Korn

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Autor: Friedrich Hofmann
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Titel: Noch einer vom alten Schrot und Korn
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aus: Die Gartenlaube, Heft 47, S. 799–800
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1877
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung: Rezension des Werkes „Illustrirte Geschichte des deutschen Volkes“ von Wilhelm Zimmermann.
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Noch einer vom alten Schrot und Korn.

„In demselben Geiste der Unparteilichkeit und Wahrheit, wie wir dies von Wilhelm Zimmermann rühmen, hat die ‚Gartenlaube‘ seit ihrem Bestehen mit ihren Geschichtsbildern zu wirken gestrebt, und es geschieht aus diesem gesinnungsverwandtschaftlichem Gefühl, daß wir dem wackern deutschen Geschichtsreiniger als ein Zeichen wohlverdienter Anerkennung seines Wirkens auf dem Felde der Wahrheitsforschung und des Freiheitskampfes diesen Artikel widmen.“ Mit diesen Worten schlossen wir im Jahrgang 1869 unseres Blattes eine Mittheilung über W. Zimmermann als den „Geschichtsschreiber der Wahrheit“, welcher wir das Bildniß desselben beigegeben hatten.

Acht Jahre sind seitdem vergangen; der alte Herr hat am 2. Januar dieses Jahres sein siebenzigstes Jahr überschritten, ohne daß Geist, Herz und Hand ihm zu schwach geworden wären, um noch ein großes Werk zu vollenden. Als die Arbeit der letzten sechs Jahre liegt vor uns seine „Illustrirte Geschichte des deutschen Volkes“ (verlegt und trefflich ausgestattet von Gustav Weise in Stuttgart), von welcher 1873 der erste, zwei Jahre später der zweite und jetzt der dritte Band erschienen ist. – Die Charakteristik der Geschichtsbehandlung Zimmermann’s, auf die wir oben zurückgewiesen, findet in vollem Umfang auch auf diese neueste Leistung desselben Anwendung; auch in ihr herrscht von der ersten Seite des Buches bis zum Schlußworte derselbe warme nationale Zug und dieselbe Schärfe des Urtheils der historischen Gerechtigkeit, gleich unerbittlich nach oben wie nach unten, wie in den früheren Schriften des fleißigen Mannes, und so ist auch dieses; die ganze deutsche Geschichte bis zur Gründung des neuen deutschen Reiches umfassende Werk ein echtes Volksbuch, das die Weckung, Klärung und Stärkung eines gefunden vaterländischen und Freiheitssinnes sich zum offenen Ziel gesetzt hat.

Einen sehr hohen Werth legen wir seiner Darstellung der letzten fünfzig Jahre unserer Geschichte bei, die für Zimmermann eine selbstdurchlebte ist. Er war bereits als Privatgelehrter in Stuttgart thätig, als die Julirevolution ausbrach, arbeitete schon damals als Zeitungsschreiber mit an der öffentlichen Meinung, verlor die 1847 angetretene Professur für Geschichte, deutsche Sprache und Literatur an der Stuttgarter Polytechnischen Schule in Folge seiner Wirksamkeit in der Paulskirche und seines Verhaltens beim Rumpf-Parlament und in der würtembergischen Landesversammlung 1850 und ist erst seit 1864 als Landpfarrer wieder im Staatsdienst. Er hat demnach selbst in der Arena gestanden, auf welcher Geschichte gemacht wird.

Wie klar der politische Blick dieses ehemaligen Zöglings des Tübinger Stifts, stillen Gelehrten und Dorfpastors durch das Forschen in der Geschichte und die eigenen Erfahrungen im Volksleben geworden, dafür zeugt die folgende Stelle seiner Fortsetzung der „Deutschen Geschichte“ Wirth’s (Band IV, S. 97), die im Jahre 1865 geschrieben ist: „Zur Schöpfung eines lebenskräftigen deutschen Einheitsstaates, bei den ungeheuren von außen wie von innen vorliegenden Hindernissen, gehört eine eisenstarke, der Furcht wie der Verführung unnahbare Seele und eine geniale Geisteskraft von ausnahmsweiser Größe, in einem Manne vereinigt. Ob das ein regierender Fürst, oder ein Minister eines deutschgesinnten Fürsten, oder ob es ein durch die Zeitverhältnisse und in Folge davon durch eine allgemeine nationale Bewegung emporgehobener und an die Leitung der deutschen Angelegenheiten gebrachter Mann des Volkes ist, darauf kommt es nicht an, obgleich ein großbegabter Fürst, wie der zweite Friedrich von Preußen, oder wie der erste Kaiser Joseph, ja sogar noch wie der zweite Joseph, die meiste Wahrscheinlichkeit glücklichen Erfolges für sich hätte, so, wie die Sachen in Deutschland und in Europa einmal liegen. Nur das Eine ist gewiß: ein einziger Mann, die harmonische Einheit des Kopfes und Willens in gleicher Großheit an der Spitze der Leitung, gehört dazu, um die Schöpfung des deutschen Einheitsstaates ins Leben einzuführen. – – Wo dieser Eine Mann, der Mann im vollen Sinne des Wortes, welcher die zerstreuten Kräfte seines Volkes zusammenfaßt, auf das Eine hohe Ziel richtet und verwendet, rücksichtslos gegen alle Parteien, in einer Nation fehlt, da wird auch eines Volksparlamentes Sitzen und Tagen, wie das der Fürsten- und Ministercongresse, sich im Sande verlaufen."

Wenn wir bedenken, daß Zimmermann im Jahre 1865, wo man in ganz Deutschland mit lautem Grolle auf die oberste Leitung Preußens sah, Niemanden weniger, als den bekannten „bestgehaßten“ Mann vor Augen haben konnte, so müssen wir gestehen, daß der Mann, wie ihn die Zeit brauchte und wie er sich, als seine Zeit kam, erwies, nicht treffender gekennzeichnet werden konnte, als dies hier geschehen ist.

Mit demselben Scharfblicke, derselben Wahrheitstreue und Unerschrockenheit stellt er die von ihm selbst erlebte Zeit dar, und das ist ein Verdienst, das wir ihm nicht hoch genug anschlagen können. Haben wir auch keinen Mangel an Geschichtswerken, welche „bis auf die Gegenwart“ reichen, so fehlt es doch auch nicht an solchen, deren Verfasser einer jüngeren Generation angehören, denen das Herz nicht geschlagen hatte unter den Drangsalen, welche vor und nach der Julirevolution bis zu dem Sturm von Achtundvierzig zu erleben waren. Wer jetzt das Mannesalter betritt, war selbst in der traurigen Reactionszeit der fünfziger Jahre noch ein Kind. Allen diesen ist es schwer, ein wahres Bild von der Zeit zu gewinnen, wo Metternich und Rußland das politische Deutschland überwachten und der Gedanke an „ein deutsches Vaterland“, ein „deutsches Reich“ als Hochverrath gegen die Souverainetät jedes einzelnen Bundesstaates verfolgt wurde. Selbst uns Aelteren, die wir noch die Polen von Ostrolenka umarmt und am Hambacher Feste mitgejubelt haben, wird es nicht leicht, aus unserer jetzigen Lebensfreiheit in einem großen und mächtigen Deutschland heraus uns zurückzudenken unter den Druck der Polizeistaaterei mit ihrer Censur, ihren Verboten, ihren obrigkeitlichen Beschränkungen auf Schritt und Tritt und gar all den Widerwärtigkeiten, die Jeder zu erfahren hatte, der mit Paß, Wanderbuch und Heimathschein in's „Ausland“ kam, wie bekanntlich jedes jenseits der eigenen Heimathgrenzen liegende deutsche Land hieß. Und was Alles ist unter so jämmerlichen Verhältnissen im Leben und Treiben des Staats und der Gemeinde der Gesellschaft und des Einzelnen möglich gewesen! Das Schwerste hatten die kleinen Staaten, die zum Theil unter weisen und edlen Fürsten auf dem Wege der Bildung, des Wohlstandes und freierer politischer Regung geräuschlos fortschritten, von den beiden Großstaaten des Bundes zu leiden, besonders seit „Junker und Jesuiten“ über die letzten Folgen der Julirevolution gesiegt hatten. „Von da an,“ sagt Zimmermann’s Alters- und Gesinnungsgenosse Droysen, „gab das preußische Cabinet seine Zustimmung zu allen reactionären Maßregeln, welche Oesterreich auf dem Bundestage beantragte, zur Unterdrückung [800] der Preßfreiheit, zur Lähmung der Volksvertretungen, zur Verfolgung der liberalen Führer des Volks“, – und wie sehr es damit auch dem russischen Interesse diente, verräth die am Petersburger Hofe damals geläufige Tagesphrase: „Wir weisen Preußen seine Rolle an.“

Ja, was war da Alles möglich! Rußland winkt, und Rotteck und Welcker verlieren ihre Lehrstühle. Pietisten und Ultramontane feiern Sieg auf Sieg. Der „beschränkte Unterthanenverstand“ wird in Preußen erfunden und in Hessen Sylvester Jordan vor den Augen der ganzen Welt in einem politischen Racheproceß gefangen gehalten. Währenddeß läßt Bischof Arnoldi in Trier den heiligen Rock anbeten und erhält den Stern des rothen Adlerordens in demselben Jahre 1847, wo eine Lola Montez als Jungfrau von Orleans des baierischen Liberalismus gegen den Minister Abel auftrat und Heinrich Simon von Breslau als Sturmvogel des kommenden Jahres auf die Fragen „Annehmen oder Ablehnen?“ die Antwort des preußischen Volkes gab. Dann kommt – als zweihundertjähriges Jubiläum des Westfälischen Friedens – das Jahr 1848. Wie lebende Bilder führt Zimmermann uns die Hauptzüge dieser ersten großen nationalen Revolution Deutschlands vor, die Stürme in Wien, Berlin und Frankfurt und die Unthaten des Pöbels und der Reaction

Strafe vornehmer Verbrecher unter Joseph dem Zweiten
Illustrationsprobe aus Zimmermann’s „Illustrirter Geschichte des deutschen Volkes“.

bis zur „Rettung der Gesellschaft“ durch die politische Ebbe und zu deren Ausläufen, der Bundesauferstehung und Flottenauction.

Mit denselben energischen Strichen, wie die Ereignisse von Achtundvierzig und deren Folgen, malt er uns die aus den Schatten der Reaction, der Concordate und Conflicte in helleren Farben hervortretenden nationalen Bewegungen bis zu den Blut- und Eisenthaten, durch welche erst der Norddeutsche Bund gewonnen und zuletzt zum deutschen Reiche erweitert und erhoben worden ist.

Wir wiederholen es, daß wir gerade die beiden letzten „Hauptstücke“ des Werts der jüngeren Generation an das Herz legen, weil durch sie die schwere Zeit ihrer Väter ihnen so warm und klar vorgeführt wird, wie wir Alten nur in den besten Stunden der Erinnerung sie uns wieder vor Augen zu stellen vermögen. Die jüngere Generation bedarf aber einer solchen Einführung in jene schwere Zeit, damit die Märtyrer derselben von ihr gekannt, gerecht gewürdigt und nicht durch den Glanz neuer Ereignisse in den Schatten gestellt und mit Undank belohnt werden. Ebendeßwegen freuen wir uns, unseren Lesern mittheilen zu können, daß es der Wunsch des Herrn Verfassers ist, dem der Herr Verleger bereitwillig sich anschloß, den Abonnenten der Gartenlaube das an sich kostspielige Prachtwerk um einen bedeutend billigeren Preis abzulassen. Das Nähere über das Motiv und die Art und Weise dieser Preisermäßigung finden die Leser in dem dieser Nummer der Gartenlaube beigelegten Prospect.

Die Illustration welche wir als künstlerische Ausstattungsprobe des Werks aus dem dritten Bande desselben hier mittheilen, bezieht sich auf die Regierungszeit des Kaisers Joseph des Zweiten, von dem es (S. 374) heißt: „Er legte keinen Werth auf Geburtsrechte, auf unverdiente Bevorzugungen; er achtete nur das Verdienst und sah im Menschen nur den Menschen. – – Er ahndete jede Bedrückung, welche ein Beamter ausübte, auf das Strengste, und man sah hochgeborne Verbrecher, welche sonst fast immer vor Strafe sicher geblieben waren, unter seiner Regierung in Ketten die Gassen Wiens kehren.“

Fr. Hofmann.