Notiz über die letzten Reisen und die gegenwärtigen Zustände in Balutschistān

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Textdaten
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Autor: Heinrich Kiepert
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Titel: Notiz über die letzten Reisen und die gegenwärtigen Zustände in Balutschistān.
Untertitel:
aus: Zeitschrift der Gesellschaft für Erdkunde zu Berlin. Fünfter Band. S. 193–197
Herausgeber: Wilhelm David Koner
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1870
Verlag: Verlag von Dietrich Reimer
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Erscheinungsort: Berlin
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Quelle: Scans auf Commons Google
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[193]
VII.
Notiz über die letzten Reisen und die gegenwärtigen Zustände in Balutschistān.
Von H. Kiepert.
(Mit einer Karte, Taf. IV.)


Der am wenigsten bekannte Theil des iranischen Hochlandes bleibt, seiner Naturbeschaffenheit als vorherrschendes Wüstenland wegen, noch immer dessen südöstliches von den Balutschen bewohntes Viertel, das unter dem Namen Gedrosien auch in der alten Geschichte nur einmal, durch die ungeheuren Verluste des aus Indien zurückkehrenden Alexander, ein vorübergehendes Interesse gewinnt. Zwar mit seiner Küste den offenen indischen Ocean und gegen Osten ein von Europäern beherrschtes Gebiet berührend, und daher bereits in den Bereich der Telegraphie gezogen, ist es doch gerade von der Seeseite her fast am schwierigsten zugänglich; alle älteren Berichte über den abschreckenden Wüstencharakter, den Mangel an Bewässerung und Vegetation und natürlich auch an Bevölkerung werden bestätigt durch die längs dieser Küste an der Vorbereitung der Telegraphenlegung operirenden englischen Officiere und Ingenieure (Stewart, Goldsmid, Walton u. A.), obwohl sie ihre Unternehmung auf die durch öfteren Regen günstigste Jahreszeit, den December bis Februar (1861–62 und 62–63), verlegt hatten[1]. Dagegen erfahren wir durch einen späteren Besuch des bei dem Oberherrscher Balutschistāns, dem Chan von Kelat, die politischen Interessen Englands vertretenden Lieutenants Roß, der von jener Küste aus noch in der trockenen Jahreszeit des Herbstes ins Binnenland vorzudringen versuchte, daß hinter jenen völlig sterilen Küstengebirgen in etwas höherer Lage sich Längsthäler oder Plateaus ausbreiten, die bei selten mangelnder Bewässerung reichlichen Anbau und eine nicht ganz sparsame Bevölkerung ermöglichen, wie man solche bisher nur in dem viel höher gelegenen östlichsten Theile des Landes längs der Grenze Indiens kannte. [194] Lieutenant Roß hat seine Route, die er durchaus zu Kameel, in kleinen Tagereisen von etwa 12 bis höchstens 20 englischen Meilen und zwar in ihrem ersten Drittheil bis zum Dorfe Sami, den 8. bis zum 22. September der großen Hitze wegen nur bei Nacht zurücklegte, in einer durch 15 astronomische Breitenbeobachtungen fixirten Kartenskizze verzeichnet und mit seinem Reisebericht in der Zeitschrift der geographischen Gesellschaft von Bombay veröffentlicht[2], die bei uns so wenig verbreitet ist, daß eine auszügliche Wiedergabe des wichtigsten und Wiederholung des gesammten Inhalts seiner Karte (wiewohl auf 2/5 des Originals verkleinert) nicht überflüssig erschien.

Die ersten Tagereisen von der Telegraphen-Station Guadar aus nördlich und nordöstlich gingen durch völlig unbewohnte Wüste, bis durch einen niedrigen Sattel der zweiten Parallelkette, den Verfasser in seiner Karte mit dem Namen Talar bezeichnet (obwohl er ausdrücklich dies nicht als einen Eigennamen, sondern als balutschischen Ausdruck für jede felsige Höhe angiebt), ein breites, gleichlaufend mit den überschrittenen und mit den dahinter sich abhebenden Höhen in west-östl. Richtung sich erstreckendes Hochthal betreten wurde, als dessen einheimischer Name auch wieder nur das persische Wort Descht, d. i. Ebene,[3] gilt, wonach denn auch der dasselbe durchströmende Fluß, der wie gewöhnlich in diesen Ländern in verschiedenen Theilen seines Laufes je nach den berührten Ortschaften oder Thälern benannt wird, nur unter dem Namen Chori-Descht, also „Wasserlauf der Ebene“ bekannt ist; jetzt im Herbst zeigte er nur an tieferen Stellen einzelne Wasserpfützen, aber bei starken Regengüssen im Winter soll er gewaltige Ueberschwemmungen verursachen und oft so plötzlich anschwellen, daß den unmittelbaren Anwohnern kaum Zeit zur Rettung bleibt und fast immer viele ihren Tod in den Wellen finden. Der Wasserreichthum, welchen er über das Thal verbreitet, war aber auch jetzt in reichen[WS 1] Ernten von Weizen, Reis und Baumwolle sichtbar. Der Reisende durchschritt dieses Längsthal quer in wenigen Stunden, nur zwei kleinere Ortschaften: Kohek und Kuntadar (so im Text, in der Karte Kurdadar) berührend, und betrat dann, dem Durchbruch des Flusses durch eine dritte Höhenkette folgend, wieder eine höhere und durch einen höheren Bergzug nördlich begrenzte Thalstufe. Dieses bei einer von 12–20 englischen [195] Meilen wechselnden Breite sich angeblich 250 Meilen in die Länge erstreckende Hauptthal, ebensowohl wie der Fluß, – derselbe, den wir schon als Choridescht kennen gelernt haben, – führt hier den Namen Kedj, den man bisher auf vage Angaben der Einheimischen hin als den einer einzelnen Ortschaft auf unsere Karten gesetzt hatte, während an Ort und Stelle dieser Ort Kedj sich in eine Gruppe benachbarter zum Theil ansehnlicher Niederlassungen (abâdî) auflöst, die sich um das unbedeutendere, aber wegen seines festen Schlosses, der Residenz des Naib (Statthalters) des Chans von Kelat, als Hauptort von Kedj angesehene Miri lagern, von denen z. B. Sami über 2000, Turbet über 1500, Kilai-Nan (oder Nôkalat) und Gaschtung gegen 1000 Einwohner zählen, so daß die etwa 10,000 betragende gesammte Seelenzahl von Kedj sich auf vielleicht 7–8 Stunden Länge vertheilt. Mit den Namen Pandjgur, Dizak u. a., die in Ermangelung europäischen Besuches gleichfalls auf einheimische Angaben hin in neuen Karten als Hauptorte Balutschistāns figuriren, soll es sich ähnlich verhalten.

Der mittlere, völlig ebene, daher durch zahlreiche Canäle (Kehrîze mit persischem Ausdruck genannt), bewässerte und höchst fruchtbare Thalstreifen längs des Flußbettes hat durchschnittlich nur die Breite einer Stunde (3 engl. Meilen), also ¼–1/6 der ganzen Thalbreite, während die längs des Bergfußes in Süd und Nord sich erstreckenden Thalseiten meist kahl und öde erscheinen, außer wo sie stellenweise, wie z. B. bei Sami, durch reiche aus dem Bergfuße hervorbrechende Quellen der Vegetation gewonnen werden. Der sehr fleißige und ergiebige Anbau umfaßt Weizen, Mais, Reis, Taback, Mangos, Citronen, Datteln; letztere von besonders vorzüglicher Qualität, werden, wie Getreide und Wolle, in solchem Ueberflusse erzeugt, daß die im ganzen Lande überall zerstreuten Hindukaufleute sie im Tauschhandel gegen europäische und indische Manufacturwaaren aufkaufen und ausführen.

Jenseit Sami, welches schon nicht mehr zu Kedj im engeren Sinne gerechnet wird, empfindet man in Folge der zunehmenden Höhe (zu deren Bestimmung leider keine genauen Beobachtungen vorliegen) die klimatische Veränderung, und bald darauf bei Hetok verschwindet die seßhafte Bevölkerung und damit der Anbau des Thales. Bis zur Grenze von Kolwa kam der Reisende mehrere Tagereisen weit nur an Nomadenzelten vorbei, machte dann nach Uebersteigung der nördlichen, und wie es schien in dieser Richtung zunächst letzten Parallelkette, den Versuch weiter nördlich nach Pandjgûr vorzudringen, mußte denselben aber wegen der in Folge innerer Fehden hier herrschenden Unsicherheit aufgeben und die östliche Fortsetzung seines [196] Weges wieder mehr südlich in das eben verlassene Hochthal hinein lenken, und hatte endlich hier, wo er am Durchbruch durch eben jene Kette den Fluß von Kedj, oder wie er hier genannt wurde, Kil-chor, wieder erreichte, endlich den für diese Jahreszeit in Balutschistan ungewöhnlichen Anblick fließenden Wassers in einer natürlichen Rinne. Die östliche höhere Fortsetzung des Hochthals dagegen zwischen denselben in der gleichen ONO.-Richtung fortlaufenden Bergketten, welche den landschaftlichen Namen Kolwa führt, hat kein fließendes Wasser, wohl aber reichlichen Regen, dessen Abfluß in tieferen Thalbetten durch künstliche Dämme zurückgehalten wird, um Wasservorrath für die trockene Jahreszeit zu gewähren. Statt der Reisfelder und Dattelhaine von Kedj fand man hier im Hochlande neben bedeutendem Getreidebau vorherrschend Viehzucht, namentlich Rinder, Ziegen und Schafe mit Fettschwänzen. Die meist wenig bedeutenden Ortschaften, alle mit befestigten Residenzen der einzelnen Häuptlinge, lagen hier zu beiden Seiten des Thales längs des Bergfußes. Der östlichste und höchstgelegene Theil des langen Thalzuges, welchen der Reisende nördlich zur Seite ließ, führt den Namen Muschki, und hat wieder lebendiges Wasser, welches aber seinen Lauf nicht in der Richtung des Hauptthales, sondern die südliche Kette durchbrechen, zu dem von seiner Mündung her bekannten temporären Flusse Hingol nimmt; es führte, da wo Roß es passirte, den Namen Djau-chor nach dem nächstgelegenen Dorfe. Dann wurde nach Uebersteigung einer Bergreihe[4] und Passiren der hochgelegenen öden Ebene von Arra, die als Ostgrenze von Mekrān angesehene SSW-NNO streichende Gebirgskette erreicht, über welche der einzige beschwerliche Paß der ganzen Route führte, und zwar östlich nach Bela hinab, wie es schien viel tiefer, als man von Westen her angestiegen war. Auch hier hat sich, wie an so vielen durch ihre Naturform auffallenden Stellen des iranischen Landes, die Volkssage von Ferhâd’s Liebe zur schönen Schîrîn angeheftet; sie schreibt die Durchbrechung der Gebirgsmauer zum gangbaren Passe dem Helden Ferhâd zu und benennt ihn nach einem in der Paßhöhe vorhandenen Teiche Laki kumbi Schîrîn, „Paß des Teiches der Schîrîn.“

In Bela, dem Hauptorte des südöstlichsten Balutschengebietes, der Grenzprovinz gegen Britisch-Indien, war der Reisende wieder auf bekanntem Boden und schließt daher hier seinen Bericht. Dagegen [197] belehrt er uns noch über den letzten Wechsel in der politischen Gestaltung des Landes, dem freilich bei der gewöhnlichen Unsicherheit asiatischer Zustände ebensobald wieder ein neuer Wechsel folgen kann. Politisch zerfällt Mekrān jetzt seit der kürzlich erfolgten Ausdehnung der persischen Herrschaft gegen Südosten, in zwei Theile: das von Roß durchreiste unter dem Chan von Kelat stehende Gebiet wird mit dem Gesammtnamen Kedj-Mekrân bezeichnet, weil der Statthalter in Kedj wohnt, das auch früher Residenz der selbstständigen Meliks war. Oestlich reicht seine Macht bis über Kolwa, nördlich über Pandjgur, westlich von Kedj gehören dazu von den in demselben Längsthale gelegenen angebauten Distrikten noch Nasîrabâd und Tumb. Der folgende Mand ist von einem unabhängigen räuberischen Stamme bewohnt, dann folgt – immer noch im ostwestlichen Hauptthale – Pisang, welches schon unter persischer Herrschaft steht. Alle von Persien annektirten westlichen Theile Mekrâns, welche wegen ihrer stärkeren natürlichen Bewässerung unter dem Gesammtnamen Rûdchâna- (vulgär Ruhâna) Mekrân, die des Fluß-Mekrān, bekannt sind, d. i. die Distrikte Dizâk, Bahû, Gaih, Sirbâz und Kasarkand stehen unter einem in der Stadt Bampur residirenden, durch eine persische Besatzung geschützten Statthalter, ein Verhältniß, das auch Major Goldsmid nach seiner oben angeführten Querreise von N. nach S. durch den westlichen Landestheil bestätigt. Wir haben dieses auf der im Journal der Londoner Geographischen Gesellschaft beigegebenen Skizze angedeutete Routier, nach den specielleren Noten des Reisenden vervollständigt, beizufügen für zweckmäßig gehalten, um so leichter das Verhältniß der früheren, in den meisten Karten noch immer erscheinenden Grenzlinien zu den augenblicklich gültigen übersehen zu können. Nach Goldsmid’s Angaben (a. a. O. Vol. 33 p. 211) sind auch die im Verhältniß zu früheren Angaben nur sehr beschränkten Küstengebiete bezeichnet worden, über welche der Sultan von Ὁmân in Arabien eine, wie es scheint nur auf Ausbeutung des Handelsverkehrs gerichtete Oberherrschaft ausübt, wie er denn auch nach derselben Autorität für den gewöhnlich seinem Gebiete zugerechneten persischen Küstenstrich von Râs Zekîn bis Bender Ἁbbâs eine jährliche Pachtsumme an die persische Regierung zahlt.

Anmerkungen

  1. Major F. J. Goldsmid’s Diary of proceedings of the mission to Mekran 12–19. December 1861, im: Journ. of the R. Geogr. Society, Vol. 33 (1863) p. 181, und desselben: Notes on eastern Persia and western Beluchistan, Vol. 37 (1867) p. 269.
  2. Lt E. C. Roß (assistant political agent at Khelat), Notes on Mekran, with a report of a visit to Kej and upper route from Gwadur to Kurrachee, in Sept. and Oct. 1865, in: Transactions of the Bombay Geograph. Society Vol. 18, (1868) p. 36 ff.
  3. Der Autor schreibt nach gewöhnlicher Manier Dusht, erklärt es aber ausdrücklich als plain bedeutend.
  4. Ich weiß nicht, ob dafür der Name Darûn, den ich nach p. 65 des Berichtes auf die Karte gesetzt habe, richtig ist, denn p. 77 steht dafür Droon, und auf der Kartenskizze des Verfassers, die freilich besonders nachlässig lithographirt ist, gar Broon.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: reiehen