Schrift und Schrifttum:24

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anzugelangen; man sieht leicht, daß das Bedürfnis der Kursive, die Buchstaben unter einander zu verbinden, diese Aenderung bewirkt.

Noch sei auf einige Erscheinungen, die z. T. nicht ohne weiteres erkannt werden können, hingewiesen. C wird in der Schreibschrift von allem Anfang an in 2 Strichen ausgeführt, einem größeren, an den der kleinere oben angesetzt wird; der Berührungspunkt beider ist zugleich ihr Ausgangspunkt. Diese Eigenschaft ist vom C auch auf das im 4. Jahrhundert v. Chr. aus ihm abgeleitete G übergegangen das seinerseits 3 Striche hat; die seltsamen, oft an Z erinnernden Formen der jüngeren Kursive und Halbunciale sind auf diese Weise zu erklären. K ist im lateinischen außer für kalendae fast nur bei Fremdwörtern gebraucht; seine Formen sind im 18. Jahrhundert und bis in das 19. besonders phantastisch und oft schwer zu erkennen. E ist in der Schreibschrift von ähnlicher Zusammensetzung wie C und G. Der Ausgangspunkt seiner 3 Striche ist da, wo sie alle sich über der Mitte treffen. Die allmähliche Entwicklung dieses Buchstabens ist besonders eindrucksvoll. Zu allen Buchstaben mit Ober- und Unterlängen ist zu bemerken, daß sie in späteren Handschriften in der Regel sehr stark nach rechts geneigt sind. In den Schriftproben finden sich mehrfach solche Beispiele. In den Tafeln ist es abgesehen von wenigen Ausnahmen raumeshalber nicht zur Darstellung gebracht.

Tafel XXIV führt eine Probe der Ligaturen der jüngeren römischen Kursive vor, die besonders die Bildung von C und E klar erkennen läßt. Außerdem bringt sie einige Beispiele aus dem 16. Jahrhundert, an denen besonders die Schwierigkeiten des Namenlesens deutlich werden, und Proben von römischen Zahlen des 16. Jahrhunderts. Die Tafeln XXV bis XXVII geben in einer gewissen Verkleinerung Beispiele von Rodel, Urbar und Lagerbuch.

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Zu Beschäftigung mit den handschriftlichen Quellen füge ich (für den, der ihrer bedarf) einige Ratschläge aus der Praxis bei.

1. Man lasse sich nicht verführen zu raten. Das ist ein gefährliches Hilfsmittel und führt leicht in die Irre.

2. Man brüte nicht allzulange über einer schwierigen Stelle oder einem schwer leserlichen Wort. Besser ist, sich die Stelle zu merken und zunächst ruhig weiter zu arbeiten. Entweder wird irgend ein später vorkommender Ausdruck die Lösung des Rätsels an die Hand geben oder wird sich diese von selbst einstellen, wenn man etwa nach einer Stunde oder am folgenden Tag die schwierige Stelle von neuem vornimmt.

3. Ist ein einzelner Buchstabe zunächst fremdartig, so blättere man weiter, ob er nicht an anderer Stelle wiederkehrt, wo die Deutung naheliegt.

4. Bei Benützung der „Schriftproben“ ist zu empfehlen, zuerst eine eigene Abschrift des alten Textes zur Linken anzufertigen ohne die Reinschrift zur Rechten zu Rate zu ziehen. Man erhält dadurch Gelegenheit, aus etwaigen Fehlern zu lernen oder sich zu freuen, wenn der Versuch fehlerlos gelingt.

Gebhard Mehring: Schrift und Schrifttum
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