Pariser Kinder

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
<<< >>>
Autor: W.
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Pariser Kinder
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 44, S. 704
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1868
Verlag: Verlag von Ernst Keil
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite

[704] Pariser Kinder. Eine stereotype Figur von Paris, welche man an bestimmten Wochentagen in den Straßen sehen kann, sind die kleinen Wäscherinnen. Ein armes Kind von zwölf bis vierzehn Jahren trägt von Schweiß triefend, einen großen Korb mit Wäsche auf den Schultern, läuft damit oft von einem Ende der Stadt zum andern und steigt wohl fünf bis sechs Treppen hoch. Nachdem die reine Wäsche abgeliefert und nachgesehen, ob alles richtig ist, wird der Korb wieder mit schmutziger Wäsche vollgepackt. Man sieht das Mädchen alle Augenblicke anhalten und Athem schöpfen.

Aber das ist noch nicht das Schlimmste. Kaum ist die Arbeit zusammengeholt worden, so beginnt das Seifen, Schlagen und Bürsten. Winter und Sommer die Arme im Wasser, aus dem Warmen in’s Kalte und umgekehrt. Und dabei hören diese in so zartem Alter befindlichen Mädchen die häufig obscönen Gespräche der alten Wäscherinnen. Physisch und moralisch dringt das Uebel auf diese armen Kleinen herein. Sie nehmen die feuchte Wäsche auf ihre Schultern und tragen sie zum Trocknen. Nun beginnt das Bügeln, das Eisen ist glühend. Von diesem ausgebreiteten Leinen steigt ein ungesunder Dampf empor, den die kleine Büglerin einathmen muß. Diese Arbeit und das schwere Lasttragen fordern viele Opfer, viele sterben, ehe sie Frauen werden. Diejenigen, deren Natur kräftig genug ist, werden vor der Zeit alt und gebrechlich. Fast alle verlieren ihre Zähne; allmählich gewöhnen sie sich an alkoholhaltige Getränke, um sich zu erwärmen, und um dem einen Uebel zu entgehen, fallen sie oft in ein anderes, noch größeres. Ein französisches Sprüchwort sagt: „Die Kinder sind der Reichthum des Arbeiters.“ In der That werden sie häufig genug ausgebeutet.

Eine ganz besondere Betrachtung erfordern die gemietheten Kinder. Man begegnet zuweilen in den alten Vierteln von Paris, unter einem Thorweg zusammengekauert oder an der Ecke eines öden Platzes, einer Frau leidenden Aussehens, auf ihren Armen ein Kind und noch von fünf oder sechs andern umgeben, die sich alle in einem Abstand von einem Jahre zu folgen scheinen. Die Frau bettelt eigentlich nicht, sie spricht Niemanden um eine Gabe an; aber ihr Blick, den sie auf den Vorübergehenden erhebt, ist so von Schmerzen und verborgenen Leiden durchfurcht, ihre Stimme ist so zitternd, daß man nicht anders kann als in die Tasche greifen und der armen Mutter ein Geldstück zuwerfen. Ihr Zustand dringt bis auf den Grund des Herzens.

Indeß der Beobachter, vielleicht der Skeptiker, will solchem Elend auf den Grund gehen, er versteckt sich und sieht zu, was weiter aus der armen Mutter wird, und erfährt leider nichts Gutes. Diese arme Mutter mit dem jammerverkündenden Blick hat gar keine Kinder; die improvisirte Familie, mit der sie sich umgiebt, besteht aus kleinen Wesen, welche sie von Eltern gemiethet hat, die noch zehn Mal ärmer sind als sie. In das Haus, welches ich bewohne, kam von Zeit zu Zeit eine arme Frau. Sie war von ihrem Manne verlassen worden und hatte fünf Kinder. Eine Tochter von fünfzehn Jahren war Dienstmädchen, ein Knabe von zwölf Jahren arbeitete in der Malerei, und ihr blieben noch Drei von acht, fünf und drei Jahren.

Eines Tages fragte ich sie, in welche Schule sie ihre Kinder schicke.

„Schule!“ sagte sie erstaunt, „o mein Herr, ich bin zu arm, um meine Kinder in die Schule zu schicken.“

„Aber, liebe Frau,“ antwortete ich, „es giebt einige Schulen mit unentgeltlichem Unterricht.“

„Ich weiß wohl, aber ich bin auch dafür noch zu arm. Meine Kinder müssen verdienen.“

„Wie, Ihre Kleinen müssen verdienen? Was können sie in ihrem Alter einbringen?“

„O, sie verdienen fünfzehn Sous täglich –“

„Aber,“ unterbrach ich, „was können sie denn in ihrem Alter schon arbeiten?“

„Ah, mein Herr, in unserem Hause wohnt eine Frau, welche in den Straßen singt und mir meine Kinder für fünf Sous täglich abmiethet. Sie miethet noch zwei andere in dem Viertel, und das ist ihre Familie, wie sie sagt. Fünf Sous per Stück ist ihr Preis, für Krüppel zahlt sie zehn Sous. Unglücklicherweise sind die meinigen gesund.“

„Unglückliche Frau,“ rief ich aus, „Sie lästern Gott! Und diese Tagediebin kann einen Franc fünfzig Centimes Kosten täglich zahlen?“

„Gewiß, Herr, es giebt Tage, wo sie acht Francs verdient. Und dabei giebt sie den Kindern nichts zu essen, ich muß ihnen des Morgens ein Stück Brod mitgeben. Wie glücklich war da eine meiner Nachbarinnen: diese hatte einen kleinen Knaben, welcher mit zwei Ziegenfüßen geboren war. Sie vermiethete ihn für zwanzig Francs monatlich an Leute, die mit ihm umherzogen und ihn als Naturwunder zeigten.“

Später erfuhr ich, was aus den drei Kindern dieser Frau geworden. Das jüngste hatte das Glück zu sterben, die beiden anderen wurden bei einem Diebstahl ertappt und in ein Correctionshaus gethan.

W.