Zum Inhalt springen

Pomologische Monatshefte:1. Band:7. Heft:Beiträge zur pomologischen Systematik

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Pomologische Monatshefte
Band 1, Heft 7, Seite 305–308
Eduard Lange, Georg Liegel, Eduard Lucas
fertig
<<<
Ueber die Form der Kernobstfrüchte und die Normalform insbesondere
>>>
Ueber die fragliche Identität von Liegel’s Dechantsbirn mit der Holzfarbigen Butterbirn
[305]
Beiträge zur pomologischen Systematik.

Zweierlei Systeme sind seit dem Beginn der wissenschaftlichen Pomologie bei der Zusammenstellung und Beschreibung der vorhandenen Obstsorten in Gebrauch, nämlich theils botanische, theils rein pomologische. Die Anhänger der botanischen Systeme betrachten die Frucht lediglich als Theil des Baumes, sowie das Ei als Produkt irgend eines Vogels, und beschreiben deßhalb in ihren Pomologieen nicht allein die Früchte, sondern auch die Bäume, auf denen diese wachsen. Jedes andere Verfahren erscheint ihnen oberflächlich, unwissenschaftlich. Die rein pomologischen Systeme hingegen sehen die Frucht als etwas Selbstständiges an und beschränken sich deßhalb auf eine genaue und sorgfältige Beschreibung lediglich der Früchte, gerade so, wie man eine für sich bestehende Beschreibung der verschiedenen Vogeleier geben könnte. Wer hat nun Recht? Jeder wohl auf seinem Standpunkte. Doch dürfte den rein pomologischen Systemen schwerlich der Vorzug der größern Einfachheit und Brauchbarkeit für die Nichtpomologen abzusprechen seyn. Ein Obstfreund hat einige neue, wohlschmeckende Pflaumen erbaut oder geschenkt erhalten, und möchte nun auch gern den richtigen Namen für diese wissen und sucht zu diesem Behuf aus seinen Büchern die einzige Pomologie, die er besitzt, herbei. Es ist: Dittrich’s systematisches Handbuch der Obstkunde und zwar Band II. Er schlägt rasch auf und legt seine 6 oder 10 Früchte neben sich. Da findet er: Erste Classe: Pflaumen mit glatten Sommertrieben und darunter 57 verschiedene Pflaumen aller Farben und Gestalten beschrieben. Dann folgt: Zweite Classe: Pflaumen mit wollichten oder feinhaarigen Sommertrieben, mit abermals 50 verschiedenen Sorten darunter. Seinen Früchten vermag er nicht anzusehen, wie die Sommertriebe des Baumes beschaffen seyn mögen, der sie trug. Es bleibt ihm nichts übrig, als sein Buch zuzuschlagen und sich über seinen Eifer und seine vergebliche Hoffnung zu ärgern. Gesetzt aber auch, er hätte mehr Ausdauer und ginge hinaus, einige Sommertriebe zu holen. Soll er diese für glatt oder für wollicht und feinhaarig ansehen? Der untere Theil ist offenbar glatt, aber der obere hat einen wollichten Ueberzug. Was entscheidet nun? Dittrich verlangt wenigstens auf 2/3 der Länge der Sommerlatte eine glatte Schale, wenn diese als glatt gelten soll. Sind diese aber alle gleich und bleiben sie auch bis zur Fruchtreife alle gleich? Ich fürchte, unser pomologischer Dilettant wird trotz aller Beharrlichkeit doch das Buch schließen und dabei noch gerade so klug seyn, als vorher. Nun ist es zwar allerdings auch die Frage, ob ihn eine rein pomologische Zusammenstellung von Stufe zu Stufe richtig vorwärts geführt haben würde. Das aber ist sicher: so schnell würde sie ihn nicht verlassen und zurückgescheucht haben. Darum alle Hochachtung vor der Botanik; nur bleibe sie in [306] ihren Grenzen, damit auch die Pomologie im eigenen Hause Herrin seyn könne.

Bemerkung der Redaktion.

Herr Geheimerath von Flotow und Professor Lange neigen sich, wie aus der Abhandlung des erstern in diesen Blättern und dem vorstehenden Artikel hervorgeht, zu den rein pomologischen Systemen hin, indem sie ausschließlich die Merkmale der Frucht zu einer systematischen Eintheilung benützt wissen wollen. Dieser Idee schließt sich nun auch unser verehrter Dr. Liegel an, dessen Ansicht um so mehr Beachtung verdient, als er vorzüglich auf botanische Kenntnisse bei den Pomologen einen großen Werth legt. Er hat nicht nur ein recht schätzbares Pflaumensystem auf rein pomologische Merkmale gestützt im Jahr 1851 in seiner interessanten Schrift: „Beschreibung neuer Obstsorten 1. Heft. Pflaumen, Regensburg bei Manz“ veröffentlicht und seine ganze Sammlung darnach eingeordnet, sondern auch jüngst der Red. d. Bl. ein Kirschensystem zugesendet, welches ebenfalls nur auf rein pomologischen Merkmalen seine Classen begründet. Wir lassen hier zunächst das neue Pflaumensystem Liegel’s mit je einem Beispiel für jede Abtheilung folgen und bemerken nur noch kurz, daß bei allen frühern Systemen, wie Prof. Lange erwähnt, die Beschaffenheit der Sommerzweige, ob glatt (Zwetschgen) oder behaart (Damascenen) als Hauptmerkmal galt.


Pflaumensystem von Herrn Dr. Gust. Liegel
auf rein pomologische Merkmale gestützt.


I. Klasse. Die Zwetschge, mit länglich eiförmigen Früchten.
1. Ordnung. Blaue Zwetschgen.

Unterordnungen: Beispiele:

1) Große Früchte: Italienische Zw.

2) Mittelgroße F.: Gemeine Zw.

3) Kleine F.: Kleine Zuckerzw.

2. Ordnung. Rothe Zwetschgen.

1) Große Früchte: Rothe Eierpflaume.

2) Mittelgroße F.: Liegel’s Zw.

3) Kleine F.: Rother Spilling.

3. Ordnung. Gelbe Zwetschgen.

1) Große Früchte: Gelbe Eierpfl.

2) Mittelgroße F.: Reizensteiner Zw.

3) Kleine F.: Katalonischer Spilling.

4. Ordnung. Grüne Zwetschgen.

1) Große Früchte: Italienische große Zwetschge.

2) Mittelgroße F.: Grüne Inselpflaume.

3) Kleine F.: Traubenpflaume.

5. Ordnung. Bunte Zwetschgen.

1) Große Früchte: Oberdieck’s Eierpflaume.

2) Mittelgroße F.: Graugrüne Zwetschge.

3) Kleine F.: Zweimal tragende Pflaume.


II. Klasse. Die Damascene, mit runden Früchten.
1. Ordnung. Blaue Damascenen.

1) Große Früchte: Normännischer Perdrigon.

2) Mittelgroße F.: Herrenpflaume.

3) Kleine F.: Johannespfl.

2. Ordnung. Rothe Damascenen.

1) Große Früchte: Damasc. von Mongeron.

2) Mittelgroße F.: Violette Reine Claude.

3) Kleine F.: Violetter Perdrigon.

3. Ordnung Gelbe Damascenen.

1) Große Früchte: Gelbe Apricosenpfl.

2) Mittelgroße F.: Frühe gelbe Reine Claude.

3) Kleine F.: Gelbe Mirabelle.

4. Ordnung. Grüne Damascenen.

1) Große Früchte: Bavays Reine Claude.

2) Mittelgroße F.: Große grüne Reine Claude.

3) Kleine F.: Kleine grüne Reine Claude.

5. Ordnung. Bunte Damascenen.

1) Große Früchte: Rothe Apricosenpflaume.

2) Mittelgroße F.: Neuer Perdrigon.

3) Kleine F.: Bricette, Bunte Frühpflaume.

In gleicher Weise ist das nachfolgene Kirschensystem zusammengestellt. Es verwirft die früheren Classen Truchseß’s nicht, sondern ordnet sie nur so, daß nicht die Merkmale des Baumes die Grundlage für dieselben bilden.

[307]
Ueber die Classifikation der Kirschen,
von Dr. G. Liegel[WS 1], Apotheker zu Braunau a. I.
I. Classe. Die Süßkirsche. Mit süßem Fleische.
1. Ordnung.

Die Schwarzkirsche (Schwarze). Mit dunkler oder schwarzer Haut und färbendem Safte.

a. Unterordnung. Die schwarze Weichkirsche (Weiche). Mit weichem Fleische.

b. Unterordnung. Die schwarze Knorpelkirsche (Feste). Mit festem Fleische.

2. Ordnung.

Die Weißkirsche. Mit nicht färbendem Safte, mit bunter oder rother Haut.

a. Unterordnung. Die weiße Weichkirsche (Weiche). Mit weichem Fleische.

b. Unterordnung. Die weiße Knorpelkirsche (Feste). Mit festem Fleische.

3. Ordnung.

Die Gelbkirsche. Mit nicht färbendem Safte und einfarbig gelber Haut.

a. Unterordnung. Die gelbe Weichkirsche (Weiche). Mit weichem Fleische.

b. Unterordnung. Die gelbe Knorpelkirsche (Feste). Mit festem Fleische.


II. Classe. Die Sauerkirsche. Mit sauerem Fleische.
1. Ordnung.

Die schwarze Sauerkirsche (Schwarze). Mit färbendem Safte und dunkelrother oder schwarzer Haut.

a. Unterordnung. Die Süßweichsel. Mit säuerlich-süßem Safte.

b. Unterordnung. Die Weichsel. Mit sauerem Safte.

2. Ordnung.

Die Rothe Sauerkirsche (Rothe). Mit nichtfärbendem Safte und einfarbig, meistens hellrother Haut.

a. Unterordnung. Die Glaskirsche. Mit fast durchsichtiger Haut und angenehm säuerlichem Safte.

b. Unterordnung. Die Amarelle. Mit etwas trüber Haut und etwas bitterlich-sauerem Fleische.

Anmerkung. Die Süßweichsel und Glaskirsche haben große Blätter und gerade stehende Zweige, die Weichsel und Amarelle kleine Blätter und hängende Zweige.

Eine fehlerfreie Obstclassifikation muß die Merkmale in der Frucht allein suchen. Truchseß nahm aber den Baum zu Hülfe. Es gibt in der Botanik nur ein Geschlecht der Kirschen, Truchseß nahm aber zwei an. Bei jeder Eintheilung steht die Classe oben an, dann folgen die Ordnung, Unterordnung, Familie etc. Truchseß hat aber die letzte Eintheilung als Classe bezeichnet, was logisch unrichtig ist. Dann hat derselbe die Herzkirsche im Gegensatze der Knorpelkirsche angenommen. Letztere ist aber ebenfalls herzförmig; herzförmig bezeichnet, also nicht ausschließlich charakteristisch, was es bezeichnen sollte; unter Herzkirsche versteht Truchseß Früchte mit weichem Fleische, und verbindet damit einen Begriff, der dem Wortlaute nicht zukömmt. Dieß sind wesentliche Fehler seiner Classifikation, die hier vermieden sind. –

Anm. d. R. Wenn ich mir zu diesem recht übersichtlichen Systeme einige Bemerkungen erlauben darf, so wären es besonders die folgenden: Bei Süßkirsche und Sauerkirsche sollte die sich in den allermeisten Fällen sehr deutlich unterscheidende Form mit angeführt werden, und zwar Süßkirsche: Frucht herzförmig oder länglich-rund; Sauerkirsche: Frucht rund oder plattrund; ferner sollte wegen den wenigen Gelbkirschen nicht eine eigene Ordnung gemacht werden, sondern sie unter die Weißkirschen mit eingeordnet werden, was mit Zufügung eines einzigen Wortes geschehen könnte. Man würde setzen: „mit nicht färbendem Safte und gelber, bunter oder rother Haut.“ Ferner müßten die unterscheidenden Merkmale zwischen Süßweichsel und Weichsel etwas bestimmter gegeben werden, denn daß z. B. eine Ostheimer Weichsel einen rein saueren Saft haben solle, kann doch wohl nicht zugegeben werden. Sollten sich für die Unterordnungen der Sauerkirschen nicht im Stiel oder im Stein leicht brauchbare und sichere Merkmale finden lassen? – Für diejenigen Pomologen, welche sich bei Durchlesung obiger Worte Liegel’s: „Eine [308] fehlerfreie Obstclassifikation muß die Merkmale in der Frucht allein suchen“, über das von der Pomona Nr. 1, 1855 veröffentlichte günstige Urtheil desselben über „Dochnahl’s sogenanntes botanisch-pomologisches System“ wundern möchten, wollen wir zur Rechtfertigung unseres hochverehrten Mitarbeiters bemerken, daß nach sehr genauen Nachrichten jenes Urtheil ihm zum großen Theil fälschlich untergeschoben wurde.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: H. Liegel