Chalcidicum, Name einer Gebäudeform, die genau zu definieren nicht möglich ist. Sicher scheint, dass es ein porticusartiger, nach einer Seite offener Raum ist; doch hiess sicher nicht jeder derartige Raum Ch., und es bleibt dunkel, welche Besonderheiten er haben musste, um diesen Namen zu verdienen. Es giebt am Forum von Pompei zwei sicher beglaubigte Ch. Erstens vor dem Gebäude der Eumachia (Fig. 1 s. nebenstehend). Dieses besteht nach der Bauinschrift aus ch., crypta und porticus; da die beiden letzteren unzweifelhaft kenntlich sind, bleibt als Ch. übrig die mit einer Säulenreihe auf das Forum geöffnete Vorhalle. Die Rückwand derselben enthält zwei rechtwinkelige und zwei apsisförmige Nischen, und in der Mitte den Eingang in das Innere des Gebäudes; an den Säulen standen Statuenbasen; zweitens vor der Basilica (Fig. 2 s. nebenstehend), die bei langgestrecktem Grundriss an der einen Schmalseite eine auf die Forumsporticus geöffnete Vorhalle hat, entsprechend der Vorschrift Vitruvs V 1, 4, bei unverhältnismässiger Länge des für eine Basilica gegebenen Grundstückes an den Schmalseiten Chalcidica vorzulegen. Vitruv fügt hinzu: uti sunt in Iulia Aquiliana. [2041] Eine Basilica dieses Namens ist nicht bekannt; nach einer Vermutung Hülsens Röm. Mitt. VIII 1893, 281f. wäre vielleicht Iulia Aemiliana zu lesen und die an der Nordseite des römischen Forums gelegene Basilica Aemilia gemeint. Die Fassade des westlichen Ch.s dieser Basilica wäre dann zu erkennen in einem von Architekten des 15. Jhdts. gesehenen und mehrfach unter dem Namen forum boarium gezeichneten Bau (Hülsen Ann. d. Inst. LVI 1884, 323ff. Mon. XII 11. 12). Aber wenn auch jener Bau sehr wahrscheinlich der Westfassade der Basilica angehört, so ist doch seine Benennung als Ch. und die Beziehung auf die Vitruvstelle sehr unsicher, um so mehr, als er keine offene Säulenstellung, sondern nur drei Thüren zeigt.
Wichtig ist ferner die dem Kresphontes des Euripides entnommene Erzählung Hygin. fab. 137. Kresphontes schläft in einem Ch. und hierher begiebt sich Merope, um ihn zu töten. Er schläft als Fremder im πρόδομος, nach homerischer Sitte (Od. XX 1; vgl. III 399. IV 297), und zwar, da der Vorgang auf der Bühne dargestellt wurde (Plut. de es. carn. II 5), in der vor der Mittelthür der Skene angebrachten Säulenhalle (Dörpfeld-Reisch Griech. Theater 205f.). Säulenhallen meint wohl auch Arnobius, wenn er Ch. als Aufenthalt und namentlich als Speiseräume der Götter angiebt: in chalcidicis illis magnis atque in palatiis caeli (III 10) und in tricliniis caelestibus atque in chalcidicis aureis (IV 33); an beiden Stellen scheinen die Ch. von den eigentlichen Innenräumen unterschieden zu werden. Unverständlich bleibt es dagegen, wenn bei Ausonius Per. Odyss. I. XXIII das ὑπερῷον der Penelope mit ch. übersetzt wird. Auf eine offene Halle deutet auch die sehr verdorbene Glosse bei Isidor: Cal(ci)dicum foris deambulatorium quod et petibulum (peribolum? vestibulum?) dicitur et iterum (pteron?).
In Rom lag dicht an der Curia Iulia das mit dieser von Augustus erbaute oder doch dedicierte Ch.: curiam et continens ei chalcidicum, Mon. Ancyr. IV 1. Cass. Dio LI 22, 1 nennt es τὸ Ἀθήναιον τὸ Χαλκιδικὸν ὠνομασμένον; es ist wohl sicher identisch mit dem Atrium Minervae, Notit. reg. VIII. Jordan Topogr. I 2, 255. Mommsen Res gest. D. Aug.² 79. Da die Nordseite des Forums nicht ausgegraben ist, kennen wir die hier in Frage kommenden Ruinen nur aus Zeichnungen von Architekten des 15. Jhdts., herausgegeben von Lanciani Mem. d. Lincei 3. Serie XI 3 mit Taf. I. II; vgl. Hülsen Röm. Mitt. VIII 1893, 278, und es ist nicht sicher, in welchem der dort angegebenen Gebäudereste das Ch. zu erkennen ist, um so weniger, als wir nicht wissen, welche derselben auf die Zeit des Augustus, welche auf die Erneuerung durch Diocletian zurückgehen. Man erkennt es jetzt meistens in einem viereckigen Raume zwischen der Curie (Kirche S. Adriano) und dem secretarium senatus (Kirche S. Martina), der ein von Säulenhallen umgebener Hof gewesen zu sein scheint. Doch stimmt dies nicht recht mit dem, was wir nach dem oben Gesagten von dieser Gebäudeform wissen, und es ist vielleicht richtiger, es in einem nach eben jenen Zeichnungen hinter der Curie befindlichen, länglich viereckigen, bedeckten Raume (Fig. 3 S. 2042) zu erkennen. Die eine Langseite dieses [2042] Raumes bildet die Rückwand der Curie; die gegenüberliegende enthält zwischen zwei grossen Thüren eine halbkreisförmige Nische oder Apsis, in der die Statue der Minerva stehen konnte; die beiden Schmalseiten sind offen und nur durch je drei Säulen geteilt. Evident ist die Ähnlichkeit mit dem Ch. der Eumachia in Pompei; dass, durch die Localverhältnisse bedingt, die Vorderseite geschlossen und nur die Seitenfronten offen sind, kann nicht als wesentlicher Unterschied gelten. Dazu kommt noch folgende Beobachtung. Auf zwei Münzen Neros, Cohen I 68. 78, ist die Largitio dargestellt in einem durch eine Minervastatue charakterisierten Raum (vgl. Eckhel VI 271 und die Münzen Nervas, Cohen II 37. 38. 39), der also sehr wohl das Atrium Minervae oder Ch. sein könnte. Links neben der Statue sind hier zwei Säulen sichtbar, was zu dem Raum hinter der Curie gut passen würde. S. hierüber Rostowzew Tablifer (russisch) in der Sammelschr. zu Ehren J. Pomialovskys, Petersburg 1897, 134f. An die durch die bekannten Marmorschranken vom Forum begrenzte säulengetragene Vorhalle der Curie zu denken, wozu man nach Analogie der Kresphontesscene geneigt sein könnte, ist deshalb unmöglich, weil diese der von Diocletian erneuerten Curie fehlte, während doch das Atrium Minervae noch in den Regionsverzeichnissen aus constantinischer Zeit vorkommt.
Inschriftlich kommen Ch. vor in Herculaneum CIL X 1453, Capua ebd. 655, Cumae 3697, Aesernia IX 2653, Veleia XI 1189, Falerii XI 3126, Rom VI 1474, ohne dass sich aus diesen Inschriften näheres über die Gestalt des Baues ergäbe. Vgl. Nissen Pompei. Studien 292.