RE:Alimenta 2

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Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft
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Gratifikation an ärmere Bürger
Band I,2 (1894) S. 1484 (IA)–1489 (IA)
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2) Alimentarii pueri et puellae. Schon zu den Zeiten der römischen Republik waren den ärmeren Bürgern durch die Austeilung von Öl, Wein, Getreide oder Geld Gratificationen zu teil geworden. Aber diese Schenkungen trafen in der Regel Erwachsene und nur Einwohner Roms, ausserdem kamen Sie nur gelegentlich vor, ohne zu einer feststehenden, zu gewissen Zeiten wiederkehrenden Einrichtung zu werden. Hingegen sind die Alimentationen zu einer bestimmten Organisation vorgeschritten. Die überhandnehmende Ehelosigkeit und die grossen Verluste an Menschenleben, die den inneren und äusseren Kriegen des letzten Jahrhunderts der Republik zum Opfer gefallen [1485] waren, erzeugten einen so starken Rückgang der italischen Bevölkerung, dass das Wohl Italiens hiedurch in Frage gestellt zu sein schien. Dieser Gefahr suchte Augustus durch seine Ehegesetze zu begegnen; auch unterstützte er Väter und gab ihnen Geschenke (Suet. Aug. 46 his qui e plebe regiones sibi revisenti filios filiasve approbarent, singula numorum milia pro singulis dividebat) und gestattete auch Kindern Zutritt zu den Congiarien (Dio LI 21, 3. Suet. Aug. 41). Aber diese Akte der Freigebigkeit waren zu vereinzelt, um eine dauernde Wirkung zu erzielen. Zweckmässiger war wohl der Weg, den in augusteischer Zeit T. Helvius Basila einschlug, der den Bewohnern der Stadt Altina 400 000 Sesterzen legierte, ut liberis eorum ex reditu, dum in aetate[m] pervenirent, frumentu[m] et postea sesterti[a] singula millia darentur CIL X 5056. Es steht nichts im Wege anzunehmen, dass dies weder die einzige noch die erste Stiftung dieser Art war; aber allgemein anerkannt und mit kaiserlichen oder privaten Mitteln ausgiebig organisiert wurde diese Institution erst seit dem Ende des 1. nachchristlichen Jhdts.

a) Staatliche Fürsorge. Kaiser Nerva hat zuerst auf eine vom Staate geordnete Beitragsleistung zur Unterstützung armer Kinder als auf ein wirksames Mittel gegen die Verödung Italiens seine Hoffnung gesetzt; Aur. Vict. ep. 12 puellas puerosque natos parentibus egestosis sumptu publico per Italiae oppida ali iussit. Auf diese Einrichtung bezieht sich die Grossbronze des J. 97 mit dem Bildnisse des Kaisers, der, auf dem curulischen Sessel sitzend, seine Hand einer Frau (Italia) entgegenstreckt, zwischen ihnen ein Knabe und ein Mädchen, die Umschrift tutela Italiae; Cohen II² 12 nr. 142. Das kaiserliche Beispiel sollte auch der Munificenz Privater neue Impulse und erhöhte Kraft geben, und darum mag derselbe Kaiser den Gemeinden gestattet haben, Legate anzunehmen (Ulpian. fr. 24, 28). Traian ist (wahrscheinlich Anfang 101) dazu gelangt, die wohl nicht über die Anfänge ihrer Verwirklichung hinaus gelangten Pläne seines Vorgängers auszugestalten (Dio LXVIII 5, 4), nachdem er bereits früher (Plin. pan. 26–28) verfügt hatte, dass 5000 Kinder in Rom zu den Getreideverteilungen zugelassen werden sollten. Die Stiftungsfonds wurden in Hypotheken auf Landbesitz angelegt; die Art des Vorganges wird ersichtlich aus zwei inschriftlich erhaltenen Vinculierungsurkunden dieser Stiftungen: die eine von ihnen bezieht sich auf die Gemeinde Veleia (in Gallia cispadana) CIL XI 1147 und enthält in ihrem ersten Teile die obligatio praediorum ob HS deciens quadraginta quattuor milia, ut ex indulgentia optimi maximique principis Imp. Caes. Nervae Traiani Aug. Germanici Dacici pueri puellaeque alimenta accipiant, legitimi n(umero) CCXLV in singulos HS XI n(ummum), f(iunt) HS XL, legitimae n(umero) XXXIV sing(ulae) HS XII n(ummum), f(iunt) HS DCCCXCVI, spurius I HS CXLIV; spuria I HS CXX, summa HS CC, quae fit usura = - = (d. i. 5%) sortis supra scribtae, worauf das Verzeichnis der Belastungen folgt; 7, 31 folgt die obligatio praediorum facta per Cornelium Gallicanum ob HS ; die andere Urkunde ist im Gebiete der Ligures Baebiani (in der Nähe von Beneventum) [1486] gefunden CIL IX 1455 [Imp. Caes.] Nerva Traiano Aug(usto) G[ermanic]o IIII [Q.] Articuleio Paeto [co(n)s(ulibus) = 101 n. Chr., qui i(nfra) s(cripti) s(unt) ex praecepto optim]i maximiq(ue) principis obligarunt prae[dia, ut ex em]pto Ligures Baebiani [usuras semestres i(nfra) s(criptas) percipiant e]t ex indulgentia eius pueri puellaeq(ue) al[imenta a]ccipiant. Es ist nicht unwahrscheinlich, ‚dass Traian nicht allein die Beförderung der Ehen durch Unterstützung der Eltern oder die Versorgung der Waisen dabei im Auge hatte, sondern zugleich durch Darleihung vielleicht unkündbarer Capitalien zu billigen Zinsen dem kleinen Grundbesitz in Italien, dessen Lage schon seit Jahrhunderten in Italien sehr prekär geworden war, einigermassen aufzuhelfen beabsichtigte‘ (Hirschfeld Untersuchungen I 115). Mit der Ausführung dieses Auftrages waren als ausserordentliche kaiserliche Commission betraut Cornelius Gallicanus und Pomponius Bassus (Tafel von Veleia 2, 37. 3, 12. 53. 5, 38. 56. 7, 31), von denen der zweite den ersten in seiner Thätigkeit abgelöst zu haben scheint; keiner von beiden führt einen Amtstitel (Mommsen Hermes III 124; St.-R. II³ 949. Hirschfeld Untersuchungen I 116); vgl. den Gemeindebeschluss von Ferentinum aus dem J. 101 CIL VI 1492 T. Pomponium Bassum, clarissimum virum, demandatam sibi curam ab indulgentissimo Imp. Caesare Nerva Traiano Augusto Germanico, qua aeternitati Italiae prospexit, secundum liberalitatem eius ita ordinare. Auf jenen kaiserlichen Gnadenact beziehen sich die Münzen mit der Legende alim(enta) Ital(iae) Cohen II² 18f. und wohl auch Ital(ia) rest(ituta) oder rest(ituta) Ital(ia) Cohen II 35. 51f., die Widmungen CIL IX 5825 der Gemeinde Auximum [quod per mu]nificentiam suam ..... subolemq(ue) Italiae ... und CIL X 6310 aus Tarracina, sowie ein Teil der Reliefdarstellung auf den bekannten Marmorschranken vom Forum (Jordan Topographie Roms I 2, Taf. 4 oben; Bursians Jahresb. I 725ff. Henzen Bull. d. Inst. 1872, 273ff.), die den Kaiser sitzend zeigt, das Scepter in der Linken, die Rechte einer auf dem Tribunal zu ihm herantretenden Frau entgegenstreckend, welche auf dem linken Arm ein Kind trägt, mit der Rechten ein halberwachsenes Mädchen führt.

Dass die Stiftung solcher Alimentationen aus kaiserlichem Fond sich auf alle Städte Italiens erstrecken sollte, ist wohl kaum in Frage zu stellen, ob aber und inwieweit sie durchgeführt worden ist, lässt sich nicht ausmachen; immerhin darf nicht ausser Acht gelassen werden, dass es möglich ist, dass die privaten Stiftungen die kaiserlichen ergänzten und umgekehrt, so dass z. B. in Comum, das eine Stiftung des jüngeren Plinius zwischen 97 und 100 erhalten hatte, ganz wohl von einer kaiserlichen Stiftung Umgang genommen werden konnte.

Bei Hadrian fand das Beispiel seiner Vorgänger Anklang: Hist. Aug. Hadr. 7, 8 pueris ac puellis, quibus etiam Traianus alimenta detulerat, incrementum liberalitatis adiecit. Desgleichen bei Antoninus Pius: Hist. Aug. Pius 8, 1 puellas alimentarias in honorem Faustinae Faustinianas constituit; vgl. die Münzen seiner Frau, der älteren Faustina, mit puellae Faustinianae Cohen II 433. [1487] Ihm widmeten 149 n. Chr. pueri et puellae al[l]iment[a]ri Cuprenses Montani CIL IX 5700 und nach seinem Tode die alimentarii von Sentinum Orelli 847 Denkmale. Durch Kaiser Marc Aurel wird anlässlich der Hochzeit seiner Tochter Lucilla mit Veras eine neue Stiftung vollzogen: Hist. Aug. Marc. 7, 8 pueros et puellas novorum nominum frumentariae perceptioni adscribi praeceperunt und eine weitere 26, 6 novas puellas Faustinianas instituit in honorem uxoris mortuae, vgl. auch 11, 2 de alimentis publicis multa prudenter invenit. Widmungen an ihn von den pueri et puellae alimentari aus Urbinum 150 n. Chr. Grut. 1022, 6 und von den pueri et puellae alimentari Ficolensium CIL XIV 4003. Je mehr aber Italien und das römische Reich verarmte, desto weniger war die kaiserliche Regierung im stande, den von ihr eingegangenen Verpflichtungen nachzukommen; schon Pertinax vermochte es nicht, die aus den letzten neun Jahren der Regierung des Commodus gebliebenen Rückstände auszuzahlen (Hist. Aug. Pertin. 9, 3). Zwar hat noch Alexander Severus (Hist. Aug. Alex. 57, 7) einen neuen Fond gestiftet: puellas et pueros, quemadmodum Antoninus Faustinianas instituerat, Mammaeanas instituit, und noch gegen das Ende des 3. Jhdts. (vor 271, Hirschfeld Untersuchungen I 122, 2) begegnen uns Beamte dieses Verwaltungszweiges. Aber gewiss bestanden diese Alimentationen nicht mehr im Jahr 315, da Constantin (Cod. Theod. XI 27, 1) verfügt, dass jenen Leuten, die ihre Kinder aufzuziehen nicht im stande wären, die Staatskasse aushelfen sollte (fiscum nostrum et rem privatam), ohne auch nur mit einem Worte der früheren Einrichtung zu gedenken. Über eine kaiserliche Stiftung in Africa, mit fiscalischen Grundstücken dotiert, s. Cassiod. Var. XII 9 und Dahn in Rudorffs Ztschr. VII 2 (1868) 279ff.; die älteren Alimentationen kaiserlicher Gründung greifen nicht über Italien hinaus.

Die hauptsächliche Ausgabe seitens des Staates bildet die Fundierung der Capitalien, so dass nach derselben weitere Zuschüsse nicht gegeben worden zu sein scheinen. Jene Capitalien wurden innerhalb des Gebietes jener Gemeinde, der sie zugute kommen sollten, auf etwa den zwölften Teil des Wertes der Grundstücke, also mit grosser Sicherheit intabuliert (vgl. z. B. die erste Intabulierung der veleiatischen Tafel: C. Volumnius Memor et Volumnia Alce per Volum(nium) Diadumenum libertum suum professi sunt fundum Quintiacum, Aurelianum, collem Muletatem cum silvis, qui est in Veleiate pago Ambitrebio, adfinibus M. Mommeio Persico, Satrio Severo et pop(ulo), HS (108 000) acciper(e) debet HS DCLXXXXII (8692) n(ummum) et fundum s(upra) s(criptum) obligare). Der Zinsfuss ist für die damaligen Verhältnisse sehr mässig bemessen, in Veleia zu 5%, bei den Ligures Baebiani (vielleicht halbjährig) zu 2½%, s. die letztere Obligationsurkunde II 5, wo ein Gut auf 50000 Sesterzen geschätzt, mit einem Capital von 3520 Sesterzen belastet und für eine Rente von 88 Sesterzen gepfändet ist (aest(imati) HS , (sc. obligati) in HS DXX, (sc. debentur) HS LXXXIIX). Vorzugsweise werden Knaben alimentiert, in Veleia 246 Knaben gegen 35 Mädchen. Über die Dauer der Alimentation vgl. Ulp. Dig. [1488] XXXIV 1, 14, 1 si quis exemplum alimentorum, quae dudum pueris et puellis dabantur, velit sequi, sciat Hadrianum constituisse, ut pueri usque ad decimum octavum, puellae usque ad quartum decimum annum alantur, et hanc formam ab Hadriano datam observandam esse imperator noster rescripsit. Die Verwaltung der Stiftungen wird durch städtische Behörden vollzogen, den quaestor arcae alimentariae (q. pecuniae alimentariae, q. alimentorum), seltener einen duovir alimentum (CIL X 1491 aus Neapel); die staatliche Oberaufsicht wird in der Art geübt, dass Italien in eine Anzahl von Alimentationsbezirken zerfällt, die entweder den (ritterlichen) procuratores alimentorum (quaestores ad alimenta) oder den (senatorischen) curatores viarum als zweites Amt zugeteilt sind: praefectus alimentorum, z. B. CIL VI 1428 curator viae Aemiliae, praefectus alimentorum; aber auch zusammengezogen, z. B. 1529 curator Flaminiae et alimentorum. Das Nähere über diese Beamten, den subcurator alimentorum und die municipalen Beamten derart, sowie einen fraglichen praefectus alimentorum als oberste Instanz, s. unter den betreffenden Schlagwörtern; vgl. Mommsen St.-R. II³ 1080f.; ausserdem s. Pecunia alimentaria. Als Alimentationsbezirke lassen sich Aemilia, Appia, Apulia, Calabria, Lucania, Bruttii, Clodia, Flaminia, Salaria, Tiburtina, Trans Padum, Histria, Liburnia und Valeria nachweisen, s. Ruggiero Diz. epigr. I 405f.; ebd. 405 ein Verzeichnis jener Städte, in denen bezeugtermassen Alimenta verwaltet wurden (vorläufig 39 Städte).

b) Private Munificenz. Das erste Beispiel dieser Art stammt aus augusteischer Zeit CIL X 5056, s. o. S. 1485. Der nächste datierbare Fall gehört jener Zeit an, in der die kaiserliche Alimentation entstand; es ist eine Stiftung des jüngeren Plinius für seine Heimatstadt Comum, epist. VII 18 pro quingentis milibus nummum, quae in alimenta ingenuorum et ingenuarum promiseram, agrum ex meis longe pluris actori publico mancipavi, eundem vectigali inposito recepi, tricena milia annua daturus, vgl. CIL V 5262 von Plinius: [vivu]s dedit in aliment(a) pueror(um) et puellar(um) pleb(is) urban(ae) HS [quingenta mila]. Stiftungen dieser Art wurden ebensowohl in Italien selbst (ausser Atina und Comum noch Florentia CIL XI 1602, Ostia XIV 350 und Tarracina X 6328 bezeugt) als ausserhalb desselben (in Spanien Hispalis II 1174, in Erweiterung einer älteren Stiftung in Africa Curubis VIII 980 und Sicca VIII 1641) errichtet. Die aufgewendeten Capitalien sind meist nicht unbeträchtlich (nur 50 000 HS in Hispalis, 500 000 Comum, 400 000 Atina, 1 000 000 Tarracina, 1 300 000 Sicca), der Zinsfuss mässig (6% Comum, 5% Sicca, 41/3% Tarracina). Die Zahl der empfangenden Kinder ist in Tarracina und Ostia (?) auf 100 Knaben und 100 Mädchen, in Sicca auf 300 bezw. 200 festgesetzt; die Empfangsberechtigung ist in Sicca auf das Alter zwischen 3 und 15 Jahren bei Knaben, 3–13 Jahren bei Mädchen berechnet, in Florenz bis 14 Jahre für Knaben, in Tarracina bis 16 bezw. 14 Jahre, in Atina dum ad aetatem pervenirent. Die Unterstützungen bestanden in Atina aus Getreidegaben und nach Ablauf der Alimentationszeit einer einmaligen Gabe von [1489] 1000 Sesterzen; in Hispalis zunächst 30 den Knaben und 40 den Mädchen, in Sicca monatlich 10 bezw. 8, Tarracina monatlich 20 bezw. 16 Denare. Die Kinder werden als pueri et puellae CIL VIII 1641. X 6328, liberi X 5056, pueri ingenui, puellae ingenuae II 1174. X 1602 bezeichnet, nach einer Stiftung II 1174 als [pueri] ingenui Iuncini (etwa nach Iuncus, Consul 127). Die Verwaltung ist in Sicca den Duovirn übertragen, desgleichen in Curubis, wo sie den Titel II[viri] et curat(ores) alimen(torum) distrib(uendorum) führen; sonst fehlen dergleichen nähere Angaben. Ebensowenig ist zu sehen, ob und wie der Staat sein Aufsichtsrecht über die Gemeindepflege dieser Art ausgeübt hat; eine Unterstützung seinerseits lag darin, dass Kaiser Nerva bereits verfügte civitatibus omnibus, quae sub imperio populi Romani sunt, legari potest. idque a divo Nerva introductum, postea a senatu auctore Hadriano diligentius constitutum est Ulpian fr. 24, 28; vgl. Paulus Dig. XXX 1, 122 pr. Über das Verhältnis der zu Alimentarzwecken ausgeworfenen Legate zu den Vorschriften der Lex Falcidia vgl. Marcianus Dig. XXXV 2, 89.

Litteratur: Henzen Ann. d. Inst. 1844, 1ff. 1849, 220. Mommsen St.-R. II³ 1079f. Marquardt St.-Verw. II² 141ff. Hirschfeld Untersuchungen I 114ff. Matthiass Jahrb. f. Nationalökonomie N. F. X (1885) 603ff. Brinz S.-Ber. d. Akad. München 1887 II 209ff. Ruggiero Diz. epigr. I 402ff.