Roberts erste Liebe

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Autor: Hans Arnold
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Titel: Roberts erste Liebe
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aus: Die Gartenlaube, Heft 4, S. 124–127
Herausgeber: Adolf Kröner
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Erscheinungsdatum: 1890
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Roberts erste Liebe.

Eine Faschingsgeschichte von Hans Arnold.
Mit Zeichnungen von R. Gutschmid.


Die Welt stand im Zeichen des Pfannkuchens! Der Fastnachtsdienstag winkte in allernächster Nähe, und groß und klein wurde von einer unbezwinglichen Sucht ergriffen, sich zu maskiren!

Auch das Haus des Doktors Rademann entging der allgemeinen Epidemie nicht, - ja sie trat dies Jahr sogar in ein ernsteres Stadium! Hatten sich bisher die Kinder des Hauses damit begnügt, alte Hüte von der Mutter aufzusetzen, den Pelz des Vaters verkehrt umzunehmen, oder höchstens, als besonders ausgesuchtes Vergnügen, sich ihre gegenseitigen Kleider anzuziehen und mit einer einzigen Larve, die allen gemeinsam gehörte und aus unbekannten Zeiten stammte, die Wohnung zu durchrasen, überzeugt, ganz unkenntlich zu sein, so war in diesem Jahr eine Einladung zum Kindermaskenball an die Familie ergangen und soeben erst angenommen worden.

Die verspätete Zusage - sehr kurz vor dem festlichen Tage - hatte ihren Grund in dem durchaus gerechtfertigten Abscheu des Vaters gegen Kinderbälle in jeder Form - ein Abscheu, der von seiner Frau theoretisch so lange aufs tiefste geteilt wurde, als die Versuchung, ihre Kinder zu maskieren, nicht praktisch an sie herangetreten war.

Das Fünkchen weiblicher Eitelkeit aber, welches im Herzen jeder Mutter schlummert, war bei dem Gedanken, Robert, Tony und Minchen in Charakterkostümen glänzen zu sehen, zu verzehrender Flamme aufgelodert, in der die Einwände des Gatten wie Flor verbrannten und zu nichts wurden.

Das zweite Hinderniß war schwieriger zu besiegen gewesen. Robert, der Quartaner, befand sich in dem Stadium, in welchem Jungen alle Versuche, ihre äußeren Reize durch Toiletenkünste zu erhöhen, für etwas Unmännliches und Verächtliches ansehen, und die freundliche Einladung zum „Kindertänzchen“, wie in diesem Fall der Kunstausdruck hieß, hatte bei dem Erstgeborenen des Hauses ein dumpfes Wutgeheul zur Folge: „Ich gehe nicht - fällt mir gar nicht ein!“

Der Vater war auf Roberts Seite, erstens aus den bereits vorher erwähnten pädagogischen Grundsätzen überhaupt, und zweitens, weil er nach seiner ungalanten Bemerkung der Ansicht war: „Meine Mädel sind von Natur Affen - das liegt in der Eigentümlichkeit des weiblichen Geschlechts - warum ich mir aber den Jungen künstlich zum Affen machen lassen soll, das sehe ich nicht ein!“

Wenn uns nun jemand fragt, wie Roberts moralischer Widerstand gegen das "Vergnügen" schließlich gebrochen wurde, so müssen wir allerdings beschämt bekennen, daß sich sein männliches Herz gegen Bestechungsversuche nicht gestählt erwies, und daß die verlockende Verheißung eines neuen Taschenmessers mit zwei Klingen, wie Robert deren durchschnittlich zwölf im Jahr mit Entzücken zu bekommen und mit Thränen zu verlieren pflegte, seine Abneigung gegen gesellige Freuden überwand, so daß auch er seine Persönlichkeit in den Dienst des Karnevals stellte.

Die Frage der Kostümirung erregte demnächst noch einen „Sturm im Wasserglase“. Der Vater hielt sein Portemonnaie mit Hartnäckigkeit zu, da er für dergleichen Unsinn keinen Pfennig übrig zu haben behauptete, und die Doktorin mußte mit allem Scharfsinn, der weiblichen Herzen zu Gebote steht, aus dem Vorhandenen Neues zu schaffen suchen. Die Wahl der Verkleidung wurde denn diesem „Vorhandenen“ durchaus angepaßt.

Robert sollte auf Rechnung eines großen Filzhutes, der von Generation zu Generation als auffällig beiseite geschoben worden war, als Fuhrmann erscheinen - ein Kostüm, das um so leichter zu beschaffen war, als ein biederes Nachthemd, mit rothwollenem Band besetzt, und ein Paar lederne Schulunaussprechliche den übrigen Anzug vervollständigten. Da Robert noch die Stallpeitsche in der Hand trug, so war die historische Treue des Kostüms auffallend - wer sich einen Fuhrmann anders gedacht hatte, der konnte uns eben aufrichtig leid thun und mußte sich mit seiner Enttäuschung abfinden, so gut er es imstande war.

Minchen war mit ähnlich einfachen Hilfsmitteln zu einem Bauernmädchen umgewandelt worden, wobei ihr das Vorhandensein eines alten, schwarzen Sammetmiederchens mit goldenen Knöpfen, in dem die Mutter vor etwa fünfundzwanzig Jahren als Bäuerin auf einem Polterabend geglänzt hatte, ein bedeutendes Uebergewicht über ihre Geschwister verlieh.

Was endlich Tony, die Fünfjährige, betraf, so hatte man aus einem Stück Möbelkattun, das sich noch vorfand, einen herrlichen Hanswurstanzug für sie geschneidert, der, mit Schellenkappe und Pritsche vervollständigt, Tony zum Glanzpunkt der Familie erhob.

Die Mutter, mit dem stolzen Gefühl: „und ich, die all dies Herrliche vollendet“ - putzte eben ihre Gesellschaft an, die sich nach kindlicher Sitte bei grellem Tageslichte in den Ballsaal begeben sollte.

Robert war sich äußerst peinlich in seiner Maske und nahm jeden ihm vom Dienstpersonal oder den Schwestern geschenkten Blick lächelnder Bewunderung als tödliche Beleidigung auf, die er durch wütendes Anrennen mit gesenktem Kopf rächte, so daß der Vater ihm die Versicherung gab, als zorniger Ziegenbock würde er sich viel naturgetreuer machen wie als Fuhrmann, da ein solcher sich gesitteter zu betragen pflege.

Minchen stand in seliger Selbstversunkenheit vor dem Spiegel und betrachtete ihr eigenes Bild, wobei nur düstere Zweifel ihre Seele bewegten, ob sie nicht „was um den Hals“ haben müßte - eine Anmaßung, welcher die Mutter durch die mehr kühnen als begründeten Worte: „Bäuerinnen haben nie etwas um den Hals!“ ein schnelles und beschämendes Ende bereitete.

[125] Robert, der es trotz seiner anscheinenden Uebellaune nicht erwarten konnte, bis man „losging“, wie er sich ausdrückte, beschwor inzwischen die Mutter um Verhaltensmaßregeln für seine Schwestern.



Dieselben sollten sich verpflichten, auf dem Maskenball sich gar nicht um ihn zu kümmern, namentlich nicht Minchen. „Das kenne ich!“ setzte der Jüngling düster hinzu, „die fürchtet sich dann und schämt sich, und dann küßt sie mich! Da gehe ich sofort nach Hause! Wenn sie nicht verspricht, daß sie mich gar nicht anrührt, gehe ich nicht mit!“

Minchen mußte denn einen körperlichen Eid schwören, sich jeder geschwisterlichen Zärtlichkeit streng zu enthalten, widrigenfalls sie von den Freuden der Geselligkeit ausgeschlossen werden würde. Und Tony? Tony war bereits in ihr keckes Hanswurstkostüm gehüllt, die Mutter gab ihr Anweisungen, daß sie ganz wohl, ohne der Schicklichkeit ins Antlitz zu schlagen, die Festgenossen mit der Pritsche etwas klopfen dürfe – da wurde Tony plötzlich von furchtbarer, jäher Angst vor dem Maskenball, vor dem ersten Ausflug in die Welt ohne Mutter und Kinderfrau befallen – sie erbleichte, erklärte schluchzend, sie habe Leibweh, und kroch als weinender, menschenscheuer Hanswurst mit allen Kleidern ins Bett, wo sie bei jedem Versuch, sie zu den Ballfreuden zu bereden, laut heulte, so daß der Mutter schließlich nichts anderes übrig blieb, als sie von dem Besuch des Maskenfestes zu entbinden.



Denn ein in Thränen schwimmender Hanswurst hätte doch einen zu wenig charakteristischen Eindruck gemacht!

Etwas niedergeschlagen über diesen Zwischenfall zogen denn nun die beiden Großen ab und traten zur Minute - bei Kindern gilt zu spät kommen noch nicht für fein! - in den Saal.

Ein Versuch Minchens, ihren Bruder in diesem bangsamen Augenblick an der Hand zu führen, war von diesem als Vertragsbruch durch einen tüchtigen Puff geahndet worden, und so standen denn die Kinder, etwa zwanzig an der Zahl, sich stumm und bekniffen gegenüber, während die kleinen Wirthe, selbst etwas scheu, zwischen ihren Gästen herumgingen und jeden derselben durch die Frage: „Als was bist Du denn?“ in tödliche Verlegenheit setzten, da keiner sich selbst zu charakterisiren wünschte.

Die Eleganz der Masken war übrigens durchschnittlich dieselbe; nur einige etwas größere Mädchen waren zierlicher gekleidet, und unter diesen zeichnete sich eines, ein etwa dreizehnjähriges Fräulein, durch allerliebste Rokokotracht, gepuderte Perücke und ein frisches, niedliches Gesichtchen aus, das unser Robert, trotz seiner allgemeinen Weiberscheu, einen tiefen Eindruck machte, so daß er die kleine Altfranzösin mit seinen Augen auf Schritt und Tritt verfolgte und innerlich beständig die Frage erwog, ob er wohl mit ihr tanzen dürfte, – ein Zweig der Ausbildung, der bei ihm bisher auf der äußerst kindlichen Stufe möglichst lauten Trappens mit beiden Stiefeln zugleich stand.

Die Chokolade, diese Krone jedes Kinderfestes, war eben gebracht worden, und die Masken nahmen gesittet an einem langen Tisch Platz, wobei die von der Herrin des Hauses mit Rücksicht auf die Schonung der Toilette angebotenen und vertheilten Servietten sich bei den verschiedenen Zerlinen, Räubern und Spanierinnen etwas grotesk ausnahmen.

Nachdem das Mahl in schweigender Förmlichkeit eingenommen worden war – die heitere Konversation pflegt bei Kindern stets erst nach dem Essen zu beginnen! – wurde im andern Zimmer eine Polonaise gespielt, und die Knaben wurden freundlich aufgefordert, sich je eine Dame zu wählen – eine Zumuthung, die unserem Robert wenigstens den Angstschweiß austrieb, da alle solche Entschlüsse jedem Jungen zwischen acht bis fünfzehn Jahren entsetzlich sind.

Er hielt sich denn auch scheu und verlegen zurück, sah seine reizende Rokokodame mit einem großen, als Fischer verkleideten Obertertianer – der noch dazu im Latein Vorletzter war! – abschweben und erlebte selbst das Furchtbare, daß er den richtigen Augenblick ganz versäumte und von der Wirthin zu seiner eigenen Schwester geführt wurde, die ebenfalls sitzen geblieben war, und mit der er nun, wie ich vermuthe, beiden nicht zum Hochgenuß, zähneknirschend Polonaise tanzen mußte – ein bitterer Hohn auf seine Absicht, sich gar nicht um die Geschwister zu bekümmern.

Als dieser Tanz überstanden war und eine muntere Polka die kleine Gesellschaft durcheinander wirbelte, brach allgemeine Heiterkeit los.

Ein kleiner, etwa vierjähriger Junge, der als Nonne verkleidet war, vergaß ganz seiner weiblichen und geistlichen Würde und schlug unverdrossen Purzelbäume. Ein spanischer Grande und ein Konditor, die sich als erbitterte Klassenfeinde schon lange nach einer Gelegenheit sehnten, ihren Gefühlen Luft zu machen, prügelten sich mit wahrer Wonne in einer Ecke sattsam durch, und nur ein armer, kleiner Gnom in braunem Futterkattun vergoß Thränen, da sein angeklebter Flachsbart ihm durchschnittlich [126] seine Einbildungskraft derartig entflammt, daß er den Versuch wagte, etwas Aehnliches in Sachsen in Scene zu setzen.

Der Zeitpunkt für den Ausbruch der Unruhen war für die Bauern nicht ungeschickt gewählt: gerade zur Erntezeit geriethen die Gutsherren durch die Verweigerung der Frondienste in die größte Verlegenheit, wie sie die Ernte einbringen sollten. Manche von ihnen ließen sich daher zur Nachgiebigkeit herbei, nur damit der reiche Erntesegen nicht auf den Feldern umkomme. Uebrigens behaupteten die Bauern, es geschehe alles mit Vorwissen des Kurfürsten, und es wurde dies anfänglich theilweise um so eher geglaubt, als die Regierung sich erst ziemlich spät entschloß, wider dieses Treiben einzuschreiten. Erst als es zur Mißhandlung kurfürstlicher Beamten, zur Entwaffnung militärischer Posten und zur gewaltsamen Befreiung Verhafteter gekommen war, ergriff die Regierung ernste Maßregeln. Sie beauftragte eine aus dem Kanzler v. Burgsdorf und den Justizräthen v. Brand und v. Watzdorf zusammengesetzte Kommission mit der Untersuchung der Vorgänge und mit der Herstellung der Ordnung, indem sie ihr zugleich ein aus fünf Bataillonen Infanterie und acht Schwadronen Kavallerie bestehendes Truppencorps unter dem Oberbefehl des Generals von Boblick, der sein Hauptquartier erst in Meißen, dann in Lommatzsch hatte, zur Verfügung stellte. Da die Bergleute in Freiberg ebenfalls die Arbeit einstellten und eine drohende Haltung annahmen, so wurde auch dorthin ein Truppenkommando entsendet.

Die Kommission begann ihre Thätigkeit damit, daß sie am 20. August eine scharfe Aufruhrvermahnung erließ und dann zur Untersuchung in den einzelnen Ortschaften schritt.

Zu größeren Kämpfen kam es nicht. Bei Pinnewitz wurden die Bauern, welche Miene machten, Widerstand zu leisten, unter großer Heiterkeit der Kavalleristen mit flacher Klinge auseinandergesprengt, wobei acht verhaftet wurden. Bei Burgstädtel trieben 30 Kürassiere unter dem Lieutenant von Lichtenhain 1200 Bauern, die sich mit Steinwürfen und Knütteln zur Wehre setzten, auseinander.

Auch auf dem Rittergute Hirschstein bei Meißen, dem Besitzthum des Kabinettsministers Grafen Loß, hatten die Bauern, um ihren Gutsherrn zum Nachgeben zu zwingen, die ihnen obliegenden Dienstleistungen eingestellt. Sein Amt nöthigte den Grafen, in Dresden zu wohnen, und dort hätten sich ihm die Streikenden nur mit bescheidenen Bitten nähern können, nicht aber mit gebieterischen Forderungen. Um ihn in ihre Gewalt zu bekommen, ließen sie ihm daher eine schriftliche Aufforderung zugehen, er möge sich am 20. August in Hirschstein einfinden, widrigenfalls „er sehen werde, wie es seinem Gute ergehen würde.“

Trotzdem erschien der Graf nicht, dafür aber die obengenannte Kommission nebst 200 Mann Infanterie und 80 Dragonern. Kurz bevor sie Hirschstein erreichten, ertönte plötzlich ein Böllerschuß in den Weinbergen, wahrscheinlich als Warnungszeichen, worauf eine Anzahl Leute, welche sich bei Hirschstein versammelt hatte nach allen Seiten auseinanderstob, vermuthlich um die verschiedenen Gemeinden zu warnen, daß sie sich fern hielten.

Da kein einziger Bauer im Schlosse zu Hirschstein erschien, so wurden alle dazu gehörigen Gemeinden zu möglichst zahlreichem Erscheinen eingeladen, weil der Kanzler im Auftrage des Kurfürsten ihnen etwas mitzutheilen und außerdem im Namen des Gutsherrn mit ihnen zu verhandeln habe.

Die Bauern fanden sich jedoch nur langsam und zögernd ein. Als der Kanzler, der warten wollte, bis eine größere Anzahl beisammen war, die bereits Erschienenen befragte, wie sie auf solche Dinge hätten kommen können, antwortete ein alter Bauer: „Das wissen wir selber nicht recht. Es muß doch wohl Gottes Wille sein, daß die Bauern auch einmal frei werden sollen; sonst wäre es wohl nicht so geschwind und so einstimmig zugegangen, wie wenn alles längst verabredet gewesen wäre.“

Endlich waren die Vertreter der sämmtlichen Gemeinden da und die eigentlichen Verhandlungen konnten beginnen. Der Schauplatz derselben war der Hof des reizend auf einem jäh zur Elbe abfallenden Granitfelsen gelegenen Schlosses Hirschstein, das nach der Flußseite hin eine weite entzückende Aussicht in das Elbthal gewährt. Auf der der Elbe entgegengesetzten Seite befindet sich der geräumige Hof, von welchem aus zwei ziemlich hohe Treppen von Sandstein zu einem großen, mit einer Balustrade umgebenen Altan führen. Auf diesen Altan stellte sich der Kanzler, hinter sich einen Infanteriedoppelposten mit geladenem Gewehr. Unten vor dem Altan stellten sich die Bauern mit abgezogenen Hüten auf. Der äußere Eingang zum Schloßhof wurde stark mit Soldaten besetzt. In demselben hielten abseits einige berittene Dragoner. Die ganze Scene muß nicht ohne malerischen Reiz gewesen sein.

Nun hielt der Kanzler in gütigem Ton eine lange bewegliche Anrede, in welcher er namentlich hervorhob, wie sehr es den Kurfürsten schmerze, die Truppen, welche nur wider äußere Feinde bestimmt seien, gegen die eigenen bethörten Landesknder verwenden zu müssen. Er stellte den Bauern die Unbilligkeit und Ungereimtheit ihres Verlangens dar, sich von den ererbten und überkommenen, gesetzlich festgestellten Leistungen und Lasten einseitig frei machen zu wollen.

Dann machte er die Befugnisse der Kommission bekannt, welche, je nach Befinden, die strengsten Strafen, ja selbst die des Todes, verhängen könnte, und schloß mit den Worten: „Gelobt mir durch Handschlag, lieben Leute, daß Ihr Euere Dienste, wie Ihr sie bisher geleistet, ohne Zögern wieder aufnehmen und der Euch vorgesetzten Obrigkeit wie vordem gehorchen wollt. Versetzt mich nicht in die traurige Nothwendigkeit, von der mir übertragenen Gewalt Gebrauch machen zu müssen. Gebt den übrigen verblendeten und verirrten Unterthanen ein gutes Beispiel. Ist dies Euer ernstlicher, ‚freier‘ Wille, so antwortet mit einem lauten Ja.“

Dieses „Ja“ erfolgte einstimmig, aber nicht eben laut, sondern vielmehr ziemlich kleinlaut, denn das Aufgeben ihrer geträumten Hoffnungen mochte den armen Leuten doch etwas schwer werden. Erst 42 Jahre später sollte im Wege der Gesetzgebung die Ablösung der bäuerlichen Lasten erfolgen. Uebrigens hielt die kurfürstliche Regierung selbst streng darauf, daß die Bauern von den Gutsherren nicht über das gesetzliche Maß hinaus bedrückt wurden.

Nun stiegen die Bauern einzeln die eine Treppe zum Altan hinauf, gaben dem Kanzler zur Bekräftigung ihres Versprechens den verlangten Handschlag und gingen dann die andere Treppe wieder hinunter. Bis dahin war alles gut gegangen. Als aber der Kanzler jetzt verlangte, die Bauern sollten diejenigen nennen, welche sie zur Arbeitseinstellung und zum Widerstand angestiftet hatten, weigerten sie sich insgesammt, dies zu thun.

„Nun, wenn Ihr die Rädelsführer nicht namhaft machen wollt, so will ich es selbst thun, damit Ihr seht, daß uns nichts verborgen ist,“ sagte darauf der Kanzler und nannte die Namen von drei Bauern, die sofort verhaftet wurden.

Die Uebrigen, die darüber in die Seele hinein erschraken, ermahnte er, sie sollten, wenn sie gegründete Beschwerden hätten, dieselben gehörigen Ortes anbringen, aber nicht zu sträflicher Selbsthilfe schreiten. Die Regierung werde jederzeit darauf achten, daß ihnen kein Unrecht geschehe.

Darauf fragte er die Bauern, ab sie wider ihren Gutsherrn Klage zu führen hätten. Sie verneinten dies einmüthig, beschwerten sich aber vielfach über dessen Pächter. Als sie dabei alle durcheinander sprachen, sagte der Kanzler: „Kinder, laßt alles ordentlich aufsetzen und schickt es mir. Habt aber Geduld, denn auf einmal kann nicht allen geholfen werden!“

Darauf wurden die Bauern mit nochmaliger Ermahnung entlassen, die drei Verhafteten aber auf die Wache gebracht.

Den vor dem Schloßthore lagernden Truppen wurde von den Offizieren der Hergang mitgetheilt, damit sie die fortgehenden Bauern nicht etwa verhöhnten und belästigten. Die Soldaten zeigten sich sehr erfreut darüber und kamen den Bauern mit ihren vollen Feldflaschen entgegen; der schwere Tag aber schloß in Friede und Freundschaft mit unzähligen Hochrufen auf den Kanzler und den Kommandanten, als diese den Soldaten und Bauern ein paar Tonnen Bier spendeten.

Bereits am 12. September konnte der größte Theil der Truppen zurückgezogen, die Kommission aber am 13. November aufgelöst werden. Von etwa 200 Verhafteten wurden 34 auf ein bis zwei Jahre auf den Königstein geschickt. Diejenigen Bauern aber, welche allen Verführungen und Drohungen zum Trotz die Theilnahme an der Arbeitseinstellung verweigert hatten, erhielten besondere Belohnungen.

So endete diese harmlose Parallele zu den weltbewegenden Erschütterungen bei unserem westlichen Nachbar. Ein Geschlecht, das die Lehre aus jener Zeit der fürchterlichen Krämpfe zog, hat geschieden zwischen Gutem und Bösem, zwischen Berechtigtem und Unberechtigtem, was in der revolutionären Bewegung des letzten Jahrhunderts lag, es hat auch den Bauern aus der Lommatzscher Pflege ihr Recht und ihre Freiheit gebracht.




[127] in einem besonders kraftvollen „Bogens“ auf dem Eise bewundern sollten. Er hielt sich natürlich etwas abseits von den Seinigen, da eine Mutter und gar Schwestern zu besitzen zwar innerhalb der vier Wände des Hauses ganz angenehm und schätzenswerth sein kann, sich aber zu einem beschämenden Gefühl zu steigern pflegt, wenn man „Bekannten“ begegnet.

Die etwas gereizte Frage der Mutter, was denn eigentlich daran so blamabel sei, erwiderte Robert mit der überraschenden Eröffnung ; „Nun, wenn zum Beispiel der Schwarz dann fragt: ‚Das waren wohl Deine Schwestern?’ da schäme ich mich zu Tode!“ - ein räthselhafter innerer Vorgang, dessen Berechtigung von der Mutter nicht anerkannt würde.

Die Folge war also, daß Robert die Breite der Fahrstraße zwischen sich und die Seinigen legte und so unbefangen aussah, als gingen sie ihn gar nichts an.

Er beglückwünschte sich innerlich um so mehr über sein Verfahren, als eine Gruppe von Damen sich der Mutter zugesellte, die ebenfalls Söhne auf dem Eise zu bewundern wünschten und dieselben sogar zum Theil mit sich führten.

Zu Roberts sprachloser Empörung winkte die Mutter ihn jetzt heran, sein Inkognito grausam vernichtend: „Komm nur, Junge, warum hast Du Dich denn so?“ worauf er zögernd näher schlich.

„Die Jungen können ja zusammen gehen, Frau Neumann,“ wandte sich die eine der Damen an die andere, mit dem theuren Namen Roberts Herz zu schnelleren Schlägen bringend: am Ende konnte er hier gar mit dem Bruder der Angebeteten in wünschenswerthe Beziehungen treten!

Die Mutter wandte sich auch nach ihm um und warf ihm einen lächelnd verständnißvollen Blick zu. In dem Augenblicke erhob der von Frau Neumann mit den formlosen Worten „Das ist Meiner!“ gekennzeichnete Junge seine Stimme, sah Robert mit einem frischen, freundlichen Gesicht an, das diesem unwürdig bekannt vorkam, und sagte lachend: „Ach, das ist ja der, der neulich mit mir tanzen wollte und nicht konnte!“

Das war das Ende von Roberts erster Liebe. Die Rokokodame war ein Tertianer - die Neumann war der Neumann und Robert war der Blamirteste unter allen Schuljungen des 19. Jahrhunderts!

Wie er den vernichtenden Schlag auffaßte, den die Mutter nicht unterlassen konnte; durch ein herzliches Gelächter zu feiern, das kann man sich wohl denken! Er machte kurz auf dem Absatz kehrt, rannte, Schlittschuhfreuden und alles vergessend, schnurstracks nach Hause und schloß sich in seine Stube ein, wo er den ganzen Nachmittag dazu verwendete, alle N von der Wand und den Fensterbrettern viel sorgfältiger abzukratzen, als er sie hingemalt hatte.

Das Stillschweigen seiner Schwestern aber sicherte er sich in der zarten Weise, daß er ihnen freundlich ankündigte: „Wer jemals noch ein Wort von der Neumann zu mir sagt, der mag's nur probiren - den schlage ich einfach todt!“

Da nun die beiden jungen Damen zu dieser Erfahrung keine besondere Lust verspürten, so wurde Roberts erste Liebe bald im Schoßes der Familie mit Stillschweigen übergangen, - und wenn sie zu seinem Polterabend einmal wieder auftauchen sollte, so wird er bis dahin wohl ruhiger darüber denken gelernt haben!