Prosector poeticus
[1]
Zur
Feier des 37. Leipziger klinischen Vogelschiessens
am 28. Juli 1888.
Mit Illustrationen von F. Steub und H. G. Ströhl.
2. Auflage.
Leipzig.
Carl Garte.[3]
Wie bequem wird es den Leuten
Doch gemacht in unsern Zeiten,
Alles, was den Geist sonst schwerte
Und zum Mißlichen gehörte,
Bringt man dem Discipulus
Jetzt in schlanker Reime Fluß. –
So auch in der Medicin
Gab es früher ohne Müh’n
Kein Erkennen und kein Wissen.
Anders jetzt! Von Hindernissen
Derart ist jetzt keine Rede,
Jeder, sei er Russe, Schwede,
Sei vom Jordan, sei aus Polen,
Kann sich seine Weisheit holen
Hier in Leipzig hinter’m Ofen,
Wenn er nur lernt jene Strophen,
Die zu klin’schen Vogelschießen
Einladend ihn sollen grüßen. –
Kaum hat nun der klin’sche Fuchs
Diese Worte hier gelesen,
Eilt zur Buchhandlung dann flugs
Er hin, oder schickt den Besen,
Diese Werke ihm zu bringen.
„Bald wird Dir es nun gelingen,
Wie ein Stern am klin’schen Himmel
Hell zu strahlen. Im Gewimmel
Griechischer und röm’scher Namen
Soll Dein Geist nicht mehr erlahmen.
Hat den „Hyrtl“ er studieret,
Nach der „Nachtlamp’“ praktizieret,
Denkt er dann: „Dir kann nichts fehlen,
Helfen kannst Du allen Seelen!“
Doch passiert’s, daß zu den Toten
Ein Patient ihm wird entboten,
Dann – ach, helfen „Lampe“, „Hyrtl“
Nicht mehr! Nein, in jenem Viertel
Will ich heute Cicerone
Sein und führen Euch, denn ohne
Einen solchen findet schlecht
Man sich drinnen je zurecht.
Aeußere Besichtigung.
Liegt der Mensch, wie er geschaffen,
Sonder Kleider, sonder Waffen,
Vor Dir auf dem Tisch des Hauses,
Sieh, ob Sarah oder Mauses
Er geheißen haben möcht’,
D. h. sieh nach dem Geschlecht.
Alter, Größe, Körperbau,
Alles das erwäg’ genau.
Das Fettpolster Dir betrachte;
Ob Hautfalten schnell ob sachte
Wiederum zurückegehn,
Das vergiß nicht nachzusehn.
Leichenstarre, Totenflecken
Können Dir sich nicht verstecken,
Auch die Farbe sieh Dir an,
Denn gar leicht erkennst Du dran
Icterus und Argyrie
Und Morb. Adisonii,
Und zum Schluß wird noch geschaut
Nach Erkrankungen der Haut.
Innere Besichtigung.
Willst mit allen seinen Sünden
Du den innern Mensch ergründen,
Wirst Du dazu auserwählen
Dir Kopf-, Brust- und Leibeshöhlen;
Nur ganz selten – ’s wär auch stark –
Brauchst Du noch das Rückenmark.
In dem Fall beacht’, mein Sohn,
Graue Degeneration,
Die betrifft die Hinterstränge;
Und sobald es Dir gelänge
Sie zu finden, ruf’: Ich hab’ es,
Jener Mann, er litt an Tabes.
Doch auch manches andre Leiden
Pflegt sich hier noch zu verbreiten.
Spina bifida, Gliome,
Myelitis, Hämatome,
Solitär-Tuberculose,
Atrophie und auch Sclerose
Können Dir ganz ungebeten
Allerwärts entgegen treten;
Denke d’rum bei solchem Fall
Vorher daran allemal!
Kopfhöhle.
Daß den Kopf Du kannst studieren,
Mußt die Säge Du jetzt führen;
Mit ihr und durch Hammers Schlag
Trenne los das Schädeldach –
Meistens thut dies vorher Vater
Dornfeld. – An der Dura mater
Wird Farb’, Dicke, Spannungsgrad,
Und was sie wohl sonst noch hat
Und gehabt, gar wohl erwogen
Und sie schließlich abgezogen.
Achte wohl auf die Thrombosis
Bei den Sinibus venosis,
Denn es ist gewiß nicht schön,
So etwas zu übersehn.
Doch nun kommst Du zu dem schweren
Werk des Hirnes Hemisphären
Und das Cerebellum mit
Durchzustöbern Schnitt für Schnitt.
Jedermann hier darauf sehe,
Daß kein Deutchen ihm entgehe,
Ob es Hirnsubstanz, ob Grütze,
Ob Ventrikel gar ’ne Pfütze
Trüben Serums noch enthalten,
Ob in ganz verborg’nen Spalten
Der Bacillus – gleich den Ferkeln –
Wühlt in weißlichen Tuberkeln.
Kurz, Du darfst an diesen Massen
Nicht ein Fünkchen Gutes lassen,
Wenn man später sagen soll,
’s war ein Muster-Protokoll.
Brusthöhle.
Jetzt mit einem langen Schnitte
Teil’ den Körper in der Mitte
Von dem Kinn in einem Zuge
Bis herab zur Schambeinfuge.
Um das Fell des Bauch’s zu spalten,
Mußt Du’s auseinanderhalten
Mit den Fingern und auf Blasen
Achten; dies rührt her von Gasen,
Die aus dem Abdomen weichen
(Meteorismus sie bezeugen).
Daß man nach des Zwerchfell’s Stand
Gleich nun fühle mit der Hand,
Auch die Farb’ der Eingeweide
Der Betrachtung unterbreite,
Wird verlangt.[1] Jetzt kurzer Hand
Trag’ die vordre Thoraxwand
Ab. Gleich wird nun konstatiert,
Ob die Lungen retrahiert
Sich auch haben; in dem Fall
Sind elastisch sie normal.
Fehlen jedoch Retraktionen,
Ist’s bedingt durch Adhäsionen,
Oder gar ist durch Stenosen
Die Trachea fast verschlossen.
Hierauf in der Pleura Gründen
Suchst abnormes Du zu finden:
Flüssigkeiten aller Arten,
Alte oder neue Schwarten.
Und bist damit Du zu Ende,
Nun zum Mittelfell Dich wende.
Find’st Du hier die Thymusdrüse
Voll entwickelt noch, so schließe
D’raus, daß höchstens wohl zwei Jahr
Dieses Kindes Alter war.
Mancher, der ein Geck und eitel,
Hat oft einen leeren Beutel
Und das macht ihm viele Schmerzen.
Wie ganz anders bei dem Herzen!
Hier ist’s für den Mensch nicht gut,
Wenn mit Serum, Luft und Blut
Sich sein Pericard gefüllt
Und wenn’s gar noch Zotten bild’t,
Dann spricht man von dem Curiosum
Als von einem Cor villosum.
Nun zum Herzen! Lage, Größe,
Füllung seiner Kranzgefäße,
Seine Farbe und dergleichen
Sind schon sehr gewicht’ge Zeichen.
Doch nun erst in seinen Tiefen
Giebt’s gar mancherlei zu prüfen.
Nicht als ob der Liebe Gluten
Hier bei Elschen schlummernd ruhten,
Bis der flotte Kandidat
Sich ihr Herz erobert hat.
Nein! es sind ganz andre Sachen,
Die uns hier zu schaffen machen.
Hier muß man, gemäß den Regeln,
Den verschied’nen Klappensegeln
Sowie der Ventrikelweite,
Den Defekten ihre Scheide-
Wand nachspüren. Auch Stenosis
An den Ostiis venosis
Ist nicht selten; oft macht sie
Auch noch Muskelatrophie.
Findet man obesitas
Cordis – jener Leichnam was –
Mit dem Schluß geht man kaum fehl, –
Eines Säufers durst’ger Seel’
Wohnung. Ferner merk’ Dir ja,
Daß auch Aneurysmata,
Endo-, Myocarditiden,
Gummata und Parasiten
Sich vorfinden und Thrombose
In des Herzens dunklem Schooße.
Schließlich – ich kann sonst nicht schlafen –
Muß ich’s Sprüchwort Lügen strafen.
Weß’ das Herz voll, deß’ der Mund
Uebergeht, sagt’s. Jede Stund’
Hätt’ im Leben dann, o weh,
Unsereins Hämoptoë.
Nein, so schlimm ist die Geschicht’,
Gott sei Dank, denn doch noch nicht!
An den Lungen, womit diesen
Teil der Obduktion wir schließen,
Sieh nach Farbe und Gestalt,
Konsistenz und Luftgehalt.
Eine ganz abnorme Größe
Macht als emphysematöse
Sie suspekt. Verklein’rung hat
Meist bei der Cirrhosis statt.
Jetzt wird jeder Lappen mitten
(Quer und längs) hindurchgeschnitten,
Dabei siehst Du auch ganz gut,
Wie stark der Gehalt an Blut
Und an Kohl’. Wenn letzt’rer groß ist
Spricht der Arzt von Anthracosis.
Auch mußt Du nothwendig wissen,
Daß bei Kreislaufshindernissen
Anämie und Congestion
(Braune Induration
Ganz speziell bei Herzkrankheiten)
Sich hier pflegen zu verbreiten.
Pneumonien zu erkennen
Will das Wichtigste ich nennen:
Erstens, daß man unterscheidet,
Die sich in der Tief’ verbreitet,
Von der, die nur oberflächlich
Anzutreffen ist hauptsächlich.
Zweitens wird danach gruppieret,
Welcher Typus praevalieret:
Ob mehr käsig; ob krupös,
Katarrhalisch, gangränös,
Kurz, es wird darauf geguckt,
Welcher Art ist das Produkt
Der Entzündung; darum schau
Jedesmal danach genau.
Leichter als wie alle diese
Diagnosen ist auf Phthise
Sie zu stellen, wenn von ferne
Du erblickst schon die Kaverne.
Doch wenn noch nicht die Nekrose
Soweit, bau’ die Diagnose
Darauf, daß im höchsten Grad
Es etwas Verdächt’ges hat,
Wenn seit Jahren in den Spitzen
Chronische Katarrhe sitzen.
Darum darfst Du solchenfalls
Unterlassen es niemals,
(Wenn Dir’s auch noch so beschwerlich)
Sei’s nach Gabet, sei’s nach Ehrlich,
Präparate herzustellen.
Dann wird hier es meist nicht fehlen,
Den Bacill, nach Koch geheißen,
Mikroskopisch nachzuweisen,
Sie zu stellen, wenn von ferne
Du erblickst schon die Kaverne.
Doch wenn noch nicht die Nekrose
Soweit, bau’ die Diagnose
Darauf, daß im höchsten Grad
Es etwas Verdächt’ges hat,
Wenn seit Jahren in den Spitzen
Chronische Katarrhe sitzen.
Darum darfst Du solchenfalls
Unterlassen es niemals,
(Wenn Dir’s auch noch so beschwerlich)
Sei’s nach Gabet, sei’s nach Ehrlich,
Präparate herzustellen.
Dann wird hier es meist nicht fehlen,
Den Bacill, nach Koch geheißen,
Mikroskopisch nachzuweisen,
- ↑ §. 18 des Regulativs für das Verfahren der Gerichtsärzte etc.
Bauchhöhle.
Nun beim dritten wicht’gen Akte
Sieh, ob Du wol aus dem Trakte
Der Verdauung möcht’st erweisen,
Daß den Tränken und den Speisen
Der Patient in seinem Leben
Sich im Uebermaß ergeben,
Oder daß aus andern Gründen
Wir ihn vor uns liegend finden.
Sieh zunächst, ob Flüssigkeiten
In dem Bauch frei sich verbreiten
Und ob Stränge von Fibrin
Zwischen die Organe zieh’n.
Dann, beim Magen zu beginnen,
Sieh, ob außen oder innen
Etwas an ihm Dir erschein’
In der Ordnung nicht zu sein.
So, wenn sich sein großer Bogen
Tiefer hat herab gezogen,
Als normal, ist dilatiert
Das Organ und darauf wird
Gleich geseh’n, ob durch Stenosen
Der Pylorus ist verschlossen,
Oder ob ein and’rer Grund
Der Erweit’rung sich thut kund.
Ferner sei Dir auch geläufig,
Daß der Krebs besonders häufig
Aeltre Männer hier befällt,
Während bei der jungen Welt
Weiblichen Geschlechts im Magen,
Wie mit Eisen ausgeschlagen,
Löcher Dir erscheinen hie:
Ulcera ventriculi.
Auch find’st Du noch manchmal drinnen
Speisereste und Sarcinen.
Jetzt mußt Du Dich nun bequemen,
Das Gedärm herauszunehmen.
Seine Weite Dir betrachte
An verschiednen Stell’n und achte
D’rauf, ob Gas, ob koth’ge Massen
Seine Schlingen in sich fassen.
Daß auch die Tuberkulose
Und die Diphterienekrose
Die Mukosa oft zerstören,
Das sind ja bekannte Lehren.
Im besondern spioniere,
Ob Du nicht Typhus-Geschwüre
Findest oder ob die Drüsen
Sich vielleicht geschwellt erwiesen.
Hast Du alles dies gethan
Sieh’ Dir noch den Inhalt an,
Ob in Menge und Couleur
Er pathognomonisch wär’.
Erbsensuppenartig rinnen
Beim typhösen Mensch von hinnen
Oft die Stühle; doch viel blasser,
So als ob man Reis in Wasser
Hat gewaschen – merk’ es ja,
Sind sie bei der Cholera.
Daß gar alles sich auf Erden
Rächt, das kann man inne werden
Bei der Leber. Wenn ein Weib
Schlug um ihren zarten Leib
Des Corsett’s zu enge Reifen,
Das sieht man an narb’gen Streifen
Ihrer Leber; wenn ein Mann
Täglich weiter nichts gethan
Ob’s mit Pschorr, ob es mit Gos’ ist,
Sich zu füllen, die Cirrhosis
Hepatis, die man erfund
An der Leiche, thut es kund.
Ferner wenn Echinokokken
In dem Parenchyme hocken,
Schließe, daß als noch gesund
War der Mann, er auf den Hund
Schon gekommen mußte sein.
Auch gilt es für gar nicht fein,
Wenn in Haufen hie und da
Sich vorfinden Gummata.
Was die Milz betrifft, so merke,
Daß an Umfang und an Stärke
Sie bei Infektionskrankheiten
Zunahme pflegt zu erleiden
Doch am größten macht stets sie
Malaria und Leukämie.
Weiter muß ich d’ran erinnern,
Daß man auch nach ihrem Innern
Sich erkundigt, ob Dir winken
Bilder, ähnlich Speck und Schinken,
Oder ob in ihrer Mitten
Gar sich finden Parasiten.
Bei den Nieren, ach wie schade,
Geht noch ihre eig’nen Pfade.
Inn’re und Pathologie.
’s ist der Morbus Brightii,
Ueber den die Herrn Gelehrten
Niemals können einig werden.
Der sagt dies und der sagt jenes
Schlechte über uns’re renes
Und der arme Kandidat
Alles dies zu lernen hat.
Daß auch alle andern Leiden
Sich hier finden, schon von weitem
Leuchtet jedem dieses ein,
Denn wie könnt’s wohl anders sein?
D’rum will ich von diesen Sachen
Gar kein Redens weiter machen.
_______________
Doch wer mehr noch möcht’ erfahren,
Nun, der mag die Gelder sparen
Und nach Gohlis sich begeben.
Dort wird herrschen buntes Leben
Ende Juli. Denn es hat
Ein Professor aus der Stadt,
Der bekannt und hochgelehrt,
Sich bereit dazu erklärt,
Einen Kurs noch abzuhalten,
Doch für solche nur, die zahlten.
Unter ihm wird dann studiert
Und ein Vogel gar seciert,
Und von Wissenschaft beschwert
Jeder dann nach Hause kehrt.
Solch Kollegium giebt’s zur Stund’
Auf dem ganzen Erdenrund
Wohl kein zweites. D’rum wer nur
Noch von Wissensdrang ’ne Spur
Hat, läßt dies sich nicht entgehn.
Darum ruft: Auf Wiedersehn
[32] Druck von Ackermann u. Glaser in Leipzig.
[33] In gleichem Verlag erschien ferner und ist durch alle Buchhandlungen zu beziehen:
Klinische Nachtlampe.
Zur Feier des 36. Leipziger klinischen Vogelschiessens
am 30. Juli 1887.
M. 1.
Der kleine Hyrtl.
Zur Feier des 35. Leipziger klinischen Vogelschiessens
am 31. Juli 1886.
Herausgegeben von K. R. M.
2. Auflage. M. 1.
Der kleine Scanzoni.
Repetitorium
Gynaekologicum Hysteropoeticum
von Campolongo, Dr. med.
7. Auflage. M. 1.
Der kleine Schröder.
Ein Repetitorium
Artis Obstetriciae Poeticum
für lustige Geburtshelfer
und die Solche werden wollen
von med. Univ. Dr. Josef Horner.
4. Auflage. M. 1.
Der Medicin Historia
kurzweilig und in Verslein, da
man sie in Prosa, wie bekannt,
nicht stark goutirt im deutschen Land.
Von Dr. Risorius Santorini.
Mit 44 lieblichen Illustrationibus verzieret
von Dr. Corrugator Supercilii.
4. Auflage. M. 1,80.
Zur Naturgeschichte des Medicus.
Kurzweilige Schattenrisse
nach der Natur gezeichnet von Dr. Risorius Santorini.
Illustrirt von Dr. Corrugator Supercilii.
2. Auflage. M. 1.
Druck von Ackermann u. Glaser in Leipzig.