Sie sollen ihn nicht haben!

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Titel: Sie sollen ihn nicht haben!
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aus: Die Gartenlaube, Heft 44, S. 703–704
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1868
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[703] Sie sollen ihn nicht haben! Nicht gewissen liebenswürdigen, aber zuweilen etwas unruhigen, und jetzt anderweitig viel beschäftigten Nachbarn gilt heute die zündende Strophe des bekannten Rheinliedes von Becker: „Sie sollen ihn nicht haben!“ nein, einem Feinde im Lande, den keine Militärmacht zu besiegen braucht, den aber das ganze Volk, Männer, Frauen und Kinder anzugreifen bereit sein muß: nämlich dem grausamen Project der sogenannten Rheincorrectur.

Man will ihn uns nehmen, einengen und eindämmen, unsern königlichen freien Rhein, den herrlichsten aller Ströme, dessen Name in unser Ohr klingt, wie Glockengeläuts vom Thurm der Kirche unserer Heimath, der unzertrennlich ist von den schönsten Erinnerungen an die Märchen, die uns die Mutter erzählte, den Hort des Nibelungenschatzes, den Lieblingsaufenthalt aller Nixen, den Concertsaal der ewig jungen und ewig bezaubernden Hexe Loreley; – den Rhein, das Paradies aller Liebenden, den Stolz jener Jugend, die bei einer „Frau Wirthin“ einzukehren und allda nach gutem „Bier und Wein“ und „schönem Töchterlein“ zu fragen pflegt, – den Rhein, das Entzücken des Alters, das lebendigste Stück echter deutscher Poesie! In Ketten und Banden will man ihn schlagen, unsern stolzen Strom, mit seinen grünen Wellen und wechselvollen Ufern, alle Dichter und Maler, die je den Rhein und seinen Zauber in Liedern und [704] Farben besungen, will man Lügen strafen vor einer künftigen Generation, man will ihn seines bisherigen hohen Postens ohne Weiteres entheben und – zur Disposition stellen, mit der Erlaubniß als armseliger Canal die Uniform der Schleppdampfschifffahrts- und Correctur-Gesellschaft zu tragen!

Fort mit der Romantik von Nonnenwerth, wo

„Die Liebliche sich zeigte –“

à bas die zahllosen kleinen Inseln, die überall auf den Wellen schwimmen wie Wasserrosen, zerstört der Mäusethurm Hatto’s, zerrissen die malerischen Ufer in abscheuliche Sumpfstellen! – Kein Plätzchen mehr gelassen für das Hoflager der Elfen, für das nächtliche Treiben all’ jener reizenden Gestalten der Sage, die sich hier bekanntlich seit alten Zeiten zu ergehen pflegen, – überall Steindämme, wo kein Fuß wandeln kann als höchstens einer mit Hufeisen beschlagen, und keine Freude mehr gelassen für die Menschen! Wohin mit den Gesunden und Kranken, Frohen und Traurigen? Wohin mit den jungen glücklichen Hochzeitsreisenden, den sommerlichen Zugvögeln, der Schaar der fahrenden Schüler und lustigen Maler, die Alle ein Stück jener herzerfrischenden Rheinpoesie mitnahmen in das Alltagsleben, als eine unverwelkliche Erinnerungsblüthe? Statt der Villen werden Hospitäler für Fieberkranke entstehen und statt des Weines wird man jenes „Gewächs“ schlürfen lernen:

„sieht aus wie Wein –“

von dem schon der selige Claudius behauptete:

„Man kann dabei nicht singen,
Dabei nicht fröhlich sein –“

Und der Wandsbecker Bote war an seiner deutschen Dichtertafel nicht einmal verwöhnt durch einen feinen Rheinwein, und hat ohne Zweifel nur in seinen Träumen, und selbst da noch schüchtern, Johannisberger oder Steinberger gekostet. – Der schöne See zwischen Mainz und Bingen, vor dessen blankem Spiegel Frau Sonne besonders gern Toilette machen soll, und von dessen bewegten Wellen in der Nacht jener Thau aufsteigt für die Rebenhügel, der sie labt, wenn der Regen sie nicht tränkte, er soll verschwinden, – der köstliche Johannisberger, der Geisenheimer, Steinberger, Rauenthaler, sie sollen zur Sage werden, verkümmern und versauern! – Und warum das Alles? – „Weil,“ so antwortet die Augsburger Allgemeine Zeitung, „die Herren Schleppschifffahrtsactionäre nicht die Schiffe nach dem Strom bauen, sondern den Strom nach den Schiffen construirt haben wollen!“ – „All’ diese Schmach für elenden Gewinn!“ ruft die Kölner Zeitung aus. „Im Interesse der kaufmännischen Speculation einiger weniger reicher Leute soll eine ganze Gegend, die seither der Stolz und das Entzücken Deutschlands war, wohin alljährlich Tausende aus fernen Ländern pilgerten, ja, soll die Gesundheit von allen Bewohnern des Rheingau’s schnöde geopfert werden!“

Aber nein, und tausend Mal nein! „Sie sollen ihn nicht haben!“ Das sei hier unser gemeinsames Motto. Wir Alle müssen einig sein dieser Zeitfrage gegenüber! – Wer nur eine glückselige Stunde an jenen gesegneten Ufern verlebte, wer nur einen Tropfen goldenen Rheinweines trank, wer noch Augen hat zu sehen und Ohren zu hören, und ein warmes Herz für die Zierde und den Stolz Deutschlands, der erhebe sich und helfe bitten und streiten für unsern Rhein;

„Ob sie wie gier’ge Raben
Sich heiser nach ihm schrei’n! –“

Es ist keine deutsche Sentimentalität, wenn uns der Gedanke unerträglich erscheint, unsern königlichen Rhein die Arbeiten eines Knechtes verrichten und seine Schönheit zerstört zu sehen, die feinsten Empfindungen des deutschen Herzens werden verletzt bei solcher Vorstellung. Man nimmt uns mit dieser Schönheit den Hort der deutschen Poesie! – Und nicht das theuere Vaterland ist es, das solch’ ein Opfer von uns fordert – ihm allein würden wir es ohne Klage bringen – nein, im Interesse Einzelner soll das reizvollste Landschaftsgemälde zerstört werden.

Aber wir haben ja allgemeine Wehrpflicht! Nun, so wehren wir uns doch gründlich, mit Hand und Mund gegen den Feind: Rheincorrectur! – Alle, Alle, Groß und Klein, Jung und Alt versuche seine Kräfte! Und einen mächtigen Helfershelfer haben wir auf unserer Seite: Bismarck hilft mit!

Sagte er doch: „Die Interessen der Uferbewohner müssen vor Allen berücksichtigt werden, ehe etwas für die Schifffahrt geschieht. Für mich persönlich hat aber auch die ästhetische Seite dieser Sache eine große Bedeutung.“

Tritt mit diesem Worte der Mann von Eisen nicht entschieden auf die Seite der Poeten und Aller, die aus vollem Herzen rufen: „Sie sollen ihn nicht haben!“? Und so dürfen wir hoffen – mit vollster Zuversicht – daß er für unsere Bitte auch einem Königspaar gegenüber sprechen werde, dessen Machtwort das Felsenschloß der Loreley vor der Zerstörung schützte – und daß es bald heiße:

„Sie werden ihn nicht haben!“