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Originale (Die Gartenlaube 1878/10)

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Titel: Originale
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aus: Die Gartenlaube, Heft 10, S. 167–170
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1878
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[167]
Originale.
Aus den Aufzeichnungen eines alten Militärs.
I.

Originale, wie man sie noch vor einem halben Jahrhundert in allen Gesellschaftsschichten in einzelnen Exemplaren finden konnte, stehen heutzutage vollständig auf dem Aussterbe-Etat; der Realismus und Materialismus beherrscht die Zeit und bietet für sie keinen Boden mehr. – Originale, welche, besonders in größeren Städten, noch vor fünfzig bis sechzig Jahren ungestört ihr Wesen treiben konnten und mit einer gewissen pietätvollen Rücksicht selbst von der goldenen Straßenjugend behandelt wurden, würden jetzt als Caricatur verhöhnt und verlacht werden und sehr bald vom Schauplatz verschwinden müssen. – Wir glauben, daß selbst so geistreiche Originale, wie weiland Hoffmann und Devrient, heutzutage schwerlich ein solches unantastbares Heiligthum finden würden, wie sie es im zweiten Decennium dieses Jahrhunderts in dem durch sie historisch gewordenen Eckstübchen am Gensd’armenmarkt in Berlin, bei Lutter und Wegener, gefunden und als Hohepriester beherrscht haben.

Es ist eben die Zeit eine andere geworden, und mit ihr hat auch das ganze gesellschaftliche Leben eine andere Richtung gewonnen. Die hohe Politik, die Speculation und leider auch – der Schwindel sind die Hauptfactoren, mit welchen die heutige Gesellschaft rechnet. Die Welt ist zu rationell geworden, und der Idealismus der Neuzeit ist entweder zu ernst oder zu ausschweifend, um auch dem Humor der Originale einige Geltung verschaffen zu können.

Vielleicht ist es nicht uninteressant Einzelnes aus dem Leben, Denken und Handeln solcher origineller Existenzen zu vernehmen. Wir wollen, ohne grelle Farbentöne zu benutzen, Episoden aus dem Leben einiger Sonderlinge mit historischer Treue vorführen, wobei wir ausdrücklich bemerken, daß wir nur von solchen sprechen, die uns persönlich bekannt wurden, und daß wir nichts fingiren. Der Vorwurf der Indiscretion kann uns nicht treffen, da die handelnden Persönlichkeiten längst heimgegangen sind.

Einige Originale leben mir noch aus den Berliner Jugendjahren in der Erinnerung; mögen sie hier zuerst ihren Platz finden !

Ein Sonderling durch und durch war ein alter pensionirter Rittmeister, in steter Begleitung seines ungefähr in gleichem Alter befindlichen ehemaligen Wachtmeisters. Jeden Nachmittag, ohne Ausnahme, präcis fünfzehn Minuten vor zwei Uhr, im Winter und Sommer, gleichviel ob bei Sonnenschein, Regen oder Schneegestöber, traten die Dioskure aus einem kleine Hause der Poststraße, der bescheidenen Garçonwohnung des Rittmeisters, um ihre gemeinsame Wanderung nach einem sich nie ändernde Ziele anzutreten.

Mein Weg zum Joachimsthalischen Gymnasium, welches ich damals als Obertertianer besuchte, führte mich an der Wohnung des alten Rittmeisters vorüber; der Sohn seines Wirthes war ein Classencollege und Freund von mir, und ich rief ihn in der Regel zum Schulgange ab. Einer Uhr bedurften wir nicht, um pünktlich zu sein; dafür sorgte der alte Herr, denn so wie die drei Viertelschläge vom nahen Nicolaikirchthurme ertönten, überschritt der Rittmeister und hinter ihm sein unzertrennlicher Begleiter, der Wachtmeister, die Hausthür. Letzterer war wenige Minuten früher in das Haus und ganz militärisch, ohne anzuklopfen, in das Zimmer seines strengen Gebieters getreten, wo er in dienstlicher Haltung nur die Meldung machen durfte: „Es ist Zeit, Herr Rittmeister,“ worauf dieser erwiderte: „Gut, Wachtmeister.“ Nun kamen sie mit schweren Schritten die Treppe herab, um die beregte Wanderung zu beginnen. Waren Beide auch nicht in Uniform, so war doch ihr Anzug und ihre Haltung so uniform und eigenartig, daß sie wohl der Beschreibung werth sein dürften. Langer blauer, fast bis zum Halse zugeknöpfte Tuchüberrock, steife sehr schwarze Halsbinde ohne jeden weißen Vorstoß, bis zum Knie reichende Reiterstiefel mit schweren Sporen, die des Rittmeisters von Silber, die des Wachtmeisters von Stahl, blaue Militärmütze mit großem Schirm und dito Cocarde, weiße waschlederne Handschuhe, in der rechten Hand ein starkes spanisches Rohr, in der linken eine halblange Pfeife mit silberbeschlagenem Meerschaumkopfe. Schirm oder Mantel waren selbst bei stärkstem Regen oder strengstem Froste verpönt.

So pilgerten die Unzertrennlichen schweigend in gravitätischer Haltung, der Wachtmeister einen Schritt links von seinem Gebieter, doch etwas zurück, in gemessenem Schritte durch die Post- und Königsstraße, über den Alexanderplatz, durch die Frankfurter Linden zum Frankfurter Thor hinaus, bis zu einem Etablissement, die „Neue Welt“ genannt. Hier versammelte sich alltäglich in einem reservirten Zimmer eine Anzahl alter Herren, den gebildeten Ständen angehörig, als Stammgäste, um bei einer „kühlen Blonden“, dem renommirten Berliner Weißbier, und einer Pfeife Knaster die Stadtneuigkeiten zu besprechen, Familienklatsch zu treiben, oder mit großer Vorsicht zu kannegießern, denn politische Meinungen äußern war damals ein gar gefährlich Ding. Anderen Genüssen gab man sich nicht hin, es sei denn, daß dieser oder jener der Herren so extravagirte, daß er auf die genossene „Stange“ – die Bezeichnung für die hohen schlanken Gläser, in welchen das schäumende Weißbier credenzt wurde – noch einen kleinen Kümmel setzte.

[168] Gegen drei Uhr traten unsere Dioskuren in das Zimmer und nahmen, die Gesellschaft stumm grüßend, an einem besonderen Tischchen Platz. Der Wirth brachte ohne Aufforderung zwei brennende dünne Tannenspähne zum Anzünden der Pfeifen und setzte jedem der Herren die schäumende „Weiße“ vor. Nie betheiligten sich unsere Helden auch nur mit einem Worte an der allgemeinen Unterhaltung; nie sprachen sie unter sich. So saßen sie bis vier Uhr, um welche Zeit, nachdem der letzte Schluck aus der Stange gethan, der Rittmeister, das Geld für die gemeinschaftliche Zeche auf den Tisch legend, sich erhob und der Wachtmeister folgte; still grüßend, wie sie gekommen, entfernten sie sich.

An einem Vormittage im Sommer 1819 nach beendeter Probe zu den „Räubern“ brannte das königliche Schauspielhaus auf dem Gensd’armenmarkt nieder; es war ein gewaltiges Feuer, und ganz Berlin befand sich in höchster Aufregung, denn bei dem starken Winde und den damals noch keineswegs gut organisirten Feuerlöschanstalten war der ganze nächste Stadttheil bedroht. Die durch alle Straßen wirbelnden Trommeln und die langgezogenen Hornsignale, durch welche die Garnison alarmirt wurde, ließen wohl keinen Einwohner der Stadt in Unkenntniß über das Ereigniß. Zur gewöhnlichen Zeit trat auch an diesem Tage der Wachtmeister in das Zimmer seines gestrengen Vorgesetzten, ließ sich aber, angesteckt durch die allgemeine Aufregung, verleiten der Meldung: „Herr Rittmeister, es ist Zeit,“ die Worte hinzuzufügen: „Heute Vormittag ist das Schauspielhaus abgebrannt.“

Mit zornentflammten Blicken betrachtete der Rittmeister seinen ehemaligen Untergebenen und herrschte ihm die Worte zu: „Ich gehe heute nicht. Kehrt! Marsch!“

Entsetzt verließ der Unglückliche, dem Commando strict Folge gebend, das Zimmer.

Am andern Tage erschien der Rittmeister allein in der „Neuen Welt“. Die Stammgäste waren erstaunt darob und einer derselben erkühnte sich, den in sich gekehrt und mürrisch dasitzenden alten Herrn zu fragen: „Wo haben Sie denn Ihren Wachtmeister?“

Wild aufblickend entgegnete er: „Ich habe mit ihm nichts mehr zu schaffen; der Kerl ist ein Schwadroneur geworden.“

Acht Tage lang hielt es unser Original allein aus; dann siegte die alte Gewohnheit; der Wachtmeister erhielt Amnestie und der Rittmeister erschien wieder wie früher in seiner Begleitung in der „Neuen Welt“. – Etwa zwei Jahre später bewegte sich ein Leichenzug von der Poststraße aus, der jedoch nicht seinen Weg nach dem Frankfurter-, sondern nach dem Oranienburgerthor und dem Invalidenkirchhof zu einschlug. Der alte Rittmeister wurde zu seiner letzten Ruhestätte geleitet. Als einziger Leidtragender folgte der Wachtmeister im gewohnten Anzuge, nur Stock und Pfeife fehlten, das sonstige Gefolge bestand aus dem Wirth und den Stammgästen der „Neuen Welt“.

Nur vier Wochen darauf wurde auch sein treuer Gefährte im Leben, der Wachtmeister, zur Erde bestattet; kein Leidtragender schritt hinter seinem Sarge, wohl aber dasselbe Ehrengefolge. – Die Unzertrennlichen wurden auch im Tode dicht neben einander gebettet; sie ruhen sicherlich in Frieden. – –

In der zweiten Hälfte der zwanziger Jahre wurde ich als Officier von der Garde in ein Linienregiment am Rhein versetzt. Dasselbe war aus dem ehemaligen Lützow’schen Freicorps errichtet worden, und unter den älteren Officieren, besonders den Hauptleuten befanden sich noch viele, welche, aus den verschiedensten Lebensstellungen hervorgegangen und aus aller Herren Ländern stammend, nunmehr, nachdem die Hörnertöne von „Lützow’s wilder, verwegener Jagd“ verklungen und sie sich als brave und ehrenwerthe Männer bekundet, aber ihre früheren Berufstellungen eingebüßt hatten, beim Waffenhandwerk geblieben waren. – Nur sehr Wenige von diesen hatten sich eine Familie begründen können; sie lebten als alte, ziemlich gut situirte Junggesellen und huldigten, je nach Geschmacks- und Geistesrichtung, mehr oder weniger noblen Passionen. Es konnte so auch nicht fehlen, daß sich aus diesen Elementen welche übrigens auch bei anderen Waffengattungen ihre Vertreter fanden, manche Originale entwickelten. Ende der zwanziger Jahre war besonders Coblenz reich mit solchen bedacht. Meinem damals geführten Tagebuche könnte ich eine staatliche Blumenlese von Episoden aus dem Leben dieser Species entnehmen, ich werde mich jedoch darauf beschränken, einzelne Fälle anzuführen.

In einer kleinen Weinschenke in der Rheinstraße zu Coblenz versammelten sich an jedem Vormittage nach der Parade auf dem Clemensplatze mehrere, besonders ältere Officiere, um die Zeit bis zum Mittagsessen durch Unterhaltung und Vertilgung von so und so viel Specialen (Gläser, die etwa ein viertel Liter enthalten) leichten Weines auszufüllen. Regelmäßige Gäste waren hier unter Anderen der Major H. von der Artillerie und der Hauptmann Baron von L. von der Infanterie. Ersterer, ein überaus jovialer, praktischer, braver und mit dem eisernen Kreuze erster Classe decorirter Officier, der, von Hause aus Schmied, sich die Epauletten auf dem Schlachtfelde erworben, war vor etwa einem Jahre von einer schlesischen Brigade nach Coblenz versetzt worden; der Ruf seiner schon im Kriege mehrfach kundgegebenen originellen Excentricitäten war ihm jedoch längst vorausgegangen. Sehr ernst hatte er sich, nachdem er durch ein ererbtes großes Bauerngut zum wohlhabenden Manne geworden, mit seiner wissenschaftlichen Ausbildung beschäftigt und sich so die erforderlichen theoretischen Fachkenntnisse angeeignet; seine Originalität litt jedoch hierdurch keinen Abbruch. –

Der andere Stammgast der kleinen Weinschenke, Baron von L., war ein wissenschaftlich gebildeter und geistreicher Lebemann, der, nachdem er in einer anderen deutschen Armee gedient und dort, wie man sagte, ein bedeutendes Vermögen an den Mann gebracht, 1813 in preußische Dienste trat. Als „alter Baron“ oder „Hauptmann von Capernaum“ war er in der ganzen Garnison bekannt. Er hatte außer seinen gastronomischen Neigungen auch die absonderliche Passion, Singvögel aller Art zu züchten und zu pflegen; die Wände seiner Wohnung waren mit deren Käfigen dicht behangen.

Major H., der allerdings auch dem Weine nicht abhold war, aber weniger nach der Qualität fragte, huldigte dagegen einer anderen Leidenschaft in hohem Grade: dem Rauchen, verbunden mit der Manie, Pfeifen, wie sie bei allen bekannten Völkern in Gebrauch sind, zu sammeln und sie auch der Reihe nach zu benutzen. Seine Zimmer waren mit diesen verschiedenen Rauchwerkzeugen überreich decorirt, deren Menge sich auf Hunderte bezifferte. Seine Hauptleidenschaft war jedoch, wie beim alten Baron die Singvögelzucht, die Federviehzucht. Der Major wohnte in der Schloßstraße in einem von einer hohen Mauer umschlossenen Gartenhause ganz allein mit seinem Diener; auf dem Hofe und Garten trieben zahllose Hühner, Puten, Gänse und Enten ihr Wesen, welche von ihm stets eigenhändig ihr Futter erhielten, auch soll er ihnen, wie glaubwürdige Zeugen versicherten, schöne Weisen auf der Guitarre vorgeklimpert haben.

Beide alten Herren waren unbeweibt und standen in den fünfziger Lebensjahren; sie verkehrten täglich mit einander, waren auch Tischnachbarn im Trier’schen Hofe. Doch vorzugsweise ein Band verknüpfte sie auf das Innigste: sie belogen sich gegenseitig – doch stets harmlos – auf eine Weise, daß ein Münchhausen sie für seine Concurrenten erklärt haben würde. Das wußten wir „grünen Schnauser“, mit welchem Titel wir von den alten Lützowern beehrt wurden, und darum fanden wir uns auch häufig bei Onkel B. – so wurde der Weinwirth genannt – ein, um in respectvoller Zurückgezogenheit an einem Tische im Hintergrunde des Zimmers unseren Special zu trinken und den Vorträgen der würdigen Herren zu lauschen.

Ein Beispiel genüge zur Erkenntniß der außerordentlichen Virtuosität dieser Heroen im Lügen. Der Bursche des Majors H. erwartete jeden Mittag nach der Parade seinen Herrn mit der gestopften Pfeife an dem genannten Weinhause, fast stets mit einem anderen Exemplare, so auch an diesem Tage. Der besonders schön angerauchte und kostbar beschlagene Meerschaumkopf fiel dem alten Baron auf und er bemerkte:

„Major, Eure Pfeifen müssen Euch ein Heidengeld kosten.“

„Lange nicht so viel wie Euch Euer Wein, allerdings als ich noch als Batteriechef in G. stand, da hatte ich eine exquisite Pfeifensammlung; ich wohnte in einer alten Probstei, in der ein großer Saal war, dessen Wände ich vollständig mit Pfeifen ausgefüllt hatte, ich kaufte allein in einem Jahre für über einhundertfünfzig Thaler langes Stroh zum Reinigen derselben; jetzt bin ich aber sehr reducirt; es ist mir kaum für jeden Tag im Jahre eine andere geblieben.“

Der alte Baron gab sich den Anschein, als glaube er jedes Wort, und entgegnete mit dem ernstesten Gesicht:

„Ja, ich habe meinen Weinvorrath auch reducirt; Champagner [169] kaufe ich schon gar nicht mehr; ich habe ein Haar darin gefunden, seit mir die Ratzen fast alle meinen Champagner ausgesoffen haben.“

Unter allgemeiner Sensation: „Die Ratzen!?“

„Ja, die Ratzen, meine Herren, und zwar die Wasserratzen, die sich im Keller meiner jetzigen Wohnung hinter der Castorkirche an der Mosel in prächtigen Exemplaren zahlreich eingefunden. Glauben Sie denn, daß diese Canaillen nur Wasser saufen? Wein ist ihre Leidenschaft, und welche Quantität eine solche Bestie vertragen kann, davon habe ich mich durch den Augenschein überzeugt.“

Etwas indignirt meinte der Major: „Aber, lieber Baron, das scheint mir doch wunderbar. Wie haben denn die Ratzen die Flaschen aufmachen können?“

„Wie? Ja, es ist mir schwer geworden, dahinter zu kommen, aber mit Hülfe meines alten pfiffigen Heinrich, den ich anfänglich allerdings in Verdacht hatte, daß er den Champagner in seine Kehle hätte fließen lassen, gelang es mir doch. Wie machen sie es? Zuerst nagen sie den Draht durch, was ihnen leicht wird; dann wickelt die stärkste Ratze ihren Schwanz um den Pfropfen; die anderen rütteln nach Kräften an der Flasche – ein starker Ruck mit dem Schwanze, der Kork fliegt heraus, und das schäumende Naß wird gierig von den lüsternen Bestien gesoffen.“

Ein homerisches Gelächter lohnte den keine Miene verziehenden Erzähler. Der Major aber gab sein Spiel noch nicht verloren; er wollte durchaus den Baron überführen: „Lassen denn aber die Ratzen Euren anderen Wein ungeschoren? Ihr habt doch sonst noch gute Sorten im Keller.“

Schnell gefaßt replicirte unser Hauptmann: „Aber, lieber Major, wie könnt Ihr nur so fragen, wie sollen sie es denn anfangen, die Flaschen zu öffnen? Die Korke sind ja dicht am Glase abgeschnitten und verpicht; sie können also auch nicht den Schwanz herumwickeln, und das Glas vermögen sie nicht zu zernagen.“

Nochmals schallendes Gelächter; der Major schwieg – er war um mehrere Längen geschlagen; die Infanterie hatte über die Artillerie den Sieg davon getragen.

Dergleichen humoristische Lügenduelle fanden hier nicht selten statt, sie dienten aber nur dazu, die Harmonie der Kämpfenden immer inniger zu gestalten, und führten nicht selten zu dem Resultate, daß der Major einen Puter oder eine fette Gans und der Hauptmann von Capernaum einige Flaschen des von den Ratzen noch verschonten Sects als Sühneopfer darbrachten und es sich gemeinschaftlich wohlschmecken ließen.

Etwa sechs Monate nach der eben skizzirten Sitzung wurde Major H. zum Oberstlieutenant befördert. Die erste Freude war groß, doch sie sollte leider nicht vierundzwanzig Stunden ungetrübt bleiben.

An einem Sonnabendnachmittag wurde dem Major die Ernennung zum Oberstlieutenant notificirt; eine Sitzung im Freundeskreise beim Weine im Trier’schen Hofe folgte. Dieselbe mochte sich wohl etwas über die Gebühr verlängert haben, denn der Gefeierte konnte sich am Sonntag erst spät den Armen Morpheus’ entwinden. Die Wachtparade auf dem Clemensplatz war bereits aufgezogen; der gestrenge commandirende General, Excellenz v. B., den der Volksmund „König der Rheinprovinz“ nannte, gab eben vor der langen Front der Officiere und Unterofficiere der Garnison die Parole aus, und die Musik des Regiments gruppirte sich zum Concertiren, als Oberstlieutenant H. im neuesten Paradeanzuge mit decorirtem Czako etc. aus seiner nahen Wohnung in der Schloßstraße angestürmt kam, um sich bei den hohen militärischen Würdenträgern behufs seiner Rangerhöhung zu melden. Bis zum Commandirenden vorgedrungen und die Hand an den Czako legend, um seine Meldung zu machen, bemerkte er, daß im anwesenden Publicum und selbst in den Reihen der Officiere und Unterofficiere große Unruhe und Gelächter entstand. Ehe er noch zum Worte kommen konnte, herrschte ihn die Excellenz an: „Oberstlieutenant H., was bringen Sie da für ein Gefolge mit?“ Bestürzt sah sich der Unglückliche um und – o Graus! – seinen Fersen folgte ein stattlicher Haushahn und hinter diesem sein ganzer Harem von beinahe einem halben Hundert Hühnern in geschlossener Colonne, in der Mitte von einigen Putern überragt und als Arrieregarde einige watschelnde Enten und Gänse. Wahrscheinlich hatte das Völkchen heut das gewohnte Morgenfutter aus der Hand seines Gebieters noch nicht empfangen und dieser beim Fortstürmen nach dem Paradeplatz das Hofthor zu schließen vergessen. Nun folgte ihm, treu wie sein Schatten, die gefiederte Colonne, den frechen Hahn als Führer. Man kann sich die Aufregung denken, welche diese Scene hervorrief. Die Jagd des Publicums, die Bemühungen der abgeordneten Unterofficiere und Ordonnanzen waren vergeblich; die erregte Schaar war nicht vom Platze zu bringen, bis endlich die gestrenge Excellenz dem verzweiflungsvoll und rathlos dastehenden neuen Oberstlieutenant, der sicherlich freudiger einer feuernden Batterie entgegengegangen wäre, zurief. „Nun bringen Sie Ihr sonderbares Gefolge auch wieder nach Hause, Herr Oberstlieutenant!“ Dies half. Wohl oder übel mußte der Schwergeprüfte sich an die Spitze seines gefiederten Völkchens stellen. Er lockte dasselbe, und willig folgte es, bis es mit seinem Herrn und Gebieter hinter dem Thore der Gartenmauer verschwand. Da man zu jener Zeit noch wenig hohe Politik trieb, eine türkische Frage nicht vorhanden war und Parlamentswahlen nicht bevorstanden, so bildete dieses Ereigniß wochenlang das Tagesgespräch in allen Kreisen der schönen Confluentia.