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Rettung einer Abtheilung Lützower Jäger

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Textdaten
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Autor: Johann Christoph Leuschner
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Titel: Rettung einer Abtheilung Lützower Jäger
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 9, S. 141–144
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1861
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originaltitel:
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Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung: Eine Szene aus den napoleonischen Kriegen
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[141]

Aus den Zeiten der schweren Noth.

Nr. 1.
Rettung einer Abtheilung Lützower Jäger.
Von Cantor Leuschner in Eythra.

Die Schlacht bei Lützen war vorüber. Dem furchtbaren Kampfe der Tausende von erbitterten Gegnern, die den Krieg mit allen seinen Schrecken bis an die Schwelle auch meines Hauses getragen, folgte momentane Ruhe. Der Kaiser Napoleon, so hold ihm auch das Glück in diesen Tagen wieder gewesen, gab der unabweisbaren Nothwendigkeit nach und schloß einen Waffenstillstand ab, den man damals, wie schon so oft, als den Vorläufer baldigen Friedens ansehen zu können glaubte. So waren mindestens die nächsten Besorgnisse beschwichtigt, und obschon der Blick ringsum nur auf den Stätten der Verwüstung weilte, athmete doch Alles in unserem freundlichen Elsterthale wieder auf. Es war ein wunderliebliches Frühjahr. Die alte Mutter Erde, unbekümmert um der Menschen thörichtes Beginnen, trieb aus dem blutgetränkten Boden neues Leben und neue Blüthen wie sonst, und manches Herz, das in den letzten Tagen schwer gelitten, faßte frischen Muth.

Auch ich begann wieder meine gewohnten Ausflüge, und an einem solchen Tage, den 17. Juni 1813, war es, wo ich von meinem heimathlichen Dorfe Eythra aus nach dem nahgelegenen Zwenkau wanderte, in Begleitung des Gerichtsactuar Hennicke, nachmaligen Schöffers zu Rötha, eines nun schon längst entschlafenen Freundes. Unser Weg galt dem Besuch eines dritten gemeinsamen Freundes, des als Märchendichter einst weithin gekannten und bei der Kinderwelt heute noch unvergessenen Oberpfarrers Löhr. In seinem Hause habe ich so manche glückliche Stunde verlebt. So war es auch heute. Der Rückblick auf die kaum überstandene schwere Zeit mochte uns bei dem ersten Wiederbegegnen wohl ernster stimmen, als es sonst geschehen; aber die Hoffnung schwellte bald die Herzen. Ueberall in deutschen Landen blickte man ja doch damals schon besseren Tagen mit Vertrauen und Zuversicht entgegen. So verschwanden rasch einige Stunden, und in der heitersten Stimmung traten wir den Heimweg an.

Die Dämmerung war bereits eingebrochen. Die letzten Streiflichter der sinkenden Sonne warfen ihre rosigen Schimmer auf das dunkle Waldesgrün; dem geräuschvollen Leben des Tages war jene geheimnißreiche und ahnungsvolle Stille gefolgt, die uns in jungen Jahren so leicht poetisch anregt. Im glücklichen Vergessen schwerer Leiden und Drangsale gaben auch wir uns diesem Eindrucke hin, und insbesondere waren es Theodor Körner’s patriotische [142] Kriegsgesänge, die wir lebhaft besprachen und in deren feurigen, hinreißenden Klängen wir den entsprechendsten Ausdruck für unsere Gefühle fanden. Waren es doch dieselben Lieder voller Muth und Kraft, wodurch um jene Zeit so mancher deutsche Jüngling für den Kampf gegen den Unterdrücker deutscher Freiheit gewonnen und zu freudigem Muthe und kühner Entschlossenheit begeistert wurde.

Ach! wir hatten damals keine Ahnung davon, daß der edle, jugendliche Dichter in denselben Augenblicken, kaum eine Stunde von uns entfernt, in einer ohnweit des Dorfes Kitzen[1] gelegenen Buschstrecke schwer verwundet und hülflos darniederlag, rings von Feinden umgeben, dem Tode nahe.

Eine verspätete Heimkehr war um jene Zeit jedoch immer noch bedenklich, und besonders Waldwege bei einbrechender Nacht, der noch häufig maraudirenden Soldaten wegen, nicht allzu sicher. Wir beschleunigten deshalb unsere Schritte, um so bald als möglich nach dem Schlosse Eythra zu gelangen. Allein noch hatten wir nicht die Mitte des parkähnlichen Stockweges erreicht, als wir plötzlich Hufschläge vernahmen und zwar so wiederholt und so vielfach, daß wir über die Annäherung eines starken Detachements von Kavallerie nicht lange in Zweifel sein konnten. Was wir indeß, an derlei Erscheinungen gewöhnt, ziemlich furchtlos erwarteten, geschah nicht. Einige Augenblicke später erschienen nur einzelne Reiter, deren Uniform uns völlig unbekannt war und die in raschem Trabe an uns vorüberjagten. Noch blickten wir ihnen staunend nach, als plötzlich mehrere reiterlose Pferde aus dem Gebüsch hervorbrachen, einen Augenblick stutzten und dann, der Spur der Reiter instinctmäßig folgend, den Weg in gleicher Richtung dahin galoppirten. Es war eine Schecke darunter mit herabhängendem Mantelsacke, sowie ein schwerverwundeter, augenscheinlich durch den Hals geschossener Schimmel.

Befremdet blickten wir uns an. Auf meines Begleiters besorgte Frage, welche Bedeutung diese Erscheinung inmitten des Waffenstillstandes haben könne, wußte ich eben so wenig zu antworten, als er selbst; nur so viel erschien uns Beiden als gewiß, daß in der Nähe ein kriegerischer Zusammenstoß stattgefunden haben mußte.

Wir sollten indessen nicht lange darüber in Ungewißheit bleiben; denn nachdem noch einige, ebenfalls schwer verwundete Pferde an uns vorübergeeilt waren und wir uns so ziemlich in der Nähe der sogenannten langen Elsterbrücke befanden, stürmte mit einem Male ein ganzer Reitertrupp in ziemlich geschlossener Haltung uns entgegen. Es waren beiläufig 15 bis 17 Mann, in deren Gefolge sich noch vier ledige Pferde befanden.

Der Anführer rief, als er uns erblickte, den Säbel schwingend, uns sofort ein donnerndes „Halt“ zu, und drohend umzingelten uns seine Begleiter. Zwar erschrocken, aber doch ruhig und gefaßt, fragten wir freundlich, was zu Diensten stehe. Dadurch etwas milder gestimmt, senkte er die Waffe und sagte: „Meine Herren! Ich hoffe Freunde in Ihnen zu sehen, die uns in unserer großen Bedrängniß Ihren Rath, Ihre Hülfe nicht versagen werden. Wir gehören zu Lützow’s Freicorps, jener Schaar, von der Sie gewiß schon gehört und die unsern Feinden, den Franzosen, stets ein Dorn im Auge gewesen ist. Dennoch glaubten wir von dem allgemeinen Waffenstillstände nicht ausgeschlossen zu sein. Wir haben uns getäuscht. Sorglos, am wenigsten eines blutigen Straußes gewärtig, schlugen wir heute den Weg nach Leipzig ein, wurden jedoch bei Kitzen von einem an Stärke uns weit überlegenen französischen Detachement überfallen und trotz der tapfersten Gegenwehr zersprengt. Was nicht gefallen unter den Klingen unserer erbitterten Feinde, wird nach allen Seiten hin verfolgt. Uns selbst, die wir treulich zusammenhalten, droht vielleicht größere Gefahr, als wir ahnen, denn sicher sind uns die Feinde auf der Ferse. Daher retten Sie uns, sofern Sie es irgend vermögen.“

So sprach der Mann, während seine Gefährten ernst und schweigend auf uns herabschauten. Unser Entschluß wurde so schnell gefaßt, als es die Dringlichkeit des Augenblickes erforderte. Hier galt kein Zögern. Die geringste Säumniß konnte die Flüchtigen in die Hände des Feindes liefern, selbst der ernsten Erwägung der eignen Gefahr, des Unheils, das uns bei Begünstigung dieser Flucht leicht selbst treffen konnte, durfte keinen Augenblick Raum gegeben werden. Die Lage der Unglücklichen drängte zu raschem Handeln, um so mehr, als sich ein schwer Blessirter unter ihnen befand, der, durch einen Säbelhieb am Kopfe verwundet, der schleunigsten ärztlichen Hülfe bedurfte.

Während sich daher Freund H., von dem Anführer und einem Unterofficiere begleitet, nach dem herrschaftlichen Schlosse zu Eythra begab, um dort einen Wundarzt zu requiriren, forderte ich die Uebrigen auf, mir in aller Stille zu folgen, da ich eine nicht weit entlegene, vom Wald umsäumte Wiese vorläufig wenigstens als das sicherste Versteck für die Flüchtigen ansah.

Bald hatten wir das Asyl erreicht. Die Reiter saßen ab, aber groß war ihr Mißtrauen und ihre Furcht vor etwaigem Verrath, denn als ich mich nur einige Schritte weit entfernen wollte, um nach H.’s Rückkehr zu spähen, wurde ich fast mit Gewalt zurückgeführt und dringend bat man mich, die Bedrängten nicht zu verlassen.

Glücklicherweise erschien H. mit seinen Begleitern bald wieder, gefolgt von dem Eythraer Wundarzt, der mit der ihm eigenen, in den letzten Kriegsjahren schon oft erprobten Geschicklichkeit den Verwundeten verband. Die Gemüther beruhigten sich, der Rest von Mißtrauen entschwand mit der kaum nöthigen Bitte um Verschwiegenheit an den uns als Ehrenmann ausreichend bekannten Doctor.

Nach seiner Entfernung wurde ein Art von Kriegsrath gehalten und über weitere Maßnahmen berathen.

„Halten Sie den Platz für sicher? Sind wir vor jeder Verfolgung gedeckt?“ fragte mich der Führer.

„Nein.“

„Aber wohin nun? Fürchten Sie nicht, daß ein nochmaliger Wechsel unseres Asyls uns neuen Gefahren entgegenführen kann?“

Ich war der Gegend vollständig kundig, kannte namentlich jeden Schlupfwinkel und verdeckte Waldwege, in die der verfolgende Feind nimmermehr zu dringen vermochte.

„Folgen Sie mir,“ versetzte ich ruhig; „ich weiß ein völlig sicheres Versteck, und den Weg dorthin wird ein Franzmann schwerlich finden.“

Nach kurzer Berathung ward mein Vorschlag einstimmig angenommen, doch mußte ich ein Pferd besteigen und mich an die Spitze der Truppe begeben. Es war ein etwas mühsamer, oft sich windender Weg, auf dem der lange Reiterzug bald durch Wiesen und Lichtungen, bald durch Wald und Gestrüppe sich bewegte, bis wir endlich gegen neun Uhr auf einer kleinen Wiese am sogenannten Rüsterhölzchen anlangten. Sie war mir gleich im Anfange als der einzig geeignete Punkt für unsern Zweck eingefallen. Kein Fahrweg führt dorthin, selten überhaupt betrat eines Menschen Fuß die kleine Einöde, die auf der einen Seite durch den Wald und einen Mühlgraben geschützt, auf der andern durch den in den letzten Tagen beträchtlich angeschwollenen Elsterfluß gedeckt wurde.

Hier, im sichern Bivouac, athmete nun unsere kleine Gesellschaft freier, nachdem ein mich begleitender Unterofficier die nächsten Environs umritten und unser improvisirtes Lager für sicher erklärt hatte. Ein Wachtposten wurde aufgestellt, die ermüdeten Pferde abgezäumt und gekoppelt, denn die üppig grünende Wüste bot den trefflichsten Weideplatz, und Wasser für die am heißen Kampfe fast verdursteten Thiere lieferte der nahe Fluß in genügender Menge. Aber auch für die Reiter und deren nicht minder dringende Bedürfnisse trug Freund H., der mit dem Führer der Truppe zum zweiten Male nach Eythra sich begeben, schleunigst Sorge.

Schon gegen 11 Uhr rief unser Wachtposten an, erschrocken sprangen die Meisten auf, aber der Kommende war der Schloßnachtwächter, hochbepackt mit Speise und Trank.

„Einen schönen Gruß, und hier schicken sie den Herren Reitern einen Korb voll Lebensart.“ So lautete wörtlich die Botschaft der alten treuen Seele. Jubelnd wurde der Alte empfangen. Uns gingen jetzt die „Mittel“ über Alles, doch sandten die Herren schönen Dank und Gruß nach Eythra. Die „Lebensart“ war ihnen noch nicht abhanden gekommen, trotz dem wilden Kriegerleben. Nur abgekürzt wurden die Complimente etwas, denn einen Augenblick später lag die Schaar schon um den köstlichen Korb und entwickelte eine Thätigkeit, die meinem gleichfalls laut gewordenen Magen eben nicht die glänzendsten Aussichten übrig ließ. Jedoch die Befürchtung war grundlos. Die Sendung erwies sich als so umfänglich, [143] daß selbst für die Pferde zuletzt noch einige Brocken Brod übrig blieben.

Größere Ruhe trat nun ein. Die kleine Schaar lagerte sich im Kreise, und es kam zu interessanten Mittheilungen. Die Mehrzahl der meist noch jungen Helden gehörte angesehenen und wohlhabenden Familien an. Einige unter ihnen hatten erst ohnlängst die Universität Halle verlassen, um, den Schläger mit dem Schwerte vertauschend, jenem hohen Rufe „An mein Volk!“ zu folgen, der Tausende zu dem begeisterten muthigen Kampfe für die Rettung des Vaterlandes unter die Waffen sammelte. Es waren keine Krieger gemeinen Schlages, am wenigsten Söldlinge, schwerlich einer unter ihnen, der nicht von der ernsten und schweren Bedeutsamkeit seiner Aufgabe erfüllt gewesen wäre.

Manches kühne Wagstück war ihnen schon gelungen, und oft war der entscheidende Schlag von der Lützow’schen Schaar ausgegangen. Es war daher eben kein Wunder, daß der französische Kaiser dem Freicorps so wenig günstig war, daß er dasselbe von den Vortheilen der Waffenruhe ausschloß und es der allgemeinen Rache seiner erbitterten Soldateska preisgab. Der heutige fast „katzenartige“ Ueberfall bei Lützen zumal hatte die Lützower über die Bedenklichkeit ihrer Lage belehrt.

Die Stimmung, welche in dsm kleinen Bivouac herrschte, konnte daher bei aller Gemüthlichkeit der Unterhaltung eine heitere Färbung nicht erlangen. Die Meisten sprachen ihren Haß gegen die Franzosen in den bittersten Worten aus, und wo eine minder gereizte Stimme sich erhob, geschah es andererseits nur in gerechter Klage über den großen Verlust, den ihnen auch der heutige Ueberfall wieder gekostet hatte. So mancher Brave war unter den feindlichen Kugeln gefallen, manches treuen Freundes wurde gedacht, der im Schlachtgewühl verschwunden war. Was sein Loos gewesen; ob dort unter der Zahl der Todten bereits seine letzte Stunde geschlagen, oder ob er, den erbittertsten Feind auf der Ferse, rathlos jetzt vielleicht umherirrte – wer konnte es wissen? Insbesondere wurde auch Theodor Körner’s wiederholt erwähnt. Einer seiner jüngsten Kampfgenossen hatte ihn noch in den letzten Stadien des Gefechtes in der größten Gefahr und bereits aus mehreren Wunden blutend gesehen; andere hatten seine Rettung, leider erfolglos, versucht und ihn erst in dem Augenblicke verlassen, wo die Flucht unvermeidlich war.

„Wohl ihm,“ sagte ein hoher junger Mann, über dessen gebräuntes Antlitz die bittere Erfahrung bereits den Ernst des Mannesalters gebreitet hatte – „wohl ihm, wenn er auf dem Bette der Ehre den schönsten Lohn für sein thatenreiches Leben gefunden, aber wehe ihm, wenn er lebend in die Hände des Feindes gefallen ist! Ich fürchte sehr, daß er dann nur dem schrecklichen Loose entgegen geht, das einst Schill’s tapfere Officiere zu Wesel betraf. Der Herzog von Padua liegt als Gouverneur in Leipzig. Wird Körner vor sein Tribunal gebracht, so ist keine Gnade für ihn zu erwarten.“ [2] Wir Alle blickten ernst und gedankenvoll nach dem Sprecher, in dessen Auge selbst eine Thräne glänzte, als er diese Worte sprach. Die Unterhaltung stockte mehr und mehr; bald vereinzelte sich die Schaar zu kleineren Gruppen, die die Ruhe suchten, und selbst der Rest, unter dem auch ich mich befand, setzte nur noch kurze Zeit die Unterredung fort. Dennoch war es ziemlich ein Uhr, als auch wir uns nach einer Lagerstätte umsahen.

Gleich den Meisten wählte ich einen Sattel zum Kopfkissen, aber mein leichtes Sommerhabit bot keinen Schutz gegen die ungewohnte nächtliche Kühle. Alles schlummerte bereits bis auf den armen Blessirten neben mir, der oft und laut über Schmerzen klagte; nur ich war noch munter. Die merkwürdigen Ereignisse des Tages traten noch einmal vor meine Seele, mit ihnen die große Gefahr, die ich mir keinen Augenblick verhehlt hatte, und in der wir jetzt noch schwebten, falls Zufall oder Verrath die Feinde nach unserem Versteck führen sollte. Wäre es ihnen in diesem Falle gelungen, uns zu umzingeln, so blieb uns nichts übrig als die Gefangenschaft mit allen ihren unheilschweren Folgen oder ein tollkühner Sprung in die Elster, die bei ihrer dortigen Tiefe dem des Schwimmens Unkundigen nur sehr spärliche Aussicht auf Rettung bot. In solcher Lage erschien denn unser Loos allerdings nicht beneidenswerth.

Aber die Nacht verstrich, wenn auch langsam, doch ungefährdet. Bald vergoldete das herrlichste Frühlicht die Wipfel der Bäume, flockenartig verschwammen die Nebel, und der junge Tag grüßte die seltsame Gruppe, die meist noch Schlummernde zählte.

Allmählich wurde es aber lauter und lebendiger in dem kleinen Lager. Die Reiter erhoben sich meistens Alle, die Pferde wurden zur Tränke geführt, während Andere die nächsten Umgebungen spähend umritten, um sich auch heute von der Sicherheit des Versteckes zu überzeugen. Nichts Verdächtiges wurde entdeckt, Ruhe herrschte rings umher.

Gegen 8 Uhr sandte H. ein reichliches Frühstück, dem wir lange sehnlichst entgegengesehen hatten. Es wurde sofort verzehrt, aber noch war man damit beschäftigt, als plötzlich der Wachtposten anrief und eine bedenkliche Erscheinung Alles in Alarm setzte. Am jenseitigen Ufer erschien nämlich ein Angesessener aus L., ein Roßhändler, der kaum unserer Pferde ansichtig wurde, als er, von dem Instinct seines Gewerbes geleitet und augenscheinlich mit der Oertlichkeit sehr bekannt, auch sofort eine tiefer liegende seichte Stelle des Flusses durchschritt und gleich darauf in unserer Mitte erschien. Es ist höchst wahrscheinlich, daß der Mann keine Ahnung von unserer Lage hatte. Aber das Leuten seines Gleichen so eigene dreiste Auftreten, die Zudringlichkeit, mit der er sich zum Ankauf der überzähligen Pferde wiederholt erbot, ließ ihn doch verdächtig erscheinen. Barsch wies ihn der Wachtmeister zurück, aber nur langsam und zögernd trat er den Rückweg an und verschwand erst nach langer Zeit mit seinen mageren Gäulen wieder, die einstweilen am jenseitigen Ufer gegrast hatten. Vergebens suchte ich meine Schutzbefohlenen zu beruhigen. Das Gefühl der Sicherheit war bei ihnen verschwunden; auf das Dringendste forderten sie mich zu weiteren Schritten für ihre Rettung auf.

Ich war in der ersten Ueberraschung gänzlich rathlos, obgleich ich in der Nacht schon über fernere Maßnahmen gesonnen hatte. Endlich beschloß ich nach Eythra zu gehen, um mich dort von der Sicherheit des Ortes zu überzeugen. Wiederholt bot man mir ein Pferd zu diesem Behufe an, aber ich zog es vor, den Weg zu Fuß zurück zu legen. Glücklicherweise begegnete mir schon nach zehn Minuten ein zuverlässiger Mann, der mir versicherte, daß Eythra von französischer Einquartierung völlig frei sei. Eilig kehrte ich zurück, und da die Reiter in der kurzen Zwischenzeit bereits die Pferde gesattelt und Alles zum Abmarsch vorbereitet hatten, so befanden wir uns kaum eine Viertelstunde später schon auf der offenen Straße, und in gestrecktem Galopp, mich, den jetzt gleichfalls berittenen Führer, an der Spitze, erreichte der Zug gegen 10 Uhr den Eythraer Schloßhof.

Der Actuar H. und seine Gefährten traten uns bestürzt entgegen; ein solches Wagstück hatte Niemand erwartet, aber es hatte einen anderen Ausweg nicht gegeben. Daß trotz der momentan völligen Sicherheit des Ortes die größte Gefahr im Verzuge lag, dessen waren wir aber Alle genügend überzeugt. Und darum wurde auch unverzüglich beschlossen, die Flüchtigen weiter zu befördern und zwar nach Halle, wo sich ihnen der nächste völlig ungefährdete Zufluchtsort darbot. Während der Rittergutspachter Renker eine ausreichende Anzahl von Civilkleidern herbeizuschaffen suchte, inzwischen auch Veranstaltung zu einem zweiten, möglichst substantiellen Frühstück getroffen hatte, suchte ich im Dorfe nach einem passenden Führer. Die Wahl wurde mir nicht schwer.

Im Dorfe lebte ein Schneider, der vormals als sächsischer Kavallerist manchen schlauen Streich ausgeführt hatte, überhaupt als ein entschlossener Mann bekannt war. Daß dieser die Gelegenheit nicht von der Hand weisen würde, den alten Ruf auf’s Neue zu bethätigen, erschien mir gewiß und ich hatte mich nicht getäuscht. Kaum hatte er mein Anerbieten vernommen, als er Zwirn und Nadel in die Hölle warf.

„Bravo, Herr Cantor!“ rief er und schlug in die dargebotene Hand. „Das ist eine Partie für mich. Eher lasse ich mich von den Franzosen in Stücken hauen, als daß ich die Lützower nicht nach Halle bringen sollte.“

Auf dem Schloßhofe war inzwischen die Metamorphose unserer kriegerischen Freunde bereits erfolgt, sämmtliche Pferde waren dem Pachter für einen sehr mäßigen Preis (6 Thaler pro Stück) überlassen worden, und nur Säbel und Pistolen verblieben den Braven, die Beiden [144] unter den langen, weiten Röcken[3] bargen, deren damaliger Schnitt einem solchen Vornehmen bekanntlich sehr günstig war. Mir selbst wurde als besonderes Zeichen von Erkenntlichkeit eine hübsche Falbe zu Theil, dieselbe, die mich an der Spitze des Zuges nach Eythra getragen hatte.

Unter den wärmsten, innigsten Danksagungen schieden sie von uns, viele mit Thränen im Auge. Auch wir konnten uns der Rührung nicht erwehren, die tapfern Männer, die wenige Minuten vorher in der schmucken Uniform, im vollen Geschmeide ihrer Waffen vor uns gestanden hatten, jetzt einfach und aller kriegerischen Zeichen ledig von uns ziehen zu sehen.

Mit der größten Sehnsucht sahen wir der Rückkehr des Führers entgegen, denn die Gefahr für die Flüchtigen war immer noch groß genug. Er kam schneller zurück, als wir vermuthet hatten. Schon nach zwei Tagen stand er triumphirend vor uns und berichtete, daß er die „schwarzen Gesellen“ schon am Tage der Abreise bis Großzschocher gebracht, von dort mit einbrechender Nacht den Weg durch die großmiltitzer Aue eingeschlagen und zuletzt durch Wald und Gebüsch Schkeuditz umgangen habe. Mit grauendem Morgen schon war er mit seinen Begleitern in Halle angelangt. Noch reichlich von ihnen beschenkt und schließlich mit einer Bescheinigung über die treue Ausführung seiner schwierigen Aufgabe versehen, in welcher auch unser noch einmal mit herzlichem Dank und Gruß gedacht wurde, hatte er in Ermangelung ausreichender Legitimation die Nacht abwarten müssen, um durch Umgehung aller mit Franzosen besetzten Ortschaften ungefährdet wieder in seine Heimath zu gelangen.

Das schöne Pferd, das ich als ein lebendes Andenken an jene denkwürdige Zeit gern noch länger behalten hätte, besaß ich nur wenige Stunden. Mangel an Futter und die Befürchtung, es bald wieder an feindliche Truppen ausliefern zu müssen, wie dies bei den häufigen Requisitionen fast täglich geschah, bestimmten mich, es gleichfalls dem Pachter Renker für sechs Thaler zu überlassen. Dem Manne war der kleine Vortheil um so mehr zu gönnen, da ihm kurze Zeit vorher von dem russischen Fürsten Platow zwölf der schönsten Ackerpferde mit Wagen und Geschirr entführt worden waren.

Nur ein Erinnerungszeichen an jene verhängnisvolle Nacht ist mir geblieben: ein prächtiger englischer Säbel, den mir einer der Reiter mit dem ausdrücklichen Bemerken schenkte, daß er die Waffe zu seiner Ausrüstung persönlich von Frau von Lützow in Breslau erhalten habe. Ich habe sie als ein theures Vermächtniß bis auf diese Stunde aufbewahrt. Friedlich hängt sie über meinem nächtlichen Lager. Ob sie je noch einmal dazu bestimmt, sich mit Menschenblut zu färben – wer mag es wissen? Aber sollte es geschehen, dann wünsche ich recht herzlich, daß sie in wackerer kräftiger Faust nur für die Ehre und Freiheit meines geliebten deutschen Vaterlandes streiten möge.

Alle die wackern Gehülfen, die sich einst an dem Rettungswerke so menschenfreundlich betheiligten, sie ruhen schon längst auf verschiedenen Kirchhöfen. Nur ich, der 77jährige Greis, habe sie überlebt als der noch einzige Zeuge jener Begebenheit. Ein halbes Jahrhundert beinahe liegt zwischen ihr und unsern Tagen, aber so oft ich der gefahrvollen Nacht gedenke, geschieht es in dem freudigen Gefühl, in meinem vielbewegten Leben auch einmal auf wenige Stunden helfendes Mitglied bei „Lützow’s wilder verwegener Jagd“ gewesen zu sein.

Wie viel von jenen muthigen Streitern, die sich der einst so hochberühmten und vielgenannten Lützowschen Freischaar angeschlossen hatten, noch am Leben sind, wo und in welchen Berufskreisen sie wirken, habe ich nie vollständig erfahren können. Nur zwei von den damals Geretteten habe ich noch einmal gesehen, den Herrn Oberrechnungsrath B. und den Herrn Hofrath B. in Berlin. Beide suchte ich während meiner Anwesenheit in Berlin auf, wurde freundlich aufgenommen und zu dem wenige Tage später fallenden Erinnerungsfeste – den 17. Juni – eingeladen. Leider aber mußte ich auf diese Ehre verzichten, da der abgelaufene Urlaub wie der drängende Beruf längere Abwesenheit von der Heimath nicht gestatten wollten. Vielleicht lies’t in der weitverbreiteten Gartenlaube hie und da einer der damaligen Kämpfer diese Zeilen und erinnert sich meiner und unsers gefahrvollen Zusammenseins. Mit dem herzlichen Wunsche, daß es mir vor meinem baldigen Hinscheiden noch einmal vergönnt sein möge, einigen jener braven Patrioten in freundlicher Erinnerung die treue Bruderhand drücken zu können, schließe ich diesen kleinen, wahrheitsgetreuen Bericht. Denen aber, die längst von uns geschieden, die auch den letzten Kampf schon überstanden, ihnen Allen möge die Erde leicht werden.

  1. Durch den Ueberfall der Lützow’schen Schaar an jenem Tage historisch bekannt.
  2. Diese für den Fall der Gefangenschaft Körner’s leider nur zu begründete Befürchtung wurde glücklicherweise nicht zur Wahrheit. Er war nach muthiger Gegenwehr den Feinden entronnen und hatte, wie schon oben gedacht, in einem Wäldchen bei Kitzen Schutz gefunden. Dort fand ihn spät am Abend ein wackerer Landmann, der den schwer Blessirten noch während der Nacht nach Großzschochen zum Pastor Schlosser brachte, von wo aus er nach einigen Tagen, und zwar gleichfalls des Nachts, auf einem Kahn nach Leipzig geschafft wurde.
  3. Surtouts, wie sie in jener Zeit genannt wurden.