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Romanzen vom Rosenkranz/Romanze V: Guidos Bild

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« Romanze IV: Rosablanka und Biondetta Clemens Brentano
Romanzen vom Rosenkranz
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[52]

     Guidos Bild

Welch Getümmel in der Ferne,
Welche wilde, freche Stimmen?
Ach, ich höre Degen wetzen,
Höre böse Klingen klirren!

5
Näher, näher um die Ecke,

Ganz von Fechtenden umringet,
Weicht Meliore, mit dem Degen
Hebt er künstlich auf die Stiche.

„Freistatt!“ ruft er dann befehlend,

10
Springend nach Mariens Bilde,

„Diese Zuflucht müßt ihr ehren!“
Und sein mutger Ruf gelinget.

Denn ein Angesehner stellet
Sich an seiner Gegner Spitze.

15
„Wackre Knaben, meine Herren,

Lassen Sie uns hier besinnen,

Fromm und höflich unsre Degen
Senken und fein salutieren,
Höflich schöner Frauen wegen,

20
Fromm vor dem Marienbilde!


Daß Meliore eingestehe,
Daß uns Zucht und Sitte bindet,

[53]

Wie für Wissenschaft gesehen
Er die raschen Klingen blinken.

25
Darum will ich mit ihm reden,

Unsern Streit nun auszumitteln!“
Sprichts’s und tritt dem Feind entgegen,
Den die ganze Schar umzingelt.

Doch an den Altar gelehnet,

30
Lauscht Meliore auf zur Linde,

Er hat allen Streit vergessen,
Denn er hört Biondettens Stimme.

Jener aber spricht: „Mein Bester,
Keine Wahrheit ist zu finden

35
Hier in diesem bunten Leben,

Darum laßt uns Frieden stiften!

Und da Liebe nur im Sterben
Kann gefunden“ ... „Stille, stille!“
Spricht Meliore, „ach, es wehet

40
Auch kein Lüftchen in der Linde!“ –


„Willst du’s kurz?“ fragt dann der Redner.
Und Meliore spricht ergrimmet:
„Schweigt sie, magst du ewig reden,
Schweige ewig, wenn sie singet!“

45
Jener spricht, zurück sich wendend:

„Schweigen sollen wir, sie singet!“
Aber in dem Kreis erheben
Heftig schreiend sich die Stimmen:

„Er soll gleich zurück jetzt nehmen,

50
Was er Apo sprach zum Schimpfe;

Laßt uns mit dem Degen wetzend
Überlärmen seine Dirne!“

[54]

Und ein frecherer Geselle
Schreit hinauf: „Ha! schweig sie stille,

55
Heilge Jungfrau, um die Wette

Wollen wir mit ihr eins singen!“

Aber wütend an der Kehle
Packt Meliore ihn und ringet
An den Boden hin den Frevler,

60
Und es heben sich die Klingen.


Alle dringen ihm entgegen;
Auf den Altar fliehend springet
Nun Meliore, sich das Leben
In der heilgen Freistatt fristend.

65
„Seinen Mantel werfe jeder

Nieder, der zu fechten willens,
Jedes Klinge will ich messen,
Dem ich Ehre abgeschnitten;

Und da vor so vielen Gegnern

70
Ich wohl keine Rettung finde,

Darum laßt zu Gott mich beten
Nur noch wenge Augenblicke!“

Eine tiefe Stille ehret
Seine Bitte, und er kniet;

75
Und von zwölfen breiten elfe

Ihre Mäntel um die Linde.

Wie zwei aufgeschreckte Rehe
In gehemmter Flucht erzitternd
Stehn die Jungfraun stumm am Fenster,

80
Niederblickend durch die Linde.


Als Meliore sie ersehen
Ruft er aufwärts: „Wenn ich sinke,

[55]

Liebesengel, Todesengel,
Bete für mich, wenn ich sinke!“

85
Und nun springt er an die Erde,

Seinen Rücken deckt die Linde,
Zierlich grüßt er mit dem Degen
Jeden in dem weiten Ringe.

Doch zuerst tritt ins Gefechte

90
Den er niederwarf im Grimme,

Und in tiefen Ängsten schwebend
Stehn die Jungfrauen und singen:

„Gott und Vater, soll er sterben,
Lasse seinen Zorn sich stillen,

95
Daß er möge Heil erwerben

Um Herrn Jesu Leiden willen!

Gott und Sohn! Schirm den Gerechten,
Decke ihn mit deinem Schilde,
Lasse ihn mit Ehren fechten

100
Hier vor deiner Mutter Bilde!


Heilger Geist, das Herz erhelle
Ihm, dem frommen Schwertumklirrten,
Daß der böse Feind nicht stelle
Schlingen dem im Streit Verwirrten!

105
Und Maria, Mutter, helfe,

Daß er seinen Judas finde,[1]
Denn hier stehen wieder zwölfe,
Wie bei deinem heilgen Kinde!“ –

„Gleiche Rechte, gleiche Rechte!“

110
Ruft der Gegner, „Brüder singet!

Hat er sich Musik bestellet,
Laßt mir auch ein Lied erklingen!“

[56]

Und es bricht aus vollen Kehlen
Ein Gesang mit wildem Grimme;

115
An den stillen Mauern brechen

Widergellend sich die Stimmen:

„Blanke Jungfern, blanke Degen
Muß man küssen, muß man schwingen;
Der Schwertfeger weiß zu fegen,

120
Sind sie rostig, unsre Klingen!


Wenn der Metzger Messer wetzet,
Muß sein Weib ein Lied ihm singen,
Und das Kalb, vom Hund gehetzet,
Hilft sie leichter ihm bezwingen.

125
Wetzt, ihr Brüder, wetzt die Degen,

Weil die schöne Jungfer singet,
Weil das Kalb sie uns entgegen
Singend aus dem Stalle bringet.

Blanke Jungfern, blanke Degen,

130
Muß man küssen, muß man schwingen;

Der Schwertfeger weiß zu fegen,
Sind sie rostig, unsre Klingen!“

Und schon mehret sich die Menge,
Hergelockt aus allen Winkeln,

135
Und es drohet aus der Ferne

Schon der schwere Tritt der Sbirren.

Von dem wilden Sang erwecket,
Kam nun Apo auch zu Sinnen,
Der in seiner Weisheit Netzen

140
Hing wie eine giftge Spinne.


Und kaum trat er auf die Schwelle,
Nähert sich der heilgen Linde,

[57]

Als ein Lebehoch entgegen
Ihm von allen Lippen dringet.

145
Aber vor ihm fliegt ein Degen,

Senkrecht in die Erde dringend,
Den Meliore seinem Gegner
Kräftig aus der Faust legierte.

Und Apone fragt verlegen:

150
„Wer hat diesen Gruß geschicket?“

Und Meliore spricht: „Vergebet,
Es ist meines Gegners Klinge.

Nicht um Ehre, noch um Leben
Fecht ich hier, bloß um die Klinge:

155
Diese euch zu Füßen legend,

Wählt mein Glück euch selbst zum Richter.

Und ich reich euch meinen Degen,
Weil ich kann mit beßrer Sitte
Weder rechten hier, noch fechten!“

160
Spricht Apone – „Werdet stille!


Denn es ist ein schwerer Frevel,
Jetzt Tumulte anzuspinnen,
Da der ganze Staat sich trennet
In zwei feindliche Partien.

165
Wer jetzt offnen Lärm erreget,

Gleicht der Krähe, welche pickend
Auf dem hohen Alpenschnee
Anstoß gibt zu den Lawinen,

Die sich wälzend mächtig schwellen

170
Und verderbend niederdringen,

Mit des kalten Eises Decke
Städt und Dörfer überrinnend.

[58]

Übt ihr also meine Lehre,
Die euch auf die stolze Spitze

175
Höhrer Anschauung gestellet

Der Natur und der Geschichte?

O, ihr kramt noch im Elenden,
Streitend um gemachte Lichter,
Ihr, die ich so frei gelehret

180
Mit den Sternen umzuspringen!


Wollt ihr hier die Gieremei
Und die Lambertazzi spielen,
Die blind gen einander fechtend
Töricht hier ihr Blut vergießen?

185
Welcher Jammer könnt entstehen,

Wenn, in euern Lärm sich mischend,
Die argwöhnenden Geschlechter
Sich erblickten und erhitzten?

Und schon seh ich allerwegen

190
Müßig Volk heran sich ziehen.

Stecket ruhig ein die Degen,
Tretet um mich bei der Linde.

Wer war unter euch zugegen
Und nicht in den Streit verwickelt?

195
Er soll treulich das Entstehen

Dieses Kampfes mir berichten.“

Aufgefordert naht der Redner,
Beißt rhetorisch sich die Lippe:
„Meister, deine Weisheit ehrend,

200
Preis ich selig mein Geschicke,


Daß mir ward ein großer Lehrer,
Der mich lehrte Frieden stiften.

[59]

Früher schon war mein Bestreben,
Diesen Zwiespalt zu vermitteln.

205
Doch mir war der Wind entgegen,

Der hier weht durch diese Linde,
Und die reizende Sirene,
Die in diesen Meeren singet.

Er verachtete mein Reden,

210
Und mit frecher Hand beschimpfte

Jenen er, der von Biondetten
Eine Pause wollt erzwingen.

Aber nicht um eigne Ehre
Hat der Kampf sich so erhitzet;

215
Herr, es galt um deine Lehre,

Die er traf mit giftgem Witze!“

Also schloß der falsche Gegner. –
Apo spricht: „Nun ins Gesichte
Wiederhole mir die Reden,

220
Knabe, die du sprachst zum Schimpfe!“


Doch Meliore hat vergessen,
Daß er stehet im Gerichte;
Er gedenket an Biondetten,
Wie sie sang die Totenhymne.

225
Was sie fromm für ihn gebetet,

Als er flehend zu ihr blickte,
Fühlt er schon als Himmelssegen
Sich durch alle Adern rinnen.

Wie in geisterfüllte Segel

230
Blickt er ins Gewölb der Linde,

Freudig stößt er ab die Erde,
Hin nach schönrer Heimat dringend.

[60]

Aber wie am Sterbebette
Rechnend gern der Teufel sitzet,

235
Zerrt ihn nun Apones Rede

Vom Unendlichen zur Ziffer.

„Meister, was Ihr habt begehret,
Laßt mich gütig nochmals wissen,
Sagt mir’s schnelle, denn die Schwelle

240
Meines irdschen Hauses zittert.“


Apo spricht: „Was meiner Ehre,
Meiner Lehre du zum Schimpfe
Sprachst, des Streites freche Quelle,
Sollst du in den Bart mir spritzen!“

245
Und Meliore spricht: „Vollendet

Hatte Guido grad, der Bildner,
Ein Gemälde voller Schrecken
Und zur Schau es ausgestellet.

Wie Aglaure und die Schwestern

250
Wild vom Wahnsinn sind ergriffen,

Kniend um den Korb Athenes,
Den sie treulos aufgerissen.

Giftig aus dem Korbe strecken,
Um das Kind Erechtheus ringelnd,

255
Sich zwei Schlangen, und Entsetzen

Packt die törichten Geschwister.

Um den Busen will sich Herse
Gürtend eine Schlange winden,
Und es steigt ihr Haar zu Berge,

260
Denn das Tier hängt an dem Kinde.


Und Aglaurens Fäuste treffen
Rasend ihre eigne Stirne,

[61]

Während Krampf die Füße hebet
Und zu wilden Sprüngen zwinget.

265
Und Pandrosa zuchtvergessen

Hat sich das Gewand zerrissen;
Antlitz, Busen, Schoß und Lende
Sind ein Spiegel der Erynnen.

Hinter ihnen steht Athene,

270
Ernst in Marmor gottgebildet;

Bösen Fluges Vögel schweben
Um der fernen Tempel Zinnen.

Still und mannigfach erreget
Hatten wir dies Bild umringet,

275
Bis, sich ja nicht zu vergessen,

Einer alle schnell erinnert:

„Jedes Kunstwerk, das vollendet“,
Sprach er und zog hoch die Stirne,
„Muß, um klar sich auszusprechen,

280
Stehen auf ewigen Begriffen.


Doch, wie ich mich auch mag setzen,
Vor und in und nach dem Bilde,
Seh ich tot nur vor mir stehen
Dieses Werk des alten Pinsels. –

285
Ei, der zweite ihm entgegnet,

Mit der Schlange bei dem Kinde
Ist wohl auf das Leid des Herren
Und den Sündenfall gestichelt. –

Mit den törichten drei Schwestern

290
Meinet er, sprach dann der dritte,

Juden, Christen, Sarazenen
Streitend um die wahre Kirche. –

[62]

Und der vierte nun versetzte:
Die drei Tugenden der Christen

295
Sind es, die sich toll gebärden:

Glaube, Hoffnung und die Liebe: –

Und ein fünfter sprach: Ich sehe
Hier entsetzt die Charitinnen
Vor dem dreigeeinten Helden

300
In angstvoller Flucht begriffen. –


Ach, was können, sprach der sechste,
Juden, Sarazenen, Christen
Und die Grazien hier erhellen,
Die doch selbst Allegorien!

305
Mir sind es die drei Essenzen,

Die das Wesen Gottes bilden,
Im Begriffe eins zu werden
In dem Wahnsinne der Christen.

Und der siebente wollt sehen

310
Die drei Punkte Syllogismi,

Denen Abälard das Wesen
Der Dreieinigkeit verglichen.

Ja, sprach dann der achte frecher,
Sie sehn drein wie Heloise,

315
Die den Mittelsatz entbehret,

Weil den Nachsatz er vermisset.

Doch mir sinds drei Fakultäten,
Theologen, Mediziner
Und Juristen, sie umgeben

320
Tief erschreckt Apones Wiege. –


Und noch schlimmrer Rede Frevel
Stand ich vor dem Schreckensbilde

[63]

Mehr als durch es selbst entsetzet,
Doch ich wiederhol sie nimmer!

325
Und nun trat von seiner Schwelle

Guido selbst heraus zum Bilde;
Kahl, ein Greis, in seiner Rechten
Hielt er eines Messers Klinge.

Und er sprach: Mit frecher Rede

330
Habt ihr mir das Herz zerrissen!

Hat die rächende Athene
Euch, Gesellen, auch ergriffen?

Wißt, ich war in tiefster Seele
Lang ob dieser Zeit ergrimmet,

335
Welche zu entblößen strebet,

Was Gott keusch verhüllt will wissen.

Dieses schändlichen Entdeckens
Strafe wollte ich hier schildern,
Und ihr treibt denselben Frevel

340
Mir vor meinem züchtgen Bilde!


Doch ich folg des Herren Lehre:
Gibt dein Aug dir Ärgernisse
Reiß es aus, tritts an die Erde!
Liebes Bild, ich muß dich richten. –

345
Und nun riß er mit dem Messer

Zürnend durch des Bildes Mitte,
Und zertrat mit bittren Tränen
Wild sein mühsam Werk mit Füßen.

Seiner lachten noch die Frechen,

350
Dem das Liebste sie entrissen;

Das traf tief ihn in der Seele,
Und er stand in Tränen zitternd.

[64]

Und das Messer aus der Rechten
Mußt liebkosend ich ihm winden,

355
Daß er nicht zum Mörder werde,

Schmeichelnd in das Haus ihn zwingen.

Seine Axt, die in der Ecke
Stand – er ist zugleich ein Zimmrer –
Mußt die Tochter schnell verstecken,

360
Als ich ängstlich ihr gewinket.


Denn er war so tief erreget,
Daß er gänzlich schien von Sinnen
Und die Tochter kaum erkennte,
Vor ihm auf den Knien liegend.

365
Und er schrie: O Himmel, sende

Mir die Bären, die zerrissen
Jene Buben, den Propheten
Ob des nackten Hauptes schimpfend;

Denn mit Lachen seine Fenster

370
Jene gottlos noch umringten,

Und die Laden vorzulegen
Wollten sie mich schmähend hindern.

Schrieen scherzend: Freund, wir sehen
Uns dir heut sehr tief verpflichtet,

375
Weil du für uns einen Bären

Angebunden beim Philister! –

Da ich nun hinausgetreten,
Derb die Schmach mir zu verbitten,
Fragte mich dort jener Gegner

380
Höhnend mit dem frechen Witze:


Lag das Findelkind Biondette
Auch in solchen Schlangenwindeln,

[65]

Weil du, gleich den tollen Schwestern,
Sinnlos wardst, sie anzublicken? –

385
Alle lachten Beifall gebend.

Fassen konnte ich mich nimmer,
Und ich trat ihm wild entgegen,
Sprach zu ihm mit scharfer Stimme:

Schäm der Rede dich! Athene

390
Schämte auch sich dieses Kindes,

Denn sein Vater war, du Frecher,
Frech und wie dein Gleichnis hinkend!

Willst du deutelnd schärfer treffen,
Sprich: Des Teufels Hirngespinste,

395
Die mein Lehrer Weisheit nennet,

Sah ich in Erechteus Windeln!

Denn im trunkenem Erfrechen
Will sie sich mit Gott vermischen,
Und empfangen von der Erde

400
Gleicht sie wohl dem Drachenkinde.


Gleicht das trübe Wortgefechte,
Das die Schule um uns stricket,
Nicht dem Korb, in dem sich’s dehnet,
Wenn die Schlangen aufwärts dringen?

405
Springt der Decke, und ihr stehet

Auf dem Standpunkt: den Alciden
Glaubt ihr in dem Korb zu sehen,
Wie er Schlangen würgt im Schilde!

Schreit auch wohl: „Ich will vergessen,

410
Daß im Spiegel dies gebildet,

Daß ich selbst ein Gott hier stehe,
Der sich auf sich selbst besinnet!

[66]

Und den letzten Flug erhebend
Zu den Göttern aufzudringen,

415
Bringt, den Gnadenstoß zu geben,

Euch der Teufel gar von Sinnen.

Euch steht nur das Haar zu Berge,
Und dies nennt ihr reines Wissen;
Nennts der Isis Schleier heben,

420
Hebt ihr schamlos euern Kittel!


Wie durchs Maul und um die Kehle
Schlechte Gaukler Vipern schlingen,
Zieht der Teufel eure Seelen
Sich durchs Maul philosophierend.

425
Und ihr könnet nicht mehr beten

Und ihr könnet nicht mehr dichten.
Die die Schlange hat zertreten,
Ist barmherzig, Gott ist Richter! –

Also habe ich geredet,

430
Zwar erregt, doch wohl bei Sinnen,

Und sie drängten mit dem Degen
Mich bis zu der heilgen Linde,

Wo ich zu Biondettens Ehre,
Aber nicht zu Eurem Schimpfe,

435
Ruhig blieb bei meiner Rede.

Meister, nun seid Ihr der Richter!“

Und Apone zornbeweget
Spricht mit falscher Kälte: „Immer
Betend, horchend, fechtend, redend

440
Finde ich dich bei der Linde!


Jacopone, dein gelehrter
Bruder, lehrt dich wohl die Schliche;

[67]

Er kann auch die Worte drehen
In der Kirch und vor dem Richter.

445
Er, der die Parteien hetzet,

Um sie künstlicher zu schlichten,
Als wenn ich ein Bein verrenkte,
Um es wieder einzurichten.

Ihn, der naseweis sich stellet

450
In der Faktionen Mitte,

Werden einst die Schweine fressen
Weil er sich der Kleie mischet.

Du bist von ihm angestecket,
Dem juristischen Philister,

455
Der verachtend meine Lehre

Im lateinschen Stalle mistet.

Doch die Gieremei werden
Einst verfluchen seine Listen,
Und die Lambertazzi werden

460
Einst bereuen seine Pfiffe.


Und ihr Streit wird dann erst enden,
Wenn in seines Herzens Mitte
Ihre Klingen sich begegnen,
Einen ewgen Frieden stiftend!“

465
Und Meliore spricht: „O Lehrer,

Übel bleibst du bei der Klinge;
Um mich bitterer zu treffen,
Willst du meinen Bruder schimpfen!

Ungerechter, den gerechten

470
Bruder du statt meiner schimpfest,

Denn du träfst auf den Unrechten,
Schimpftest du ihm zu Gesichte!

[68]

Um das Recht mit Spott zu treffen,
Willst die Rechte du beschmitzen,

475
Doch ich räche den Gerechten,

Deines Beispiels mich bedienend.

Du sprachst, unser Streit sei Frevel,
Weil er leicht das Volk erhitze,
Und im Zorne wirst du selber

480
Jener Anstoß der Lawine!


Ob dem reinen Glanz des Schnees
Leicht ein dunkler Rab erbittert,
Und den bösen Schnabel wetzend,
Stößt er nieder die Lawine!

485
Schmähst du meines Bruders Ehre,

Dieser Musenalpe Zierde,
Sonnenglänzend auf dem ewgen
Eispalaste der Juristen,

Schmähst du ewige Gesetze,

490
Der Gesellschaft Urgranite,

Dann schimpfst du den Kern der Erde,
Der zum Licht dringt in Gebirgen!“ –

„Ja, ich schmähe,“ sprach der Lehrer,
„Die Pandektentitel-Flicker

495
Und die unfruchtbaren Rechte,

Kahl wie deine Urgranite!

Die sich immer kahl vererben,
So wie öder Berge Gipfel,
Von Geschlechte zu Geschlechte

500
Ihre alten Knoten schlingend.


Und wie magst du diese Zwerge
In papiernen Nestern nistend,

[69]

Noch vergleichen mit den Bergen,
Die juristischen Philister?“

505
Und Meliore spricht: „Die Zwerge,

Ja sie wohnen in Gebirgen,
Schmieden dort die starken Schwerte,
Eitle Riesen zu bezwingen.

Aus der Tiefe mit den Bergen

510
Wächst das Eisen auf zum Lichte,

Und von ihnen wiederkehret
Alles zu der Tiefe wieder.

So steigt nieder von den Bergen
Die Natur, und ihren Gipfeln

515
Sind die weiten Sündflutmeere,

Ist der Zorn zuerst entwichen.

So steigt nieder von den Bergen
Die Geschichte: auf der Spitze
Sinai gab Gott Gesetze

520
Mosen für die Israliten.


Wenn die Erde längst verwelket,
Steht noch das Granitgerippe,
Und des Wassers Flut begegnend
Heulet drum das Spiel der Winde.

525
So auch stehen die Gesetze,

Wenn die Staaten rings versinken
Und unzählige Geschlechter
An dem alten Recht sich bilden.“

Apo spricht: „Das Recht so kennend,

530
Wirst du das Gesetz auch wissen,

Daß Bologna Repetenten
Nie erkennt ungraduieret.

[70]

Und du hast das kaum Erlernte
Dennoch mir hier repetieret;

535
Du kurzdärmigter Geselle,

Wisse, daß du delirierest!

Denn die Kerkerstrafe stehet
Auf dem offnen Disputieren
Von Studenten gegen jeden,

540
Den die höhern Würden zieren.“ –


„Ja, ich kenne die Gesetze,“
Spricht Meliore, „und die Pflichten
Eines Christen, daß er rede
Den Verkehrten ins Gewissen.“ –

545
„Predge weiter,“ sprach der Lehrer,

„Und entpflichte dich, mein Christe,
Daß ich dem Gesetz dich gebe
Ungestört in deinen Pflichten!“

Und Meliore sprach: „Ich nenne

550
Jene Berge, euch Gewitter;

Euer dunkelmaulend Wesen
Ist nur dunkel, um zu blitzen.

Seit die Welt im Zirkel gehet,
Kühlet sich das Wetter blitzend,

555
Doch, als sei’s das erst und letzte,

Bläht sich jegliches Gewitter.

Nur daß man die Sterne heller
Sehe auf der Berge Gipfel,
Lasset ihr, euch selbst verwetternd,

560
Euren trüben Schwall verwittern.


Und wo werdet ihr dann stehen,
Wann zuletzt der ewge Richter

[71]

Nach den ewigen Gesetzen
Euch und jene kommt zu richten?

565
Die geschimpfet auf die Rechte,

Werden stehen auf der Linken,
Da wo Gottes Affen stehen,
Die gefallnen Engel hinkend.

Die unzähligen Systeme

570
Frevelnder Philosophien

Werden flehen, bei den Hexen
Auf den Besen aufzusitzen.

Ihr Allfresser, wo des ersten
Magen noch der zweite frisset,[2]

575
Wenn ihm selbst schon aufgefressen

Seinen Magen hat der dritte!

Ja, der Teufel wird den letzten
Noch zertrennen in der Mitte,
Daß das Maul den Leib kann fressen;

580
So wird sich die Kette schließen!


Meister, du hast diese Schwerter
In der Schule selbst geschliffen,
Höhre Anschauung mich lehrend
Der Natur und der Geschichte.“ –

585
Aber zu dem Volk gewendet

Ruft Apone: „Holla, Sbirren,
Diesen Jüngling führt zum Kerker!“
Und Meliore wird umringet.

Nochmals blickt er nach Biondetten,

590
Folget freudig dann den Sbirren,

Als sollt er zur Hochzeit gehen,
Denn er höret ihre Stimme.

[72]

Und zu seinem Turme kehret
Apo wieder, finstern Blickes;

595
Brach er gleich den Speer der Rede,

Haftet tödlich doch der Splitter.

Freudig nichtig, gleich Raketen,
Lustgetragen auf den Stimmen
Hört er noch ein Vivat brennen,

600
Und der Schwarm verliert sich singend.


Leise Lüfte hör ich wehen,
Schüchtern kehren zu der Linde
Auch die Vögel, und es treten
Aus dem Haus die beiden Kinder.

605
Rosablanka und Biondette

Grüßen sich mit stummen Winken;
Da sich ihre Wege trennen,
Lassen sie die Blicke sinken.

Anmerkungen des Herausgebers

  1. [400] Der Dichter will sagen: Helfe verhüten, daß er seinen Judas finde. Handschriften und Urschrift haben ganz deutlich „seinen“.
  2. [400] Vergl. „Der Philister in, vor und nach der Geschichte“. (Ges. Schr. 5, S. 367.)
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