Ohne Datum (Meyer)
Ohne Datum.
(An meine Schwester.)
Du scherzest, daß ein Datum ich vergaß,
Und meinst, ich dürfte bei dem Stundenmaß
Mit einem Federstriche mich verweilen.
Du schreibst: „Datire künftig deine Zeilen!“
Nach dem Wievielten such’ ich stets vergebens,
Auch diese Zeilen, wie datir’ ich sie?
„Aus allen Augenblicken meines Lebens!“
Kurz ist und eilig eines Menschen Tag,
Wie eines Herzens ungestümes Klopfen …
Wer teilt die Jagd des Bluts und seiner Tropfen?
Es ist ein Sturm, der nie zur Rüste geht,
Die Wechselglut des Nehmens und des Gebens,
In allen Augenblicken meines Lebens.
Zu ruhn ist mir versagt, es treibt mich fort,
Die Stunde rennt – doch hab’ ich einen Hort,
Den keine mir entführt, in deiner Treue;
Sie ist die Rast in dieser Flucht und Flut,
Ein fromm Geleite leisen Flügelschwebens,
Sie ist der Segen, der beständig ruht
Auf allen Augenblicken meines Lebens.
Ich freue mich, mit jedem neuen Licht
Das Feld gestreckten Laufes zu durchmessen –
Ein fernes, dunkles Gestern zu vergessen –
Ich fliege – hinter mir versinkt die Zeit –
Vorbei! … Nur du allein weißt noch Bescheid
Von allen Augenblicken meines Lebens.