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Ostern (Die Gartenlaube 1893)

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
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Autor: A. T.
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Titel: Ostern
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 12, S. 197, 200
Herausgeber: Adolf Kröner
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1893
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung: Hier angefügt ist eine koloririerte Version der Originalzeichnung von W. Stöwer.
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[197]

Der Gang nach dem Osterwasser.
Originalzeichnung von W. Stöwer.

[200]

OSTERN.

An keinem anderen Feste spielt die Sonne eine solche Rolle wie zu Ostern, wie das ja auch in der Zeit, da ihre Strahlen neues Leben wecken, keineswegs wunder nehmen kann. Seit alter Zeit ist es darum Sitte, der Sonne am Ostermorgen einen glänzenden Empfang zu bereiten. Im deutschen Alterthum fielen ihre ersten Strahlen wohl auf Schwerttänze und rauchende oder blutende Opfer, und Priesterweihgesänge tönten ihr entgegen. Die Opferaltäre sind gefallen und an die Stelle der Waffenspiele sind ändere getreten, welche vielleicht ebenfalls uralten Ursprungs sind und jedenfalls zur Sonne in besonders naher Beziehung stehen. Eines derselben ist das Osterballspiel, welches unser Bild S. 181 darstellt.

Noch sind zwei Stunden Zelt, bis das Sonnenlicht über die sandigen Flächen der Mark dahinblitzt, da rüstet man sich in den Dörfern und kleinen Städten bereits zum Osterballspiel. Auf einem Hügel, oder wo ein solcher fehlt, auf einem freien Platze, mitten im Flecken sammeln sich Scharen von Kindern und Erwachsenen. Ehedem brachte man große Lederbälle mit, die vorher sorgfältig ausgebessert worden waren, heute sind hie und da Gummibälle dafür eingetreten. Heute gelten Regen und Schnee als Hinderungsgründe, vor fünfzig, ja noch vor dreißig Jahren flogen die Bälle auch durch dichte Schneeflocken und strömenden Regen. Mehrere Gruppen von Burschen bilden sich, meist fünf bis acht, je nach der Größe der Ortschaft.

Jede der Abtheilungen hat einen Ball, den zunächst ein Auserwählter führt. Um ihn drängen sich die anderen, und in weitem Kreise rings staunt, schaut und lauscht die Menge. Ein Ruf ertönt, und alle Bälle steigen hoch in die Luft: Wer möglichst senkrecht wirft, gilt als Meister. Die Augen jeder Gruppe sind auf ihren Ball gerichtet. Jetzt hat er seinen höchsten Punkt erreicht – jetzt beginnt er zu sinken, und alles stürzt mit hoch erhobenen Händen ihm nach. Aber bloßes Auffangen ist kein Kunststück. Mit kräftigem Ruck gilt es ihn wieder in die Höhe zu treiben, ehe ihn noch ein snderer fassen kann.

Der Raum, auf dem ma spielt, ist ziemlich beschränk, und gewöhnlich gerathen schon beim zweiten Wurf die einzelnen Haufen aneinander und durcheinander. Eine Schande für den, dessen Ball den Boden berührt! Eben wirft das Schicksal zwei Gruppen dicht aneinander. Der Ball der einen fällt in die andere, und diese hat nichts Schleunigeres zu thun, als ihn zu Boden zu werfen: Jene wollen sich rächen, aber sie finden wachsame Gegner.

Zwei-, dreimal hat so die eine Schar den Ball der zweiten zu Boden geworfen. Da rafft diese sich endlich zu einem letzten Vorstoße auf. Eben stürmen die siegreichen Nebenbuhler hinter ihrem Balle her, da stürzt die feindliche Schar von hinten her auf sie ein und wirft sie mit kräftigem Anprall weit über die Stelle hinaus, wo ihr Ball fallen muß. Indessen wiederum vergeblich: ein flinker Bursche ist seitwärts ausgewichen und hat unter dem Jubel der Zuschauer den Ball noch glücklich erhascht. Ein Fußtritt treibt den der feindlichen Gruppe den Hügel hinunter, und diese hat zu dem Mißlingen des Rachezuges noch eine zweite Schlappe erlitten.

Das herrschende Dämmerlicht macht das Spiel noch anziehender, die Bilder noch eigenartiger. Jetzt geht die Sonne im Osten auf. Unter einem hellen Freudenjauchzer, der allen Streit und Wetteifer auf einen Augenblick verstummen macht, steigen die Bälle empor und grüßen das junge Tageslicht, das die Spielfreude auf den höchsten Gipfel hebt und ihr zugleich ein rasches Ende bereitet.

Und noch einen anderen Volksbrauch führen wir S. 197 unsern Lesern vor, in dem sich die geheimnißvollen Vorstellungen spiegeln, welche unsere Vorfahren mit der Osternacht verbanden, und der auch in unserer heutigen Ostererzählung eine Rolle spielt.

Wenn die Mitternachtstunde kommt, mit welcher der erste Ostertag anhebt, da weht nach dem Volksglauben ein heiliger Schauer durch die Lüfte. Die alten Götter halten ihren Umzug und bringen ihren Segen zu dem draußen aufkeimenden Leben. Baum und Strauch, Saat und Wiese erhalten die Jahresweihe, und wo ein Wässer rauscht, ein Fluß, ein Bach, ein Quell, ein Gesicker, das von Felsen zu Felsen tropft, oder ein Rinnsal, das sich durch die Wiesen zieht, da fällt tausendfach stärkerer Segen hernieder, Segen, der sich nicht nur auf Saat und Ernte, auf das Blühen und Gedeihen der Natur bezieht, sondern auch fähig ist, einzugreifen in das Menschenleben und Lose zu gestalten nach einem unergründbaren Gesetze.

Wo ein See sich erstreckt, ein Teich im Wiesengrunde sich ausdehnt, oder ein Brunnen liegt, da geht der Zauber vorüber; denn das stehende Wasser ist tot und darnm nicht geeignet, zum Mittel einer lebenspendenden Kraft zu werden. Aber Kraft, Gesundheit, Schönheit, Erfüllung der Liebeswünsche, Heilung von Gebrechen, Glück und Frohsinn, alles vermag das rinnende Naß der Osternacht zu geben, wenn man nur nicht gegen die Bestimmungen verstößt, welche die erste Bedingung seiner Wirkung sind: tiefes Schweigen und das Fernhalten jedes Sonnenstrahles.

Einstens konnte man in der Osternacht ganze Scharen junger Männer sich im kühlen Bade unter freiem Himmel erfrischen sehen, und hier und da an einem einsamen Orte netzte auch ein Mädchen seine Glieder in der heiligen Fluth. Noch als die Großmutter ein ganz junges Mädchen war, blieb man bis nach Mitternacht in der Spinnstube zusammen, und mit dem Glockenschlage zwölf zogen alle Mädchen, mit Krügen bewaffnet, unter tiefem Schweigen nach dem nahen Flusse. – Auch heute holt man noch Osterwasser, aber erst am Ostermorgen, kurz vor Sonnenaufgang. Damals hätte sich kein Bursche getraut, sich den Wasserholerinnen anzuschließen. Aber heute? Die Großmutter schüttelt manchmal den Kopf über die „verderbte Zeit“; und doch kann sie’s nicht ändern. Ihre Enkelin hat aufs bestimmteste erklärt, dies Jahr werde sie kein Osterwasser holen. Aber „Er“ weiß es besser. Kaum hat es in der Früh fünf Uhr geschlagen, da hat er sich schon im Hofe eingefunden. Lächelnd sieht er schon beim Eintreten die beiden großen Steinkrüge an der Thür stehen, und ungläubig schaut er drein, als ihn das Mädel versichert, damit sollen heute die Kühe getränkt werden.

Der Großvater hätte der Großmutter so etwas aufs Wort geglaubt. Nicht so dieser aufgeklärte Jüngling der Neuzeit! Die kleine Pfeife im Munde, stellt er sich ruhig neben die beiden Krüge. Endlich wird’s die höchste Zeit; denn schon beginnt’s recht hell zu werden. So muß sie sich denn entschließen, ihn mitzunehmen. Aber erst muß er geloben, kein Wort zu sprechen, und zu besserer Sicherung darf er das Pfeifchen nicht aus dem Munde nehmen.

Er verspricht natürlich alles, was sie haben will. Auf dem Wege zum Wasser ist er dann auch noch leidlich artig, und ruhig läßt er sie schöpfen. Aber der Heimweg! Hinter ihr geht er auch jetzt noch, aber so ganz ungeneckt kommt sie doch nicht davon. Erst legt er die Hand auf ihre Schulter, dann guckt er sie so lächelnd an, und wenn das Pfeifchen nicht wäre, wer weiß, was er noch thäte! Und bei alledem muß sie ihn ruhig gewähren lassen. Sie darf ja nicht reden und kann doch auch die Krüge nicht wegsetzen. Ach. wenn es jemand sähe! So schwer es ihr wird, so geht sie doch schweigend dahin. Hat sie doch eine Hoffnung: wenn sie das Wasser glücklich bis in ihre Kammer bringt, dann ist alles gut! Ihr rosiges Gesichtchen soll unter seiner Wirkung noch ganz anders erblühen, und dann – dann hält ihn der Osterzauber fest und er kann nicht fort von ihr, auch wenn er wollte. Er aber will gar nicht fort. A. T.