Paiwai und Paiwuzzo

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Autor: Ernst Moritz Arndt
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Titel: Paiwai und Paiwuzzo
Untertitel:
aus: Mährchen und Jugenderinnerungen. Erster Theil. S. 123–155
Herausgeber:
Auflage: 1. Auflage
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1818
Verlag: Realschulbuchhandlung
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Erscheinungsort: Berlin
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Quelle: Scans auf Commons
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[123]

6.
Paiwai und Paiwuzzo.

In den ältesten Zeiten vor vielen tausend Jahren lebte in dem Lande Indien am Strom Ganges ein frommes Ehepaar, das sich vom Spinnen und Weben ernährte. Daneben hatten sie bei ihrem Häuschen eine grüne Wiese, worauf eine schneeweisse Kuh weidete, und ein Gärtchen, worin sie mancherlei Obst und Gemüse zogen. Dicht hinter dem Häuschen bis an den Strom hin grünte auch ein Hain heiliger Bäume, welche viele Jahrhunderte alt waren. Dahin gingen sie fleißig zu Gott zu beten, des Sommers auch vor der brennenden Sonne Schutz zu suchen. Am fleißigsten aber gingen sie an den Strom, den alle Indier heilig halten, als eine Wohlthat Gottes des Unsichtbaren und Allmächtigen. Jeden Morgen und Abend bei Sonnenaufgang und Sonnenuntergang sah man beide an seinem Ufer auf den Knieen liegen und unter dem Bilde der [124] Sonne und der Gestirne das unendliche und überschwängliche Wesen anbeten, zu dessen überirdischem Glanze der Verstand keinen Weg noch Steg findet sondern zu dem allein das stille und fromme Herz einen Pfad weiß. Zu dieser stillen Andacht nahmen sie immer ihr kleines Söhnlein mit, damit Gott sich durch das Beispiel und durch die Liebe in sein zartes Herz senkte; denn nie sprachen sie zu ihm ein Wort über das, was sie selbst nicht verstanden, ausser daß sie den Namen Gottes nannten und mit den Händen und Augen zum Himmel und zu den Sternen zeigten. Sie beteten aber immer mit für das Kindlein und daß Gott ihm gnädig und mild seyn und es fromm machen und ihm die Brust mit Gnade und Freude füllen möge zu seiner Zeit. Sie hatten aber nur dies einzige Kind, es war ein Knabe und hieß Paiwai. Und mit Gott und mit diesem Kinde lebten sie in ihrem einsamen Häuschen und Wäldchen und Gärtchen das stilleste und glücklichste Leben, das seit Adams Zeit je ein Menschenpaar auf dieser Erde gelebt haben mag.

Der kleine Paiwai war in diesem Leben fünf Jahre alt geworden und war ein schönes starkes Kind, so wunderschön und lieblich von Wuchs und Gebehrde, daß alle Leute, die es sahen, vor ihm stillstanden und sich freueten. [125] Und er hatte diese fünf Jahre unter Bäumen und Blumen und unter bunten Vögeln und Schmetterlingen in glücklicher Unschuld hingespielt und von dem Bösen und Uebel dieser Welt noch nie etwas gesehen noch gefühlt. Als sein fünfter Winter vergangen war und er in das sechste Jahr ging, da kam ihm ein kleiner lieblicher Gesell, mit welchem er den ganzen Frühling und Sommer auf das anmuthigste verspielen sollte. Als er nemlich nach diesem fünften Winter Frühling geworden war, fand sich in dem Garten neben Paiwais Häuschen ein kleines Vögelein ein, ein so buntes und strahlendes und funkelndes Vögelein, desgleichen nie auf Erden gesehen worden; so daß man wohl sagen kann, wenn der weiseste Künstler käme und ihm der Glanz und die Pracht aller Blumen und Sterne und Edelgesteine und Diamanten gegeben würde, damit er daraus ein Kunststück machte, und wenn ihm auch die Macht gegeben würde, diesem seinem Werke Leben und Athem einzublasen, daß er doch nimmer eine solche Herrlichkeit zu Stande brächte. Alle Leute, die das Vögelein sahen, wunderten sich seiner seltenen Schönheit und in welchen funkelnden Sonnenfarben es spielte. Das Vögelein war aber sehr zahm und ließ sich von einem jeden ganz nah betrachten, ohne daß es wegflog, [126] aber mit den Händen greifen ließ es sich von keinem sterblichen Menschen, als allein von dem kleinen Paiwai, dem es auch von selbst auf die Hände und Schultern flatterte und sich in seinen schwarzen Locken und über seiner freundlichen Stirn wiegte, wie ein Schmetterling auf Blumen. Und alle Leute fanden etwas Besonderes in dem Vögelein und weise Männer sagten, es müsse gradesweges vom Himmel herunter gekommen seyn und dem Paiwai etwas bedeuten, denn solchen Farbenglanz könne die Erde gar nicht hervorbringen.

Und der kleine Paiwai liebte das Vögelein über alle Maaßen und das Vögelein liebte Paiwai nicht minder, und die beiden Freunde waren die unzertrennlichen und schieden nicht von einander, bis die Nacht hereinbrach. Dann setzte sich das Vögelein in dem Fenster vor Paiwais Kämmerlein und sang dem Knaben einen süßen Schlafgesang. Es sang aber eben so schöne Lieder, als seine Federn bunt waren. War das Knäblein eingeschlafen, so bettete sich das Vögelchen in seinen schwarzen Locken und fächelte ihm die Stirn mit den Flügeln, oder es setzte sich auch in einer Rebenranke, die über sein Bettchen herabhing, und steckte dann sein Schnäbelchen unter das Flügelein. Paiwai aber nannte das Vögelein nach seinem Namen und rief ihm [127] Paiwuzzo, und den Namen gaben ihm alle Leute.

Als nun einige Wochen vergangen waren, da kam ein anderes Vögelein angeflogen, nicht so bunt sondern mehr grau, und das war Paiwuzzos Weibchen. Und die beiden küßten und schnäbelten sich viel und bauten sich ein Nest in den Weinranken vor dem Fenster, und das Weibchen legte Eier und saß darauf und brütete. Paiwuzzo aber trug ihm fleißig Körner zu, damit es nicht hungerte; und als Junge aus den Eiern kamen, da trug er noch viel fleißiger und auch die Mutter flog aus und suchte mit, und Paiwai sammelte auch zuweilen und trug es ihnen zu und legte es in seinem Fensterchen hin, wo sie es aufbickten. Und als die kleinen Jungen im Neste flügge wurden, flogen sie mit ihren Aeltern in den Wald, und Paiwai hatte immer die bunteste Schaar Vögelein um sich, die um ihn spielten und sangen, Paiwuzzo blieb aber immer der schönste und liebste. Nun geschah es oft, daß Paiwai mit diesen seinen kleinen bunten gefiederten Gesellen zuweilen vom Morgen bis Abend in Wäldern und Büschen herumstreifte. Seine Aeltern hatten kein Arges daraus, denn er kam des Abends immer wieder; und es däuchte ihnen, daß er alle Tage freundlicher und sanfter ward durch den Umgang [128] mit den schönen und lustigen Vögelein, so daß die Mutter wohl zuweilen zu dem Vater zu sagen pflegte: trüge Paiwuzzo nicht Federn, so mögte man glauben, er sey uns als ein Engel Gottes gekommen den Knaben zu erziehen und zu unterweisen. Der Vater pflegte ihr dann mit ernster Freundlichkeit das Schweigen zuzuwinken, denn von so hohen Dingen soll man nicht viel sprechen.

So war den Sommer Freude, aber der Herbst brachte Leid, denn die Vögelein entflogen und Paiwai mit ihnen. Ich will erzählen, wie dies geschehen ist.

Paiwai ging eines Morgens aus mit seinen Vögeln, wie er gewöhnlich pflegte, in den Garten in den Hain in die fernen Büsche. Paiwuzzo aber hielt sich diesmal nicht so still wie sonst, wo er ganze Stunden auf Paiwais Händen und Schultern zu sitzen und zu singen pflegte, sondern er flatterte immer weiter und seine Frau und seine Kinder flatterten ihm nach und Paiwai lief mit. So waren sie wohl zwei Meilen weit von dem Hause weggekommen und befanden sich in einem dichten Walde von Palmen, als die Sonne schon schief gegen der Erde stand und bald untergehen wollte. Und siehe da kam eine große Heerde Affen auf sie zu, wohl zweihundert an der Zahl, und die Vögelein [129] erschracken und flatterten und kreischten und Paiwai schrie und lief. Aber die Affen waren ihm zu geschwind, sie holten ihn bald ein, und ein großer Affe nahm ihn in seine Arme, und die Affen entführten ihn und liefen mit ihm in das Dickicht des Waldes. Und Paiwai kam nicht wieder zu Hause und die schönen bunten Vögelein kamen auch nicht wieder, sondern sind weggeflogen und von niemand auf Erden gesehen worden seit diesem Tag. Paiwais Aeltern aber haben geglaubt, Paiwai und die Vögelchen seyen durch wilde Thiere umgekommen, und sie haben ihm ein kleines Grabmal errichtet in ihrem Gärtchen, wo er am meisten zu spielen pflegte, und haben ihn lange beweint.

Und die Affen trugen den kleinen Paiwai noch weit mit sich fort in die Tiefe des Waldes, wo sie ihre Lagerstelle hatten, und er weinte sehr, schlief aber endlich doch aus Müdigkeit ein. Und es waren viele Tage und Wochen, daß er noch sehr traurig war um seine Aeltern und um seine schönen bunten Vögel, aber es half ihm nichts. Denn fortkommen konnte er nicht, die Affen bewachten ihn zu genau, auch hätte er den Weg nach Hause wohl nicht finden können, wenn er auch entkommen wäre. Denn diese Affen wanderten immer von Ort zu Ort und von Wald zu Wald und waren nach einem [130] Monat wohl schon über hundert Meilen von dem Häuschen, wo Paiwai gebohren war. Er mußte nun mit den jungen Affen und Aeffinnen leben und spielen, und that es, weil er nicht anders konnte. Er aß mit ihnen und trank mit ihnen, er naschte und mauste mit ihnen, und konnte endlich springen und klettern und sich um Zweige und Aeste ranken und schaukeln trotz dem besten Affen. Die Kleider hatte er aber bald verloren, denn die hatten sie ihm abgerissen, und war braun geworden und von der Sonne verbrannt, und um den Leib wuchsen ihm rauhe Haare, und seine schönen Locken hingen ihm struppig um die Augen, und der Schmutz, worin er lebte, machte ihn auch häßlicher und äffischer. Kurz als ein Jahr verflossen war, sah er fast aus wie ein anderer Affe, sprach auch kein menschliches Wort mehr, weil er nie eine Menschenstimme hörte, und lief zuletzt mehr auf Vieren als auf Zweien, weil er alle Affen so thun sah; und seine schönen vergangenen Kinderjahre wurden ihm ordentlich, wie sie schon den Kindern auch unter den Menschen werden, zu einem schönen Traum aus einer früheren Welt.

So war Paiwai drei Jahre mit den Affen in der Wildniß herumgelaufen und wußte von Mutter und Vater und selbst von Paiwuzzo [131] nichts mehr; und er ging in sein neuntes Jahr, und wäre wohl ein ganzer Affe geworden, wenn dies Leben so fortgewährt hätte. Aber er sollte nicht unter den Affen leben und sterben; und dies hat sich auf folgende Weise begeben:

Eine Nacht waren alle Affen aus einem großen Walde, wohl vierhundert an der Zahl, und Paiwai mit ihnen in einen Garten gestiegen und plünderten dort die Bäume auf das allerunbarmherzigste. Sie hatten freilich nach ihrer Gewohnheit Wachen ausgestellt, aber diese liessen sich von den Menschen beschleichen, und die Affen wurden plötzlich von allen Seiten überfallen, die meisten erschlagen und viele gefangen. Von den Gefangenen schlugen die Jäger die alten auch todt und liessen nur die jungen leben. Diese verkaufen sie gewöhnlich in großen Städten an Gaukler und Bänkelsänger, die sie zu allerlei Künsten abrichteten und mit ihnen durchs Land zogen, oder an fremde Schiffer, die sie nach Europa und Amerika und in fremde Länder mitnehmen, wo sie den Leuten für Geld gezeigt werden. Der kleine Paiwai war auch unter den Gefangenen und ward mit mehreren seiner Gespielen auf dem Markte zu Guzurate einer indischen Stadt einem herumziehenden Gaukler um einige Silberstücke [132] verkauft. So wohlfeil war er geworden, für den seine lieben Aeltern, wenn sie ihn hätten kaufen können, gern zweitausend Thaler gegeben hätten.

Der Gaukler, in dessen Hände sie kamen, war in seiner Kunst sehr geschickt und bearbeitete seine Zöglinge mit Stock und Peitsche unaufhörlich, damit sie gehorsam wurden. Denn den Affen Gehorsam zu lehren ist das schwerste: sie sind gewandt und klug und lernen sehr leicht, aber Tücke und Ungehorsam sind ihnen angebohren und den Menschen als Herrn der Schöpfung und also auch als Gebieter der Affen anzuerkennen weigern sie sich hartnäckig. Daher haben einige Weise gesagt, die Affen seyen eine Geburt der bösen Geister, die den Menschen von seiner Unschuld im Paradiese verführt haben, und seyen von ihnen hervorgebracht, daß sie die Menschen noch weiter verführeten. Das ist gewiß, daß die Affen viele Schläge haben müssen, ehe sie sich bequemen Künste nachzumachen. Dies geschah nun auch diesen Affen, weil sie nicht anders wollten. Der einzige Paiwai bekam keine Schläge, weil er alles gutwillig that. So daß der Gaukler sich verwunderte und sprach: Dieses Aeffchen hat fast Menschennatur. Und er gewann ihn darum lieb und that ihm nichts zu Leide, fütterte ihn [133] auch besser, als die andern; denn Paiwai lernte auch viel geschwinder und war der schönste aller seiner Affen.

Als der Gaukler seine Affen einige Wochen gemartert und abgerichtet hatte, verkaufte er einige und mit den übrigen zog er durch alle große Städte Indiens und der Halbinsel umher und zeigte seine Künste. Und der kleine Affe, der sonst Paiwai hieß, verschaffte durch seine seltenen Fertigkeiten dem Gaukler vielen Zulauf und alle Menschen fanden ihn ausserordentlich schön und anmuthig, und viele wollten behaupten, sie haben nie einen so schönen Affen gesehen. Es fanden sich auch Leute, die ihn gern kaufen wollten, aber sein Besitzer forderte eine so große Summe für ihn, daß ihnen die Lust dazu vergehen mußte. Auf seinen Zügen kam der Gaukler denn auch nach Dehli und führte dort mit seinen Affen und Hunden und Papagaien und was er sonst noch für Thiere hatte seine Künste auf. Dehli war die Hauptstadt von ganz Indien, wo der Großkaiser Indiens wohnte. Hier ward der schöne Affe denn auch bald berühmt und sein Gerücht kam sogar an den Hof. Und die alte Kaiserin, des Kaisers Mutter, befahl, daß der Gaukler kommen und ihr seine Thiere und Künste zeigen solle. Sie fand aber ein solches Wohlgefallen [134] an dem kleinen Affen, daß sie ihn sogleich wegführen ließ und dem Manne bezahlte, was er haben wollte: und er bekam eine erstaunliche Summe für Paiwai, und ist kein Affe seit Menschengedenken so theuer bezahlt worden. Denn kaum hatte Paiwai einige Stücke vor der Kaiserin gemacht, so rief sie entzückt aus: Nein einen solchen Affen habe ich noch nie gesehen, man sollte beinahe schwören, er sey ein Mensch, wenn er nicht so äffische Sprünge und Gebehrden machte. Den muß ich haben, und sollte es mir alle meine Schätze kosten.

Und sie ließ den kleinen Paiwai in einer Kammer neben sich einsperren, und oft ward er hervorgeholt und mußte vor ihr und vor den Hofleuten und selbst vor ihrem Sohn dem Kaiser spielen und Künste machen. Da machte Paiwai denn zur allgemeinen Belustigung tausend Sprünge und Schwenkungen und Zierlichkeiten und Possen aller Art, und weil er merkte, daß ihm niemand was zu Leide thun durfte, denn das litt die alte Kaiserin nicht, that er den Hofherren und Hofdamen den Kammerjunkern und Hoffräulein viele Schalkstreiche an, denn darin sind alle Affen Meister und deren hatte er genug gelernt. So hatte er einige Wochen wieder unter Menschen gespielt und gelebt, siehe da begab sich etwas, das den Affen [135] mit Einem Male wieder zum Menschen machte, und das war die Sprache.

Solange Paiwai unter den Affen lebte, hörte er nichts Menschliches: die Gaukler und Abrichter sprachen auch nur einige Worte und bedeuteten und befahlen mehr mit Peitsche Stock und Trommel, als mit menschlicher Rede. Aus dem wilden Getose und Gesause der großen Menschenmenge, vor welcher er spielen mußte, konnte er auch nicht viel Menschliches holen, zumal da er immer auf sein Spiel achten mußte und zum Hören und Merken keine Zeit hatte. Nun aber lebte er wieder mit Menschen und unter sehr vornehmen Menschen, wo gemessene und zarte und zierliche Worte erklangen, wo sich kein Stock mehr rührte, keine Peitsche knallte, und er richtete sich wieder zu Freude und Muth auf. Mit dem Muthe aber kommt alles Glück. Genug es läßt sich zwar nicht beschreiben, was in ihm vorgegangen ist und wie der Affe ihn verlassen hat, aber das Menschliche mußte auf eine wundersame Weise wieder in ihm erwacht seyn. Denn eines Morgens, als der ganze Hof sich in voller Pracht vor der alten Kaiserin verbeugte — es war ihr sechszigster Geburtstag — trat mit Einem Male unser Aeffchen Paiwai auf zwei Beinen ganz feierlich vor sie hin, verenigte sich zierlich und [136] sagte mit deutlicher Stimme: Auch ich wünsche Glück zu diesem Tage, allergroßmächtigste und allerdurchlauchtigste Kaiserin. Dies sah aber bei dem feierlichen Ernst, den er annahm, so possierlich aus, zumal da er äffische Possenkleider an hatte, daß Männer und Frauen laut lachen mußten, so ernsthaft auch die Freude des Tages war. Die alte Kaiserin aber hieß den Affen abführen, weil das Lachen vor ihr sich nicht schicken wollte.

Als aber diese Feierlichkeit vorbei war und sie wieder seyn durfte, wie andere Menschen, da schickte sie eine ihrer Kammerfrauen und ließ den Affen holen und wollte es mit ihm versuchen; denn ihr war allerlei eingefallen. Und sie fing an mit ihm zu sprechen, als ob er ein Mensch wäre, und er antwortete ihr Mehreres, und antwortete eben nicht viel ungeschickter, als Knaben des Alters zu thun pflegen, von welchem er die Größe hatte. Da schlug sie die Hände über den Kopf zusammen und rief: entweder sind wir dumm und verzaubert oder dieser hier ist kein Affe oder wenigstens doch ein in Affen verzauberter Mensch. Und sie hieß einige ihrer Diener kommen und befahl ihnen, sie sollten den Affen nehmen und ihm den Kopf bescheeren und ihn mit dem feinsten Salben reiben und waschen vom Haupte bis zu [137] den Füßen, und ihm dann zierliche Kleider anthun, als wäre er ein Mensch. Und sie thaten so und brachten ihn nach einigen Stunden wieder. Und alle sahen nun wohl, daß es ein Mensch war und ein recht hübscher Knabe, wie braun und grau er auch noch aussah und wie wunderlich äffisch er sich auch trug und hielt. Und die Kaiserin, hocherfreut über diese Verwandlung, nahm den kleinen Paiwai freundlich auf den Schooß und streichelte ihm die Wangen und küßte ihn und weinte über ihn und rief: Du armes Kind! wie bist du unter die Unholde gerathen? wie mögen deine Aeltern getrauert haben um dich? Nun bist du mein und ich will für dich sorgen. Hab ich dich als Affen geliebt, so will ich dich als Menschen mehr lieben; hab ich zwanzigtausend Thaler für das Thier ausgegeben, so kann ich mir den Menschen wohl mehr kosten lassen. – Und Paiwai verstand das jetzt alles und gebehrdete sich immer menschlicher und sprach immer mehr Worte. Und weil er oft das Wort Paiwuzzo aussprach, was er in seinem Leben wohl am meisten und mit der größten Liebe gerufen hatte, wenn er sein niedliches buntes Vögelein lockte, so nannte die Kaiserin ihn nun immer Paiwuzzo, und wir wollen ihn auch so nennen.

[138] Als nun der Paiwuzzo so verwandelt war und schöne Kleider trug und neben der Kaiserin zu Tische saß und auf ihre Kniee seinen Kopf legen und einschlafen durfte, da fand der ganze Hof ihn äusserst anmuthig und liebenswürdig, und selbst die Hofjunker und Edelknaben und Hoffräulein fanden ihn so, die er oft geneckt hatte. Denn das ist so der Brauch bei Hofe, daß alle dahin blasen, wohin der Wind wehet. Er war aber wirklich anmuthig und allerliebst, und nachdem er einige Wochen ausgebleicht war, erschien er als einer der lieblichsten Knaben; er mogte damals etwa zehen Jahre alt seyn. Aber nicht bloß seine leibliche Schönheit mußten sie bewundern, nein auch sein Geist war lustig und anmuthig; denn von Tage zu Tage blitzte und funkelte seine unter den Affen und im thierischen und wilden Leben verdunkelte Vernunft heller und heller auf, und in wenigen Monaten hatte er das Laufen auf Vieren ganz verlernt und schritt immer aufgerichtet und fast so fest als Mensch einher, auch lernte er wunderbar geschwind und anmuthig sprechen und konnte schon Einiges erzählen aus den Erinnerungen seiner Kindheit und aus seinen Affenzügen. Doch dies war so undeutlich und so wenig, daß niemand daraus wissen konnte, woher das Kind gekommen war, obgleich die [139] Kaiserin es um ihr Leben gern gewußt hätte. Denn wegen seiner Schönheit meinte sie, er müsse von sehr großer Geburt seyn; denn das können vornehme Leute nie glauben, daß auch arme Menschen schöne Kinder haben können.

Das war nun natürlich, daß in Dehli und auf viele Meilen ringsum kein Gespräch war als von Paiwuzzo, dem Liebling der alten Kaiserin, der aus einem Affen ein Mensch geworden war; und auch an Mährchen und Deutungen fehlte es nicht. Einige flüsterten, es müsse wohl etwas Besonderes auf sich haben mit dem Kinde, und am Ende habe man nur so eine Affenkomödie mit ihm gespielt, um ihn unverdächtig an die Stelle zu bringen, wohin man ihn nicht sogleich aus der Wiege habe setzen können; vielleicht ein heimlicher Sprößling, der dem Kaiserhause angehöre, von dem man aber weder den Garten, worin er gewachsen, noch den Gärtner, der ihn gepflanzt, nennen dürfe. Andere, die seine Wunderschönheit gesehen oder davon gehört hatten, sagten wieder, es möge wohl ein ausgesetztes oder entführtes Kind vornehmer Abkunft seyn, das der Himmel auf eine wunderbare Weise erhalten und hieher gebracht habe und das vielleicht noch zu hohem Glücke bestimmt sey. Manche auch – und zwar das große Heer, das von einigen das Heer der Philister genannt wird – riefen [140] bei der Wundergeschichte: O je! O je! Kaiser und Kaiserinnen und Könige und Königinnen haben ja in der Welt nichts zu thun und da kommen sie aus Langerweile auf allerlei Grillen und Einfälle mit Mohren Affen Kalmücken Lappländern und Papagaien; was wird es seyn? irgend ein Betteljunge wird es seyn, den sie zu einem Affen verkleidet und zugestutzt haben, und der Gaukler oder ein solcher ist wohl sein Vater und denkt durch ihn einmal eine Hofstelle zu bekommen, Oberceremonienmeister oder Oberkammerherr zu werden oder etwas Aehnliches, wozu das Abrichten von Affen und Affensprünge, die man bei Gelegenheit mitlernt, an manchem Hofe die ersten Stufen sind.

Die alte Kaiserin nahm sich indessen des Knaben Paiwuzzo, zu dem sie allerdings wunderbar genug gekommen war, rechtschaffen an; denn sie war eine fromme und gottesfürchtige Frau. Sie begriff recht gut, daß hier am Hofe, wo er zuerst als Affe aufgetreten war, nur Affenkünste mit ihm getrieben werden würden, und war überhaupt eine zu kluge Dame, als daß sie das Affenspiel der Schmeichelei Lüge und Ziererei innerlich nicht erkannt hätte, das hier auch solche spielen, die nie mit verbeinigten Affen gelebt haben, und das hier ein unvertilgbares Uebel zu seyn scheint. Sie that also das Große, daß sie den Knaben, [141] den sie sehr lieb gewonnen hatte, ja von dem die Leute sagten, sie könne ohne ihn gar nicht leben, vom Hofe und von seinem losen Künsten entfernte. Sie schickte ihn zu einem weisen Meister, damit er einen Mann aus ihm machte.

Dieser Meister nebst mehreren wackeren Gesellen, die ihm beistanden, wohnte fern von der Hauptstadt und von dem Getümmel und der Eitelkeit der Menschen in einem einsamen Thale am Indus, und war wegen seiner Weisheit und Gottseligkeit und Freundlichkeit in ganz Asien gepriesen, und die Könige und die Weisen schickten aus fernen Landen ihre Söhne zu ihm, damit er sie zu aller Tugend und Stärke erzöge. Zu diesem wurde Paiwuzzo geschickt, als er ihm zehnten Jahre war.

Und der Knabe artete sehr wohl. Es war von der bösen äffischen List und Schalkheit, worunter er so lange gelebt hatte, auch keine Spur in ihm; selbst die unschuldigen und gutartigen Schelmereien, denen er sich sonst noch überlassen hatte, waren von ihm gewichen, und eine liebliche Freundlichkeit und ein milder Ernst leuchteten auf der Stirn des Knaben, der nun allmälig zum Jüngling reifte. Er ward der Liebling des weisen Meisters, weil sein Blick und Gemüth zur Schönheit Gottes und des Himmels gerichtet waren, und er machte so geschwinde und erstaunliche [142] Fortschritte in den geheimen und verborgenen Wissenschaften der Natur und der Gestirne, daß der weise Meister es oft beklagte, daß die alte Kaiserin ihn wieder begehrte für den Hof und das getümmelvolle Leben. Denn dieser, pflegte er seinen Vertrauten wohl zuzuraunen, wäre ein rechtes Geräth in Gottes Hand, wann ich vor Alter hinfällig und gebrechlich werde, dies Werk nach mir aufzunehmen und zu tragen; doch auch die Welt braucht stille und tiefsinnige Männer und selbst das Schwerdt glänzt lieblicher in der Hand eines Frommen. Wie begierig und sinnig Paiwuzzo die innere Lehre auffaßte und behielt, eben so rasch und geschwind war er in allen Leibesübungen, so daß er im Ringen Springen Laufen Schwingen im Kampf mit dem Degen und der Lanze und in allen edlen Turnübungen auch geschwinder war als die geschwindesten. Da frommte ihm die Gelenkigkeit und Biegsamkeit sehr, die er unter den Affen im Walde und durch die Affenkünste der Gaukler gelernt hatte. Auch hatte er durch das Leben in der Wildniß den festesten und unermüdlichsten Leib gewonnen, welcher des Frostes und der Hitze und jeder Mühe und Arbeit der geduldigste war.

Paiwuzzo war nun siebenzehen Jahre alt, schlank und stattlich von Wuchs, so daß er über die Länge der gewöhnlichen Männer ragte, und [143] die ihn sahen, nannten ihn den schönsten und bescheidensten der Jünglinge. Er mußte nun seinen weisen Meister und seine Gespielen verlassen und wieder zu dem prächtigen und getümmelvollen Dehli und zu dem Hofe der alten Kaiserin zurück.

Die alte Kaiserin empfing ihn auf das freundlichste an ihrem Hofe und hatte ihn so lieb, als wäre er ihr Enkel gewesen. Und wahrlich, er sah dem Sohne eines Kaisers ähnlicher, als dem Sohn eines Webers: so sehr ragte er durch Anmuth und Tugend über die meisten Menschen. Weil die hohe Frau ihn aber wirklich lieb hatte, so trieb sie ihn bald wieder von sich und von dem Hofe weg. Denn sie sprach bei sich: in dieser lauen Luft, wo es weder kalt noch warm ist, kann kein Jüngling gedeihen; mancher Mann wird darin zermürbt, und ich habe gesehen, daß das gefährlich leichte Spiel eiserne Herzen zerbrochen hat. Darum soll er hier nicht bleiben. Und sie schickte ihn in den Krieg gegen Westen, wo mit den Persern seit drei Jahren ein fürchterlicher Kampf war um die Lande, die sich nördlich gegen die Berge hinaufstrecken. Dieser Krieg stand noch drei andere Jahre und die Perser wurden endlich zum Frieden gezwungen, Paiwuzzo aber kam als ein berühmter Held zurück und war durch die Gunst der Kaiserin und durch sein gutes Schwerdt so hoch gestiegen, daß er schon einen großen [144] Kriegsbefehl überkam und Statthalter der Lande ward, die man den Persern wieder abgewonnen hatte. Dahin stellte der Kaiser aber nur Männer, zu welchen er das höchste Vertrauen hatte.

Aber auch hier blieb Paiwuzzo nicht lange, denn das Schicksal trieb es so wunderbar, daß er immer höher hinauf mußte, bis er endlich so hoch stieg, daß er auf Erden nicht höher steigen konnte. Dies begab sich folgendergestalt:

Der Kaiser, der alten Kaiserin Sohn, der von Dehli aus über ganz Indien herschte, hatte nur eine einzige Tochter. Er war zwar noch nicht alt, aber die Hoffnung war aus, daß sein Gemal, das nicht mehr jung war, ihm noch andere Kinder gebähren werde. Es geschah also, was in solchen Fällen zu geschehen pflegt, wo keine Söhne sind, die dem Vater im Reiche folgen können: das Volk war unruhig in Furcht und Hoffnung und viele ehrsüchtige und herrschlustige Männer regten sich auf hie und da und zettelten insgeheim allerlei Anschläge. Dies thaten besonders des Kaisers Verwandte, die ein näheres Recht auf den Thron zu haben meinten. Das verbitterte dem Kaiser seine Tage und er lebte nicht ohne Sorgen; am meisten aber fürchtete er die gewaltigen Kriegsleute, welche den Persern in die sechs Jahre widerstanden und endlich den Sieg gewonnen hatten, und unter diesen den [145] Ferdat, einen trotzigen Mann und der sich von seinem Urgroßvater her einen Vetter des Kaisers nannte. In dieser rathlosen Noth, damit nicht noch bei seinem Leben Aufruhr im Volke entstände, mußte er sich einen Nachfolger verschaffen. Das wäre nicht schwer gewesen, aber er wünschte auch einen Eidam und einen Gemal für seine Tochter, der zugleich auf dem Thron säße nach ihm. Den durfte er aber nicht wählen, sondern die Wahl stand unter einem schrecklichen Gesetze, das die Kaiser Indiens in der uralten Zeit hatten ausgehen lassen, damit keine Weichlinge auf den Thron kämen. Die Söhne folgten dem Vater im Reiche in Reihe zu Reihe nach; hatte der Kaiser aber nur Töchter und wollte er die älteste auf dem Throne erhalten, so war sie dem zu Theil, der im Kampfe als der Tapferste oder Glücklichste bestand, und dieser bestieg mit ihr nach des Vaters Tode den Thron. Es mußte mit einem Tiger oder Löwen in offenen Schranken um die höchste Ehre der Welt auf Leben und Tod gekämpft werden, und ob der Streiter jung ins Grab sinken oder das Brautbett der Prinzessin besteigen sollte, war oft nur das Zwischenspiel weniger Sekunden.

Der Kaiser stellte denn das Brautbett seiner schönen Tochter zwischen einen bengalischen Tiger und das Glück. Herolde ritten in alle Lande aus [146] und bliesen auf Trompeten und verkündeten: Des großen Kaisers von Indien Tochter, die schön sey wie die Sonne und lieblich wie der Mond, werde des Mannes Gemal, der mit Dolch und mit Schwerdt in offenen Schranken einen bengalischen Tiger fälle; und dieser siegreiche Gemal werde des Kaisers Nachfolger im Reiche. Und es zogen herbei Könige und Fürsten und Grafen und Ritter von Fernen und Nähen, aber die Fürsten und Großen des Reichs rüsteten sich auch zu dem Tage. Denn die Prinzessin war eine rechte Rosenblume der Schönheit, und wäre sie häßlich gewesen wie die Nacht, ein großes Reich däucht den meisten Männern noch eine anmuthigere Rosenblume als die schönste Prinzessin.

Als nun der Morgen angebrochen war, an welchem der Kampf geschehen sollte, war der Tiger aus seinem eisernen Käficht früh in die Schranken gelassen, damit alle ihn beschauen könnten. Die dann noch Lust hatten zu kämpfen, meldeten sich bei dem obersten Kampfrichter, und er schrieb sie auf und ordnete sie nach ihrer Geburt und ihrem Range, so daß der Vornehmste immer zuerst mit dem Thiere zusammengelassen ward. Der Tiger war aber ein so fürchterliches Unthier, von solcher Höhe und solchen Knochen, daß die meisten, die auch kampflustig gekommen waren, zurückwichen und nicht viele sich aufschreiben [147] liessen. Unter diesen war der Prinz aus Persien der vornehmste.

Und als es gegen den Mittag ging und alles Volk und die Fürsten und Ritter und Männer sich versammelt hatten, da erschien der Kaiser und die Kaiserin und die alte Kaiserin, und nach ihnen erschien auch die Prinzessin auf dem Erker des Schlosses über den Schranken, wo Thronen für sie alle gebaut waren. Und die Prinzessin funkelte von Gold und Edelsteinen und Diamanten, aber ihre Schönheit und Jugend überstrahlte alle diese Pracht; sonst war sie blaß wie der Schnee und saß voll Traurens da und schlug die Augen nieder: denn sie zitterte eben so sehr vor einem bösen Gemal, den ihr der Zufall geben konnte, als vor dem Klauen des Tigers und dem gräßlichen Spiele, das sie mit ansehen sollte. Viele aber, die sie in ihrer lieblichen Jugend sahen, dachten bei sich: Wäre der Tiger nicht gar zu gewaltig, um solchen Preis schritten wir auch wohl in die Bahn und versuchten das Glück.

Und als alles geordnet war, siehe da winkte der König von Erker und der Kampfrichter befahl und die Posaunen und Trompeten erklangen – und die Schranken öffneten sich und der Prinz von Persien trat ein fest und kühnlich, ein schöner Mann und ein ritterlicher Held: das hatten [148] die von Indien in mancher heissen Schlacht empfunden. Und er schritt muthig auf das Thier zu, als wollte er es von vorne angreifen; aber der Tiger übersprang ihn plötzlich mit Schlangenlist und riß ihn von hinten nieder, und sein Herzblut rauchte zum Himmel empor. Und der Prinzessin geschwand es bei diesem jammervollen Anblick und sie sank von ihrem Stuhl; alles Volk aber erbebte, und es war eine Todtenstille.

Und manche von den Kämpfern, die streitlustig gewesen waren, als sie diesen tapfern Helden geschwinden und schrecklichen Fall sahen, erschracken so, daß sie sich nicht schämten, sondern ihre Namen auslöschen liessen und ihre Pferde sattelten und still davon ritten, als wären sie nicht da gewesen. Und da die Könige und Prinzen auf dem Kampfplatze fehlten, kam es nun an die Männer geringerer Ordnung, und es trat ein Mann auf, den sie den indischen Riesen nannten und dessen Name im Kriege gewaltig war. Er hieß Mirdach und war eines Köhlers Sohn aus dem Lande Lahor und hatte sich durch seine Kriegstugend bis zum höchsten Befehl erhoben. Und der König lobte seine Siege, aber ihn selbst fürchtete er, denn er war wild und roh und auch im Frieden zuckte durch seine Seele immer das blutige Schwerdt; auch war er von Leibe garstig und ungeschlacht. Die Prinzessin [149] sank nieder von Abkraft, als sie diesen in die Schranken treten sah, denn so gern hätte sie selbst mit dem Tiger gekämpft, als sie eines solchen Gemal geworden wäre. Aber Gott erlöste ihre Furcht, denn so stark der Mann war, kam er doch um. Er glitschte aus im Sande, als er nach dem vorspringenden Thiere einen Stoß that und der Stelle fehlte, und der Tiger stürzte schnell auf ihn und riß ihm den Kopf aus den Schultern. Da jauchzete alles Volk, denn sie haßten ihn alle und fürchteten für ihre geliebte Prinzessin.

Und die Leichen lagen da im Blute, und die Schranken wurden geschlossen und es ward posaunt und trompetet, aber es erschien kein Kämpfer. Und dem Könige bangte es im Herzen. Denn ward der Tiger nicht niedergekämpft, so gebührte das Reich nach ihm von Rechtswegen dem nächsten Vetter. Und schon sahen alle auf den stolzen Ferdat, den nächsten nach dem Kaiser, wie er hohnlächelte, da die Schranken leer blieben. Er war ein tapferer Mann aber trotzig und ungerecht und des Kaisers Feind. Es wünschten aber alle, daß das Reich bei des Kaisers Tochter bliebe, denn der Kaiser und die junge Prinzessin hatten Gnade bei Gott und den Menschen, so freundlich und gütig waren sie gegen alles Volk. Aber diesmal ward dem Könige die Angst noch [150] geheilt, denn die Schranken öffneten sich endlich wieder und ein schöner schlanker Mann schritt ein; und als sie sahen, daß es Paiwuzzo war, da jauchzeten sie alle und klatschten mit den Händen. Er aber rief laut: Ich trete nicht in Vermessenheit her; ich habe lange gewartet, daß ein besserer kommen sollte, als ich bin; und nun helfe mir Gott und bringe dem Kaiser und der Prinzessin Heil! Und er sprang gegen das Thier und das Thier sprang gegen ihn. Hier aber sah man, was Gott mit Paiwuzzos Waldleben gewollt hatte: er konnte jedem Sprunge des wüthenden Tigers durch einen andern Sprung ausweichen, jeder List durch eine andere List begegnen, jeden Schritt und Blick des Thieres messen, so daß der Tiger fast stutzig ward und oft still stand, ehe er wieder begann. Für die Zuschauer war dies aber ein angstvoll merkwürdiger Kampf. So hatten die beiden wohl schon zwanzig Sprünge und Gegensprünge gemacht, und noch hatte Paiwuzzo keinen einzigen Stoß gethan. Endlich ersah er seine Gelegenheit, schwang sich mit dem Wütherich mit Einem kühnsten Sprunge auf den Nacken, hielt die Mähne, und stieß den breiten Dolch bis an den Schaft durch die Schultern. Das Thier brüllte, sprang mit seinem Reiter in der Todesangst wohl zwanzig Schritte weit, streckte dann alle Viere von sich und starb. Paiwuzzo [151] war aber bis ans Ende in seinem Sitz geblieben und hatte die Mähne festgehalten, damit das Thier ihn in den letzten Zuckungen mit den Klauen nicht verletzte. Alle Menschen aber jauchzeten und ihre Freude und ihr Jubel tosete wie ein Sturmwind um die Schranken.

Der Kaiser stieg nun von dem Erker und von seinem hohen Thron herab, trat in die Schranken und sprach laut vor allem Volke: Gelobet sey Gott, der mir diesen Mann zum Eidam und Nachfolger erkoren hat, den weisesten und tapfersten aller meiner Diener! Und er umhalsete und küßte ihn vor allem Volke und das Volk jubelte dazu. Paiwuzzo aber verneigte sich vor dem Kaiser bis zur Erde, also daß er mit seiner Stirn den Staub fast berührte. Der Kaiser aber hob ihn auf und führte ihn auf den Erker zu seiner Tochter der Prinzessin. Die drückte ihm einen grünen Kranz aufs Haupt, das Zeichen des Sieges, und steckte ihm einen goldnen Ring an den Finger, das Zeichen der Verlobung. Sie hatte ihn aber vorher nie gesehen, und freuete sich, daß er so jung und schön war. Denn im Morgenlande bekommen die Prinzessinnen fast nie einen Mann zu sehen, bis sie vermählt sind, das ist die Sitte des Landes. Die sich aber am meisten freuete über diese Geschichte, das war die alte Kaiserin. Sie hatte diesen Sieger als einen Affen von einem [152] Gaukler gekauft, sie hatte ihn bei dem weisen Meister am Indus erziehen lassen, und hatte ihn immer fast wie ihr eigenes Kind geliebt; und nun sollte er der Gemal ihrer Enkelin werden. Und sie küßte ihn in Freuden und sah gen Himmel und rief: Gnädiger Gott, so wolltest du es und hast es alles so geschehen lassen, damit nicht Fremde herrschten über unser Volk und über unser hülfloses Alter.

Und als Paiwuzzos Vermälung mit der Prinzessin mit großem Glanz begangen und er von dem Kaiser feierlich als Nachfolger eingesetzt und von den Fürsten des Landes und von allem Volke anerkannt war, ward er gen Süden geschickt gegen den Niederganges, daß er Bengalen und die großen jenseitigen Landschaften regierte, welche sich gegen die Gränzen Sinas erstrecken. Und er wohnte mit seinem Gemal in einer großen Stadt am Ganges, welche Kalkutta heißt.

Da begab es sich, daß er einmal auf der Jagd war und in der Lust des Jagens von seinen Begleitern abkam und sich in dem tiefen Wald verirrte. Die Nacht überfiel ihn und er mußte unter freiem Himmel bleiben, d. h. er kletterte auf einen Baum und schlief da, damit er vor den wilden Thieren sicher wäre. Denn diese Art Nachtlager wußte er sich sehr gut zu bereiten. Als der Morgen anbrach, sah er ein Wasser [153] schimmern und erkannte, daß er wieder an dem Ganges war. Es war ihm aber wundersam um das Herz und däuchte ihm fast, als habe er diese Bäume und diese Wiesen schon einmal gesehen; als er aber fürbaß ging und weiterhin ein kleines mit Rohr gedecktes Häuschen und ein grünes Gärtchen daneben erblickte, traten ihm unwillkürlich Thränen in die Augen. Er wußte aber nicht, was ihm geschah noch warum ihm so geschah; denn die zarten Erinnerungen seiner Kindheit kamen wieder, sie standen aber nicht deutlich vor seiner Seele, sondern ihm war, wie Menschen im Traum zu seyn pflegt. Als er aber an das Häuschen kam, da schloß der Schlüssel seiner Seele ihm die Verborgenheit auf, er rief mehr als einmal: o Paiwuzzo! Paiwuzzo! und heisse Thränen rollten ihm über die Wangen; denn er sah das Kammerfensterchen wieder und die Rebenranken grünten noch, worin das Vögelein sein Nest gehabt hatte, und der alte Palmbaum stand noch da vor der Gartenthüre, worunter das Kind so oft gespielt hatte, wann die Sonne zu heiß brannte. Unterdessen war eine Frau mit schneeweissem Kopfe zu ihm getreten und staunte ihn an; er aber erkannte sie sogleich, daß sie seine Mutter war, und fiel ihr um den Hals und küßte sie und weinte sehr, und dann sagte er: Ich bin Paiwai dein verlorner Sohn, der nun [154] Paiwuzzo heißt. Und sie wollte es nicht glauben. Als er ihr aber alle seine wundersamen Geschichten erzählte, da glaubte sie es gern und freuete sich, daß sie ihren Sohn wieder gefunden hatte. Die alte Frau wohnte jetzt einsam in dem Hause, denn ihr Mann war vor zwei Jahren gestorben. Und nach langer trauriger Zeit fielen wieder Freudenstrahlen in ihre Seele, daß der geliebte Sohn wiedergekommen war, und als ein großer und vornehmer Herr.

Paiwuzzo schied jetzt von seiner Mutter und kam wieder zu seinen Jagdgenossen und fuhr mit ihnen nach Kalkutta. Da nahm er sein Gemal mit sich und führte sie zu seiner Mutter, daß sie die alte Frau erfreuete. Und er ließ sich ein prächtiges Schloß bauen neben dem Häuschen und dem Hain, worin er als Kind gespielt hatte, und wohnte darin den ganzen Sommer, und kam jeden Sommer wieder und pflegte seine alte Mutter, die in ihrem stillen Rohrhäuschen blieb bis an ihr Ende. Und als der Kaiser sein Schwäher gestorben war, ward Paiwuzzo Kaiser über ganz Indien und führte ein gerechtes und gewaltiges Regiment, also daß in langer Zeit kein so großer und glücklicher Kaiser geherrscht hatte. Und er zeugte Söhne und Töchter mit seinem theuren Gemal, und es sind viele große Kaiser und Könige von [155] ihm entsprungen und seine Urenkel herrschen noch in vielen Landen Asiens bis auf diesen Tag. Gott aber hat diesen Sohn des Webers zum Kaiser gemacht, damit er den Menschen zuweilen durch große Zeichen zeige, daß Tugend besser ist als Geburt, und daß er die Kleinen groß und die Großen klein machen kann, wann es ihm gefällt.