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RE:Comperendinatio

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Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft
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Der dritte Tag, Übermorgen
Band IV,1 (1900) S. 788791
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Comperendinatio (ältere Form comperendinatus, Cic. Brut. 87; in Verr. act. II 1, 26), ist abgeleitet von perendinus scil. dies = dies tertius, d. h. der dritte Tag, wenn man den, von welchem die Berechnung ausgeht, als ersten zählt, also übermorgen (Cic. pro Mur. 27. Prob. de not. 4: I. D. T. S. P. – in diem tertium sive perendinum. Paul. p. 283 s. res comperendinata. Gell. X 24, 9); die Form comperendinus dies (Gai. IV 15) dürfte erst von comperendinare gebildet sein.

a) Im Civilprocess ist C. bezeugt als ein Act bei der legis actio sacramento in personam (Gai. a. a. O.) wie in rem (ebd. IV 16. Ps.-Ascon. zu Cic. in Verr. p. 164 Or.), und zwar als die nach der Richterbestellung in iure erfolgende gegenseitige Aufforderung (denuntiabant) der Parteien, übermorgen vor dem iudex zu erscheinen (c. vielleicht von dieser Gegenseitigkeit, wie litis contestatio; doch ist diese Auffassung nicht notwendig, vgl. die einseitige condictio). Ob in gleicher Weise auch bei anderen legis actiones verfahren wurde, ist nicht sicher; jedenfalls ist diese C. dem Legisactionenproccss eigentümlich gewesen (Prob. a. a. O.: in legis actionibus haece). Möglich ist, dass die dem ersten Termin in iudicio etwa folgenden (vgl. XII tab. II 2 [Bruns]), wiederum mit Freilassung eines Zwischentages stattfanden, wofür indirect Fest. p. 233 s. portum spricht, möglich auch, dass das Wiederkommen in diesen folgenden Terminen eine ohne neue Ansage selbstverständliche Verpflichtung war; nicht annehmbar aber ist, dass die Ladung in diem tertium sive perendinum den Wortsinn hat: auf den dritten Tag und eventuell auch die ihm mit ungerader Zahl weiter folgenden Tage (Karlowa 362f.). Der dies tertius sive perendinus ist ein Tag, der in der Weise der Römer mit zwei Ausdrücken bezeichnet wurde, weil Streit war, welches der juristisch correcte sei (Cic. pro Mur. 27). Auch in Betreff der Vadimonien wird behauptet (Huschke 317. Karlowa 364), dass sie auf einen bestimmten und die ihm mit ungerader Zahl folgenden Tage gestellt zu werden pflegten. Allein der dafür angeführte Gaius (Dig. II 11, 8) sagt nur, dass, wenn der Beklagte (beispielsweise) [789] drei, fünf oder selbst mehr Tage nach dem durch Vadimonium (interpoliert: cautio iudicio sisti) bestimmten Tage sich stellt, die actio vadimonii deserti gegen ihn nicht durchgreift, falls nur dem Kläger durch die Säumnis kein Schaden erwachsen ist. Es ist auch bei processeinleitendem Vadimonium undenkbar, dass der Beklagte, wenn der Kläger am bestimmten Tage selbst nicht erschien, jeden dritten Tag wieder kommen musste. War aber die Verhandlung eröffnet und ein weiterer Termin in iure nötig, so erfolgte neues Vadimonium auf einen vom Magistrat bestimmten Tag; dass dies bei Gell. VI [VII] 1, 10 der dritte Tag ist, beruht auf freier Entschliessung Scipios, wenn diese auch dem Gewöhnlichen entsprochen haben mag. Nach Macrob. sat. I 16, 3. 14 sollen comperendini dies die sein, quibus vadimonium licet dicere. Diese ihrem nächstliegenden Sinne nach sicher falsche Notiz bleibt auch dann unrichtig, wenn man sie dahin versteht (Karlowa 364. Huschke 313), dass Vadimonien (nur) auf comperendini dies abgeschlossen werden können oder (nur) an comperendini dies gerichtliche Verhandlung stattfinden kann; und dass comperendini dies unter gänzlicher Lösung von dem ursprünglichen Sinn die Gerichtstage überhaupt bedeuten konnten, wird wenigstens durch nichts anderes bestätigt. Wie die Überleitung des Verfahrens e iure in iudicium sich im Formularprocess gestaltete, ist unklar. C. kommt in diesem Zusammenhange nicht vor (Paul. p. 283 ist ohne deutliche Beziehung); die Möglichkeit, dass das Verfahren in iudicio am dritten Tage nach Schluss des Verfahrens in iure eröffnet zu werden pflegte, besteht natürlich. Vertagungen in iudicio ordnet das Gericht nach seinem Ermessen an. Dabei ist rechtlich jeder neue Termin für jedes Angriffs- und Verteidigungsmittel offen, jede neue Verhandlung kann den ganzen Rechtsstreit umfassen. In Ciceros Zeit waren solche wiederholte Verhandlungen sehr häufig (Cic. pro Caec. 6. 7; pro Quinct. 3; pro Flacc. 48). Es griff aber hierin, wahrscheinlich einengend, die Gerichtsordnung des Augustus ein (Gell. XIV 2, 1). Ob die dort mit dierum diffissiones zusammengestellten comperendinationes in dem strengen Sinne einer Vertagung auf den dritten Tag zu verstehen sind, ist nicht sicher, da das Wort c. überhaupt den allgemeinen Sinn des Aufschubs angenommen hat (s. Lexica); von unsicherer Beziehung sind Tac. dial. 38. Plin. ep. VI 2, 6; ebd. V 9 [21] 1 ist c. nicht die Vertagung, sondern der folgende Termin. Priesterliche Ladungen auf den dritten Tag: Gell. X 24, 9 (s. auch Serv. Aen. III 117).

b) Im comitialen Strafprocess erfolgt in einem ersten Termin die Anschuldigung durch den Magistrat, in drei ferneren dreimalige Verhandlung über die Beschuldigung. Diese vier Termine müssen jeder von dem folgenden durch (mindestens) einen freien Tag getrennt sein (Cic. de domo 45: intermissa die). Diese Intervallierung entspricht dem Begriff der c., obwohl das Wort dafür nicht nachweislich ist. Wenn im vierten Termin der Magistrat verurteilt, und dagegen Provocation erfolgt, so findet die Abstimmung der Comitien in einem fünften Termin statt, der regelmässig mit Innehaltung einer vierundzwanzigtägigen [790] Frist angesetzt wird (trinum nundinum prodicta die Cic. a. a. O.); verlegt werden kann dieser Urteilstermin nicht. Kommt es in ihm nicht zum Urteil, so ist der Process zu Ende (Cic. a. a. O.). Der Process der quaestiones perpetuae kannte zunächst die ampliatio (s. d.), d. h. die Anordnung der Wiederholung des Processes in einem zweiten oder weiteren Termin, wenn die Geschworenen das Ergebnis der ersten (zweiten oder ferneren) Verhandlung für zweifelhaft erkannt hatten. Dieselbe Anordnung kann in der magistratischen Cognition der Magistrat treffen, obwohl ihn hier der Spruch des zugezogenen Consiliums nicht bindet (Cic. Brut. 85; in Verr. act. II 1, 74). Als Termin der neuen Verhandlung kommt der zweitnächste Tag vor (Cic. Brut. 87), ein Zwang in diesem Sinne hat aber für die magistratische Cognition nicht bestanden (ebd. 86) und wohl auch nicht für das Quaestionenverfahren. Die Lex Servilia (Glauciae) 111 v. Chr. hob für das Verfahren wegen Repetunden die Möglichkeit der Ampliatio auf und verordnete statt dessen, dass der Process zweimal verhandelt werden muss, aber nicht öfter verhandelt werden darf (Cic. in Verr. act. II 1, 26). Dass zwischen beiden Verhandlungen ein Tag frei bleiben muss, ist aus dem Gebrauch des Wortes comperendinatus, reum comperendinare (Cic. a. a. O. und ebd. 20. IV 33; act. I 34) in Verbindung damit zu schliessen, dass Cic. Brut. 87 in einem Falle der Vertagung der magistratischen Cognition auf den dritten Tag sagt: unum quasi comperendinatus medium diem fuisse. Übrigens ist dieser Zwischentag als Minimalfrist aufzufassen (s. Cic. in Verr. act. II 1, 20 i. f. IV 33; act. I 33). Nicht anzunehmen ist die Ansicht (Geib 376), dass der Mitteltag zu Zeugenvernehmungen benützt werden durfte. Dass eine Maximalfrist für den Zwischenraum festgesetzt sei (Zumpt II 1, 210) ist unerweislich und unwahrscheinlich. Die Dauer jeder der beiden Verhandlungen ist nicht auf einen Tag beschränkt (Cic. in Verr. act. II 1, 20). Die erste und die zweite Verhandlung (prima und secunda actio) sind rechtlich als gleichwertig anzusehen, und es hing lediglich von der Processtaktik der Parteien ab, wie sie ihren Stoff verteilen und was sie etwa wiederholt vorbringen wollten. Hierfür spricht das bis causam dicere bei Cicero und die Analogie des Verfahrens in den Comitialprocessen ebenso wie die der Ampliatio des Strafprocesses und der gleichen Erscheinung im Civilprocess (s. S. 789); unhaltbar ist die Notiz von Ps.-Ascon. in Verr. p. 163 Or., dass bei der zweiten Verhandlung der Verteidiger zuerst, der Ankläger zuletzt sprach. Dass die c. auf andere als Repetundenprocesse ausgedehnt sei (nach Zumpt auf alle Amtsverbrechen), ist nicht erweislich. Ebensowenig kann Zumpt II 2, 212f. darin beigetreten werden, dass die c. durch die Lex Aurelia vom J. 70 wieder abgeschafft sei. Insbesondere konnte Cic. pro Fontei. 37 [27]. 40 [30], auch wenn nicht mehr und nicht weniger als zwei actiones stattfinden mussten, dem Zusammenhange nach nicht utraque actione, sondern musste duabus actionibus sagen.

Litteratur. Spiess Diss. de comperendinatione, Lips. 1728. Bunke De ampliationib. et [791] comperendinationibus cet., Diss. Vratislaviae 1865. Karlowa R. Civilproc. z. Zeit d. Legisactionen 360f. Bethmann-Hollweg R. Civilproc. II 586. 590f. Keller R. Civilproc. N. 778f. Huschke Römisches Jahr 312ff. Mommsen Röm. St.-R. III 1, 354f. Geib Gesch. d. röm. Criminalprocesses 368–379. Zumpt Criminalr. d. röm. Republ. II 1, 204ff. 426ff., 119. II 2, 125ff. 211ff. 274ff.; Criminalprocess 220ff.

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