Ἀρχιπρύτανις,[WS 1] der Vorstand der Prytanen, der Vorsteher des Prytanencollegiums; davon abgeleitet ἀρχιπρυτανεία (Le Bas-Waddington 235) das Amt eines ἀ. und ἀρχιπρυτανεύειν (ἀρχιπρυτανεύσαντoς in Isaura, Bull. hell. XI 70 nr. 51) das Amt eines ἀ. bekleiden. Abgesehen von der oben angeführten, sehr fragmentierten Inschrift, welche den ἀ. für Isaura belegt, kommt dieser Titel bisher nur auf Inschriften aus Milet und dem nahen Branchidai vor. Alle dies Wort bisher belegenden Inschriften stammen aus der Kaiserzeit und zeigen, dass der ἀ. an der Spitze des aus fünf (also mit ihm selbst aus sechs) Leuten bestehenden Prytanencollegiums stand (CIG 2878 [122] = Le Bas-Waddington 212 aus dem J. 195 n. Chr. ἐπιμεληθέντoς τoῦ ἀρχιπρυτάνιδoς Kτησίου τoῦ Kτησίου καὶ τῶν συναρχόντων αὐτοῦ), dass der ἀ. mehrmals dies Amt bekleiden konnte (πρoνoησαμένoυ τῆς ἀπoστάσεως τoῦ ἀρχιπρυτάνιδoς τὸ βʹ Revue arch. XXVIII 1874, 110. 111. CIG 2876 = Le Bas-Waddington 210 aus der Zeit des Traian) und dass der ἀ. ein ganzes Jahr dies Amt bekleidete (Revue de philol. XIX 131 Kλαύδιoς Xίονις … τῷ αὐτῷ ἔτει πρoφήτης ὁμoῦ καὶ ἀρχιπρύτανις … ὑπoστάς, ἡνίκα μήτε τὴν ἀρχὴν ἀναλαβεῖν ὑπέμεινέν τις μήτε τὴν προφητείαν, ἀμφοτέρας μόνος). In der zuletzt angeführten Inschrift wird ausdrücklich von einer ἀρχή gesprochen, und dazu stimmt CIG 2878, worin der ἀ. und seine συνάρχοντες erwähnt werden; es kann also keinem Zweifel unterliegen, dass in der römischen Kaiserzeit der ἀ. zu Milet zu den Magistraten gehörte. Zu seinen Obliegenheiten gehörte die Sorge für die Aufstellung der vom Volke beschlossenen Denkmäler, vgl. CIG 2876. 2878. Revue arch. XXVIII 1874, 110. 111; daraus würde man ja gewiss mit Recht auf einen engeren Zusammenhang des ἀ. und überhaupt der Prytanen mit der Ekklesie zu schliessen geneigt sein. Im 4. und 3. Jhdt. v. Chr. waren die Prytanen in Milet wie in Athen und anderwärts ein in regelmässigen Intervallen wechselndes, aus den Phylen hervorgehendes Collegium, welches den Ratssitzungen wie den Volksversammlungen präsidierte und von seinen Functionen zurücktrat, sobald eine andere Phyle an die Reihe kam, was meist etwa alle Monate geschah. Für Milet verweise ich auf die jüngst von Th. Wiegand S.-Ber. Akad. Berl. 1901, 904 herausgegebene Inschrift aus dem 4. Jhdt. v. Chr., deren Präscript lautet: Ἐπὶ Παρθενοπαίου, μῆνoς Ἀρτεμισιῶνoς, Κεκρoπὶς ἐπρυτάνευεν, Φιλίννης ἐπεστάτει und auf das Volksdecret für Antiochos, den ältesten Sohn des Königs Seleukos I., worin es Z. 19 heisst: τοὺς δὲ ταμίας καὶ τοὺς [ἀεὶ κ]αθισταμένους πρυτάνης, wo also durch den Zusatz des ἀεὶ καθισταμένους der häufigere Wechsel der Prytanen gegenüber den ohne diesen Zusatz vorkommenden, aber ein Jahr hindurch im Amt bleibenden ταμίαι klar bezeugt wird. Wie hoch die Zahl der Prytanen in der vorchristlichen Zeit war, ist nicht überliefert; in der Kaiserzeit betrug sie nach CIG 2878 sechs. Aber darin ist ein Wechsel vorgegangen, dass aus dem häufiger im Jahre, wohl monatlich wechselnden Collegium der Prytanen eine für ein Jahr ernannte Magistratur wurde, die öfter nacheinander bekleidet werden konnte und an deren Spitze ein ständiger Vorstand trat. Erwähnenswert scheint mir noch, dass CIG 2881 ein und derselbe Mann ἀ. und βoύλαρχoς genannt wird, woraus man wohl den Schluss ziehen darf, dass jedenfalls das Präsidium in der Bule dem Prytanencollegium entzogen war, das sie in vorchristlicher Zeit nach Analogie anderer griechischer Staaten unzweifelhaft hatten; hier ersetzte sie ein βoύλαρχoς. Ob ihnen damit auch das Präsidium in der Ekklesie entzogen wurde, weiss ich nicht; die oben angeführten Fälle, wo sie vom Volke beschlossene Statuen aufstellen, beweisen es nicht mit der nötigen Deutlichkeit, da die Prytanen als Beamte gut vom Volke Aufträge bekommen können, ohne deshalb notwendig seinen Versammlungen präsidieren zu müssen. [123] Auf die sehr schlecht überlieferte und kaum verständliche Inschrift CIG 2882 verzichte ich näher einzugehen.