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Sagen aus der Provinz Sachsen V

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Textdaten
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Autor: Frau Adler sen., Eberth, Richter
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Titel: Sagen aus der Provinz Sachsen V
Untertitel:
aus: Zeitschrift für Volkskunde, 1. Jahrgang, S. 310–313
Herausgeber: Edmund Veckenstedt
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1889
Verlag: Alfred Dörffel
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originaltitel:
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Quelle: Google-USA*, Commons
Kurzbeschreibung:
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[310]
Sagen aus der Provinz Sachsen.
Mitgeteilt von Verschiedenen.
1. Die Hexe unter dem Birnbaum.

Was die Hexen alles können, das glaubt mancher Mensch gar nicht, und man würde es selbst nicht glauben, wenn man es bloss erzählen hörte, und nicht selbst erlebt hätte. So erzählte ein Mann, der selbst dabei gewesen war, aus seiner Jugendzeit folgende Geschichte.

In einem Dorfe – nicht weit von Magdeburg – habe eine alte Frau für sich von dem Ausgedinge gelebt. Dieselbe habe in dem Rufe gestanden, dass sie eine Hexe sei. Sonst sei aber die Frau ganz ordentlich gewesen und habe sogar auf dem Gehöft ihrer Tochter jeden Abend beim Melken geholfen. In dem Garten der alten Frau stand ein Birnbaum, dessen Birnen ganz besonders schön waren. Einige von den jungen Burschen des Dorfes hätten sich diese Birnen gar zu gern geholt, als dieselben reif waren. Damit sie nun nicht bei dem Stehlen der Birnen erwischt werden könnten, fragten sie das Mädchen, welches auf dem Gehöft diente, wo die alte Frau bei dem Melken zu helfen pflegte, ob denn dieselbe auch jeden Tag komme und um welche Stunde gegen Abend man zu melken gewohnt sei. Die Magd gab auch alles genau auf Stunde und Minute an und versicherte noch einmal, dass die alte Frau jeden Tag zur Aushilfe käme.

Am nächsten Tage wollten die jungen Burschen ihr Vorhaben ausführen und schlichen um die bestimmte Zeit in den Garten. Aber als sie an den Birnbaum kamen, da lag die alte Frau unter demselben, und zwar mit dem Gesicht nach unten. Da bekamen sie einen furchtbaren Schreck, kehrten um und liefen eilig davon. Den folgenden Tag schalten sie die Magd aus, dass dieselbe sie falsch berichtet hätte; die alte Frau käme gar nicht jeden Tag zum Melken, sie hätten sie um die angegebene Zeit unter dem Baume liegen gesehen. Aber die Magd antwortete ihnen: „Wat ick Juch esägt häbbe, is alles so. Die olle Frau is gistern ok hier ewest und hätt uns ehulpen. Ji kinnen Juch denken, wat Ji willen, abber ick sägge Juch, Ji warn woll keen Glick hebben, wenn Ji wat stälen willen, wu de Frau ne Hexe is. Harren Ji die Frau umekehrt, di Ji under den Bärnboom esiehen häbben, denn warren Ji wol wätten, wer dâ elähen hätt.“

Fortan wagte sich niemand mehr in den Garten der alten Frau hinein.

Frau Adler senior.     


[311]
2. Die Milchhexe.

Dass es Hexen gibt, weiss jeder, aber was die alles können, das weiss nicht ein jeder; auch eine Bäuerin in einem Dorfe bei Magdeburg sollte das einmal erfahren. Dieselbe hatte nämlich eine Kuh, welche sich vor den andern dadurch auszeichnete, dass sie stets noch einmal soviel Milch gab als die andern Kühe, auch war die Milch immer ganz besonders fett. Deshalb stellte sie die Milch von dieser Kuh auch immer in besonderen Satten auf.

Eines Tages kam eine andere Bäuerin zu ihr, von der man immer schon sagte, dass sie eine Hexe wäre. Als diese die aufgestellte Milch sah und bemerkte, dass einige Satten gesondert standen und dass auf der Milch in derselben der fetteste Rahm war, da sagte sie: „I wat hebben Ji doch dâ for scheene Melk, wenn ick doch ok man een mâl sonne Melk harre.“ Dann hielt sich die Bäuerin noch ein wenig auf und ging darauf nach Hause.

Der Bäuerin, welche die Kuh hatte, schwante gleich nichts Gutes, als ihr Besuch die Worte gesagt hatte, aber was sollte sie sich erst wundern, als die Magd am Abend nach dem Milchen zu ihr kam und sagte: sie wisse nicht, was das sei, die Kuh gebe keine Milch mehr und früher hätte sie doch die meiste gegeben. Nun wusste die Frau genau, woran sie war. Sie befragte sich also, was man gegen das Verhextsein thun könne, und als sie alles erfahren hatte, handelte sie danach. So ging sie denn zu der betreffenden Frau hin und bat diese um ein wenig Dill, da sie zu Hause keinen mehr hätte. Die Frau gab ihr auch den Dill. Darauf füllte sie den Herdkessel voll Wasser, machte Feuer an, warf in das Wasser den Dill und dazu Salz und Heukaff. Es währte nicht lange, so fing es im Kessel an zu kochen und bald schäumte es darin nur so. Aber die Bäuerin wusste Bescheid, füllte den Schaum stets mit dem Löffel ab und goss ihn zur Küchenthür hinaus. Nach einer Weile hob sie den Kessel vom Feuer und scheuerte mit dem Wasser, in welches sie den Dill, das Salz und das Heukaff gethan hatte, alle ihre Milchgefässe aus; das Wasser, womit sie das that, goss sie aber stets zur Thür hinaus.

Fortan gab ihre Kuh wieder die meiste und beste Milch im ganzen Dorfe, aber am seltsamsten war es, dass fortan die Kuh der Milchhexe keine Milch mehr gab, so dass sie dieselbe verkaufen musste.

Eberth.     


3. Die verhexte Kuh.

Einstmals hatte sich ein wohlhabender Häusler in einem Dorfe bei Magdeburg eine Kuh auf dem Markte in der nächsten Stadt gekauft. Als er die Kuh in seinem Stalle hatte, konnte er sich über den Kauf freuen, denn die Kuh war glatt und blank und frass tüchtig. Sie nahm auch zu und wurde immer besser im Stande. Als nun die Zeit kam, wo er sie zu dem Bullen führen musste, trieb er sie nach dem Gehöft, wo der Bulle war. Da begegnete ihm auf der Strasse eine alte Frau, von der es [312] hiess, dass sie eine Hexe sei. Als diese die Kuh erblickte, rief ihr dieselbe zu: „Det is also Jue Kue? Die hebben Ji wol ok for Mest und Drek ekoft. Wat fiddern Ji denn die erscht noch lange!“

Der Mann liess die Kuh bespringen, aber ein Kalb hat er von derselben nicht gehabt, denn von der Stunde an, wo die Frau das zu ihm gesagt hatte, nahm die Kuh so ab, dass er sie schlachten musste. Das war aber davon gekommen, dass die alte Frau die Kuh behext hatte.

Frau Adler senior.     


4. Das Totenhemd.

In einem Dorfe bei Leitzkau lebten einst zwei Schwestern. Es ging ihnen kümmerlich, denn sie spannen um Lohn für andere Leute. Das hatten sie viele Jahre hindurch gethan und waren dabei alt und grau geworden. Aber ganz ehrlich waren sie nicht gewesen, denn wenn sie von dem Flachse, welcher ihnen zum Spinnen gegeben war, etwas hatten bei Seite bringen können, so war das geschehen. Aus diesem so gewonnenen Flachs hatten sie das feinste Garn gesponnen und sich daraus Leinewand weben lassen die so fein war, wie Niemand solche im Dorfe hatte.

Eines Tages war eine von diesen Schwestern gestorben. Ihr Sterbehemd wurde aus dieser feinen Leinewand gefertigt. Am dritten Tage wurde sie begraben. Allein die Tote fand keine Ruhe im Grabe. Jeden Tag um die Zeit, wo es schummerig ward, öffnete sich leise die Thür zu dem Zimmer, in welchem ihre Schwester sass und spann, und dann sah dieselbe deutlich, wie ihre verstorbene Schwester im weissen Totenhemde in das Zimmer trat und in demselben unruhig auf- und abging. Nach einem Weilchen verschwand sie dann wieder. Zuletzt vermochte die noch lebende Schwester das nicht mehr zu ertragen. Sie ging zum Pastor und klagte diesem ihre Not. Der Pastor sagte, er wolle versuchen, der Toten die ewige Ruhe zu verschaffen.

Um die Dämmerungstunde stellte sich der Pastor bei der alten Spinnerin auch richtig ein. Er hatte die Bibel mitgebracht. Es währte auch nicht lange, so ging die Thüre leise auf, und die Verstorbene trat ein in ihrem weissen Totenhemde. Aber der Pfarrer schritt auf dieselbe zu, die Bibel in der Hand und redete sie mit den Worten an: „Irrer Geist, was willst Du?“

Darauf antwortete die Tote mit leiser Stimme: „Ich will mein ehrliches Hemd haben.“

Der Pastor stellte dreimal dieselbe Frage, und dreimal antwortete ihm die Tote mit denselben Worten, darauf ging sie schweigend zur Thür hinaus.

Nun aber gestand die Schwester dem Pastor alles, wie sie von dem Flachs etwas beiseite gebracht hätten und dass auch das Totenhemd aus dem Garn gewebt sei, welches sie aus diesem Flachs gesponnen hätten. Da blieb denn nichts übrig, als dass man das Grab öffnen und die Tote mit einem ehrlichen Hemde bekleiden musste. Sobald das geschehen war, hatte die Tote ihre Ruhe im Grabe.

Frau Adler sen.     


[313]
5. Die Totenbeschwörung.

Es gibt ein Buch, das nennt man den Charakter, und wer denselben hat, der kann mehr denn andere Menschen. So erzählte ein Bauer in einem Dorfe bei Magdeburg, dass er von seinem Vater oftmals und stets mit denselben Worten folgendes gehört habe.

Als er noch als junger Mann in einem Städtchen, nicht weit von Magdeburg, im Dienst gestanden habe, hätte er mit einem jungen Manne in seinem Alter Umgang gehabt. Er habe bald gemerkt, dass derselbe mehr könne als jeder andere. So wären einmal ihrer mehrerer von den jungen Leuten zusammen gewesen, an einem Sonntag Abend. Da sei das Gespräch darauf gekommen, ob man auch die Toten herbeirufen könne. Sein Bekannter habe gesagt, das sei möglich und er wolle es ihnen zeigen. Mittlerweile sei es spät geworden, aber der Betreffende habe sie immer noch hingehalten, bis es elf geschlagen hätte. Dann habe er einen Jeden von ihnen gefragt, welchen Toten er sehen wolle. Da hätte denn der eine diesen, der andere jenen von seinen Bekannten genannt, die gestorben waren. Darauf hätten sich alle im Kreise um seinen Bekannten herumsetzen müssen. Dann habe er ein Buch genommen und darin gelesen. Das Buch aber sei ein Charakter gewesen. Er habe gar nicht lange in dem Buche gelesen, da habe sich die Thüre aufgethan und dann sei ein Toter nach dem andern hereingetreten, deutlich erkennbar, und zwar in der Reihenfolge, wie ihre Namen früher angegeben seien. Die Toten seien um sie im Kreise herumgegangen und zwar so dicht an ihnen vorbei, dass dieselben sie fast gestreift hätten. Da hätten ihnen vor Angst die Haare zu Berge gestanden. Nun aber seien alle Toten im Zimmer gewesen, die sie zu sehen gewünscht hätten. Als kein Toter mehr gekommen wäre, habe der, welcher sie gerufen hatte, den Charakter rückwärts gelesen. Darauf hätten sich die Toten langsam wieder aus dem Zimmer entfernt. Sie hätten noch ein Weilchen wie erstarrt auf ihren Plätzen stillgesessen, dann aber gemacht, dass sie zur Thür hinausgekommen wären. Fortan hätten sie nicht mehr begehrt, von solchen Dingen etwas zu wissen.

Richter.     

Anmerkungen (Wikisource)

Die Sagen sind auch als Einzeltexte verfügbar unter:

  1. Die Hexe unter dem Birnbaum
  2. Die Milchhexe
  3. Die verhexte Kuh
  4. Das Totenhemd
  5. Die Totenbeschwörung