Reisebriefe 1–2

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Autor: Alexandre Weill
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Titel: Reisebriefe 1–2
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aus: Die Grenzboten (1841/1842), 1. Jg., Band 1, S. 56–59
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Erscheinungsdatum: 1841
Verlag: Herbig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Band 1: SUUB Bremen = Commons
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Reisebriefe.
von
A. Weil.
1.


Paris — vor der Abreise.     

Fort, fort, aus dem Getümmel der berauschenden Partheileidenschaften; fort aus dem Ahasverusleben, fort aus der freien Stadt, wo man keinen freien Vogel antrifft. Alle Wasser gehen ins Meer, sagt Salamon und das Meer wird nicht voll, alle Wege gehen bis heute noch nach Paris und Paris wird nicht voll — leider wird es sich einst doch übergeben müssen!

Nach Deutschland, heißt es jetzt allenthalben, nach dem Rhein! Dort soll Ruhe und Poesie, dort soll der Niebelungenhort noch zu finden sein — Ruhe, wenn alles um mich her strebt und ringt, jauchzt und singt; wenn die Fahne der Bewegung, von dem Geistessturm des Jahrhunderts gepeitscht, laut aufflackert und den Weg der Zukunft bahnt, — nein, ich suche nicht Ruhe, nur eine Bewegung suche ich, ich suche nicht Poesie, denn wer die nicht, wie die Schnecke ihr Haus, mit sich führt, der wird sie nirgend finden. Nach Deutschland, ruft es aber dennoch in meinem Herzen. Dort soll die Zukunft der Welt begraben liegen, wenn Frankreich seine Sendung verkennt, und ich fürchte, es verkennt sie. Mein Geist, wird in Deutschland oft daran zweifeln müssen, mein Herz aber glaubt daran, und ich glaube meinem Herzen. Es giebt Menschen — sieben Achttheil der Menschheit — die von dem Beruf eines Schriftstellers keine Ahnung haben, die wenn wir ihnen von der Zukunft reden, mitleidig die Achsel zucken, und all ihren Geist anwenden, um ein dummes Lächeln hervorzubringen und die von uns sagen, der Mensch ist verrückt, toll, es ist jammerschade, ich gäbe ihm tausend Gulden jährlich, wenn er mir meine Correspondenz führte. Ich bin fest überzeugt, daß zu Sokrates Zeiten, ihm so mancher gute Freund einen wohlgemeinten Rath gab, er solle ferner Steine hauen und die Welt, Welt sein lassen, und ich sehe vor meinen Augen, wie der Rabbi Simeon, der erste Lehrer Jesus, sich die Hände reibt und sagt: Gott, was hat ers nöthig, sich als König von Israel und als Gottes Prophet und Sohn zu erklären, ich hätte ihm meine Tochter Miriam zur Frau gegeben und meine Stelle im Tempel dazu! Und Isai und Sokrates, und die Apostel und Arnold von Brescia[WS 1] und Savonarola und alle die, die gebraten und gesotten wurden, im Namen Gottes, der sich sein Roastbeef aus dem edelsten Fleische heraussuchte, gelten sie nicht bei den Meisten für verrückt? Denn unglücklicherweise gehet der Gedanke der That oft vier bis fünf Jahrhunderte voran. — Der Gedanke — ein Funken der aus der Unendlichkeit in ein Menschenherz fällt und es so oft verzehrt, ehe die andern Herzen ihm zu Hülfe eilen. Und doch wenn ein solcher Gedanke einmal in der Luft liegt, wenn ihn ein Mensch unbestimmt ausgesprochen, — dann halten ihn alle Mächte der Erde und der Elemente nicht an. Und der, der es wagt ihn aufzuhalten, gleicht demjenigen, der seinen Kopf in die Mündung der Kanone steckt, um sie zu verhindern loszubrennen. Es giebt keinen Prophet mehr, aber Propheten! Nicht mehr spricht ein Individuum das Wort Gottes allein aus, denn die Menschen haben sich seither besser kennen gelernt und ihre Herzen schlagen zusammen.

Die wahren Priester der Zeit tragen weder Kutte noch Mitra, die Zukunft wird sie heiligen. Ja, nach Deutschland will ich gehen, in Deutschland liegt die Zukunft der Welt begraben, obschon man das Ohr auf die Erde legen muß, um ihre Ankunft zu hören.

2.


Strasburg.     

Nun bin ich doch abgereist, und habe wieder Kornblumen und Klapprosen gesehen, und Vögel die weit herumspringen und zirpen, denn die kleinen Vögel singen nur dann stark, wenn sie im Käfig sitzen, da klagen sie und schreien und schreien und weinen und die Menschen heißen das singen, die Nachtigall allein singt und klagt in der Freiheit, aber Nachtigallen habe ich keine gehört.

Zu Zabern schlichtete ich einen sonderbaren Streit. Mit mir reiste ein Franzose, der gut Deutsch sprach — „es giebt keine Kinder mehr,“ sagte nur einst Heine, als wir Franzosen Deutsch reden hörten. Das Aufwartemädchen, das uns den Kaffee servirte, sprach Deutsch und Französisch. Ich sprach gleich Deutsch mit ihm und fragte es, ob es lieber französisch serviere, „Es geht halt nix über das Ditsche!“ platzte es heraus. Der Franzose fragte: Warum? „weil ich die Welsche nit lide kann“ — antwortete es rasch, „sie sin all so falsch.“ Der Franzose zuckte mit den Nasenflügeln, behauptete, es müßte in einen Franzosen verliebt gewesen sein. „O nai, erwiederte es, die Welsche wissen jo gar nit wo man einen gern hat.“ Die ganze Gesellschaft lachte. Ich stellte jedoch den Frieden zwischen meinem Freunde und dem sehr interessanten Mädel bald wieder her und sie reichte ihm sogar die Hand zur Versöhnung.

Nun bin ich in Straßburg, und sehe vor Allem die beiden Statuen Klebers und Gutenbergs an. Welch ein Unterschied zwischen dem elsässischen und dem pariser Künstler! Ich habe Davids Gutenberg gestochen gesehen, er schien mir sehr genial, das Original aber lehrte mich, keinem Kupferstich mehr zu trauen; denn es ist unter aller Kritik schlecht. Da ist auch nicht eine Ahnung von Weihe. Ein junges, unbedeutendes Gesicht, wenn auch hager, eine Kleidung, die den ganzen Körper älter macht, und nicht mit dem Kopfe harmonirt, das linke Bein, wie Ludwig der Vierzehnte, offen und hervorstechend, jener König war stolzer auf seine Waden, als auf Moliere, hier aber sind weder Schenkel, noch Bein ausgezeichnet, obschon ein Gutenberg selten fett ist. Und nun noch die Comödiantenstellung, wo Gutenberg eine Probe von der Bibel untersucht, die Worte aber „und es ward Licht“ so dem Publikum zeigt, daß er sie gar nicht sehen kann. Nein, so unbescheiden war ein Gutenberg nicht, er glaubte wohl an die Wichtigkeit seiner Mission, aber hier scheint es, als prahle er damit. Das Ganze ist ächt parisisch, wo die Bescheidenheit als linkisch dumm betrachtet wird, und sich jeder in Gyps formen läßt, um seine Züge der Nachwelt aufzubewahren. Von den Hunderten berühmter Gypsköpfe im Passage Panorama werden nicht drei in die Nachwelt übergehen, und wenn David nichts Besseres geleistet hätte, als diesen Gutenberg, so stünde es übel um seinen Ruhm. Besser, kühner, gelungener ist der Kleber, aber wozu Statuen in einer Stadt, die bloß eine Citadelle genannt werden kann. Ist nicht ein Satrap aus Paris da, der unumschränkte Macht hat, alles zu billigen oder zu vernichten, was die Stadt für ihr Heil und Nutzen will? Frankreich ist das Land, wo seit dem Schach Napoleon, persische Regierungssitten im strengsten Sinne des Wortes herrschen. O Elsaß, wie lange noch wird es dauern, bis du einsiehest, daß Frankreich deiner, du aber nicht seiner nöthig hast.

Doch schließen Sie nicht daraus, daß die Elsässer unter den jetzigen Verhältnissen deutsch werden wollen, unter zwei Uebeln wählt man das kleinste.

Man verwechsele ja nie den Wunsch des Herzens, seine Poesie, mit der prosaischen, politischen Wirklichkeit. Ich will Ihnen ein lebendiges Beispiel davon geben.

Ich sah in der Redaction des „Elsasses“ einen jungen Mann, der mit Uebersetzen ins Deutsche beschäftigt war. Ich erkundigte mich nach seinem Namen, er hieß Candidus, und hat recht artige deutsche lyrische Gedichte geschrieben. Ich machte die traurige Bemerkung, daß die Elsässer Talente alle verstümmelt werden, um als Uebersetzer zu dienen. Es sind Eunuchen, die das Serail der beiden Sprachen bewachen. Abends ging ich mit diesem jungen Manne, einem Studiosus der Theologie, spazieren. Ich schlug mehrere Saiten an, er erwiderte, er habe jetzt für nichts Interesse. Das Uebcrsetzen thäte er bloß provisorisch, er müsse trachten, etwas für seine Existenz zu thun, müsse sein Examen machen, und verstehe dazu noch nicht französisch genug. Von politisch nationalem Streben kein Zeichen, er wolle nichts von Politik wissen, halte es mit Frankreich, sogar mit der Regierung. Aber warum können Sie denn nicht französisch genug? fragte ich ihn. — Ja, weil ich immer deutsch gelesen und geschrieben, jetzt aber schreibe und dichte ich nichts mehr, ich bin ganz verdumpft, nur oft, wenn ich eine Kritik in der Allgemeinen Zeitung lese, laufen mir die Augen über, klopft mir das Herz, dann möchte ich auch etwas thun, aber ich muß mein Examen machen. Das Geständniß ist sehr naiv, aber traurig. Candidus hat Gedichte zu den Elsässer Sagen, die bei Schüler erschienen sind, geliefert. Ich fragte ihn, ob sich in Strasburg nicht ein deutsches Journal erhalten könnte? — Folgendes sagte er mir, was mir Schüler und andere noch bestätigten. Es sind im Elsaß mehr deutsche Elemente, als man glaubt, doch schlafen sie, und der sogenannte gebildete Kaufmannsstand, überall der Affenstand, erklärt ihnen täglich den Krieg. Im Casino wurden alle deutschen Blätter, bis auf die allgemeine Zeitung abgeschafft, und es ist um so merkwürdiger, daß das Elsaß in diesem Augenblicke mehr als zwölf deutsche Lyriker und Schriftsteller zählt, da sie ganz von der deutschen literarischen Journalistik abgeschnitten sind, und nicht ein einziges deutsches belletristisches Journal zur Hand bekommen. Um ein Journal zu stiften, müßte man — nach französischem Gesetz — die Caution leisten können, die Kosten auf ein Jahr gesichert haben, um es gratis im ganzen Elsaß auszutheilen; dann aber werde es gewiß Theilnahme erregen, und könnte in einigen Jahren von der höchsten Wichtigkeit werden. Der Redakteur müsse übrigens ein Elsasser und ein Mann von Muth sein, weil die Regierung in Paris ihn verfolgen würde, und die hiesigen Stutzer, die französischen Dummköpfe, ihm allerlei Unannehmlichkeiten bereiten würden. Je mehr ich in das Herz des jungen Menschen drang, fand ich, daß er durch und durch Deutsch ist, und zwar wider seinen Willen, durch die Kraft und Poesie der Muttersprache. Ach, sagte er mir im Fortgehen, die deutsche Sprache läßt sich nicht so leicht vertreiben. — Ich weiß auch etwas davon zu erzählen, erwiderte ich, und überließ mich meinen Träumereien. — — —


Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Arnold von Bresia