Pariser Bilder und Geschichten/Aus der Journalistenwelt

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Autor: Ernst Eckstein
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Titel: Aus der Journalistenwelt
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aus: Die Gartenlaube, Heft 35, S. 550–552
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1871
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Pariser Bilder und Geschichten.
Aus der Journalistenwelt.


Die französische Journalistik repräsentirt gegenwärtig eine Macht, deren gewaltigen Einfluß wir während des letzten Krieges nur zu oft zu beklagen hatten; denn leider geht mit der Bedeutsamkeit des Könnens die Lauterkeit des Wollens nicht immer Hand in Hand. Ein beträchtlicher Theil der nationalen Fehler und Irrthümer, die dieses so reichbegabte Volk verunzieren, kommt auf Rechnung der Pariser Presse, die in selbstsüchtiger Absicht den verwerflichen Leidenschaften der Masse schmeichelt, anstatt dieselbe aus dem Staube der Kleinlichkeit hülfreich emporzuheben. Das Gefühl der Pflicht ist – so hart dies auch klingen mag – der überwiegenden Mehrzahl der französischen Journalisten ein unbekannter Artikel; das einzige Ziel, auf das sie ihr Talent und ihren Eifer richten, ist der materielle Erfolg ihres Blattes und ihr damit zusammenhängendes eigenstes „Glückmachen“. Es giebt, Gott sei Dank, eine Reihe der ehrenwerthesten Ausnahmen, aber, wie gesagt, sie befinden sich in der Minorität.

Doch lassen wir die Frage nach der sittlichen Beschaffenheit der französischen Presse für diesmal ohne weitere Erörterungen fallen, und werfen wir einen Blick in ihre innere Einrichtung. Suchen wir uns von den geistigen und mechanischen Vorbereitungen Rechenschaft zu geben, die erforderlich sind, um dem Pariser zum Frühkaffee eine Nummer des „Siècle“ oder des „Journal des Débats“ zu liefern. Machen wir uns mit dem Personal eines modernen französischen Blattes und mit den Aufgaben bekannt, die jedem einzelnen Rade der großen Maschinerie obliegen.

Ein bedeutendes Pariser Journal ist meistens in ein unsympathisches, düsteres Gebäude verwiesen. Ein niedriger Thorbogen, aus grauen, schmutzigen Quadern gewölbt, führt in die unwirthliche Hausflur. Die Treppenaufgänge sind eng, dunkel, halsbrecherisch. Es ist, als solle dem Zudringlichen von vornherein begreiflich gemacht werden, wie wenig man gesonnen ist, ihm die Pfade zu ebnen. Der Umstand, daß jedes größere Journal seine eigne Druckerei besitzt, trägt wesentlich dazu bei, die erkorene Baulichkeit zu verdüstern; denn wo die Jünger Gutenberg’s ihre Zelte aufschlagen, da verwandelt sich die reinste, blendendste Tünche über Nacht in das niederträchtigste Grau.

Die Residenz einer Pariser Zeitung ist in zwei scharf gesonderte Hälften getheilt: in den Bezirk der Redaction und in den der Administration.

Das Gebiet der Redaction besteht aus sechs bis sieben Räumlichkeiten, nämlich einem Gemach für die Bureau-Bediensteten, einem Wartezimmer, einem Privat-Cabinet für den Chef-Redacteur, zwei oder drei Sälen für die Unterredacteure, und einem sogenannten Redactionszimmer, in welchem sich die Bibliothek befindet.

Das Gemach der Büreaudiener ist gewissermaßen die Vorhalle, durch welche Jedermann, selbst der Eingeweihte, passiren muß, ehe sich ihm die Pforte des Heiligsten, – nämlich des Wartezimmers, – oder gar des Allerheiligsten, – nämlich des chefredacteurlichen Privatcabinets – erschließt. Aber nicht Jeder, der diese Vorhalle betritt, gelangt zur geweihten Schwelle! Viele sind berufen aber Wenige auserwählt! Wer die Parole nicht kennt, wer nicht mit unumstößlichen Beweisen darthut, daß er drinnen erwartet wird, der erhält die stereotype Antwort. „Der Herr Redac-en-chef (so lautet die sanctionirte Abkürzung) kommt vor heute Abend nicht in die Redaction!“ So schroff diese Methode auf den ersten Anblick erscheinen mag, so dringend ist sie mit Rücksicht auf die Unmasse ungebetener Gäste, die von früh bis spät die großen Journale belagern, geboten. Ein bekanntes geflügeltes Wort behauptet, der Mann, der seine Zeit am genauesten kenne, sei Monsieur de Paris, der Scharfrichter. Mit einem gleichen Grade von Autorität könnte man diesen Ausspruch auf die Bureaudiener (Garçons de bureau) anwenden. Welche bunte Gallerie von Charaktermasken wandelt nicht Tag um Tag an ihnen vorüber! [585] Welche Fülle von typischen Figuren! Da naht sich in demüthiger, gebeugter Haltung der heruntergekommene Literat, der den abgeschabten Cylinder krampfhaft durch die dürren Finger laufen läßt und von seinem Herrn Collegen einige Franken „erborgen“ möchte. Da stolzirt kühn gehobenen Hauptes ein Jüngling herein, der eine weltverbessernde Erfindung gemacht hat, – sei es nun, daß er die Lösung eines gewaltigen socialen Problems, sei es, daß er eine neue Methode der Straßenreinigung, des Brodbackens oder der Kuhpockenimpfung bringt. Auch wissenschaftliche Entdeckungen, wie z. B. die der Cirkelquadratur, des Perpetuum Mobile etc. sind an der Tagesordnung. Der junge Mann verlangt die Einrückung eines acht Spalten langen Artikels, in welchem er die Früchte seines Nachdenkens dem Urtheile der Sachverständigen unterbreitet. Erbittert runzelt er die Stirn, wenn der Chefredacteur zum zweiten Male gewagt hat, nicht zu Hause zu sein! Wie? Hat man denn im neunzehnten Jahrhundert jeden Sinn für die Fortentwicklung des Menschengeschlechts verloren? Soll sich die traurige Komödie, die der große Columbus durchgelitten, immer und ewig wiederholen? … Es ist fast überflüssig, hinzuzufügen, daß der angebliche Geistespionnier im besten Falle ein unreifer Schwärmer ist.

Nicht minder zahlreich als die Bittsteller und Erfinder sind die literarischen Dilettanten. Sie übertreffen jene noch an Hartnäckigkeit und Beredsamkeit. Der Student im ersten Semester, der einen Leitartikel über die europäische Lage verfaßt hat und denselben in der nächsten Nummer veröffentlicht sehen möchte; der hagere Poet, der eine Dichtung im Stil der Henriade geboren hat und das Feuilleton der betreffenden Zeitung um die Uebernahme der Patenstelle ersucht; die ältliche Dame, die mit einem Sensationsromane von hundert Bogen niedergekommen ist – das sind stehende Charaktere des Vorzimmers. Die „Garçons“ sind ihnen gegenüber so meisterhaft geschult, daß sie dem Redactionspersonal nie lästig fallen würden, wenn sie nicht eine eigenthümliche Kriegslist befolgten. Sie warten nämlich bis zum Schlusse der Bureaustunden und „begleiten“ dann die Redacteure auf dem Wege nach ihren Privatwohnungen. Namentlich versteht es die Pseudo-Schriftstellerin, ihre Opfer mit unlöslichen Garnen zu umstricken.

Auch der Mann des „Eingesandt“ gehört zu den Typen der Belagerer des Wartezimmers. Bald bringt er eine Jeremiade über das schlechte Pflaster in der Rue de la Coqueluche; bald beschwert sich sein Artikel über die Unsicherheit gewisser Stadtviertel; bald erlaubt er sich eine „leise Anfrage“, ob man höheren Orts nicht gesonnen sei, endlich in dem Impasse Carcolet eine Gaslaterne anzubringen, da ein naher Verwandter des Einsenders am 27. d. M. daselbst in der Dunkelheit der Nacht eine Rippe gebrochen habe.

Oft sind diese Correspondenzen unterzeichnet wie folgt: Henri Goguenard, Specereiwaarenhandlung, Rue St. André, Nr, 99; oder: Jean Jacques Brimbouillet, Strumpfwaarengeschäft (auch auf Credit), Rue Bergère Nr. 77. Alsdann entspringen sie dem speculativen Kopfe eines haushälterischen Bourgeois, der dem Publicum seine Firma in’s Gedächtniß rufen will, ohne die Auslagen für eine Anzeige zu bestreiten.

Vergessen wir schließlich nicht den Finanzschwindler! Er bringt eine mehr oder minder beträchtliche Summe und wünscht dafür die lobende Besprechung irgend eines zweideutigen Unternehmens.

Alle diese Persönlichkeiten hat der Bureaudiener abzuwehren, zu beschwichtigen oder im Nothfall vor die Thür zu befördern. Die Aufgabe ist ebenso schwierig als undankbar, und mehr als ein Seufzer des Neides ringt sich aus dem Busen des ewig umlagerten Garçons los und weht hinüber nach den Räumen, wo der König des Journals, der Redacteur en chef, seine souveraine Existenz führt.

Der Chef-Redacteur eines Pariser Journals ist in der That ein kleiner Fürst. Jedermann fêtirt ihn; alle Pforten sind ihm geöffnet. Die Theater stellen ihm die besten Logen zur Verfügung; ohne ihn geht keine Feier, kein diplomatisches Diner, kein Autorenfrühstück, keine künstlerische Soirée in Scene. Er bezieht ein Gehalt von zwanzig- bis vierzigtausend Francs, wohnt Bel-Etage, und „macht ein Haus“. Dabei ist er unter allen Journalisten derjenige, der am wenigsten schreibt. Als eleganter Dirigent steht er vor seinem Pulte und schwingt ohne sichtbare Anstrengung sein Stäbchen. Freilich, die Arbeit ist, äußerlich genommen, leichter, als die rastlose Thätigkeit der einzelnen Instrumente; aber es gehört ein ganz besonders ausgeprägtes Tactgefühl dazu.

Ein echter Chef-Redacteur duldet unter seinem Personal Niemanden, der ihm vermöge seines Talentes ebenbürtig oder gar überlegen wäre. So hat Emil von Girardin den Herren Nefftzer, Peyrat, Duvernois u. A., die eine Zeit lang seine Unterredacteure waren, nach gewonnener Einsicht in ihre Befähigungen den Laufpaß gegeben. Emil von Girardin ist übrigens, beiläufig gesagt, einer der wenigen Chefs, die persönlich eine unermüdliche Feder führen.

Der Zweite im Rang, nach dem Chef-Redacteur, ist der Verfasser des „Premier-Paris“, des Leitartikels. Sein officieller Name ist Bulletinier, eigentlich „Berichterstatter“; das journalistische Kauderwelsch benennt ihn auch wohl „Tartinier“ (tartine ist ein belegtes oder Butter-Brödchen), was sich aus besten mit „Appetitsmacher“ übersetzen läßt.

Der Bulletinier muß die Gabe besitzen, auf Commando über jeden beliebigen Gegenstand aus dem Gebiete der Politik, der Nationalökonomie, der Geschichte etc. etc. eine Spalte voll geistreicher Bemerkungen loszulassen. Je nach dem Inhalte der einlaufenden Telegramme fordert man von ihm eine Charakteristik der religiösen Ideen in Deutschland, eine Darlegung der türkischen Militärverhältnisse oder ein Resumé der österreichischen Geschichte seit dem Kriege von 1864. Der Bulletinier zeichnet sich durch die Verwegenheit seiner Perspectiven, durch die Tollkühnheit seiner Combinationen aus. Mit einem einzigen Federstriche „vernichtet“ er Systeme, Staatsmänner, sociale Einrichtungen; es kostet ihm nicht das Geringste, den „politischen Horizont“ mit „schwarzen Punkten“ zu tätowiren, kriegerische Verwickelungen in allen vier Weltgegenden zu weissagen, und von Zeit zu Zeit im Tone einer Pythia zu erklären, Europa stehe „am Vorabende großer Ereignisse“.

Der Bulletinier verbraucht, wie der Leser bereits ahnen wird, eine unfaßliche Menge sogenannter „Clichés“, d. h. Gemeinplätze. Da sein unermüdlicher Kiel per Dampf arbeitet und oft ohne Unterbrechung zwei- bis dreihundert Zeilen auf’s Papier wirft, in denen sich kaum eine ausgestrichen Silbe vorfindet, so wird man ihm die kleine Schwäche zu Gute halten. Die Clichés verleihen übrigens dem Zeitungsstile in den Augen der Halbgebildeten ein eigenthümliches Relief. Im Wesentlichen stimmen die Gemeinplätze der französischen Journalistik mit denen der deutschen überein. Hierher gehört z. B. die famose Wendung: „Wir tanzen auf einem Vulcan!“, oder die nicht minder poetische: „Wir befinden uns auf einer schiefen Ebene.“ Auch Phrasen wie die folgenden sind dem Deutschen wie dem Franzosen geläufig: „Man erzählt sich in diplomatischen Kreisen …“ – „Wir erfahren aus zuverlässiger Quelle …“ – „Dürfen wir einem sehr consistenten Gerücht Glauben schenken, so …“ – „Sie haben Nichts gelernt und Nichts vergessen …“ – „Er war ein Mann, nehmt Alles nur in Allem …“ – „Der gesunde Sinn des Volkes …“ – „Die Wissenschaft hat einen herben Verlust erlitten …“ etc.

Der Bulletinier verfügt über alle diese mehr oder minder geistreichen Wendungen mit unumschränkter Machtvollkommenheit. Auch sprudelt er von bildlichen Ausdrücken über, die indeß nicht immer die Genehmigung des Logikers erlangen würden. Der Bulletinier spricht von dem Sturme einer lodernden Begeisterung, von den Grundlagen der Familienbande, von den Schranken, die das Gesetz ihm auflegt, und dergleichen mehr. Je schneller und flüchtiger der Artikel vom Stapel gelassen wird, um so häufiger finden sich solche schadhafte Stellen. Seitdem die Journalisten genöthigt sind, ihre Arbeiten zu unterzeichnen, seitdem ist auch der Tartinier vorsichtiger geworden. Traut er sich indessen nicht hinlänglich, fürchtet er, durch die Beifügung seines Namens seinen Ruf zu schädigen, so hilft ihm ein eigens hierzu berufener Amtsbruder aus der Verlegenheit: der Redactionssecretär!

Derselbe hat die Aufgabe, sämmtliche Artikel, deren Verfasser ungenannt bleiben wollen, auf sein Conto zu nehmen. Wie mancher hohe Staatsmann verbirgt sich hinter der schlichten Unterzeichnung eines solchen Scheinschriftstellers! Jahrelang hat Guizot das „Journal des Débats“ mit Leitartikeln beglückt, die „David“ signirt waren. Selbst Louis Napoleon ließ von Zeit zu Zeit seine souveräne Stimme im „Constitutionnel“ erschallen und nannte sich „Boniface“. Oft ist der Redactionssecretär seit acht Tagen krank oder verreist; aber „seine Artikel“ fahren fort, die Börse zu beeinflussen oder eine Ministerkrise hervorzurufen.

[586] Die meisten großen Journale besitzen neben dem „Tartinier“ einen eignen Polemiker, dessen Aufgabe darin besteht, die Fehden mit den Herren Confratres der Presse auszufechten. Das journalistische Rothwälsch nennt diese professionirten Zänker „Engueuleurs“, d. h. „Fresser, Verschlinger“. Sie zeichnen sich durch eine Virtuosität im Erfinden klangvoller Prädicate aus. Nicht selten überschreitet ihr Stil die Grenzen des parlamentarisch Erlaubten.

Aus der beträchtlichen Zahl der übrigen Redacteure verdient zunächst der „Cuisinier“ hervorgehoben zu werden. Ihm liegt die eigentliche „Mache“ des Journals ob. Wie ein Koch die Speise, so setzt er die Zeitung aus den ihm gelieferten Ingredienzien zusammen. Er liest die einlaufenden Artikel, – „la copie“, wie der Kunstausdruck lautet, – und entscheidet über deren Aufnahme oder Vertagung. Er handhabt die Scheere behufs der Ausschneidung brauchbarer Aufsätze, Notizen etc., die er aus andern Journalen zu reproduciren wünscht. Er ordnet das Material nach äußeren und inneren Rücksichten und übt auf diese Weise einen unberechenbaren Einfluß auf die Physiognomie seines Blattes aus.

Eine wichtige Rolle spielen neuerdings die sogenannten „Echotiers“, die verpflichtet sind, allenthalben hinzuhorchen und ihrem Journale die neuesten, pikantesten Nachrichten namentlich auf nicht-politischem Gebiete zuzuführen. Man erfährt zum Beispiel, Michelet werde demnächst ein neues Buch veröffentlichen. Vierundzwanzig Stunden später muß der Echotier wissen, wie viel Honorar der Verleger bezahlt hat, wie viel Seiten das Werk umfassen wird, wovon es handelt, ob es auf Velin gedruckt ist, ob gleichzeitig eine englische Ausgabe erscheint etc. etc. Oder ein berühmter Componist, ein Künstler, ein Diplomat ist gestorben. Der Echotier wäre ein für alle Mal um seinen Ruf, wenn er nicht sofort die genauesten Einzelheiten über Stunde und Minute des Todes, über die begleitenden Umstände, über die letzten Worte des Sterbenden, über sein Testament und über seine Hinterlassenschaft beibringen könnte.

Verwandt mit dem Echotier ist der „Indiscreteur“. Er enthüllt die Familien- und sonstigen Privatverhältnisse bedeutender Persönlichkeiten. Er besucht Jules Favre, Fräulein Christine Nilsson, Herrn von Rémusat u. A., und berichtet in geistvollen Plaudereien, was er geschaut und vernommen: wie Jules Favre Toilette macht, wie die blonde Schwedin frühstückt, wie Rémusat sich den Bart pflegt und die Nägel schneidet. … Das Publicum ist für solche Mittheilungen stets außerordentlich dankbar.

Täglich an Bedeutung wächst auch die Rolle des „Canardiers“, des „Entenmachers“. Oft sind die Ereignisse, über die der „Cuisinier“ verfügt, so mager, daß diesem Uebelstande durch die Erfindung geeigneter Sujets nachgeholfen werden muß. Es ergeht alsdann die Weisung an den Canardier, eine politische, eine literarische und zwei „vermischte“ Thatsachen aus dem Aermel zu schütteln. Die politische Ente bezieht sich mit Vorliebe auf governementale Maßnahmen, die vom Publicum seit geraumer Zeit sehnsüchtig erwartet werden. Zum Beispiel: Der Vertreter Frankreichs bei irgend einem auswärtigen Cabinet gilt für unfähig; die öffentliche Meinung hat sich dringend für seine Beseitigung ausgesprochen. Mit kühnem Griffel versichert nun der Canardier, „man habe im gestrigen Ministerrate die Abberufung des Mr. So und So einstimmig beschlossen“. Die politische Ente geht natürlich durch alle in- und ausländischen Blätter und wird schließlich nicht selten zur Wahrheit, da man sich höheren Ortes scheut, die durch das falsche Gerücht hervorgerufene Befriedigung ohne Grund zu zerstören. Mancher Minister ist durch den Canardier gestürzt worden! –

Die literarische Ente liebt es, hervorragende Schriftsteller, Schauspieler, Dichter etc. als gefährlich krank, oder gar als gestorben auszuposaunen. Tags darauf erhält das Journal eine Zuschrift im Stile des Folgenden:

     Herr Redacteur!

In der gestrigen Nummer Ihres Blattes findet sich eine Notiz, der zufolge ich von einem Schlagflusse getroffen worden sein soll. Ich begreife nicht, was diesen Irrthum veranlaßt haben mag, da ich mich seit zwei Monaten wohler als je fühle. Haben Sie die Güte, die fragliche Notiz durch Einrückung dieser Zeilen zu berichtigen. Genehmigen Sie etc.     Victorien Sardou.

Die Unterschrift eines Victorien Sardou gereicht aber einem Journal zur Zierde, sie „macht sich gut“, wie die Redacteure sagen, und so hat der Canardier denn zwei Fliegen mit einer Klappe erlegt: das Publicum ist durch die falsche Nachricht erschüttert worden, und die Rubrik der „Correspondances“ enthält einen hochklingenden Namen!

Die „vermischte“ Ente ist unter allen die tollste. Keine Combination ist zu verrückt, zu wahnwitzig: der Canardier benutzt sie zu einem „Fait divers“. Im Nothfalle, das heißt, wenn die Unwahrscheinlichkeit die Polhöhe erreicht hat, läßt er sein Begebniß in Amerika spielen, und das Unmögliche wird wieder salonfähig. Es giebt „vermischte“ Enten, die von Zeit zu Zeit regelmäßig wiederkehren. Hierher gehören gewisse Dampfschiffabenteuer vom Mississippi, gewisse Extravaganzen spleenbehafteter Engländer und zahllose angebliche Erfindungen und Entdeckungen speculativer Köpfe, wie zum Beispiel die Kunst, Butter aus Themseschlamm, Brod aus menschlichen Skeleten oder Curaçao aus Lumpen zu verfertigen. Auch die famose russische Prinzessin mit dem Todtenkopfgesicht zählt in diese Kategorie. Der Canardier von Talent wird es indeß verschmähen, eine gebrauchte Platte zu neuen Abzügen zu benutzen. Er erfindet frei aus dem Stegreif, und je verwegener er die Farben aufträgt, um so besser!

Eine gesonderte Welt innerhalb des Journals bildet das Feuilleton, der „Raum unter dem Striche“, – auch „Rez-de-Chaussée“ geheißen. Keine Pariser Zeitung von Bedeutung kann heutzutage auf diese hochwichtige Rubrik verzichten. Der größere oder geringere Werth des Feuilletons wirkt oft entscheidend auf den materiellen Erfolg des Blattes. Als das „Journal des Débats“ die Sue’schen „Geheimnisse von Paris“ unter der Linie veröffentlichte, steigerte sich seine Auflage um das Dreifache. Der „Constitutionnel“ erhob sich von viertausend Exemplaren auf die Höhe von fünfundzwanzigtausend, als die ersten Capitel des „Ewigen Juden“ in seinem „Rez de-Chaussée“ erschienen waren. Wenn Francisque Sarcey eine theatralische Kritik losläßt, so verkauft der „Temps“ zweitausend Exemplare mehr, als unter gewöhnlichen Verhältnissen. Für diesmal fehlt uns der Raum, das Feuilleton und vieles Andere, was hierher gehören würde, auch nur flüchtig zu besprechen. Wenn man höheren Orts damit einverstanden ist, skizziren wir die unerledigten Capitel unseres Themas gelegentlich in einer zweiten Abhandlung.
E. Eckst.