Pariser Bilder und Geschichten/Wie man in Paris sein Glück macht
Wie man in Paris sein Glück macht.
Es mögen jetzt drei Jahre her sein, als ich an einem wunderschönen Märztage mit einem deutschen Landsmann durch den Tuileriengarten schlenderte. Schneeglöckchen und Crocus verkündeten den Lenz, Hyacinthen in allen Farben erfüllten mit ihren süßen Düften die Luft, unzählige Spaziergänger waren auf den Füßen. Unter ihnen bemerkte ich einen Mann, welcher schon mehrmals an uns vorüber gekommen war und uns scharf gemustert hatte. Der Mann war fein und nach der neuesten Mode gekleidet, hatte ein blaßgelbes, intelligentes Gesicht, kleine, funkelnde Augen und etwas Unruhiges in seinem Wesen. Er sah aus, als ob er mit Ungeduld Jemanden erwartete und denselben unter den Spaziergängern suchte.
„Da kommt Dumarsais, er will mir ausweichen,“ sagte Wilhelm, so heißt mein Freund, der Musiker ist, „ich seh’ es, aber ich will ihn dennoch begrüßen;“ und, mich beim Arm nehmend, ging er mit besonders artigem Gruß auf einen jungen Mann zu, welcher mir durch Dreierlei auffiel, durch ein auffallend einnehmendes Aeußere, durch vornehmen Anstand und einen abgetragenen, fast unmodernen Anzug.
Der junge Mann, welchen Wilhelm „Herr von Dumarsais“ anredete, erröthete leicht, gab aber auf die Frage nach seinem Befinden freundlich Antwort und nahm Wilhelm’s Einladung, heute bei ihm zu diniren, nach einigen Weigerungen an.
„Wir müssen doch wieder einmal zusammen vierhändig spielen!“ sagte mein Freund. „Sie werden nicht finden, daß ich Fortschritte gemacht habe,“ entgegnete Herr von Dumarsais.
In diesem Augenblick wurde der Mann mit dem forschenden Blick wieder sichtbar; so schnell wie ein Tiger, der ein Lamm verschlingen will, war der Mann an Dumarsais’ Seite und grüßte ihn höflich. „Mein Herr,“ flüsterte er, „ich wünschte einige Worte mit Ihnen zu sprechen, wenn es gefällig ist.“
Dumarsais sah den Herrn erstaunt an und wurde blaß, „Sie verkennen mich wohl,“ sagte er, „denn ich erinnere mich Ihrer nicht, mein Herr.“
„Erlauben Sie mir nur einige Worte unter vier Augen, ich werde Ihnen Alles erklären.“
„Nun denn, so sei es,“ sagte Dumarsais, rief Wilhelm zu: „auf Wiedersehen um fünf Uhr!“ und wandte sich zu dem Manne mit dem Forscherblick.
Als wir allein waren, erzählte Wilhelm: „Dieser junge, schöne Mann hat schon viel erlebt. Sein Vater war Oberst, ein Anhänger der Orleans. Er ist nach ihrem Sturze noch in Paris geblieben und soll im Geheimen für sie agitirt haben. Am ersten December 1851 hat ihn seine Frau zum letzten Male gesehen. Als Louis, der damals zwölf Jahre alt war, von einem Besuch zurückkam, welchen er bei einem reichen Oheim in der Normandie gemacht hatte, fand er seine Mutter sterbend. Sie konnte den Verlust ihres Gemahls nicht ertragen. Louis, beider Eltern plötzlich beraubt, erkrankte und litt – vielleicht in Folge verfehlter Behandlung – Jahre lang so sehr an den Nerven, daß ihm die Aerzte verboten, sich mit Studien zu beschäftigen. Der Oheim, ein reicher, kinderloser Wittwer, nahm sich väterlich des Knaben an und erklärte ihn zu seinem Erben. Auf des Barons schönem Landsitze erholte sich Louis, aber – er lernte nichts als tanzen, fechten, reiten, schießen, las Romane und war Alles in Allem ein liebenswürdiger Mensch, unfähig, das Geringste zu erwerben, dagegen sehr geschickt, sein Geld auszugeben. Vor fünf Jahren zog sein Oheim nach Paris und lebte nur drei Sommermonate auf [143] seinem Gute. Damals lernte ich Louis Dumarsais kennen. Er wurde mein Schüler, bezahlte mir einen Napoleon für die Stunde und lernte endlich einige Walzer spielen, denn er besitzt kein Talent zur Musik. Wenn er weder ein Spieler noch ein Wüstling ward, so hat er dies mehr seinem schönen Naturell, als seinem Oheim zu danken, welcher vernarrt in den reizenden Burschen war und ihm Geld in Fülle gab, doch keinen Unterricht. Alter schützt vor Thorheit nicht, das bewies der alte Baron, denn er heirathete vor anderthalb Jahren eine verschmitzte junge Wittwe. Ich bin überzeugt daß diese Dame zehn Jahre älter ist, als sie vorgab, und nie die Gattin jenes braven Majors war, der im italienischen Kriege gefallen sein sollte. Ich weiß, daß Louis kein böses Wort über die Heirath seines Oheims gesagt hat, allein jenes durchtriebene Weib wußte den alten Herrn dergestalt gegen seinen bisherigen Liebling einzunehmen, daß der Baron denselben verstieß, ohne ihm einen Sou zu geben.“
„Unverantwortlich, Wilhelm!“
„Gewiß, sündlich! Indessen war mit dem alten Narren nichts anzufangen. Louis blieb in Paris, schränkte sich ein, versuchte sich als Schriftsteller, fand aber keine Verleger. Er meldete sich als Fechtmeister, man wies ihn ab, kurz er hatte kein Geld, keine Freunde, kein Glück. Seine Garderobe mußte er verkaufen, um essen zu können, und ist es endlich mit einem Menschen so weit, daß er keinen eleganten Anzug mehr hat, dann ist er in Paris verloren. Der arme Louis, er besitzt keine Kenntnisse!“
„Schön aber ist der junge Mann.“
„Allerdings, vielleicht nützt ihm sein Aeußeres etwas, denn Schönheit ist eine seltene, herrliche Gabe, und Paris ist die chancenreichste Stadt der Welt.“
Wer beschreibt mein Staunen, als ich, um fünf Uhr zu Wilhelm zum Diner gekommen, denselben Herrn von Dumarsais, welchen ich am Morgen in fast dürftiger Kleidung gesehen hatte, in elegantester Toilette erblicke! Nichts fehlte, vom feinsten Hute bis zum zierlichen Stiefel von Glanzleder, sogar das Notizbuch, welches er zufällig einmal herauszog, war das geschmackvollste, das man finden konnte, und die goldene Uhrkette noch werthvoller durch die Arbeit, als durch das Gold. Sicherlich eine Kette von der Insel Malta.
Natürlich machte Wilhelm keine Bemerkung über diese Metamorphose. Erst als Dumarsais sich entfernte, um, wie er sagte, seinem Versprechen gemäß noch während des letzten Actes in der großen Oper zu erscheinen, sagte mein Freund zu seiner Frau: „Toni, glaubst Du, daß Dumarsais mit seinem Oheim ausgesöhnt ist? Wie mag er plötzlich zu Gelde gekommen sein?“
„Ich bin ebenfalls erstaunt, lieber Wilhelm,“ antwortete die Frau, „ich hoffe, Herr von Dumarsais wird uns später wohl erzählen, wie Alles gekommen, da wir ihn so lange kennen. Jedenfalls hat er sein Geld nicht auf unehrenhafte Weise erhalten.“
„Gewiß nicht, Toni, ich wundere mich auch nicht allzusehr; denn Paris ist die chancenreichste Stadt.“
Seit jenem Tage sah ich Herrn von Dumarsais oft, bald in diesem, bald in jenem Theater, auf Promenaden und Hauptplätzen, im Boulogner Wäldchen zu Pferde, und in Wahrheit, niemals ritt er ein Pferd, das nicht tadellos war, und obgleich es im Wäldchen zur Promenadenzeit nie an Reitern fehlt, Dumarsais fiel durch sein brillantes Aeußere und seine Reitkunst doch auf.
Anfangs sah ich ihn immer allein, später oft mit jungen Männern, welche entweder aus hochangesehenen Familien oder berühmt waren; endlich erblickte ich ihn im Boulogner Wäldchen neben dem Wagen einer ältlichen Dame, bei welcher eine junge, blasse, höchst anmuthige Dame saß, in Halbtrauer gekleidet.
Traf ich mit Dumarsais in einem Café zusammen, so war er stets sehr liebenswürdig gegen mich, auch machten wir dann und wann einen Spaziergang selbander, seine Wohnung sagte er mir aber nicht. Eines Tages trug Dumarsais einen reizenden Anzug; er wurde von mehreren Modeherren sehr bewundert, als wir zusammen in den Speisesaal des Grand-Hôtel traten, wo wir einen gemeinsamen Freund treffen wollten.
„Ich muß auch einen bessern Sommeranzug haben; wo lassen Sie arbeiten, Dumarsais?“ fragte Baron V.
„Bei dem geschmackvollsten Schneider der Welt, Baron, bei L.“
„Wo ist das?“
„Ich will Sie hinführen, heute ist es zu spät, morgen. L. bedient meine Freunde nicht nur solid, denn das thut er Jedem, sondern auch billig.“
„Darf ich auch von Ihrer Empfehlung profitiren, lieber Dumarsais?“
„Mit Vergnügen, treffen wir uns morgen um Elf im Grand-Café.“
„Gut!“
Dumarsais war zur bestimmten Zeit da. Er führte uns in seiner lustigen Weise plaudernd nach der Rue Rivoli, in ein großes Haus. Wir stiegen eine breite, dunkle Treppe hinauf und traten in einen gut möblirten geräumigen Salon. Bei unserm Eintritt erhob sich ein Herr, welcher in eine Zeitung gesehen hatte; ich erkannte in demselben den Herrn, der im vergangenen März Dumarsais in den Tuilerien auf so seltsame Weise – angeredet wäre nicht ganz richtig, ich muß sagen – gepackt hatte.
Der Herr machte eine tiefe Verbeugung. „Hier bringe ich Ihnen zwei meiner liebsten Freunde,“ sagte Dumarsais etwas hochfahrend; „Herr L., sorgen Sie gefälligst, daß sie gut bedient werden.“
„Gewiß, Herr von Dumarsais,“ erwiderte der Angeredete.
„Ich habe keinen Grund,“ fuhr Louis fort, „Ihnen zu schmeicheln, L., aber ich sehe auch nicht ein, warum ich nicht der Wahrheit die Ehre geben soll, Sie sind ein Genie, Ihr Gemälde hat kürzlich einer Dame meiner Bekanntschaft außerordentlich gefallen.“
„Aber, Herr von Dumarsais –“
„Nicht zu bescheiden, lieber L. Wenn Sie auch die Grille haben, Director eines Kleidermagazins sein und bleiben zu wollen, so sind Sie nichtsdestoweniger ein tüchtiger Maler, und deshalb verstehen Sie mehr als irgend ein anderer Director, was Jeder, seinem Aeußern und seiner Individualität nach, tragen muß. Wir werden einen heißen August haben, der Juli ist schon drückend; erfinden Sie denn für den Baron einige bezaubernde Toiletten, er geht nach Baden-Baden und wird Aufsehen erregen.“
„Natürlich, ich sehe schon, der Herr Baron ist brünett, ich werde Alles auf das Kleidsamste für den Herrn Baron wählen.“
„Und hier, ein deutscher Dichter, auf der Schattenseite der Vierzig, Sie wissen schon, was ihm frommt.“
Der Director des Bekleidungsinstitutes lächelte, dann zog er die Klingel. Ein junger Mann erschien, mehrere Papierstreifen in der Hand haltend.
„Nehmen Sie diesen beiden Herren Maß, Herr Korn, ich will mich jetzt zurückziehen und über die Zusammenstellung der Farben nachdenken, welche ihren Anzügen den Stempel der Vollkommenheit aufdrücken soll. Könnten Sie mir vielleicht Ihre Photographien da lassen? Ihre Farben kenne ich, dunkle Haare, dunkle Augen, aber Ihre Physiognomien möchte ich gern stets vor mir haben.“
Ich lachte und meinte, der Sommerrock nebst Weste und Hose würde schon gut ausfallen, Baron V. dagegen sprach alles Ernstes: „Herr L., Sie sind ein denkender Künstler, und es wird mir ein Vergnügen sein, Ihnen meine Photographie zu übersenden.“
Im September jenes Jahres verreiste ich nach Deutschland, Ende October kehrte ich zurück und vernahm bei Wilhelm, daß Herr von Dumarsais sich eben mit jener jungen Dame vermählt habe, neben deren Wagen ich ihn zur Zeit der Mandelblüthe hatte reiten sehen.
„Sie, die junge Frau von Dumarsais,“ erzählte mein Freund, „betrauerte damals ihren Verlobten, einen schwindsüchtigen reichen Mann, welcher ihr die Hälfte seines Vermögens vermacht hatte, so etwa viermalhunderttausend Franken. Er hat Lebenserfahrung gesammelt, mein lieber ehemaliger Schüler, und das Geld gut und sicher angelegt, wie ich aus seinen Reden entnahm. Dumarsais wird geliebt und liebt seine Frau, er wird glücklich sein. Ja, Paris ist die chancenreichste Stadt.“
Im Mai 1866 saß ich mit Wilhelm in einem Restaurant bei einer Flasche Château Lafitte, als sich plötzlich ein Dritter zu uns gesellte, Herr von Dumarsais.
„Wo kommen Sie her? ich habe Sie eine Ewigkeit nicht gesehn,“ rief Wilhelm, freudig erregt.
„Ich war fast ein Jahr fern, in der Normandie, die Frau meines Oheims ist im Sommer 1865 an der Cholera gestorben; in ihrem Nachlasse fand der Wittwer Briefe, welche nicht viel von [144] ehelicher Treue, sondern geradezu vom Gegentheil sprachen. Dadurch ward er bewogen, mir zu schreiben; der arme alte Mann bat mich um Verzeihung, und ich reiste mit meiner Adele hin zu ihm. Mein guter Oheim hat mich vor einiger Zeit in seinem Testament zum Haupterben erklärt und mir schon bei Lebzeiten ein schönes Landhaus in der Normandie abgetreten. Ich hoffe, Sie werden mich im Laufe des Sommers mit Madame Wilhelm besuchen, denn Sie, mein lieber Freund, blieben mir getreu zu einer Zeit, wo alle andern mich verlassen hatten.“
„Und, wenn ich es wissen darf!“ frug mein Landsmann, „wie eroberten Sie Ihre reizende Frau, und welch’ ein Glück widerfuhr Ihnen schon vor der Aussöhnung mit Ihrem Oheim?“
„Das sollen Sie hören, denn Sie werden nicht davon sprechen. Sie erinnern sich wohl noch jenes schönen Lenztages, wo wir einander in den Tuilerien begegneten?“
„Wo jener Unbekannte, Herr L., Sie aufgriff?“ lachte ich.
„Richtig. Nun, der Mann sagte lebhaft aufgeregt: ‚Mein Herr, ich habe eine Bitte, Sie dürfen sie mir nicht abschlagen.‘
‚Und worin besteht dieselbe?‘
‚Begleiten Sie mich nach meiner Wohnung, dort sollen Sie Alles erfahren.‘
„Ich muß gestehen,“ fuhr Dumarsais fort, „daß diese Forderung mich frappirte. Kurz angebunden erwiderte ich: ‚was soll ich in Ihrer Wohnung? Ich habe keine Lust Abenteuer zu bestehen.‘
‚Aber lieber Herr, es handelt sich ja nur um ein Geschäft, ein solides, ich denke, daß Sie es nicht von der Hand weisen werden. Folgen Sie mir nur; ich wohne Rue Rivoli, also ganz in der Nähe.‘
Jetzt war ich neugierig geworden. Was konnte mir in einer so belebten Straße am hellen Tage geschehen? Uebrigens hatte ich ja auch meinen Stockdegen bei mir. So ging ich denn mit dem Manne, welcher mich in seine Wohnung führte, in ein reizendes Cabinet, das ein Künstler bewohnen könnte. Hier nannte er sich mir, zog einen langen Papierstreifen aus der Tasche, nahm mein Maß und verschwand, um bald nachher mit einem höchst eleganten Anzuge zurückzukehren.
‚Erzeigen Sie mir die Gunst, diesen Anzug anzulegen –‘
‚Aber, Herr L., wozu soll –?‘
‚Sie werden Alles erfahren, sobald Sie angekleidet sind.‘
Hierauf ergab ich mich in mein Schicksal und vertauschte meine abgetragenen Kleider mit den neuen. Als ich fertig war mit Ankleiden, führte Herr L. mich vor einen großen Spiegel und sagte stolz: ‚Nun, mein Herr, wie sehen Sie jetzt aus?‘
‚Ich sollte meinen, nicht ganz übel.‘
‚Was? Wie ein junger Gott! Dazu Ihr Anstand, Ihre Art, sich die Handschuhe anzuziehen, man sollte schwören, Sie wären von Adel oder ein Künstler!‘
‚Das Letztere zu sein, kann ich mich nicht rühmen, aber das Wörtchen ‚de‘ darf ich vor meinen Namen setzen.‘
‚Sie entzücken mich, Herr von –‘
‚Dumarsais,‘ schaltete ich ein.
‚Ah, jetzt weiß ich, ließ Ihr Herr Oheim nicht bei R. arbeiten?‘
‚Allerdings.‘
‚Haha, das ist ja köstlich! Hat keinen Geschmack, dieser R. Nun weiß ich auch, daß – daß – verzeihen Sie, Herr von Dumarsais, daß Sie nicht reich sind.‘
‚Leider muß ich sagen: so ist es!‘
‚Nun, desto besser für mich; erzeigen Sie mir die Ehre, eine Flasche Wein mit mir zu trinken, wir können dabei den Contract entwerfen.‘
‚Wein will ich mit Ihnen trinken, aber was wollen Sie mit einem Contract, Herr L.?‘
Der Wein stand auf dem Tisch, Schreibgeräth daneben, Herr L. schenkte mir ein, dann sich und fing an zu schreiben. Es ging ihm gut von der Hand und bald las er mir Folgendes vor:
‚L., Directeur des Kleidermagazins, in der Rue Rivoli, und Herr von Dumarsais schließen freiwillig nachstehenden Vertrag: Herr L. liefert Herrn von Dumarsais ein Jahr hindurch unentgeltlich jeden Monat oder, wenn es Herr L. für gut findet, noch öfter einen vollständigen neuen Anzug nebst dazu gehöriger Wäsche; dafür verpflichtet sich Herr von Dumarsais, diese Anzüge täglich zu tragen, bei schönem Wetter mehrere Stunden sich auf den besuchtesten Plätzen und Promenaden zu zeigen, die ersten Kaffeehäuser zu besuchen und wöchentlich zwei bis drei Mal in den ersten Hotels zu diniren. Ferner verpflichtet sich Herr von Dumarsais, bei schönem Wetter im Boulogner Wäldchen zu reiten und sich mit andern jungen Herrn von Stande bekannt zu machen. Da Jeder, der Geschmack hat und etwas vom Anzug versteht, sich nach dem Magazin erkundigen wird, aus welchem Herr von Dumarsais seine Garderobe entnimmt, so hat derselbe das L.’sche zu nennen, als solid und billig zu preisen und seine Freunde zu Herrn L. zu führen. Zur Bestreitung seiner Ausgaben empfängt Herr von Dumarsais monatlich fünfhundert Franken.‘“
Wilhelm und ich lachten laut.
Dumarsais stimmte herzlich in dieses Gelächter ein und fuhr fort: „Ich lachte damals auch und fragte Herrn L-, ob er klug sei?
‚Vollkommen!‘ entgegnete er. ‚Mein gefährlichster Concurrent, Herr R., hat mir meine besten Kunden entzogen durch Reclamen aller Art. Ich habe es herausgebracht, daß er einige Künstler von Ruf bestochen hat, seine mittelmäßige Arbeit zu tragen und zu empfehlen. Da kam ich auf einen sublimen Gedanken, ich‘“ – hier lächelte Dumarsais, strich seinen zierlichen Schnurrbart und fuhr mit drolliger Bescheidenheit fort – „‚suchte mir einen jungen, tadellos schönen Mann; in Ihnen, Herr von Dumarsais, habe ich denselben gefunden. Ihre schlanke Gestalt wird meine Anzüge in das gehörige Licht stellen, und da Jeder eitel ist, so denkt auch Jeder, daß ich im Stande bin, durch Kleider, die aus meinem Atelier hervorgegangen sind, seine Figur zu verschönern. Schlagen Sie mein Anerbieten nicht aus, Herr von Dumarsais!‘
Nun, ich nahm es an, ging und ritt spazieren in den schönen Anzügen, führte Herrn L., der sich zwar Director nennt, aber selbst zuschneidet und sein Handwerk gründlich versteht – viele Kunden zu und lernte in einer Gesellschaft, in der mir meine glänzende Garderobe Einlaß verschaffte, meine Adele kennen. Sie liebte mich; daß ich arm war, machte ihre Liebe zu mir nicht schwächer.
Ich errang ihre Hand und kündigte Herrn L. an, daß ich Paris verlassen und den Contract, vier Monate vor Ablauf, lösen müsse. Er war sehr betrübt und weigerte sich auch das Geld zu nehmen, das ich ihm zurückerstatten wollte. Erst seit ich ihm versicherte, daß ich jetzt reich sei, ließ er sich einige tausend Francs von mir zurückzahlen, denn ich habe ihn gestern besucht.“
„Und wie geht es dem speculativen Manne?“
„Vortrefflich; alle Kunden, welche ich ihm zugeführt habe, sind ihm geblieben, da seine Arbeit gut ist; auch hat er jetzt einen berühmten Sänger zum Lockvogel gefunden, und da er oft bei schönem Wetter spazieren geht, wird er schon wieder einen jungen Mann auftreiben, welcher ihm würdig scheint, seine Erfindungen zur Schau zu tragen.“
„Nun?“ sagte Wilhelm und sah mich mit schelmischem Lächeln an.
„Du hast Recht, mein Freund, mit Deinem Spruch; freilich ist in Paris nicht Alles Gold, was glänzt, aber bei Alledem: Paris ist die chancenreichste Stadt von der Welt, wie Du sagst.“