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Regensburg (Meyer’s Universum)

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CCCXXXXVII. Der Caucasus Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Achter Band (1841) von Joseph Meyer
CCCXXXXVIII. Regensburg
CCCXXXXIX. Die Insel Wörth und ihre Ruine
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REGENSBURG

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CCCXXXXVIII. Regensburg.




Ehrwürdiges Regensburg! – Wie du herrlich noch prangst an deinem Strome und in deinen Wellen dich beschaust, als freutest du dich des rüstigen Alters. Wohl dir, daß du eigene Kraft genug hast, das Versiegen starker Lebensquellen zu ertragen und die vielfachen Wunden zu vernarben, welche die harten Zeiten dir schlugen. Wohl hattest du Gott und dem Reiche ein starkes Haus gebaut: aber selbst Berge, welche die Natur auf den ewigen Vesten der Erde aufgerichtet, sind gestürzt und in Trümmer aufgelöst, wenn das innere erhaltende Leben abgestorben; und du hast wohlgethan, anstatt in Unthätigkeit zu trauern auf den Trümmern einer blühenden Vergangenheit, rasch und rüstig zu Entschluß und That dein neues Werk des Gedeihens auf die kluge, zeitige Benutzung der neuen Verhältnisse zu gründen, welche die Zeit entwickelt hat und dir bietet.

Regensburg, bis zum Fall des Reichs freie Reichsstadt und Sitz eines der obersten Kirchenfürsten, jetzt ein bayerischer Kreisort und eines dem Erzbischof von Freisingen untergeordneten Bischofs, – ist nicht blos der ältesten bayerischen Städte eine, sondern aller deutschen Lande. Schon die Römer fanden sie, als sie diese Gegenden besetzten. Kaiser Tiber machte sie zum römischen Waffenplatz und nannte sie Tiberia Augusta. Als Rom [59] in der Periode seines Verfalls die Donauländer an die Deutschen verlor, – hausten da nach einander mehre Stamme, und als fränkische Stadt tritt sie mit dem 6ten Jahrhundert auf. Karl der Große erhob sie auf einige Zeit zu seiner Residenz; die Reichsfreiheit bekam sie 1190 vom Kaiser Friedrich I., und gleichzeitig durch die schon sehr frühe und viele Jahrhunderte lang unterhaltene innige Verbindung mit Venedig fing Regensburg’s Handelsgröße sich zu entwickeln an, welche im 13ten Jahrhundert die höchste Blüthe erreichte. Es war damals Regensburg Hauptplatz für den diametrischen Weltverkehr, der auf der Donau den Osten mit dem Westen verknüpfte. Regensburger Schiffer fuhren bis in’s schwarze Meer und der Küste entlang nach Constantinopel, und viele Kreuzfahrer schafften sie auf diesem Wege nach Palästina. Doch ruhete seine Handelsgröße stets auf der Venedig’s, und sie sank, sobald letztere fiel und der Welthandel sich, im 16ten Jahrhundert, neue Bahnen brach. Des 30jährigen Kriegs allgemeines Wehe, mit Pest und Brand im Gefolge, traf die Stadt sehr hart. Ihre Bevölkerung minderte sich während dieser Unglückszeit unter die Hälfte. Erst die Herverlegung des Reichstags, der vom Jahre 1662 an seine ordentlichen Sitzungen hier hielt, öffnete ihr neue Erwerbsquellen, die sie mit dem Fall des Reichs wieder verlor. Eine kurze, für sie glückliche, aber für das deutsche Vaterland trübe Zeit, erwuchs ihr aus der Residenz des Churerzkanzlers, der, nachdem Mainz den Franzosen abgetreten worden war, in Regensburg seinen Sitz bekam. In den Schreckenstagen von 1809 duldete Regensburg viel. Die Franzosen hatten es in Brand geschossen und geplündert. 1810 endlich kam es durch ein Diktat Napoleons an Bayern, in dessen Besitz es seitdem geblieben ist.

Die Lage Regensburg’s am rechten Ufer der schiffbaren Donau ist für den Handel sehr günstig. Durch die uralte Steinbrücke wird es mit Stadt am Hof und dem linken Ufer verbunden. Die ganze Gegend ist eben so schön als fruchtbar. Eine unermeßliche Ebene breitet sich am südlichen Gestade des Stromes hin; am nördlichen steigen Hügel malerisch empor und verlieren sich an den in der Ferne dämmernden Gebirgen der böhmischen Grenze. Prachtvoll erscheint von den höhern Standpunkten die Stadt mit ihrem ehrwürdigen Dom und ihren vielen schlanken Thürmen. Der ganze Charakter der Landschaft ist deutsch, reich an schönen Baumgruppen, fetten Wiesengründen, bewaldeten Höhen, Ortschaften mit gothischen Dorfkirchen, artigen Landsitzen der Patrizier und reichen Kaufleute, und etwas weiterhin staffirt mit Ruinen von Burgen und Capellen. In der Ferne aber ragt der hehre Tempel der Walhalla und sagt dir, daß du dich auf des Vaterlandes geweihtestem Boden befindest.

Das Innere der Stadt trägt den Stempel der alten, deutschen, großen Reichstädte, welche wir früher schon (in den Beschreibungen von Augsburg, Nürnberg und Frankfurt) ausführlich schilderten. Weit überhängende uralte Häuser mit Erker und ungleichen Fenstern, hohen der Straße zugekehrte Giebeln, mit Wetterfähnchen und Thurmspitzen, füllen die engen, winklichen, doch reinlich gehaltenen Gassen der Altstadt. Hie und da guckt ein [60] geschnitztes Heiligen- oder Madonnenbild von einer Hausecke oder über einer Pforte herab, und auf manchen Wänden sieht man alte Malereien in Fresko. Sie stellen vor die Legenden von Drachentödtern, Riesenbezwingern, dem großen Christoph, Goliath etc. (gern bezogen unsere Vorältern Profangeschichten sinnbildlich auf das Heilige) und geben vielen Häusern ihren Namen. Die Märkte sind unregelmäßig, doch einige groß, wie der Emmeran’s- und Dominikanerplatz. Die älteste Straße ist die Wallerstraße, mit Ueberresten noch aus der Römerzeit; die prächtigste die Maximiliansstraße, mit durchaus neuern Gebäuden. Fast alle Kirchen sind sehr alter Gründung, und keine ist, die nicht dem Kunstfreund durch irgend ein bedeutendes Werk der Skulptur, Malerei oder Bildschnitzerei für die Mühe des Besuchs reichlich entschädigte. Aber das schönste und ehrwürdigste Denkmal deutscher Kunst ist der herrliche, weltberühmte Dom. Von ihm sagt Wiebeking (i. s. Baukunst, 1. Bd. 684): „es ist uns noch gegenwärtig der vollgültigste Zeuge von einer Zeit, worin die kraftvollen Magistrate einzelner Städte und ihre biederen, fleißigen und tüchtigen Bürger vom Eifer beseelt waren, großartige Bauwerke zu errichten zur Ehre des ewigen Gottes. Es war ohne Zweifel das Gefühl wahrer Gottesfurcht, welches zum Entschluß auch dieses gewaltigen Monuments begeisterte, das ebenso über Regensburg’s moderne Wohngebäude hervorragt, als die Zeit alter biederer Sitte über ein verdorbenes Jahrhundert, worin die Gewalt über das Recht, Scheinheiligkeit über Moralität, persönliche Protektion über wahres Verdienst siegt, und der Egoismus alle edlen Gefühle der Dankbarkeit oder Anerkennung ächter Kenntnisse erstickt.“ –

Der Bau dieser Kirche, welche, wäre der ursprüngliche Plan durchgeführt worden, an Herrlichkeit den Straßburger Münster noch übertroffen haben würde, dauerte von 1273 bis 1456. Mit der Dämmerung des Reformationslichts erlosch die opfernde Flamme, und mit dem Vertrocknen der Geldquelle hörte auch die Fortsetzung des Riesenbaus auf.

Die Thürme, die 450 Fuß hoch geführt werden sollten, waren damals noch lange nicht zur Hälfte ihrer Höhe gebracht; auch der innere Schmuck blieb unvollendet. Aber in ihrer Einfachheit machen die drei majestätischen Hallen, deren jede, 300 Fuß lang, von 60 Fuß hohen Bündelpfeilern getragen wird, einen nicht weniger tiefen Eindruck. Auf den Pfeilern ruhen die hohen Seitenmauern des Mittelschiffs, mit 20 großen Fenstern voller Schmelzmalereien, die eine sanfte, aber hinreichende Beleuchtung auf die weiten Räume werfen. Die Höhe des Mittelschiffs ist 120 Fuß; die des Chors 140′. An den Wänden hin reihen sich die Denkmäler geistlicher und weltlicher Fürsten und die der alten patrizischen Geschlechter.

Regensburg steht an Menge und Zweckmäßigkeit seiner Anstalten für Erziehung, Wissenschaft und Kunst keiner deutschen Stadt ähnlicher Größe nach. – Außer einem Gymnasium, Lyceum und Seminar bestehen eine gut eingerichtete Landwirthschafts- und Realschule, 2 öffentliche Bibliotheken, Sternwarte, historische, landwirthschaftliche, naturwissenschaftliche Vereine und eine botanische Gesellschaft, welcher eigene Pflanzensammlungen in [61] ihrem Garten, so wie die herrlichen des fürstl. Thurn und Taxischen Hauses zu Gebote stehen, und die ihre Wirksamkeit weit über Deutschlande Grenzen hinaus verbreitet; – Wohlthätigkeitsanstalten, zum Theil noch patriotische Stiftungen aus Regensburg’s großer Zeit, sind in Menge vorhanden.

Der Regensburger lebt in der Regel einfach, und der Luxus der großen Rheinstädte ist hier nur ausnahmsweise zu finden. Kein Regensburger, sey er noch so vornehm, scheut sich zu arbeiten, und dieser rührige, rustige, praktische Sinn ist die ächte Fundgrube des städtischen Wohls. Die Faulheit kommt hier eben so wenig auf, als in Augsburg oder in Nürnberg. Ist auch in den reichen Kaufmannshäusern (deren es hier mehre giebt), das Bedürfniß nach Aufwand nicht immer fern gehalten worden, so wird man doch auch den frommen, häuslichen Sinn, herzliche Familienverhältnisse und die Neigung für Wohlthätigkeit selten vermissen. – Das Volk der untern Classen ist kernhaft, beginnt den Wochentag mit Gebet und Arbeit und beschließt ihn selten bei Bier und Tabak, Karten und Wein. Aber den Sonntag und Feiertag gibt es halb der Kirche und halb der Fröhlichkeit hin, eingedenk des alten guten Sprichworts: „Jedem Häslein bescheert Gott sein Gräslein!“ – Für gesellige Vergnügungen der höheren Classe wirken viele Vereine, ein gutes Theater, Concerte etc.

Regensburg’s Gewerb- und Handelsverhältnisse gehen, nach langer trüber Zeit, jetzt einer schönen Zukunft entgegen. Der Ludwig-Donau-Mainkanal, welcher Nordsee und schwarzes Meer verbindet, und noch mehr der unausbleibliche Anschluß an das norddeutsche Eisenbahnnetz, werden, mit der Dampfschifffahrt auf der Donau zusammenwirkend, Regensburg zum großen Emporium für den Süden von Deutschland machen und mit den Worten eines Vaterlandsfreundes zu reden: „die Helden der Walhalla werden mit Stolz auf den Weltverkehr herabblicken, der sich ihrem Volke zu ihren Füßen öffnet.“ –

Ehe ich von Regensburg scheide, wage ich noch einen sauern Gang; ich habe mir ihn aufgespart, wie die Kinder ihren besten Bissen, bis zuletzt. Ich gehe zum Rathhaus. Mein Führer öffnet erst die Marter- und Folterkammern parterre; – schauerliche Gewölbe, mit schauerlichem Werkzeug. Dann führt er mich hinauf, schließt auf, und ich trete in den Raum, wo das heilige römische Reich – während Deutschlands langer Nacht – Tag gehalten hat fast zwei Jahrhunderte. Leer sind die Wände, leer die Tafeln, die Sessel leer. Ich schaue in den öden Saal hinein, wie in einen leeren Traum, gestern oder vor Jahren ausgeträumt, der, wenn er in’s nüchterne Leben herübergaukelt, dieses nur stört und verwirrt.

„Ja, du bist dahin, mein Deutschland! Zertrümmert bist du, und der Deutsche hat kein Vaterland mehr!“ – so klagte ich, als vor 35 Jahren der Eroberer dem Fürstenverrath am Vaterlande den Purpur umhing, auf Vasallenhäupter Kronen drückte, und erlauchte Wähler des Reichs zu König-Sklaven des Rheinbundes erniedrigte.

Wie war ich damals thöricht! – Mein blödes Auge konnte es nicht erkennen, daß ein Blitz die dürre, morsche Krone der deutschen Eiche zerschlagen mußte, auf daß die Wurzel gerettet wurde vor der Fäulnis von oben und [62] sie frische Triebe auswerfen könne in die Höhe. Regensburg, du zeugst davon! Fast zwei hundert Jahre lang, von der ersten Sitzung an, die der Fürstenrath in deinen Mauern abgehalten, war die deutsche Geschichte ein Welken und ein Dürren, und als auf des Korsen Zauberspruch die Glieder abfielen, trennten sie sich von einem Leichnam. Der Rheinbund, in dem ich damals blos den Zerstörer sah, er hat sich in der That nicht minder als ein Erhalter erwiesen. Er war das Magazin, das die noch tauglichen Sparren und Balken aus dem morschen Hause aufnahm und sie vor Verderbniß bewahrte, bis die Zeit kommen würde, wo sie zusammen setzen sollten den neuen Bau, in welchem, – mögen auch die Frankfurter Uhren noch so falsch gehen! – eine bessere Zeit die ersten Stunden dennoch geschlagen hat.

Ja, ich preise den Tag, an dem das letzte Buch Papier in Regensburg zum Reichstagprotokolle verdorben wurde, wie ich den Axthieb segne, welcher vom zerschmetterten Stamme das letzte faule Stümpfchen wegnahm. Aufwärts und endlos vorwärts streben die eben dadurch hervorgelockten Schößlinge, welche, wie die Zweige früher eine Krone, ein Stamm vereinigt hat, jetzt die gleiche Wurzel, der gleiche Ursprung, die gleiche Sitte verbindet. Was mir damals, in der langen Nacht, als Untergang des deutschen Sterns erschienen, war doch nur ein Sternschneutzen, und obschon auch er einst als Abendstern leuchten wird, – denn Völkerimmortellen blühen niemals, – so erscheint doch die Bahn, die er noch zu durchlaufen hat, dem Auge in der That unendlich. –