Polnische Dichtung in deutschem Gewande/Rigi
Dunkel war’s mir in der Seele,
Deren Spannkraft halb gebrochen:
Blickt sie in des Zweifels Abgrund
Wie gelähmt sind ihr die Schwingen,
Wieder sich zum Flug erheben! …
Schon der Finsternis das Zepter
Halb entwand der graue Morgen.
Konnt’, ob auch noch matt vom Steigen,
Aus dem Schlaf die Schwalbe wecken.
Mit dem Bergstock, der an Länge
Glich des Bischofs Hirtenstabe,
Klettert’ ich hinan zum Gipfel:
Alles schien noch fest zu schlummern
In der menschenleeren Wildnis.
Nur die Quellen sangen murmelnd
Auf den Stock ich ließ die Namen
Aller Bergesriesen schnitzen,
Die ich als Tourist erklommen –
Also auf dem Lebenswege
Rühmt der Mensch sich seiner Thaten!
Lächelnd eine Alpenrose,
Der ich unterwegs begegnet,
Band ich um den Stock: Mit diesem
Ob auch deinen Pfad bedrohen
Schrecken rings und Ungetüme!
Gleicht die Rose doch dem Lächeln
Helenas im Kampf ums Leben!
Ich den kahlen Felsengipfel.
Dämmernd schon die Morgenröte
Ihn des Nachtgewands entkleidet:
Schon zerriß in Nebelfetzen
Bis es flattert’ in die Tiefe,
Wo zerzausten es die Stürme,
Deren Schwingen nimmer rasten,
Wie die Adler der Geschichte.
Mir noch ungeschwächt zu herrschen,
Wandelt sich ihr Schwarz allmählich
In das Dunkel tiefer Bläue.
Hell das Mondlicht auf die Gletscher
Und der Berge Nebelhäupter;
Wie die Thräne, die der Schöpfer
Weint um die verlor’ne Erde,
Aufzurichten sie vermöchte:
Ob die Thrän’ auch scheint gefroren
Unterm Hauch des Todesengels,
Sie versilbert doch die große
Hält bei Nacht getreu die Wache,
Bis sie abgelöst die Sonne!
Einsam zittern noch die Sterne,
Bis auch sie allmählich löschen,
Kerzen über Thränenkrügen.
All’ die Schnee- und Eisgebirge,
Die sich aufeinander türmen,
Wie Skelette grauser Mammuths,
Mit zu Eis erstarrten Hauern
Und mit Schnee beschäumten Rachen,
Stierend nach des Abgrunds Schluchten,
Nach dem Schaum der Wasserfälle,
Nebel ziert als Silbermähne.
Gegenüber, halb schon sichtbar,
Zittert, gleich als ob sie lebe,
In des Frührots erstem Lichte,
Drunten aber, wie im Nebel,
Liegt die Erdenwelt begraben,
Gleich als harre sie in Trauer
Auf den Anbruch ihres Tages,
Im Vertrauen auf die Sonne!
In der Wunderwelt des Nebels
Bald ist’s, als ob tausend Herden
Mit harmonischem Geläute
Schwebte rings auf Höhn und Schluchten,
Und bei unsichtbarer Harfen
Klange Geisterstimmen, sängen,
Das Gebet der ganzen Erde,
Dann als Gegengabe spenden
Perlentau und Regenbogen
Und als Echogruß vom Himmel
Sieh! dort fliegt auch schon die Schwalbe
Die ich aus dem Traume weckte.
Winzig klein, wie eine Biene,
Schwirrt sie hoch im Äthermeere!
Trillert ihren Psalm die Lerche!
Hinter Gletschern losch das Mondlicht …
Alles harrt in frohem Ahnen:
Leiser rauscht’s im Wasserfalle,
Matter schallt der Herden Läuten,
Und verstummt ist selbst die Lerche:
Rosig rötet sich am Himmel,
Purpurn, blutig dann ein Streifen,
Bald mit goldiger Schattierung.
Jäh verschwunden sind die Sterne,
Wie verscheuchter Gemsen Rudel,
Setzt es über Wasserfälle,
Weit jetzt öffnet sich der Himmel,
Wie der Seel’ einst Gottes Arme,
Und es waltet in der Schöpfung
Jenes feierliche Schweigen,
Oder dem – Orkan vorangeht.
Auf des Morgenwindes Schwingen,
Noch verhüllt vom Purpurmantel
Naht, die ersten Strahlen sendend
Dann im Strome sie ergießend,
Still der Urquell allen Lichtes,
Wie mit scharfem Schwert Jehovas,
Und enthüllt – zwölf See’n auf einmal
Meinem Blick, so still und friedlich,
Wie mein einsam Erdenleben,
Drin mit goldnem Strahlenglanze
Still und tief wie meine Seele,
Deren Lust und Leid, im – Liede!
Vor dem Sonnenpfad in Schluchten
Floh die Nacht im Nebelschleier,
Manche Handvoll Tau in Perlen,
Stimmte noch die Äolsharfen
Und entschlüpfte mit den Sternen,
Schatten gleich und Traumgebilden,
Jetzt in Flammen scheint zu stehen
So der Himmel wie die Erde,
Alle Fackeln sind entzündet,
Lauter braust’s im Wasserfalle
Alle Blümlein sich erschließen;
In den Thälern, auf den Höhen
Alles lebt und webt und jubelt,
Alles beugt die Knie in Demut
Der mit lichtem Friedensbogen
Überbrückt die tiefsten Schluchten,
Der die Welt mit Donnerschlägen
Weckt vom Todesschlaf zum Leben!
Rafft empor sich rings die Schöpfung:
Endlos rings in Riesenstaffeln
Türmen Alpen sich auf Alpen,
Wind und Vöglein, Wald und Woge
Adler segeln durch die Lüfte
Über jenen weiten Ebnen,
Schauplatz Hannibals und Cäsars,
Der Lawinen Bonapartes
Hier das Wunderland Ausonia,
Deren Spur in alle Winde
Längst verweht im Strom der Zeiten! –
Reich an Schönheit, wie der Römer
Zur Erinnerung auf Schilder,
Und mit stolzem Schmerz im Antlitz
Ob des Dornenpfads der Zukunft,
Wie ihn Kaulbach Karl dem Großen
Gegenüber von Pilatus’
Felskoloß, der keck emporragt
In die Luft mit vollem Busen,
Gleich, als woll’ er, der sich selber
Und mit hoch erhob’nem Haupte
Kahler, als die nackte Wahrheit,
Ragst du, mächt’ger Friedenskönig
Ohne Wandel seit Äonen
Über blauer Seeen Spiegel,
Stolz umrauscht von deiner Wälder
Immergrünem Kranze … – Rigi!