RE:Chronograph vom J. 354

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Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft
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Illustrierter Kalender für die Bewohner v. Rom
Band III,2 (1899) S. 24772481
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Chronograph vom J. 354, ein reich illustrierter Kalender, der durch Hinzufügung zahlreicher Tabellen verschiedener Art zum praktischen Nachschlagebüchlein für den Bewohner der Stadt Rom gemacht worden war. Wie von den Chronica Constantinopolitana (s. d.), so gab es wohl auch von dem Ch. ebenso viele Redactionen wie Exemplare, d. h. jedes einzelne nahm in seiner ganzen Zusammensetzung Rücksicht auf die Person und die Wünsche des Bestellers und war in den Listen der Kaiser, Consuln und Praefecten bis auf das Jahr herabgeführt, in dem es ausgegeben wurde. Das Exemplar, dessen Abschriften erhalten sind, stammte aus dem J. 354, obgleich ihm später noch einige Nachträge hinzugefügt wurden (s. nr. 9), und war für einen gewissen Valentinus geschrieben, vielleicht denselben, der bei Amm. XVIII 3, 5 im J. 359 erwähnt wird (bei dem Consularis Piceni von 365 scheint die Namensform Valentinianus Cons. 9, 4. Cod. Theod. XV 1, 17 besser überliefert zu sein, als Valentinus Cod. Theod. IX 2, 2. 30, 4). Denn auf dem bemalten Titelblatte steht: Valentine lege feliciter und noch andere Segenswünsche an denselben Mann. Daneben findet sich in kleiner Schrift: Furius Dionisius Filocalus titularit; die grossen Prunkbuchstaben sind also von demselben Kalligraphen gemalt, der auch die Steininschriften des Papstes Damasus (366–384) vorzuzeichnen pflegte (De Rossi Bull. crist. 1884/5, 12). Nach dem Titelblatt enthält das Büchlein:

1) Die Abbildungen der vier bedeutendsten Städte des Reiches als allegorischer Frauengestalten, Rom auf dem Throne sitzend, die anderen minder vornehmen stehend. Rom mit Helm, in der Linken die Lanze, in der Rechten die Victoria auf der Weltkugel; neben ihr steht ein Geldsack und ein Genius, der aus einem ebensolchen Sacke Geldstücke ausschüttet mit Bezug auf die Congiarien. Alexandria mit Ähren bekränzt, in einer Hand den Ölzweig, in der andern ein Ährenbüschel, zu den Seiten Kornschiffe und zwei Genien mit brennenden Lichtern. Constantinopel mit Lanze und Kranz in den Händen, [2478] auf dem Haupt eine Mauerkrone, über der zwei schwebende Genien einen Kranz halten, zu den Seiten zwei Genien mit brennenden Fackeln, von denen der eine auf dem Rücken eines dritten steht, und ein Geldsack. Trier als hochgeschürzte, behelmte Amazone, in der Linken Speer und Schild, mit der Rechten einen bärtigen Germanen am Haar haltend, dessen Hände auf den Rücken gebunden sind. Daneben am Boden barbarische Waffen, in der Luft Prunkgefässe, darunter ein Trinkhorn, als Andeutung der von den Feinden gewonnenen Beute.

2) Eine Victoria mit Adler zu ihren Füssen, die auf einen Rundschild schreibt: Salvis Augustis felix Valentinus.

3) Ein Verzeichnis der Kaisergeburtstage, die noch officiell gefeiert wurden, nach den Monaten geordnet (abgedruckt CIL I² p. 255). Darüber zwischen zwei Victorien ein Brustbild des Kaisers mit Nimbus und Erdkugel, auf der ein Phoenix steht.

4) Abbildungen der sieben Planetengötter mit einer kurzen Charakteristik ihrer astrologischen Bedeutung und der Angabe, welchem von ihnen jede Stunde der einzelnen Wochentage gehört.

5) Die Zeichen des Tierkreises mit der Angabe, für welche Art von Geschäften es Gutes oder Schlimmes bedeutet, wenn der Mond in sie eingetreten ist.

6) Der Kalender mit Bildern der Monate (abgedruckt CIL I² p. 256), deren jedem ein vierzeiliges Epigramm hinzugefügt ist. Er ist in fünf Columnen geteilt. Die erste enthält Buchstaben von A bis K, welche die Mondphasen bezeichnen sollen, die zweite A bis G als Tage der siebentägigen Woche, die dritte A bis H als Tage der altrömischen achttägigen Woche, die vierte das Tagdatum, die fünfte dasjenige, was an dem Tage geschieht, d. h. heidnische Feste, Spiele, die regelmässigen Senatssitzungen, die Geburtstage und sonstigen Gedenktage der Kaiser. Die Astrologie ist auch hier berücksichtigt, insofern die Unheilstage (dies aegyptiaci) und das Eintreten der Sonne in die Zeichen des Tierkreises angemerkt wird. Christliche Elemente enthält der Kalender noch gar nicht.

7) Die Bilder des Augustus Constantius und des Caesar Gallus, beide mit dem Scepter in der Linken und in gleicher Prunktracht; doch steht der Caesar und ist barhäuptig, während der Augustus sitzt und das Diadem trägt. Mit der Rechten schüttet dieser Goldstücke aus, jener trägt darauf eine Victoria; doch steht auch neben ihm ein Geldsack.

8) Fasten von der Gründung der Republik bis zum J. 354 n. Chr. Jedem Consulat ist Wochentag und Mondphase des Neujahres, jedem vierten die Bezeichnung des Schaltjahres (B = bissextus) hinzugefügt, beides natürlich nach falschen Berechnungen. Aber obgleich es ein Unsinn war, die durch Caesar eingeführte Schaltung schon bis auf die Zeiten des Brutus und Collatinus zurückzudatieren, hat dies doch den Vorteil gehabt, dass durch das Zusammenfassen von immer je vier Jahren das Überspringen einzelner Consulate, wie es in den sonstigen Fasten so überaus häufig vorkommt, hier fast ganz vermieden worden ist. Das Eponymenverzeichnis ist daher [2479] das vollständigste, das wir überhaupt besitzen. Für die Zeit der Republik ist es ein Auszug aus grösseren Fasten, die den capitolinischen sehr ähnlich, ja vielleicht sogar aus ihnen abgeschrieben waren. Nimmt man dies an, so muss man freilich die Hülfshypothese machen, dass jene Abschrift von gelehrter Hand mit Zusätzen versehen war; denn der Ch. bringt mitunter Namen, die auf dem Stein nie gestanden haben und doch insofern nicht unrichtig sind, als die Cognomina in den Geschlechtern der betreffenden Consuln thatsächlich vorkommen. Von jedem Eponymen ist nur je ein Name verzeichnet, und zwar in der Regel derjenige, welcher in den capitolinischen Fasten in der Namenreihe die letzte Stelle einnimmt. Die mehrstelligen Collegien der Decemvirn und Militärtribunen sind auf je zwei Namen reduciert und dies sind regelmässig diejenigen, welche in den capitolinischen Fasten an der Spitze der beiden Columnen stehen. Die Dictatorenjahre (421. 430. 445) sind durch die Formel hoc anno dictatores non fuerunt bezeichnet, die Jahre der Anarchie (379–383) durch erfundene Consulate ausgefüllt. Wo durch Gegenconsulate die Jahresbenennungen zeitweilig schwankend waren, sind sie durchgängig in die Formel gebracht, welche dauernd die anerkannte blieb, Mommsen CIL I² p. 81.

9) Ein Verzeichnis der Ostertage für ein Jahrhundert von 312–411 n. Chr. mit dazu gesetzten Consulaten. Bis zum J. 354 sind es die wirklich gefeierten Osterfeste der römischen Kirche; von da an beruht die Liste auf Berechnung. Doch auch in dieser zweiten Hälfte sind die Consulate bis 410 nachträglich hinzugefügt; aber durch Überspringen von neun Consulnpaaren ist die Jahresbenennung von 368 auf den Ostertag von 359 gekommen, und dieser Fehler setzt sich dann im ganzen weiteren Verlauf der Liste fort.

10) Ein Verzeichnis der römischen Stadtpraefecten gleichfalls für ein Jahrhundert von 254–354 n. Chr., seit dem J. 288 auch mit Angabe der Antrittstage. Die Fasten, welche diese Liste begleiten, haben dadurch besonderen Wert, dass sie genau angeben, welche Jahresbezeichnung in Rom die gleichzeitige war. Z. B. heisst es unter dem J. 308:

Consules quos iusserint domini nostri Augusti. Ex XII kal. Mai. factum est Maxentio et Romulo.
Quod est decies et Maximiano VII.

Das heisst in den ersten drei Monaten des Jahres waren in Rom überhaupt keine Consuln verkündet, man datierte also mit dem Postconsulat; am 20. April traten der Usurpator Maxentius und sein Sohn das Consulat an, doch wurde dasselbe nach dem Siege Constantins für ungültig erklärt und dem Jahre die Benennung decies et Maximiano VII gegeben, die es dann auch dauernd behielt.

11) Todestage und Begräbnisstätten heiliger Päpste nach dem Kalender geordnet.

12) Andere kirchliche Feste, namentlich die Todestage von Märtyrern mit Angabe ihrer Begräbnisstätte oder des sonstigen Locals, in dem die Feier begangen wurde. Die Reihe beginnt mit dem Weihnachtstag und folgt dann gleichfalls dem Kalender. [2480]

13) Ein Verzeichnis der römischen Bischöfe mit Angabe ihrer Regierungsdauer nach Jahren, Monaten und Tagen und kurzen historischen Bemerkungen. Teilweise ist auch das Datum von Ordination und Tod angegeben. Dies ist die älteste bekannte Papstliste und insofern von grosser Wichtigkeit. Bis zum J. 230 geht sie auf die Chronik des Hippolytos von Portus zurück, später auf gleichzeitige Fortsetzungen.

14) Regionenverzeichnis der Stadt Rom aus dem J. 334, s. Regiones.

15) Eine lateinische Übersetzung der Weltchronik des Hippolytos von Portus, fortgesetzt bis auf das J. 334, s. Hippolytos.

16) Eine Art kurzer Stadtgeschichte Roms, die mit dem Tode des Licinius (325) abschliesst, also jedenfalls vor dem Tode Constantins (337), wahrscheinlich auch im J. 334 verfasst oder doch bis so weit fortgesetzt ist. Sie beginnt mit den ältesten fabelhaften Königen, Picus, Faunus, Latinus, Aeneas und Ascanius, schliesst ihnen die Reihe der albanischen und dann der römischen Könige an. Bei jedem ist die Regierungsdauer angegeben; dazu kommen dann noch kurze historische Notizen meist aetiologischer Art, namentlich wird die Einführung der Congiarien und ihre Verteilung bei jedem Könige genau vermerkt. Wahrscheinlich stammen diese Nachrichten mittelbar aus Sueton de regibus. Die Zeit der Republik ist nur durch einige Namen berühmter Männer vertreten, die ohne alle Ordnung durcheinandergeworfen sind. Dann folgen die Kaiser von Iulius Caesar beginnend. Bei jedem sind Jahre, Monate und Tage seiner Regierung angemerkt, dann die Congiarien, Spiele, Bauten in Rom, Naturmerkwürdigkeiten, die unter ihm in der Hauptstadt gezeigt wurden, und andere meist stadtrömische Notizen, zum Schluss der Ort des Todes und ob dieser ein natürlicher oder gewaltsamer war. Die Mehrzahl dieser Nachrichten scheint auf trefflicher Überlieferung zu beruhen.

Wie weit die verschiedenen Redactionen des Ch. verbreitet waren, zeigt seine Benutzung durch Eutrop, Hieronymus, Isidor und die Quelle des Barbarus Scaligeri.

Von den erhaltenen Hss. enthält keine den C. vollständig, doch ergänzen sie einander derart dass wohl ein paar Bilder, aber nichts vom Text verloren gegangen ist. Wahrscheinlich gehen sie alle auf einen Cod. Luxemburgensis zurück, den Peiresc sich verschafft hatte, der aber seit dem J. 1627 verschollen ist. Aus ihm hat Peiresc eine Copie der Zeichnungen fertigen lassen, die in Rom in der Barbariniana (XXXI 39) aufbewahrt wird, und im 16. Jhdt. ist der Cod. Bruxell. 7524–55 daraus abgeschrieben. Doch damals war der Luxemburgensis schon sehr lückenhaft. Als er noch vollständig war, scheinen einzelne Stücke in den Cod. Sangall. 878 saec. IX übergegangen zu sein, andere durch ein verstümmeltes Mittelglied in den Bernensis 108 + 128 saec. X, der grösste Teil des Ganzen in den Vindob. 3416 saec. XV, der auch Copien der Bilder enthält. Auch die älteren Ausgaben sind alle unvollständig; genannt zu werden verdienen, weil sie am häufigsten angeführt werden: der Druck des Kalenders in Cuspinians Ausgabe von Ovids Fasten (Wien 1513). Aeg. Bucher De doctrina temporum commentarius in [2481] Victorium Aquitanum, Antwerpen 1634. Norisius Dissertationes tres, Florenz 1689. Erste vollständige Ausgabe von Mommsen Abh. d. sächs. Gesellsch. d. Wissensch. Hist. phil. Kl. II 1850, 547ff., erweitert in den Chron. min. I 13ff. Die Abbildungen sind photographisch reproduciert von J. Strzygowski Die Calenderbilder des Chronographen vom J. 354, Jahrb. d. arch. Instit. I Ergänzungsheft, Berlin 1888.