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Rittergüter und Schlösser im Königreiche Sachsen: Hirschstein

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Textdaten
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Autor: Otto Moser
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Titel: Hirschstein
Untertitel:
aus: Meissner Kreis, in: Album der Rittergüter und Schlösser im Königreiche Sachsen. Band 2, Seite 29–31
Herausgeber: Gustav Adolf Poenicke
Auflage:
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Erscheinungsdatum: 1856
Verlag: Expedition des Albums Sächsischer Rittergüter und Schlösser
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Commons = SLUB Dresden
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Hirschstein.


Zu den festen Burgen, welche Kaiser Heinrich der Vogelsteller nach Bezwingung der Slaven zum Schutze des eroberten Landes längst dem linken Ufer des Elbstromes erbaute, gehört auch das auf einem Felsen unterhalb Meissen gelegene Schloss Hirschstein. Obgleich der Felsen, welcher das Schloss trägt, nur funfzig Ellen hoch ist, ragt doch das stattliche Gebäude wegen der hier beginnenden Senkung des Landes so hoch empor, dass es überall schon aus weiter Entfernung sichtbar ist. Aber nicht blos grossartig und reizend ist die Aussicht von Hirschstein, sie bietet auch historisches Interesse, denn von hier aus überschaut man die ferne Gegend des Königsteines wo die Sächsische Armee 1756, gleich im Anfange des siebenjährigen Krieges, nachdem sie von der stärkeren Preussischen vier Wochen lang umzingelt und ausgehungert war, gefangen und zu den Fahnen der letzteren zu schwören gezwungen wurde. Doch entliefen die meisten untergesteckten Soldaten und sammelten sich in Ungarn unter dem Prinzen Xaver. Ebenso erblickt man von hier die Umgegend von Maxen, wo am 11. November 1759 der Oesterreichische General Daun den Preussischen General Fink von Finkenstein mit 15,000 Mann gefangen nahm, welchen Sieg man scherzweise den Finkenfang nannte. Südöstlich liegt das Dorf Kesselsdorf, berühmt in der Kriegsgeschichte durch die furchtbare Entscheidungsschlacht am 15. December 1745, wo die vereinigte Sächsische und Oesterreichische Armee von der Preussischen, unter dem sogennnnten alten Dessauer, oder dem Fürsten Leopold von Anhalt-Dessau, eine schreckliche Niederlage erlitt. Nach Westen hin erhebt sich der waldige Kolmberg, an dessen Fusse Hubertusburg liegt, woselbst der bekannte Frieden von 1763 den siebenjährigen Krieg beendigte, und nach Norden zeigen sich die Anhöhen von Siptitz bei Torgau, denkwürdig durch die mörderische Schlacht zwischen den Preussen und Oestreichern am 3. November 1760. Die nahe Mühlberger Gegend erinnert an die Schlacht, welche dem Churfürsten Johann Friedrich dem Grossmüthigen Thron und Freiheit kostete.

[30] Das Schloss Hirschstein erfuhr im Laufe der Jahrhunderte mannigfache bauliche Veränderungen, doch steht dasselbe noch auf den uralten Grundmauern, welche vor einem Jahrtausend Kaiser Heinrich emporthürmen liess. Es hat in der Anlage eine auffallende Aehnlichkeit mit den Schlössern Sachsenburg an der Zschopau und Friedland in Böhmen. In demselben befindet sich eine Capelle, worin der Pfarrer des nahen Dorfes Boritz zum kirchlichen Dienste verpflichtet ist. Zum Schlosse gehören die Dörfer Neu- und Althirschstein mit Gosa, ein Vorwerk zu Böhla, Bahra, Kobbeln, Leckwitz, Mertitz, Dennschütz, die goldene Hufe, und Antheile von den Dörfern Marschütz, Nassenböhla, Delmschütz, Ibaniz, Arntiz, Berntitz, Boritz, Garfebach, Glaucha, Lützschnitz, Nimtiz, Nünchritz, Fichtenberg, Ottewich, Weissig, Wuhnitz und das Gut Winndorf. Bei Althirschstein befindet sich eine grosse Elbfähre, auf der man nach dem gegenüberliegenden Merschwitz gelangt. Der Strom kommt aus Süden, schlägt unter dem Schlosse einen Bogen, umfliesst einen ansehnlichen Heger und geht nordwestwärts weiter. Die Hirschsteiner Fluren rainen mit Boritz, Bahra, Ober- und Niederlommatzsch und sind grösstentheils sehr fruchtbar. Bei Althirschstein befindet sich eine Schiffmühle und in Neuhirschstein ein Gasthaus, auch treiben beide Dörfer gleich dem Rittergute etwas Weinbau. Die Zahl der Unterthanen beträgt in 247 Feuerstätten etwa 1600.

Im dreizehnten Jahrhundert besassen das Schloss die Ritter von Hirschstein oder Hersteynn, von denen unter anderen Wigand von Hersteynn in einer Urkunde von 1262 erwähnt wird. Sie trugen das Schloss (vermuthlich seit 1065 durch Kaiser Heinrich IV.) beim Bisthum Naumburg zur Lehn. Die Herren von Hirschstein überliessen das Schloss gegen Ende des dreizehnten Jahrhunderts denen von Carlowitz, doch blieben sie in der Gegend noch längere Zeit begütert, denn im vierzehnten Jahrhundert werden sie als Besitzer von Zabeltitz und einigen andern Edelhöfen genannt. Wie lange die Carlowitze auf Hirschstein sassen ist nicht mit Genauigkeit zu bestimmen, zu Ende des funfzehnten Jahrhunderts gehörte es bereits der Familie von Haugwitz, aus welcher 1497 Johann von Haugwitz als Herr auf dem Hirschstein genannt wird. Da die Freiberger einen Edelmann des Geschlechts von Carlowitz, welcher an der Elbe ein Schloss besass und der von der Stadt verzellet war, 1493 enthaupten liessen, weil er „aus frevlem Gemüth mit einer gespannten Armbrust durch die Stadt ritt und den regierenden Bürgermeister Jacob zu erschiessen drohte“, so ist die Annahme nicht unwahrscheinlich, dass dieser Edelmann der letzte Carlowitz auf Hirschstein gewesen sei. Nach der Familie von Haugwitz ward im sechszehnten Jahrhundert Johann Gottfried von Kessel mit Hirschstein belehnt, und 1612 gehörte es Hartmann Pistorius auf Seusslitz und Riesa, einem Sohne des berühmten Kanzlers Dr. Simon Pistorius, des ehrwürdigsten Patrioten und gelehrtesten Staatsmannes seiner Zeit, welcher von Herzog Georg dem Bärtigen und Churfürst Moritz in den wichtigsten Staatsangelegenheiten, von Letzterem namentlich bei kirchlichen Fragen, zu Rathe gezogen wurde, vom Churfürsten August 1550 das Gut Seusslitz kaufte und daselbst am 2. December 1562 starb. Von Hartmann Pistorius kam Hirschstein an den reichen, aus den Niederlanden gekommenen und 1606 in Sachsen geadelten Christoph Felgenhauer. Derselbe war Churfürstlicher Kammerrath und Flossdirector, Herr auf Riesa, Radeburg, Emselohe, Branderode und Hirschstein und starb auf dem Schlosse Riesa um das Jahr 1630. Sein gleichnamiger Sohn starb 1679 auf Hirschstein und ihm folgte in dem Besitze der Güter Hans Christoph von Felgenhauer der 1705 mit Tode abging und nicht weniger als zwanzig lebende Kinder hinterliess, wodurch das bedeutende Familienvermögen gänzlich zersplittert wurde. Der älteste Sohn des kinderreichen Mannes, Heinrich Christoph von Felgenhauer, verkaufte Hirschstein 1722 an einen Grafen vom Loss, in dessen Familie das Schloss mit Zubehör geblieben ist bis jetzt. Zur Zeit gehört dasselbe dem Herrn Bogislav Adolph Leopold Grafen von Kleist vom Loss, Königl. Preuss. Regierungsrath.

Auf dem Schlosse zu Hirschstein war es, wo 1291 an einem Sächsischen Fürsten ein schändlicher Mord verübt wurde. Es regierte damals in Meissen Bischof Witigo I., ein Sohn Bernhards von Camenz aus dem alten ritterlichen Geschlechte der Herren von Greifenstein und Vesta. Dieser Prälat war ein Mann von grossen Geistesgaben und ungemeiner Kühnheit, so dass er nach der Versicherung seiner Zeitgenossen den Harnisch viel häufiger trug als das Gewand des Friedens. Es schien, sagen sie, als ob er nicht leben konnte ohne sich mit Mund und Schwert herumzustreiten, und so gerieth er selbst in Zwistigkeiten mit seinen Amtsbrüdern, dem Erzbischof von Magdeburg und den Bischöfen von Brandenburg und Lübeck; ja er wagte es, seinen eigenen Landesherrn und Gönner, den Markgrafen Heinrich den Erlauchten, sowie den Grafen Albrecht zu Brena öffentlich in den Bann zu thun, weil sie sich des Bischofs Eingriffe in ihre landesherrlichen Rechte nicht wollten gefallen lassen, und ihm mit gewaffneter Hand entgegentraten. Ebenso lag er in Fehde mit Friedrich dem Stammelnden (Tutta) einem Enkel Heinrichs des Erlauchten, der ihm jedoch Scharfenberg, Pirna und Stolpen abnahm und diese Schlösser nicht eher wieder herausgab, bis ihm Bischof Witigo eine ansehnliche Summe Geldes zahlte. Man kann sich denken, dass der Bischof einen tiefen Groll gegen Friedrich Tutta fasste, und darauf sann, sich an ihm zu rächen. Als nun der Fürst einst in der Gegend um Hirschstein jagte und auf dem Schlosse seine Wohnung nahm, gewann der erbitterte Bischof gegen grosse Versprechungen einen Diener auf dem Hirschstein, welcher sich verpflichtete, den unglücklichen Markgrafen zu vergiften. Die Schandthat gelang. Als Friedrich an einem heissen Tage aus dem Walde nach dem Schlosse zurückkehrte, setzte ihm der bestochene Diener einen Teller mit schönen rothen Kirschen vor, die mit starkem Gifte bestreut waren. Der Markgraf verzehrte die dargebotene Erfrischung und war bald darauf eine Leiche.

Schloss Hirschstein hat, wie schon erwähnt wurde, eine eigene Capelle in der bei den Ueberschwemmungen der Elbe in den Jahren 1776, 1777, 1784 und 1799 der Gottesdienst für die Gemeinden gehalten werden musste, welche, wie die Dörfer Alt- und Neuhirschstein in die Kirche zu Boritz eingepfarrt sind. Diese Kirche, welche unter Collatur des jedesmaligen Dompropstes vom Stifte Meissen steht, ist sehr alt, denn schon im Jahre 1259 hatte Boritz unter dem Namen „Boruz“ seinen eigenen Pleban, und bereits 1269 stand die Collatur dem Meissner Dompropste zu. Von 1772 bis 1796 versah das hiesige Pfarramt der um Sachsens Geschichte vielfach verdiente M. Ursinus, welcher ein mühsam ausgearbeitetes historisches Manuscript zum Schutze gegen Feuersgefahr in einem unterirdischen Gewölbe der Kirche verbarg, wo es leider bei der Ueberschwemmung der Elbe 1784 durch das einströmende Wasser vernichtet wurde. Die Kirche zu Boritz, welche für die angewachsene Zahl ihrer [31] Besucher nicht mehr hinreichenden Raum darbot, wurde vom September 1754 bis zum Sommer des nächsten Jahres neu aufgebaut, so dass am 2. August darin zum ersten Male Gottesdienst gehalten werden konnte. Aus dem alten Gotteshause nahm man den Altar in das neue herüber, auch liess man den alten im Verhältniss zur neuerbauten Kirche viel zu niedrigen Thurm stehen. Im Jahre 1767 wurde hier eine Giftmischerin, Johanne Regine Günther aus Löthain hingerichtet, welche funfzig Personen vergiftet hatte. – Das Dorf Boritz, welches in Ober- und Niederboritz, oder auch Alt- und Neuboritz eingetheilt wird, ist Präbende des jedesmaligen Dompropstes zu Meissen. Ehedem erstreckten sich sämmtliche Gehöfte und Wohnungen an den Ufern der Elbe hin, die Ueberschwemmungen des Stromes nöthigten aber den grössten Theil der Einwohner ihr Obdach weiter von demselben aufzuschlagen, und so entstand für diesen aufgebauten Dorftheil der Name Neuboritz. Nur die Kirche, Pfarre und Schule nebst einigen Bauergüter stehen noch auf ihren ursprünglichen Stellen.

Otto Moser, Redact.