Zum Inhalt springen

Schleissheim (Meyer’s Universum)

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
CCCLXVI. Gran in Ungarn Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Achter Band (1841) von Joseph Meyer
CCCLXVII. Schleissheim
CCCLXVIII. Das Amphitheater zu Segovia in Spanien
  Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal Korrektur gelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
[Ξ]

SCHLEISSHEIM BEI MÜNCHEN

[111]
CCCLXVII. Schleissheim.




Zwei Stunden von München liegt das Schloß Schleißheim. Früher war’s ein Lusthaus der bayerischen Fürsten; jetzt ist’s ein Tempel der Kunst. Die Schleißheimer Gemälde-Gallerie ist nächst der in der Pinakothek zu München die größte und werthvollste Kunstsammlung im südwestlichen Deutschland.

Das Gebäude selbst, obschon es lange Zeit ein Gegenstand der Bewunderung der Kenner war, ist nur ein Beleg für die Verdorbenheit des Geschmacks, welche mit den Jesuiten im 16. und 17. Jahrhundert aus Italien über die Alpen hereinbrach. An die Stelle des deutschen Baustyls trat damals der verschrobene italische. Das Vorurtheil der Architekten (sie waren fast ausschließlich Italiener), der sogenannten Kunstkenner, der Fürsten als Beschützer der Künste, die Gewalt der Mode endlich, setzten überall den deutschen Styl ab und herab. Fast alle Schriftsteller jener Zeit wetteiferten, ihn zu schmähen, und dieß fand um so leichter Eingang, als auch die Tonangeber für Schönheitsbegriffe, die Franzosen, damit übereinstimmten. Viele der edelsten Monumente der gothischen Baukunst wurden niedergerissen und Ausgeburten des Ungeschmacks traten an ihre Stelle. Wo man nicht niederreißen konnte, wurde wenigstens verstümmelt. Die meisten Baumeister der damaligen Zeit waren in der That bloße Bauverderber. – So wenig nun auch Schleißheim seines Styls wegen Lob verdient, so ist doch die innere Einrichtung großartig. Das Vestibül und die Treppenanlagen sind schön, die Säle und Zimmer [112] von guten Verhältnissen. Man erkennt, daß sein Baumeister, indem er das Aeußere des Palastes der Mode anpaßte, von den Fesseln seines Zeitalters frei, viel Würdigerers geleistet haben würde.

Den Besucher des Schlosses empfängt eine sehr schöne, von acht hohen Marmorsäulen getragene Halle. Zwei Gemälde von Peter Candid sind hier angebracht: Symbole der Monarchie und der Wissenschaft.

Hohe Flügelthüren öffnen zum Eintritt in den großen Speisesaal. Dort hängen die lebensgroßen Bilder des bayerischen Regentenhauses: viele von guten, einige von berühmten Künstlern. Eine prachtvolle Marmortreppe, leider nicht ganz vollendet, führt in das erste Geschoß des Palastes und zum großen Bankettsaale, den 20 schlanke Bogenfenster erhellen. Sein Boden ist mit Marmor getäfelt. Große Gemälde aus der bayerischen Geschichte füllen die Wände; und jene des folgenden Raums, des Siegessaals, Schlachtengemälde vom Meister Beich: die Treffen des Churfürsten Max Emanuel, denen der Künstler selbst beigewohnt hatte. Nun folgt die eigentliche Gallerie: – gegenwärtig 1500 Bilder in einigen fünfzig Sälen und Zimmern zählend. Sie nimmt die ganze ehemals kurfürstliche Wohnung und einen Theil der Räume ein, die der höhern Dienerschaft angewiesen waren.

Dieser kostbare Gemäldeschatz ist hauptsächlich unter der Regierung Königs Max angehäuft worden. Als dieser gütige und lichtfreundliche Monarch das Lichtscheue in seinem Lande austilgte, die Schulen reformirte und die Klöster aufhob, gelangten aus den geistlichen Stiftern und Abteien die dort bewahrten bessern Gemälde in die königlichen Sammlungen, und ein Theil des Kunstreichthums, der in der Residenz allein nicht unterzubringen war, kam, auf Anrathen des damaligen Galleriedirektors Mannlich, in das Schleißheimer Schloß. Vorzüglich waren es die älteren Bilder, welche hier aufgestellt wurden, und zwar so, daß das Streben, Irren, Einlenken und Fortschreiten der älteren deutschen Kunst in fast ununterbrochener Zeitfolge dem Beschauer vor Augen trat. Durch diese Anordnung wurde für das Wiedererkennen und würdigen der altdeutschen Kunstschätze recht eigentlich die Bahn gebrochen. Unter einer Anzahl von 500 Gemälden der frühesten Meister, die hier vereinigt waren, fand sich nicht ein einziges Bild als Copie oder Wiederholung. Voller Verwunderung sah man jetzt, wie Deutschland zu einer Zeit, in der man die Nation in Barbarei und Unwissenheit versunken glaubte, auf seinem Boden die köstlichsten Blüthen der Kunst in Menge entfaltet hatte, ebenbürtig den herrlichsten, welche zur nämlichen Periode auf italischem Grunde sproßten, ja diese in vieler Beziehung und an Mannichfaltigkeit und Menge noch übertreffend. Was König Max für die Zusammenstellung und das Verständniß der alt-oberdeutschen Malerschule wirkte, thaten mit nicht minderem Verdienste für die Kunstgeschichte gleichzeitig die Gebrüder Boisseree in Cöln für die alt-niederdeutsche, und als deren Sammlung vom Könige erworben und ebenfalls nach Schleißheim (jetzt in der Pinakothek) kam, war nun der reichste Stoff zur Vergleichung vorhanden, welche zu den [113] interessantesten Entdeckungen hinleitete. Die Vereinigung beider Schätze galt damals als ein Ereigniß, wie seit Jahrhunderten keines die Kunstwelt bewegt hatte. Kunstrichter und Freunde der Kunst pilgerten in Menge nach Schleißheim und berichteten (Göthe zuerst!) mit unbegrenztem Enthusiasmus über die glänzende Wirkung, welche die Zusammenstellung der Meisterwerke altdeutscher Kunst hervorbrachte. Beide Schulen zeigten eine selbstständige, eigenthümliche Entwickelung, die in Martin Schön für die oberdeutsche, in van Eyk für die niederdeutsche ihre Culminationspunkte hatten. Namen, die früher kaum gewürdigt waren, oder matte, zweideutige Strahlen geworfen hatten, wie Hans Holbein, der Vater, und Wohlgemuth, der Lehrer Dürer’s, etc. etc. sind am Kunsthimmel seitdem als Sterne erster Größe anerkannt und den niederdeutschen Meistern, Wilhelm von Cöln, Hemling und Schoreel, nahe gestellt worden.

Die Boisseree’sche Sammlung verdoppelte den Schleißheimer Schatz durch 200 Bilder. Er umfaßte fortan den Gang der gesammten deutschen Malerkunst vom dreizehnten bis zum sechzehnten Jahrhundert, bis zu dem Zeitpunkte also, wo mit Dürer in Deutschland ebenso eine neue Periode anhob, wie in Italien gleichzeitig mit Raphael. – An die Bilder der alten, niederdeutschen Schule, welche in Schleißheim durch die schönsten Tafeln der Kölner Meister repräsentirt war, schlossen sich die Gemälde der Zeitgenossen, Schüler und Nachfolger in den Niederlanden und in Westphalen an; der ernste van der Goes, der charaktervolle Israel von Mecheln, der erfindungsreiche Hemling, Quintin Messis, Cornelius Engelbrechtsen, der ernste Walter van Assen und viele andere. Den Schluß des Cyklus machten die Tafeln des großen Lucas von Leyden, als unerreichbare Vorbilder zarter Ausführung; ferner die des vielseitigen, kraftvollen Mabuse, des zarten, gemüthvollen Schoreel, Calcars edle Compositionen, und die des begabten Bernhard von Orley. Gleichzeitig wurde die Schleißheimer Gallerie, theils durch glückliche Erwerbungen des jetzigen Königs, theils durch Versetzung aus andern königlichen Sammlungen mit Werken des jüngern Holbein (welcher das Bildniß auf die höchste Staffel des Ruhms hob), und des genialen, vielseitigen, wahrhaft großen Dürer bereichert, jener Meister, welche, als zwei Sterne erster Größe, den Glanz und den Ruhm der oberdeutschen Malerei gleichsam concentrisch in sich aufnahmen, und noch in folgende Jahrhunderte hinüberstrahlen. Um ihre Tafeln reihete man die der auch gefeierten Zeitgenossen: Hans Burgmayr, Hans Baldung Grün, Hans von Culmbach, Lucas Cranach, des phantasiereichen, vielseitigen, romantischen Altorffer, des scharfsinnigen Grünwald, der Behams und des Georg Penz. Es ließe sich über diesen (seit der Eröffnung der Pinakothek theilweise in München zu schauenden) Cyclus altdeutscher Gemälde, wie er wohl nie wieder so zusammenkommen wird, ein Werk schreiben, und nur mit Ueberwindung kann ich der Versuchung widerstehen, meinen Lesern auch Einzelnes von so viel Trefflichem zu beschreiben. – [114] Der Bilderschatz der ausländischen Schulen war in Schleißheim ebenfalls groß; seit einigen Jahren ist inzwischen manches Hauptbild in die Pinakothek versetzt worden. Weltberühmte Tafeln sind: von Rubens: das Jüngste Gericht, zeugend von des Meisters Allgewalt; ferner Tintoretto’s große Kreuzigung in der Kapelle; das Dreikönigsfest (le roi boit) von Jordaens. Alle großen Meister der flamändischen und holländischen Schule zeigen sich hier durch würdige Werke; so die Landschafter: Ruysdael, Pinnacker, Booth, Sachtleeven, Backhuysen, Waterloo, Wynants, K. van der Velde, Berghem; die Genremaler Ostade, Brouwer, Mieris, die drei Breughels und die beiden Teniers: Treffliches sieht man von den Portraitmalern van Dyck, Miereveld, Crayer, Kessels, Hals; von den Thiermalern: Hondekoeter, Weenix; Schönes von Rembrandt, Peter de Laar; ferner von den Schlachtenmalern Wouvermann, Courtois, Rugendas.

Von einigen großen Meistern der Italiener besitzt Schleißheim Bedeutendes; so von Tizian, P. Veronese, Tintoretto, Guido Reni, Luca Giordano; ferner von Correggio, Giulio Romano, Garafolo, Da Vinci, Giorgione. Aus der französischen Schule hat es ein paar Claude und kostbare Callots (den bethlehemschen Kindermord) und Philipp Le Clerks. Der hiesige, sonst so berühmt gewesene Raphael, eine heilige Familie, (für den der kurfürstliche Käufer 28,000 Gulden und eine bedeutende Leibrente gegeben hatte), hat sich als unächt ausgewiesen. Es ist eine Copie, und überdies eine aus später Zeit. Wie viele gefeierte Gemälde in großen Gallerien, die den Namen Raphaels tragen, mögen keine bessere Abstammung haben, als dieses! –