Sängerwürde

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
Autor: Johann Wolfgang von Goethe
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Sängerwürde
Untertitel:
aus: Friedrich Schiller:
Musen-Almanach für das Jahr 1799, S. 91–101
Herausgeber: Friedrich Schiller
Auflage: 1. Auflage
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1799
Verlag: J. G. Cotta
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Tübingen
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: HAAB Weimar, Kopie auf Commons
Kurzbeschreibung: Der Text wurde von Johann Wolfgang von Goethe unter dem Pseudonym Justus Amman veröffentlicht.
Der Text wurde auch unter dem Titel Deutscher Parnass veröffentlicht.
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite


[91]
Sängerwürde.


      Unter diesen
Lorbeerbüschen,
Auf den Wiesen,
An den frischen

5
Wasserfällen,

Meines Lebens zu genießen
Gab Apoll dem heitern Knaben;
Und so haben
Mich, im Stillen,

10
Nach des Gottes hohem Willen,

Hehre Musen auferzogen,
Aus den hellen
Silberquellen
Des Parnassus mich erquicket,

15
Und das keusche reine Siegel

Auf die Lippen mir gedrücket,

      Und die Nachtigal umkreißet
Mich mit dem bescheidnen Flügel;
Hier in Büschen, dort auf Bäumen,

20
Ruft sie die verwandte Menge,
[92]

Und die himmlischen Gesänge
Lehren mich von Liebe träumen.

      Und im Herzen wächst die Fülle
Der gesellig edlen Triebe,

25
Nährt sich Freundschaft, keimet Liebe,

Und Apoll belebt die Stille
Seiner Thäler seiner Höhen.
Süße lauhe Lüfte wehen.
Alle, denen er gewogen

30
Werden mächtig angezogen

Und ein Edler folgt dem andern.

      Dieser kommt mit munterm Wesen
Und mit offnem, heitern Blicke;
Diesen seh ich ernster wandeln;

35
Und ein andrer, kaum genesen,

Ruft die alte Kraft zurücke,
Denn ihm drang durch Mark und Leben
Die verderblich holde Flamme,
Und was Amor ihm entwendet,

40
Kann Apoll nur wieder geben,

Ruh und Lust und Harmonien
Und ein kräftig rein Bestreben.

[93]

      Auf ihr Brüder,
Ehrt die Lieder!

45
Sie sind gleich den guten Thaten.

Wer kann besser als der Sänger
Dem verirrten Freunde rathen?
Wirke gut, so wirkst du länger
Als es Menschen sonst vermögen.

50
      Ja! ich höre sie von weiten,

Ja! sie greifen in die Saiten,
Mit gewalt’gen Götterschlägen
Rufen sie zu Recht und Pflichten
Und bewegen,

55
Wie sie singen wie sie dichten,

Zum erhabensten Geschäfte,
Zu der Bildung aller Kräfte.

      Auch die holden Phantasien
Blühen

60
Rings umher auf allen Zweigen

Die sich balde,
Wie im holden Zauberwalde
Voller goldnen Früchte beugen.

[94]

      Was wir fühlen, was wir schauen

65
In dem Land der höchsten Wonne,

Dieser Boden, diese Sonne,
Locket auch die besten Frauen;
Und der Hauch der lieben Musen
Weckt des Mädchens zarten Busen,

70
Stimmt die Kehle zum Gesange,

Und mit schöngefärbter Wange
Singet sie schon würd’ge Lieder,
Setzt sich zu den Schwestern nieder
Und es singt die schöne Kette,

75
Zart und zärter, um die Wette.


      Doch die eine
Geht alleine
Bey den Buchen,
Unter Linden,

80
Dort zu suchen,

Dort zu finden
Was im stillen Myrrtenhaine
Amor schalkisch ihr entwendet,
Ihres Herzens holde Stille,

85
Ihres Busens erste Fülle,

Und sie träget in die grünen

[95]

Schattenwälder,
Was die Männer nicht verdienen,
Ihre lieblichen Gefühle,

90
Scheuet nicht des Tages Schwüle,

Achtet nicht des Abends Kühle
Und verliehrt sich in die Felder,
Stöhrt sie nicht auf ihren Wegen,
Muse geh ihr still entgegen.

95
      Doch was hör ich! Welch ein Schall

Ueberbraus’t den Wasserfall?
Sauset heftig durch den Hain?
Welch ein Lärmen, welches Schreyn?
Ist es möglich! seh ich recht?

100
Ein verwegenes Geschlecht

Dringt ins Heiligthum herein.

      Hier hervor
Ströhmt ein Chor!
Liebeswuth,

105
Weinesgluth,

Ras’t im Blick,
Sträubt das Haar!
Und die Schaar

[96]

Mann und Weib –

110
Tigerfell

Schlägt umher –
Ohne Scheu
Zeigt den Leib,
Und Metall

115
Rauher Schall,

Grellt ins Ohr,
Wer sie hört
Wird gestöhrt,
Hier hervor

120
Drängt das Chor,

Alles flieht
Wer sie sieht.

      Ach die Büsche sind geknickt!
Ach die Blumen sind erstickt!

125
Von den Sohlen dieser Brut,

Wer begegnet ihrer Wuth?

      Brüder, lasst uns alles wagen,
Eure reine Wange glüht.
Phöbus hilft sie uns verjagen,

130
Wenn er unsre Schmerzen sieht.
[97]

Und uns Waffen
Zu verschaffen,
Schüttert er des Berges Wipfel,
Und vom Gipfel

135
Prasseln Steine,

Durch die Haine.
Brüder faßt sie mächtig auf!
Schloßenregen
Ströme dieser Brut entgegen!

140
Und vertreib aus unsern milden,

Himmelreinen Lustgefilden
Diese Fremden, diese Wilden.

      Doch was seh ich!
Ist es möglich?

145
Unerträglich

Fährt es mir durch alle Glieder,
Und die Hand
Sinket von dem Schwunge nieder.
Ist es möglich!

150
Keine Fremden![1]

Unsre Brüder
Zeigen ihnen selbst die Wege!
O! die Frechen,

[98]

Wie sie, mit den Klapperblechen,

155
Selbst voraus im Tacte ziehn!

Gute Brüder laßt uns fliehn.

      Doch ein Wort zu den verwegnen
Ja, ein Wort soll euch begegnen
Kräftig wie ein Donnerschlag.

160
Worte sind des Dichters Waffen,

Will der Gott sich Recht verschaffen,
Folgen seine Pfeile nach.

      War es möglich eure hohe
Götterwürde

165
Zu vergessen!

Ist der rohe
Schwere Tyrsus keine Bürde,
Für die Hand, auf zarten Saiten
Nur gewöhnet hinzugleiten?

170
Aus den klaren Wasserfällen,

Aus den zarten Rieselwellen
Tränket ihr
Gar Silenens häßlich Thier.
Es entweihet Aganippen

175
Mit den rohen breiten Lippen,
[99]

Stampft mit ungeschickten Füßen,
Bis die Wellen trübe fließen.

     O! wie möcht ich gern mich täuschen;
Aber Schmerzen füllt das Ohr,

180
Aus dem keuschen,

Heiligen Schatten
Dringt verhasster Ton hervor.
Wild Gelächter
Statt der Liebe süßem Wahn!

185
Weiber Hasser und Verächter

Stimmen ein Triumphlied an.
Nachtigal und Turtel fliehen
Das so keusch erwärmte Nest,
Und in wüthendem Orgien

190
Hält der Faun die Nimphe fest.

Hier wird ein Gewand zerrissen,
Dem Genusse folgt der Spott,
Und zu ihren frechen Küssen
Leuchtet mit Verdruß der Gott.

195
     Ja ich sehe schon von weiten

Wolkenzug und Dunst und Rauch.
Nicht die Leyer nur hat Saiten

[100]

Saiten hat der Bogen auch.
Selbst den Busen des Verehrers

200
Schüttert das gewaltge Nahn,

Denn die Flamme des Verheerers
Kündet ihn von weiten an
O! vernehmt noch meine Stimme
Meiner Liebe Bruderwort!

205
Fliehet vor des Gottes Grimme,

Eilt aus unsern Grenzen fort!
Daß sie wieder heilig werde
Lenkt hinweg den wilden Zug.
Vielen Boden hat die Erde

210
Und unheiligen genug.

Uns umleuchten reine Sterne,
Hier nur hat das edle Werth.

     Doch wenn ihr aus rauher Ferne
Wieder einst zu uns begehrt,

215
Wenn euch nichts so sehr beglücket,

Als was ihr bey uns erprobt,
Euch nicht mehr ein Spiel entzücket,
Das die Schranken übertobt;
Kommt als gute Pilger wieder,

220
Steiget froh den Berg heran,
[101]

Tief gefühlte Reuelieder
Künden uns die Brüder an.
Und ein neuer Kranz umwindet
Eure Schläfe feyerlich.

225
Wenn sich der Verirrte findet

Freuen alle Götter sich.
Schneller noch als Lethes Fluthen
Um der Todten stilles Haus,
Löscht der Liebe Kelch den Guten

230
Jedes Fehls Erinnrung aus.

Alles eilet euch entgegen
Und ihr kommt verklärt heran,
Und man fleht um euren Segen,
Ihr gehört uns doppelt an!

JUSTUS AMMAN.

Anmerkungen (Wikisource):

  1. Vorlage: fremden