Ephraim Syrus (syrisch Afrēm), einer der bedeutendsten Schriftsteller der Kirche des 4. Jhdts. und der größte unter den Meistern der syrischen Literatur. Nach Hieron. vir. ill. 115 ist er unter Valens gestorben; die genaue Angabe der edessenischen Chronik c. XXX (ed. Hallier 100), daß der 9. Juni 373 der Todestag, haben wir keinen
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Grund zu bezweifeln. Dann wird er bald nach 300 geboren sein; wie Sozom. hist. eccl. III 16 meldet, in Nisibis, wo er auch den größten Teil seines Lebens verbracht hat; erst infolge der persischen Eroberungszüge gegen Nisibis ist er nach Edessa übergesiedelt. Er hatte früh das mönchische Leben erwählt und kirchliche Würden zurückgewiesen; die Weihe zum Diakonen scheint er bei einem Besuch bei Basilius von Caesarea durch diesen empfangen zu haben; amtiert als Diakon hat er in Edessa nicht. Seine schriftstellerischen Arbeiten, denen er wohl fast seine ganze Zeit widmete, haben einen ungeheuren Umfang erreicht; Sozom. a. a. O. schätzt ihn auf 300 Myriaden ἐπῶν, (d. h. Verszeilen), Photios bibl. c. 197 weiß noch, daß die Syrer ihm über 1000 λόγοι zuschreiben, von denen er selber freilich nur 49 kennt. Benutzt hat E. bei seinen Arbeiten nur seine Muttersprache, doch möchte ich aus den Angaben bei Sozom. und Theodoret hist. eccl. IV 26 (vgl. auch II 26), daß er παιδείας οὐ γεγευμένος ἑλληνικῆς gewesen, nicht schließen, daß er das Griechische überhaupt nicht verstanden hat; wie sollte er dann ein so glühender Verehrer des Basilius geworden sein? Schon bei seinen Lebzeiten begann man seine Werke ins Griechische zu übertragen, Übersetzungen, darunter solche aus zweiter Hand, ins Lateinische, Armenische, Koptische, Äthiopische, Arabische folgten. Die verheißungsvolle Aufgabe, eine vollständige Edition der syrischen Schriften E.s zu veranstalten, unter Verwendung der Übersetzungen, namentlich da, wo die Urtexte verschwunden sind, ist noch lange nicht gelöst; Echtes und Untergeschobenes, mindestens Überarbeitetes steht bunt durcheinander, insbesondere die griechischen Stücke der großen römischen Ausgabe, dirigiert von J. S. Assemani (1734–1746, drei Bände mit griechischen und drei mit syrischen Schriften), sind kaum zu gebrauchen; die wertvollen Nachträge, die Moesinger, Overbeck, Bickell, Lamy, Bedjan, Haffner, Harris geliefert haben, haben am wenigsten die kritische Arbeit an den griechischen Übersetzungen gefördert. S. darüber R. Duval La littérature syriaque, Paris 1899, 1900.
E. ist vorwiegend Exeget, Apologet der Orthodoxie gegen Heiden und Ketzer — darunter Gnostiker, Marcioniten und Manichäer von ihm am schärfsten bekämpft — und Hymnendichter. Die theologischen Zeitgenossen begeisterten sich am meisten für die zweite Gruppe, Hieronymus erwähnt überhaupt nur das volumen de spiritu sancto. In Wahrheit liegt hier die Stärke des Syrers nicht; dogmatische Spekulation liegt ihm fern, er tradiert da nur die Gedanken Älterer. Uns ist der Exeget E. weit interessanter, nicht einmal so sehr wegen der verhältnismäßig schlichten und gesunden Art seiner Auslegungsmethode, als wegen der ungemein bedeutsamen Beiträge zur Geschichte des Bibeltextes, die sich aus seinen zahllosen Commentaren, vornehmlich aus dem zum Diatessaron, d. h. zu seinem Evangelienbuch, ergeben. Für die Geschichte der Literatur überhaupt aber bedeutet der Dichter E. mehr als der Exeget und Prediger oder der Dogmatiker. Er mag sowohl in seiner Neigung, alle möglichen Gegenstände, auch gelehrte Abhandlungen und Streitschriften gegen Iulian, in poetische Form zu gießen, wie in der
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Eigenart der von ihm bevorzugten Form, der Vorliebe für die siebensilbigen Kurzzeilen, die Verbindung dieser Zeilen zu künstlichen Strophen, dem Geschmack an akrostichischen Spielereien, in den Fußstapfen des Bardesanes und des Harmonios wandeln; sein Ruhm hat doch erst diese poetischen Formen auch in der griechischen Kirche beliebt gemacht, von wo sie bald den Weg ins Abendland gefunden haben; das Prinzip der bloßen Silbenzählung ohne Rücksicht auf Quantität und Wortaccent, das sich die älteste christliche Poesie der Griechen und Lateiner angeeignet hat, stammt von E. Syrus. Diese Entdeckung hat W. Meyer gemacht, schon in der Abh. Akad. München 1884, Anfang und Ursprung der latein. und griech. rhythmischen Dichtung; in den Fragments Burana Göttinger Festschrift 1901, 146ff. hat er an Beispielen gezeigt, wie sein Gedanke auch für die Kritik der Überlieferung von E.s Schriften fruchtbar gemacht werden kann. Zur Ergänzung sei daneben erwähnt H. Grimme Der Strophenbau in den Gedichten E.s des Syrers, mit einem Anhang über den Zusammenhang zwischen syrischer und byzantinischer Hymnenform, Freiburg i. Schw. 1893. Erst W. Meyers Thesen erklären, daß Sozomenos nicht bloß eine Phrase macht, wenn er im Unterschied von anderen Übersetzungen bei E. findet, dieser verliere von seinen Vorzügen kaum etwas durch die Übertragung ins Griechische, ἀλλὰ καὶ Ἕλλην ἀναγινωσκόμενος ἐπίσης τῷ Σύρος εἶναι θαυμάζεται. Eine Biographie E.s ist ein ebenso dringendes Bedürfnis wie eine zuverlässige, vollständige Ausgabe seiner Werke.