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Norwegischer Wald

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Textdaten
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Autor:
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Titel: Norwegischer Wald
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 42, S. 692–693, 707
Herausgeber: Adolf Kröner
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1887
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[692–693]

Norwegischer Wald.
Nach dem Oelgemälde von Morten-Müller.

[707] Norwegischer Wald. (Mit Illustration S. 692 und 693.) Norwegens Forsten haben sich den Charakter des Urwaldes in seiner ganzen Majestät bewahrt. Ueberall bildet der Granit den Untergrund für die dünne Humusschicht, welcher Norwegens Wälder entsprossen sind. Von jung auf führen darum die Bäume bereits einen harten Kampf ums Dasein. Ihre Wurzeln müssen Felsblöcke umklannern oder sich in enge Spalten senken: aber sie gewinnen dabei Kraft, und, gelingt es ihnen, die Unbilden ihrer Jugendzeit zu überwinden, so stehen sie endlich da als stämmige hochragende Gesellen, deren Aeste gleich den Armen eines Athleten sich trotzig und knorrig in die Luft strecken. Wo man es nicht für möglich halten sollte, oft an lothrechten Felswänden treiben die nordischen Fichten und Kiefern ihre Wurzeln.

Wenn die schaurigen Frühjahrs- und Herbststürme von den ungeheuren Gletscherfeldern niederstürzen über die weiten Hochfjelds in die waldbewachsenen Fjords und in die Schluchten, welche in diese münden: dann sieht es an manchen Stellen fast aus, als sei dort von Menschenhänden ein Verhau angelegt. Die von den entfesselten Elementen zu Boden geschleuderten Stämme strecken hoch ihre mächtigen Wurzeln empor und bilden im Verein mit den sie umwuchernden Farrnkräutern und Brombeerranken ein fast undurchdringliches Dickicht. Modernd ruhen die Kinder des Waldes im Moose; Niemand nimmt sich die Mühe, das gefallene Holz hinwegzuschaffen. Die rostrothe Rinde löst sich; gleich bleichendem Gebein tritt das weiße Holz hervor, bis auch dieses seine Farbe verliert, die in ein fahles Graublau übergeht: ein Zeichen, daß die Zeit ihr ewiges Zerstörungswerk auch hier bald vollbracht haben wird.

Es ist eine eigenthümlich düstere Landschaft, die uns in dem Bilde „Norwegischer Wald“ von Morten-Müller entgegentritt: der nordische Urwald mit seiner melancholischen Stille, mit all seinen charakteristischen Eigenthümlichkeiten, wie wir sie eben an uns vorüberziehen sahen. Inmitten der wilden Natur, der himmelragenden Baumriesen und am Boden liegenden Stämme, umkränzt von einem Schilfgürtel, träumt in abgeschiedener Stille ein Weiher, über dessen glatten Spiegel eben zwei Wasservögel hinstreichen. Kurz zuvor kreisten sie noch über den Wipfeln der Bäume; der Frieden des Orts hat sie herniedergelockt aus den luftigen Regionen. Sie wollen hier ausruhen von der langen Wanderung; sie sehen nicht den allbekannten Räuber, der – im Norden wie im Süden gleich beutegierig – auf den fetten Bissen im Riedgras des Ufers lauert.

Für den Naturfreund, der das interessante Bild betrachtet, bietet gerade die kleine Staffage, die Gestalt Meister Reinekes, eine angenehme, humoristische Abwechselung, geeignet, der melancholischen Stimmung des Ganzen ein Gegengewicht zu geben.