Anagora von Milet (Ἀναγόρα Μιλησία), eine der μαθήτριαι der Sappho nach Suidas s. Σαπφώ Σίμωνος (Hesych. Miles. p. 191 Fl.). Man pflegt den Namen als falsche Lesart für Ἀνακτορία anzusehen, wie eine Schülerin der Sappho bei Maximus Tyrius I 24, 9 heisst (so O. Müller Litt.-Gesch. I 320, danach Flach Gesch. d. griech. Lyrik 498 u. a.). Diese Annahme ist unzulässig. Ἀν-αγόρα ist eine seltene, aber völlig correcte [75] Namensform; Ἀν-αγόρας kommt in Chios inschriftlich vor (Bull. hell. III 242, 4), das weibliche Correlat kann also in Milet nicht überraschen (weshalb auch Conjecturen wie Ἁγν-αγόρα unnütz sind). O. Müller wurde zu der Gleichsetzung bestimmt durch die Beobachtung, dass Milet selbst einst Ἀνακτoρία hiess (s. Bd. I S. 2051, wo das Zeugnis der Schol. Apoll. Rhod. I 185. Eustath. I 8 p. 21 nachzutragen ist). Will man auf dieses Zusammentreffen so grosses Gewicht legen, würde man in Ἀνακτoρία eher ein altes Ethnikon im Sinne von Mιλησία suchen müssen (Ἀναγόρα Ἀνακτoρία = Ἀναγόρα Mιλησία. Aber Sicherheit können nur neue Funde bringen, wie wir sie nach dem Auftauchen der Berliner Sapphobruchstücke, die uns in den Kreis der μαθήτριαι führen, wohl erwarten dürfen (s. Schubart S.-Ber. Akad. Berl. 1902, 195).