RE:Cratis
Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft | |||
---|---|---|---|
| |||
Flechtwerk | |||
Band IV,2 (1901) S. 1682–1685 | |||
Bildergalerie im Original | |||
Register IV,2 | Alle Register | ||
|
Cratis = Reisig, Geflecht, Gitter, Schicht ist mit griech. κάρταλος = Korb, got. haúrds. nhd. Hürde u. s. w. von indog. √kerto = knüpfen, flechten abzuleiten (W. Prellwitz Etymol. Wörterb. d. gr. Spr. 1892, 139), und hat sich auch mehrfach in den romanischen Sprachen erhalten, wie ital. grata = Gitter (vgl. G. Körting Lat.-roman. Wörterb. 1891, Sp. 227). Doch ist dem überlieferten Sprachgebrauch entsprechend in späteren Glossarien crates mit πλέγματα ἐκ ῥάβδων (Corp. gloss. lat. II 117, 30) und γέρρον (ebd. 262, 60), hingegen κάρταλος mit fiscella (ebd. 72. 20. 339, 18. 540, 41; vgl. 553, 2) geglichen. Zur C. als Flechtwerk eigneten sich die jungen Zweige von Rebe, Linde, Birke und Pappel, am besten aber [1683] wegen ihrer Leichtigkeit die von Keuschlamm und Weide (Plin. n. h. XVI 209). Die Anfertigung für die Zwecke des Ackerbaus geschah im tiefsten Winter (Plin. XVIII 233). An Reisig ist zu denken, wenn der Vogel des Diomedes (Brandente ?) sich mit dem Schnabel ein Loch in die Erde gräbt, dieses mit C. bedeckt und darauf die ausgegrabene Erde schüttet (Plin. X 126); ebenso wenn von Sicilien nach Africa C. (und Bauholz zur Herstellung der arietes) geschafft werden (Caes. b. Afr. 20). Auch bestand der ebnende Belag einer Brücke wohl nur aus unverflochtenen Reisern (Caes. b. G. IV 17, 8; b. c. I 40, 4), wie der mit Lehm vermischte Belag über den Querbalken eines dem Angriff gegen Massilia dienenden gemauerten oberirdischen Ganges (Caes. b. c. II 15. 3; vgl. Luc. Phars. III 485. 495).
Zusammengeschnürte Reisbündel, Faschinen, waren die C., mit welchen die Schutzgräben der Feinde oder Sümpfe bei einem Angriff ausgefüllt wurden (Caes. b. G. VII 58. 1. 79, 4. 81, 1. 2. 84, 1. 86, 5; b. c. I 27, 4; b. Hisp. 16. Tac. ann. I 68). Geflochten war dagegen der Belag der vineae (Caes. b. c. II 2, 2. Veget. r. m. IV 15). Da man ferner von Weiden und Reben Schilde, ἀσπίδες, flocht (Theophr. h. pl. V 3, 4), so wurde der Schild der griechischen Heroenzeit bisweilen ἰτέα, eigentlich Weide (Eurip. Suppl. 695; Cycl. 7), oder cratis trilix (Valer. Flacc. III 199) und, da er mit Erz überzogen war, ἰτέα κατάχαλκος (Eur. Heracl. 376) oder ἰτέα χαλκόνωτος (Eur. Troad. 1193) oder aerata cratis (Stat. Theb. IV 110) genannt. Vielleicht trugen auch später die Unbemittelten unter den Hellenen einen Schild aus Flechtwerk (vgl. Aristoph. bei Eustath. Il. XII 426 und Eustath. ebd. XXI 350), wie denn der Schildrand durch das mit ἰτέα stammverwandte ἴτυς bezeichnet wurde. So begnügten sich wenigstens die Makedoner vor Alexander d. Gr. mit Schilden ex cratibus (Curt. X 2, 23). Auch der γέρρον genannte leichte Schild der Perser (Herodot. VII 61. Xen. an. I 8, 9; vgl. Cyrop. I 2, 13 und Strab. XV 734) bestand aus Flechtwerk (Aelius Dionys. bei Eustath. Od. XX 184. Corp. gloss. lat. II 262. 60); gleichfalls wird der der Thraker so genannt (Plut. Aem. 32). Er wird aussen mit rohem Leder überzogen gewesen sein, da die indogermanische Stammform gersom = Fell zu Grunde liegt (s. Prellwitz a. a. O. 58); bei den Römern nahm gerrae, eigentlich = crates vimineae, die Bedeutung nugae an (Fest, ep. p. 94, 4: vgl. S. Brandt Jahrb. f. Philol. CXVII 1878. 365ff.|. Das innere Geflecht eines Rundschildes lässt auf einer Vase von Pantikapaion eine verwundete Kriegerin sehen (Abbild, bei Daremberg et Saglio Dict. I 1250 Fig. 1639. nach Dubois de Montpéreux Voyage en Caucase. Atlas, sér. IV pl. XII).
Auch den Latinern und Sabinern der Heroenzeit werden aus Weiden geflochtene Schilde mit (metallenen) Buckeln in der Mitte (flectunt salignas umbonum cratis. Verg. Aen. VII 633; vgl. Serv.), und dem Consul Flaminius ein erzbeschlagener Schild crates im Plur.) zugeschrieben (Sil. Ital. V 522). Mit einfachen Schilden, die nur aus Ruten geflochten waren, übten sich die römischen Recruten alter Zeit (Veget. r. m. I 11. 121. Von geflochtenen Schilden fremder Völker ist [1684] übrigens, ohne dass das Wort C. dabei gebraucht wird, auch sonst die Rede (Caes. b. G. II 33, 2. Tac. ann. II 14). Die C., welche als Hürdenschirme oder Brustwehren besonders bei der Belagerung von Städten dienten (Caes. b. G. V 40, 6; b. c. III 24, 1. 46, 1. 80, 5; b. Al. 18) und öfters neben den plutei erwähnt werden (Caes. b. c. I 25, 9. Curt. V 3, 7. Tac. hist. II 21. 22. III 20. Ammian. Marc. XXI 12, 6) entsprachen wohl den ταρσοί, den Hürden, welche bei der Verteidigung von Stadtmauern gebraucht wurden und kreuzweise aus auf- und wagerechten Rohrstäben geflochten waren (Aen. Tact. 32), während pluteus (Veget. r. m. IV 15. Isid. orig. XVIII 11, 3) dem auch zur Berennung einer Mauer gebrauchten γέρρον (Aman. anab. I 21, 10) entsprach. Mittels eines aus C. hergestellten Kastens wurden Bewaffnete durch einen Hebebaum auf die feindliche Mauer gehoben (Veget. ebd. IV 21). Geflochten waren wohl auch die auf Schläuche gelegten contabulatae crates, auf welchen arabische Strandpiraten vorüberfahrende Schiffe anfielen (Solin. 56, 8). Dagegen scheinen die metellae genannten C., welche mit Steinen gefüllt auf die Mauer einer belagerten Stadt gestellt wurden und bei der geringsten Berührung ihren Inhalt auf die Angreifer ausschütteten, wohl aus hölzernen Latten (de ligno) hergestellt worden zu sein (Veget. ebd. IV 6).
Auf einer liegenden Hürde, d. h. wohl einem mit Ruten durchflochtenen Lattengestell, konnten ein Leichnam gebettet (Verg. Aen. XI 64), Weintrauben getrocknet (Cat. agric. 112, 2. Plin. XIV 84) und Oliven den Dämpfen eines Bades ausgesetzt werden (Pall. XII 22, 2). Die darauf zu trocknenden Trauben sollten für die Nacht durch zwei zu einem Satteldach gegeneinander gestellte C. gegen Reif und Regen geschützt werden (Col. XII 16, 2); das letztere sollte auch bei Feigen geschehen (ebd. 15, 1), und durch c. ficariae, welche auf Stützen und darüber liegenden Querstangen ausgebreitet waren, die Cypressensaat und der Same anderer Bäume vor Kälte und Sonnenstrahlen geschützt werden (Cato 48, 2; vgl. Plin. XVII 71). In Meerwasser gekochtes Wachs wurde auf einem Binsengeflecht getrocknet (Plin. XXI 84). In aufrecht stehenden Hürden, deren Ruten wohl durch Pfähle oder Rohrstäbe geschlungen waren, oder die aus einem festeren Gitterwerk als aus Weidengeflecht bestehen konnten, wurden Schafherden eingepfercht (Hor. epod. 2, 45. Calpurn. I 39; vgl. virgea claustra bei Stat. Theb. VII 393 und ἕρκος ποιμνήιον bei Quint. Smyrn. XIII 48), oder fand eine Versammlung von Kriegern statt (Liv. X 38, 5). Die hürdenartige Einzäunung eines Wildparks ist auf einem erhaltenen Basrelief dargestellt (Daremberg et Saglio I 1556 Fig. 2048, nach Gerhard Antike Denkmäler Taf. LXXX).
Die C. genannte Egge (Verg. Georg. I 95) wird wohl in der Regel ein mit Weiden durchflochtenes Holzgestell gewesen sein. Sie konnte zum Ebnen des bearbeiteten Bodens (Serv. Georg. I 95. Col. II 17, 4) oder zur vollständigeren Krümelung und Vermischung desselben mit dem Dünger (Plin. XVIII 145) oder zum Zerkleinern der vom Pfluge aufgeworfenen Schollen und zur Unterbringung der Saat gebraucht werden (Plin. XVIII 180). Beim [1685] Aufeggen zu üppiger Saat wurde eine der unsrigen ähnliche Egge mit eisernen Zinken gebraucht (ebd. 186; vgl. κτένες ἑλκητῆρες bei Phanias in Anth. Pal. VI 297, 5). Die c. stereorariae (Cato. 10, 2 und bei Varr. I 22, 3. Cato 11, 4) waren wohl ein Paar von einem Sattel rechts und links herabhängender Körbe, in denen Dung von den asini clitellarii, qui stercus vectent (Cato 10, 1) fortgeschafft wurde. Ähnlich werden die C. gewesen sein, in welchen man Lehm für die Ziegelbereitung herbeischaffte (Isid. orig. XIX 10, 17). Ein korbartiges Geflecht mögen ferner die c. salignae einer ärmlichen Behausung gewesen sein, in welchen Cerealien aufgetragen wurden (Petron. 135). Ebenso scheinen es Körbe gewesen zu sein, worunter Menschen mit Steinen beworfen und so getötet (Plaut. Poen. 1025) oder worin sie, eventuell nach vorhergehender Steinigung, ertränkt wurden (Liv. I 51, 9, vgl. IV 50, 4. Tac. Germ. 12, 2). Ein weitmaschiges Korbgeflecht muss die rara c. gewesen sein, in welcher man zur guten alten Zeit die sicca terga suis, d. h. Schinken (vgl. Ovid. met. VIII 648), für die Festtage aufbewahrte (Iuv. XI 82), indem man die C. mit dem zu conservierenden Fleische in den Rauch hing.
Gitterartig waren die zurückbleibenden Spuren, wenn Pferde bei gewissen Krankheiten mit einem glühenden Eisen strichweise, craticulatim, gebrannt wurden (Pelagon. 196. Veg. mulom. V 2, 5). Gitter- oder leiterartig auch die Futterraufe für Zugtiere (vgl. praesepes clatratae bei Cato 4, 1), die vom Volke iacca genannte C. (Veg. ebd. II 28, 5), welche dem griechischen κραστήριον (Poll. VII 142. X 166) geähnelt haben muss. Endlich wurde auch das aus Balken hergestellte Gerippe einer Fach- oder Riegelwand C. (Plin. XXXV 169) oder solea (Fest. ep. p. 300, 1), die Wand selbst paries craticius genannt (Fest. a. a. O. Vitruv. VII 3, 11. Fabius Mela Dig. XVII 2, 52, 13; Näheres bei Blümner Technologie und Terminologie III 151).
In übertragenem Sinne, sofern die C. nicht von Menschenhänden hergestellt sind, wird das Wort gebraucht für die regelwidrige Verzweigung der Schösslinge (Col. IV 2, 1) und der Wurzeln einer Rebe (ebd. 2), wie Theophrast das verflochtene Wurzelwerk der Getreidearten (h. pl. VIII 2, 3), einiger Kräuter (ebd. VI 7, 4)ταρρώδης ῥίζα und die Bewurzelung der Saaten ταρροῦσθαι (c. pl. III 23, 3) nennt. Alsdann wurde der Wabenbau der Bienen C. genannt (Verg. Georg. IV 214. Pall. VII 7, 1), das Knäuel, in welches sich mehrere Schlangen unter einander verwickeln (Plin. VIII 35), der Brustkasten eines Menschen (Verg. Aen. XII 508), die Wirbelsäule seines Rückens (Ovid. met. VIII 808), seine Rippen (Ovid. met. XII 370) und wohl auch das ganze Knochengerüst (Tert. dε resurr 42). Fast ganz verloren ging der Begriff des Flechtens mit der Bedeutung Schicht, so bei den abwechselnd über einander gelegten Schichten von Lorbeerblättern und Oliven (Pall. XII 22, 4), von Erde und Dünger (ebd. I 6, 17), bei der oberen Schicht einer Wiese (ebd. X 10, 4) und der Querschicht der Streifen bei der Papierbereitung (Plin. XIII 77). Das Deminutiv cratella wird mit ξυλοκανθήλιον identifiziert (Auct. de idiom. gen. p. 581 a 83 K.), bedeutet also einen hölzernen Packsattel.