Schrift und Schrifttum

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Textdaten
Autor: Gebhard Mehring
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Titel: Schrift und Schrifttum
Untertitel: Zur Einführung in archivalische Arbeiten auf dem Gebiet der Orts- und Landesgeschichte
aus: Schwäbische Volkskunde Bd. 7
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Erscheinungsdatum: 1931
Verlag: Silberburg
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Erscheinungsort: Stuttgart
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Quelle: Scans auf Commons
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Inhaltsverzeichnis (WS)

Inhalt
  • 36, 37 III. 1. Die Hilfsmittel
    Allgemeines / Verfassungs-, Rechts- und Wirtschaftsgeschichte / Münz, und Geldwesen / Maß und Geweichte
  • 38, 39
  • 40, 41 2. Die 27 Schrifttafeln / Ratschläge für die Praxis / Übersicht der Tafeln
  • 42, 43
  • 44, 45
  • 46, 47
  • Tafeln I-XXVII


[1]

WS: Verlags-Logo


Verlag Silberburg
Stuttgart

[2]

Schwäbische Volkskunde

Bisher sind erschienen


Erstes Buch:

August Lämmle, Der Volksmund in Schwaben, 1. Reihe


Zweites Buch:

August Lämmle, Die Volkslieder in Schwaben, 1. Reihe


Drittes Buch:

Rudolf Kapff, Schwäbische Geschlechtsnamen


Viertes Buch:

Karl Bohnenberger, Die Mundarten Württembergs


Fünftes Buch:

Erich Seemann, Die Volkslieder in Schwaben, 2. Reihe


Sechstes Buch:

Walther Lang, Die Flurnamen von Neuhausen ob Eck


Siebtes Buch:

Gebhard Mehring, Schrift und Schrifttum

[3]

Schrift und Schrifttum

[4]

Schwäbische Volkskunde


Im Auftrag

des württembergischen Kultministeriums

herausgegeben von


August Lämmle


Siebtes Buch


1931


Verlag Silberburg in Stuttgart

[5]

Schrift und Schrifttum


Zur Einführung

in archivalische Arbeiten auf dem Gebiet der

Orts- und Landesgeschichte von


Gebhard Mehring


Mit 27 Tafeln


1931


Verlag Silberburg in Stuttgart

[6]

Alle Rechte vorbehalten
Druck der Industrie-Verlags- und Druckerei-Gesellschaft, Stuttgart

[7]

Für die im Jahr 1927 durch das Landesamt für Denkmalpflege in Gang gebrachte wissenschaftliche Sammlung der Flurnamen in Württemberg war von Anfang an auch eine umfassende Durcharbeitung archivalischer Ueberlieferung in Aussicht genommen. Es war aber zugleich vorauszusehen, daß von den Bearbeitern nur wenige mit archivalischen Arbeiten vertraut sein würden. An Stelle eines förmlichen Lehrgangs, der auch bei größerem Zeitaufwand kein vollkommenes Ergebnis versprochen hätte, regte nun die Archivdirektion an, den Bearbeitern eine gewissen Anleitung zu geben, um sich selbst in den Stoff einzuarbeiten. In ihrem Auftrag habe ich am 12. April 1928 vor den für die Flurnamensammlung bestellten Obmännern eine dreistündige Vorlesung „zur Einführung in Schrift und Schreibweise der Lagerbücher und Urkunden“ gehalten. Den Teilnehmern waren dazu die von mir ausgewählten vom Flurnamenarchiv des Landesamts für Denkmalpflege herausgegebenen „Schriftproben aus Urbaren und Lagerbüchern des 14. bis 18. Jahrhunderts im Württ. Staatsarchiv, Verlag Silberburg in Stuttgart 1928“, in die Hand gegeben worden, in denen dem alten Schriftbild der Quellen jeweils die buchstabengetreue Uebertragung in heutige Schriftform gegenübergestellt ist.

Aus diesem Vortrag ist die vorliegende Schrift mit ihren Tafeln erwachsen. Sie wendet sich nicht allein an die Flurnamensammler, sondern an alle, die in archivalischer Kleinarbeit an Orts- und Landesgeschichte tätig sein wollen. Sie will keineswegs in allem unterrichten, was man dazu braucht, sie will nur die Wege zeigen, auf denen das, was nötig ist, gefunden und zu eigen gemacht werden kann.

G. M.

[8]

Inhalt

I. Die Schrift 9
II. Das Schrifttum 24
II. Die Hilfsmittel
1. Allgemeines / Verfassungs-, Rechts- und Wirtschaftsgeschichte / Münz- und Geldwesen / Maß und Gewicht 37
2. Die 27 Schrifttafeln / Ratschläge aus der Praxis / Uebersicht der Tafeln 41
Tafel I-XXVII 48
[9]
I. Die Schrift.

Heutzutage wird in der Schule nach sorgfältig ausgedachtem und vielerprobtem Verfahren das Schreiben auf Grund einheitlicher zweckmäßiger Vorschriften gelehrt. Aber noch ehe die Kinder die Schule verlassen, zeigen sich Unterschiede in ihrer Schrift, die auf Verschiedenheiten des Charakters und der Geschicklichkeit zurückzuführen sind. Wie große Unterschiede später die Handschriften der Erwachsenen zeigen, ist bekannt. In früheren Jahrhunderten bestand keine solche einheitliche Schreibvorschrift, wie wir sie noch gar nicht so lange besitzen. Die Schriften unterscheiden sich zunächst nach ihrer Zweckbestimmung. Die Inschrift auf Stein erfordert klare in die Ferne wirkende Formen. Die Buchschrift bewahrt den Charakter strenger Regelmäßigkeit, um leichter lesbar zu sein. Die Verkehrsschrift soll schnell zu schreiben sein und braucht weder Schönheit noch Regelmäßigkeit. Alle Schriften sind in besonderem Maß von der Art des Schreibstoffs abhängig. Auf Wachs schreibt man anders als auf Papyrus, Pergament, das seit dem 4. Jahrh. n. Chr. an die Stelle des Papyrus tritt, läßt auch kräftigere Züge zu und das Papier, das bei uns nicht vor dem 14. Jahrhundert nachzuweisen ist, fördert letzten Endes die Vielschreiberei, die der Lesbarkeit nicht günstig ist. Jede Schreibstube pflegt die Schrift nach ihrer besonderen Manier, die kaiserliche, die päpstliche Kanzlei, seit dem 8. und 9. Jahrh. besonders die Klöster, neben ihnen später die Kanzleien geistlicher und weltlicher Fürsten, die Städte, und früh private Schreiber und öffentliche Notare, auch öffentliche und private Schulen, seit dem 16. Jahrh. bei uns besonders die Modisten (die den modus scribendi lehren) als vielseitige Schreibkünstler. Der ganze Stil der Schrift ändert sich mehrfach im Laufe der Jahrhunderte mit geschichtlichen Ereignissen und Umwälzungen und unter dem Einfluß wechselnder Kunstrichtungen. Der Uebergang von der Majuskel zur Minuskel, von der nur aus Großbuchstaben bestehenden Schrift zu der aus Kleinbuchstaben, schließlich zur Kursive, wie wir sie haben, aus Groß- und Kleinbuchstaben sinnvoll [10] gemischt, vollzieht sich unter diesen Einflüssen. All das bewirkt immer wieder neue Verschiedenheiten in der Gesamterscheinung und in der Gestaltung des Einzelnen. Schließlich war zu jeder Zeit die Handschrift vom persönlichen Wesen und Charakter beeinflußt, und zwar um so mehr, je größer die Vielschreiberei ist.

Niemand kann ernstlich hoffen, die alten Schriften alle zu entziffern und ohne Irrtum zu lesen, wenn er nicht mit der Geschichte unserer Schrift und mit dem Werdegang der einzelnen Buchstaben einigermaßen vertraut ist. Von besonderem Vorteil wird es sein, sich aus der geschichtlichen Entwicklung jeweils über den Zug, in dem die Feder den Buchstaben ausgeführt hat, klar zu werden. Denn nur dadurch ist es möglich, die einzelnen begegnenden Formen entweder auf die heutige Gebrauchsform oder auf die bekannte Urform zurückzuführen und damit richtig zu deuten.

Es ist bekannt, daß die Schrift von den Phönikern zu den Griechen, von diesen zu den Römern und von den Römern zu uns gekommen ist. Für uns ist nicht nötig, weiter als bis zu den Römern zurückzugehen, obgleich auch die ältere Geschichte manche Erscheinung zeigt, die auf die spätere Entwicklung ein Licht werfen kann.

Aus dem Römerreich ist eine ganze Reihe verschiedener Schriftformen überliefert. An erster Stelle steht verdientermaßen die große Monumentalschrift, littera oder capitalis quadrata genannt, jene kraftvollen feierlich schönen Buchstaben, die uns allen als die Großbuchstaben der lateinischen Druckschrift geläufig sind. Dieses Alphabet, eine Majuskel, hat seine vollendete Gestalt noch im letzten Jahrhundert v. Chr. erhalten (Tafel I a). Es war von Haus aus nicht Schreibschrift, sondern diente für Inschriften auf Stein und Metall, zur Ausführung in großen Formen. Wohl hat man es auch zur Vervielfältigung von Büchern verwendet, doch in den echten Formen der quadrata, wie es scheint, erst spät und nur auf Pergament, auch nur für die großen Dichter (z.B. Vergil und Plautus). Im allgemeinen verlor es in der Hand des Schreibers viel von seiner strengen Regelmäßigkeit; [11] auf Papyrus kann es nur in zarten Strichen ausgeführt werden und nimmt eine Zierlichkeit an, die seinem Wesen fremd ist. Man empfand diese Veränderungen als unschön und grob und nannte deshalb die geschriebene Form der Kapitalis bäurische Schrift, littera rustica (Taf. I b). Als dritte Form der Majuskel entstand die Unciale (Taf. I e), deren erste Spuren schon im 2. und 3. Jahrhundert zu finden sind, die aber fertig erst im 4. Jahrhundert auftritt. Ihre höchste Vollendung hat sie erst lange nachher erreicht, als die fränkischen Gelehrten Karls des Großen die alten Schriftzeichen erneuerten; sie wird die eigentliche Prunkschrift des Mittelalters. Die Unicale rundet die eckigen Formen der Kapitalis zum Zweck leichterer Ausführung mit dem Schreibrohr; sie ist als Bücherschrift entstanden, aber nicht unmittelbar aus der Kapitalis, sondern aus der sog. älteren Kursive. Sie ist ursprünglich ein Versuch, die vereinfachten Formen der Kursive für die Neubelebung der Majuskelschrift zu verwenden. In der Wirkung ist sie eine Etappe auf dem Weg zur reinen Minuskel.

Neben der Monumentalschrift und noch vor deren höchster Vollendung hatten die Römer, wie vor ihnen die Griechen, eine Schrift für den täglichen Gebrauch, zu Aufzeichnungen im geschäftlichen Verkehr, die nicht wie die Schrift auf Stein für die Ewigkeit bestimmt war. Diese Verkehrsschrift ist von Anfang an eine Schreibschrift und sie ist eben darum für die weitere Entwicklung von ungleich größerer Bedeutung gewesen, als die littera quadrata. Die ältesten Zeugnisse ihres Daseins stammen allerdings erst aus dem ersten Viertel des 1. Jahrh. vor Chr. Aber sie tritt da bereits mit einzelnen Formen auf, die eine frühere Entstehung voraussetzen. Als Notizbuch wie als Unterlage für Geschäftsurkunden dient die Wachstafel; im weichen Wachs werden die Schriftzeichen mit dem Stilus, dem Griffel, eingeritzt, hat die Notiz ihre Bedeutung verloren, so kann sie mit dem stumpfen Ende des Griffels ausgetilgt und das Wachs zu neuer Verwendung wieder geglättet werden. Auf dem zähen Wachs kann nur in einzelnen Strichen geschrieben werden, die möglichst im Zug von oben nach unten auszuführen sind; in solche einzelne Striche [12] wird also der Buchstabe aufgelöst, soweit das irgend angeht. Das ist die Form der Verkehrsschrift, die uns als älteste überliefert ist in pompejanischen Wandkrizeleien aus sullanischer Zeit; daß sie darum unbedingt als älter anzusehen sei gegenüber der Form der Papyri, die erst aus dem 1. Jahrh. n. Chr. erhalten sind, ist damit nicht gegeben. Denn es ist wohl möglich, die Formen der Wachstafeln aus denen der Papyri zu entwickeln, aber nicht umgekehrt. Die Schrift der Papyri aber ist es, aus der die Uncialis entstanden und die für die weitere Entwicklung die Grundlage geworden ist.

Diese ältere römische Kursive (Taf. I c, 166 n. Chr. Vgl. auch Tafel VI und VII) ist noch Majuskel, enthält aber gerade in ihren ältesten Bestandteilen schon einzelne Minuskelformen (b, d, h). Zur reinen Minuskel wird die Verkehrsschrift in der jüngeren römischen Kursive (Taf. I d), die aus dem 6. Jahrh. unserer Zeitrechnung überliefert ist. Sie ist Minuskel, indem sie das System der Ober- und Unterlängen aufnimmt und weiterführt, und ist zugleich ausgesprochene Kursive, indem sie reichlichen Gebrauch macht von Ligatur, der Verbindung der Buchstaben unter einander, in einem Maße, das die einzelnen Schriftzeichen vielfach fast unkenntlich werden läßt (Taf. XXIV a).

Wie nahe die Unciale als reine Schreibschrift ungeachtet ihres Majuskelcharakters der Kursive und der Minuskel steht, zeigt sich auch darin, daß sie früh mit beiden gemischt wird. Das Alphabet, das man als Halbunciale (Taf. I f, 6. Jahrh.) bezeichnet, ist reine Minuskel und man kann zweifelhaft sein, ob die dem Uncialcharakter am nächsten stehenden Buchstaben in Wirklichkeit nicht doch unmittelbar aus der Kursive stammen. Nur die Gestalt des M spricht für Entstehung aus der Unciale. Das Verdienst dieser Schriftform der Halbunciale ist, daß sie den ersten konsequenten Versuch macht, das Verhältnis der Ober- und Unterlängen zu regeln, das Vierlinienschema herzustellen, das die älteren Schriften noch nicht erreicht hatten. Wie sehr durch die damit gegebene Gliederung die Lesbarkeit gefördert wurde, liegt auf der Hand. [13] Der Zerfall des Römerreiches raubte der Stadt Rom die alte Stellung als Mittelpunkt alles Geschehens. In den neu entstehenden Teilreichen schuf das Christentum mit der Gründung von Klöstern neue Mittelpunkte des Wissens; diese werden Hüter des alten Schrifttums, sie bewahren die Kunst des Schreibens und bilden die Schrift weiter aus. So entstehen aus Unciale, Halbunciale und jüngerer Kursive eine Reihe von selbständigen Schriftformen eigenen Charakters, die man Nationalschriften (irisch-schottisch, langobardisch, altitalienisch, merowingisch u. a.) zu nennen pflegt. Ihre Vielheit und Verschiedenheit mußte aber der Verbreitung der in ihnen geschriebenen Bücher Eintrag tun und war auch dem schriftlichen Verkehr hinderlich. Darum faßte im neuen Weltreich Karls des Großen, dem die Pflege der Wissenschaft besonders am Herzen lag, der Kreis der um diesen Herrscher versammelten Gelehrten den Entschluß, der Schriftverwilderung ein Ende zu bereiten und eine übersichtliche, leicht leserliche und leicht zu schreibende Schrift wiederherzustellen. Man schuf nichts Neues, man griff auch nicht einfach auf alte Formen zurück, sondern man verbesserte die gebräuchliche Schrift nach Grundsätzen, die aus den alten schönen Formen, vor allem der Unciale und Halbunciale, geschöpft waren. Die merowingische Buchschrift war aus der Halbunciale erwachsen, ihre Urkundenschrift aber aus der jüngeren Kursive, deren Ligaturen sie noch weiter zur Unleserlichkeit entwickelt hatte. Jetzt wurden die Ligaturen aufgelöst, man stellte die Buchstaben wieder geordnet neben einander, gestaltete sie kalligraphisch aus und hielt streng auf Gleichmäßigkeit aller Ober- und Unterlängen, was dem Vierlinienschema entspricht. Die so entstandene karolingische Minuskel (Taf. I g, 9. Jahrh.) ist aber nicht etwas, was von Anfang an gleich fertig auftritt und gewissermaßen als Vorschrift in das Reich hinausgeht. Nur der Geist, in dem die Reform durchgeführt wird, ist einheitlich, die Ausführung vollzieht sich selbständig an den verschiedensten Punkten in den klösterlichen Schreibstuben. Darum ist von [14] Anfang an das, was man karolingische Minuskel heißt, nicht so gleichmäßig wie etwa die römische Monumentalschrift, die, nachdem sie in der Hauptstadt entstanden war, überall in der Provinz übernommen und nach bestem Können ausgeführt wurde. Die Hauptsache ist überhaupt weniger die einzelne Form, als der Gesamtcharakter des Schriftbilds, wie ihn die Selbständigkeit des einzelnen Zeichens, die deutliche Trennung der Worte, die Einschränkung von Wortkürzungen und Ligaturen hervorbringt. Man rechnet als Zeit der karolingischen Minuskel vom Ende des 8. bis zum Ende des 12. Jahrhunderts, bis zur Entstehung der gotischen Schrift. In diesen 4 Jahrhunderten hat sie eine Fülle von Typen, die nicht nur durch die Persönlichkeit des Schreibers verschieden sind, hervorgebracht, vereinigt vor allem durch den gemeinsamen Vorzug der eben angeführten Tugenden. So findet sie nicht nur als Buchschrift Verwendung, sondern ebenso in den Privaturkunden der ältesten Klöster; nur die Urkundenschrift der kaiserlichen Kanzlei geht noch lange ihre eigenen Wege.

Als letzte Variante der karolingischen Minuskel ist die gotische Minuskel zu betrachten, die zeitlich etwa mit der Entstehung des gotischen Baustils zusammenfällt. Sie übernimmt die Formen der karolingischen Minuskel, aber statt der Rundungen mit Bögen setzt sie Ecken und Winkel. Ihre Buchstaben werden schlanker und höher, rücken näher aneinander und sind enger miteinander verbunden. Sie führt damit die von der karolingischen Minuskel begonnenen Verbesserungen durch.


Es ist uns heute etwas ganz Selbstverständliches, Groß- und Kleinbuchstaben in ein und demselben Text nach bestimmten Regeln nebeneinander zu verwenden. Das geht auf Anfänge in der irischen und angelsächsischen Schrift seit dem 7. Jahrhundert und in Nachahmung dessen in der Frühzeit der karolingischen Minuskel zurück. Bis dahin hatte niemand daran gedacht, in solcher Weise nach bestimmten [15] Regeln Majuskel und Minuskel zu mischen. Denn wenn auch mit Ausnahme der capitalis quadrata und rustica jedes Alphabet aus einer Mischung von Majuskel und Minuskel bestanden hatte, so waren doch innerhalb eines Alphabets alle Buchstaben gleichwertig, keiner konnte eine bessere Geltung vor den andern beanspruchen, auch wenn er von der Majuskel herkam. In den Handschriften wird nie der Versuch gemacht, durch Betonung eines bestimmten Buchstabens ein Wort besonders hervorzuheben. Höchstens zur Bezeichnung eines Teilabschnitts wird gelegentlich der Anfangsbuchstabe (daher Versalien, von versus = Zeile) vergrößert herausgerückt. Jetzt aber, da man die alten Schriften gewissermaßen neu entdeckt hatte und von ihrer Schönheit entzückt war, hatte man den Wunsch, mit ihnen die neuen Codices zu verzieren. Daraus entstand das Bedürfnis, auch zur Gliederung des Textes in Abschnitte und Sätze, zur Hervorhebung von Namen, ausgezeichnete Buchstaben zu verwenden. Dazu boten sich als vorzüglich geeignet die Alphabete der alten Majuskeln dar. Wo diese dem Zweck nicht ganz zu entsprechen schienen, wo sie namentlich im Innern des Textes und der Zeilen fremdartig wirken mochten, fing man an, einzelne Minuskeln als Anfangsbuchstaben, besonders von Namen, zu vergrößern, vielleicht auch durch gewisse Zutaten und Aenderungen herauszuheben. Damit waren die Anfänge für ein neues Alphabet von Großbuchstaben der Minuskel gegeben, das jedoch erst von der gotischen Minuskel fertig gestaltet worden und heute noch in unsern deutschen Großbuchstaben der Druckschrift erhalten ist. Bezeichnend ist der Reichtum der Formen, der auf die ursprüngliche Zweckbestimmung als Zierde des Schriftbilds zurückzuführen ist. Eine Vorstellung von diesem Reichtum gibt die Beobachtung, daß in den Drucken des 15. Jahrhunderts, den sog. Wiegendrucken, über 250 verschiedene Formen des M gezählt werden, die der Wissenschaft heute dazu dienen, die Drucke und die Drucker zu unterscheiden und zu datieren.

Wie man ferner die Notwendigkeit erkannt hatte, zu besserer Klarheit und Lesbarkeit die Wörter deutlich von einander [16] zu trennen, so fing man auch an, Sätze und Satzteile durch besondere Zeichen zu unterscheiden. In der Regel ist wohl der Punkt das Zeichen der großen Pause, doch fällt diese nicht notwendig mit dem Satzende zusammen, namentlich wenn der Satz lang ist, und es gibt in lateinischen wie in deutschen Texten Sätze, die über eine Folioseite und weiter gehen; manche große Urkunde besteht nach kurzer Einleitung bis zu den Schlußformeln nur aus einem einzigen endlosen Satz. Aber es ist in der karolingischen so wenig als in der gotischen Minuskel wirkliche Gleichmäßigkeit der Zeichensetzung zu erkennen. Das 13. Jahrh., das erste der gotischen Schrift, scheint im allgemeinen sorgfältiger die Zeichen zu setzen als das 14. und 15. Die württ. Kanzleischreiber Dietrich Bälz und Konrad Dachs, beide am Ende des 14. Jahrh. tätig, ziehen vor, überhaupt keine Interpunktion zu gebrauchen. Auch wechselt nach Mode oder Gefallen des Schreibers die Art der Zeichen, ob Punkte oder Striche oder beides. Oft sind die Zeichen auch ohne Beachtung des Sinns und der Satzteile gesetzt und man kann manchmal den Eindruck bekommen, der Schreiber habe jedesmal, wenn er zum Blick in die Vorlage oder zum Eintauchen der Feder eine Pause machte, unwillkürlich im Text ein Komma oder dgl. gesetzt. Die Unregelmäßigkeit der Interpunktion dauert auch später in der gotischen Kursive an und erst im 18. Jahrh. scheint man dabei einer gewissen Regel und Ordnung zu folgen.

Noch sind dem 11. Jahrh. einige weitere kleine Fortschritte zu verdanken. Das i hat in der Majuskel nie eines i-Punktes bedurft, weil an seiner Identität kein Zweifel entstehen konnte. Die jüngere röm. Kursive hat ihm oben eine kleine Schleife angesetzt, vielleicht nur um ihm einen gewissen Abschluß zu geben. Erst in der späteren Minuskel entsteht die Gefahr der Verwechslung, weil die senkrechten Striche des m, n und u denen des i durchaus gleich waren. Dennoch hat man das lange ertragen. Zwar beginnt man im 11. Jahrh. wenigstens das doppelte i mit 2 feinen Strichen auszuzeichnen. Aber nur langsam wird dieses Verfahren [17] auch auf die übrigen i ausgedehnt. Im 13. Jahrh. ist es noch nicht allgemein und selbst im 15. noch scheint zwar bei Gruppierungen des i mit m, n, u der i-Punkt, der im 13. Jahrh. allmählich statt des Strichs aufkommt, als notwendig anerkannt zu sein; aber immer noch ist er keineswegs untrennbarer Bestandteil des Buchstabens. Er ist in Nr. 1 unserer „Schriftproben“ von 1350 bei aller Sorgfalt der Schrift immer noch nicht überall gesetzt, Nr. 2 von 1454 hat ihn, aber Nr. 3 von 1492 läßt ihn sehr häufig vermissen.

Im übrigen hat der Doppelstrich oder Punkt auf dem Doppel-i später zu neuer Verwechselung Anlaß gegeben. Es war seit der späteren karolingischen Minuskel aus Schönheitsgründen üblich, am Wortende den letzten Strich von m oder n und ebenso den zweiten des Doppel-i unter die Zeile zu verlängern. Ebenso hat man bald auch das y mit 2 Strichen oder Punkten ausgezeichnet. So kommt es, daß schon früh in lateinischen Urkunden anstatt des doppelten i geradezu ein y gesetzt wird.

Aus Schönheitsgründen hat man ferner das lange s am Wortende durch das runde s ersetzt. Aber auch diese Neuerung, die sich schon im 10. und 11. Jahrhundert findet, hat sich nur langsam durchgesetzt. Noch im 13. Jahrhundert gebraucht z. B. der württembergische Schreiber E. 1254 das runde s nicht.

Selbst einen neuen Buchstaben hat die karolingische Minuskel geschaffen, das w. Diesen Laut, den das Latein nicht braucht, das Deutsche nicht entbehren kann, hatte man früher durch doppeltes u oder v ausgedrückt. Aus dem letzteren ist das w entstanden, indem man die beiden v ineinander schob.

Die gotische Minuskel, die im 13. Jahrh. voll ausgebildet ist, findet besonders gerne Verwendung in kirchlichen Handschriften zum Gottesdienst. Man erkannte, daß sie leichter lesbar ist, als alle früheren Schriften und sich vorzüglich zu künstlerischer Ausstattung und Verzierung schickte. Die Missalschrift als die schönste Schrift seiner Zeit hat denn auch Gutenberg in die ersten Drucke eingeführt.

Auch in Urkunden hat man im 13. und 14. Jahrh. die Minuskel [18] noch verwendet, mit der für Urkundenschrift charakteristischen Behandlung der Ober- und Unterlängen, die nicht gleich lang sind und vielfach zur Verzierung dienen. Ein Beispiel der Minuskel, nicht der Urkundenschrift, bietet Nr. 1 der „Schriftproben“ aus der Mitte des 14. Jahrhunderts, vielleicht von einem Schreiber, dem sonst die Kursive geläufiger ist. Denn diese gewinnt im 14. Jahrh. Boden und beherrscht im 15. Jahrh. das ganze Schreibwesen der Kanzleien. Mit dem Aufkommen des Drucks verliert dann vollends die gotische Minuskel als Schreibschrift ihre Bedeutung. Nur die Druckschrift und die gottesdienstlichen Bücher, Missalen u. a. halten an ihr fest.

Seit der Mitte des 13. Jahrh. kann man von einer Kanzlei der Grafen von Wirtemberg sprechen und, wenn auch zunächst nur an geringen Proben, die Kunst ihrer Schreiber prüfen. Es fehlen bis jetzt noch umfassendere Vorarbeiten, die erst ein sicheres Urteil ermöglichen würden. Für das 14. Jahrh. wird hoffentlich bald eine Publikation über das älteste Württembergische Urbar, die in Vorbereitung ist, Aufschluß bringen. Die Tafeln II bis XXIII zeigen die Buchstaben der württ. Notare und Schreiber seit 1254 bis in die Mitte des 16. Jahrh. nicht in vollständiger Reihe, denn dazu ist ihre Zahl zu groß, aber immerhin von so vielen, daß zu erkennen ist, wie eine gewisse Linie der Tradition, ein Festhalten an einzelnen bestimmten Formen sie verbindet. Es ist im 13. und 14. Jahrh. eine einfache Minuskel von meist recht zierlicher Art. In der 2. Hälfte des 14. Jahrh. macht sie die Geschmacksrichtung der Zeit mit, die an seinen zierlichen Häkchen und Bogenlinien, den Buchstaben zur reinen Verzierung angehängt, Gefallen findet. Diese Zutaten scheinen vielfach erst nachträglich an die fertige Schrift mit einer spitzeren Feder angehängt worden zu sein. Im 15. Jahrh. schreibt auch die wirt. Kanzlei durchweg in einer Kursive, die weniger fein, aber ohne Zweifel rascher zu schreiben ist als die Minuskel. [19] Die Tradition, die wir bis dahin in der wirt. Kanzlei zu erkennen glauben, scheint den Schluß zuzulassen, daß man den Nachwuchs für das Schreiberamt selbst erzog. Von einer eigentlichen Kanzleischule, wie sie z. B. in Ulm erwähnt wird, ist dabei freilich nicht die Rede. Eine neue Einrichtung ist im 16. Jahrh. die Modistenschule in Stuttgart, deren Aufgabe war, für die Kanzlei, für kaufmännischen und alle anderen Berufe, für die Schön- und Schnellschreiben erwünscht war, junge Leute heranzubilden. Man nannte diese Lehrer Modisten, weil sie den modus scribendi, die Kunst besonderer Schriftzüge, pflegten und lehrten. Sie scheinen zuerst in den Reichsstädten aufzutreten, namentlich aus Nürnberg kamen manche zu uns. Eine Untersuchung des Schreibwesens vom 16. bis 18. Jahrh. wird noch darauf einzugehen haben, was wir über Kunst und Wirksamkeit dieser Schreibkünstler wissen, die notwendig auf den Schreibbetrieb der Kanzleien Einfluß gewinnen mußten. Der Modist Christoph Fabri rühmte sich 1596 der Fertigkeit in 100 verschiedenen Schriftarten; leider ist die Tafel, auf der er Proben dieser Kunst vorlegte, nicht bei den Akten geblieben. In den Reihen dieser Modisten nun sind jene Lohnschreiber zu suchen, von denen nachher noch die Rede sein wird. Christoph Fabri nennt sich selbst Guldinschreiber, was vielleicht absichtlich eine Wortbildung von vielfacher Auslegung ist: es kann den Mann bezeichnen, der goldene Buchstaben schreiben kann, dessen Kunst Goldes Wert ist und der um Gulden schreibt. Von dem Modisten Held wird berichtet, daß er bei seinem kärglichen Gehalt nur durch großen Schreibverdienst habe leben können.

Die Geschichte der deutschen Kursive, wie sie seit dem Beginn des 16. Jahrh. sich durchgesetzt hat, wird ferner sich nicht auf die engen Grenzen des einzelnen Territoriums beschränken dürfen. Der einzelnen Schreibstube kommt dabei nicht mehr die Bedeutung zu wie in früheren Jahrhunderten und ihre vermeintlichen Besonderheiten sind wohl zumeist als Zeiterscheinungen weit verbreitet und auch anderswo zu finden. Denn der Einfluß etwa des wechselnden Geschmacks [20] in Renaissance, Rokoko und Barock wird sich überall in gleicher Weise geltend machen und der Austausch der Kräfte ist lebhafter als ehemals. Die ausgewählten „Schriftproben“ werden immerhin eine gewisse Anschauung von diesen Verhältnissen vermitteln, wenn sie auch kein System darstellen.

Wie das i seinen Punkt erhielt, ist vorhin schon dargestellt worden. Aber damit sind die besonderen Schicksale dieses Buchstabens noch nicht erschöpft. Er ist bis in das 17. Jahrhundert Vokal und Konsonant zugleich. Das verlängerte i bleibt nicht auf das Wortende beschränkt; es dringt in den Inlaut und den Anlaut vor. Beide Formen werden anscheinend ganz nach Gefallen des Schreibers und oft abwechselnd mit y verwendet. Erst von der 2. Hälfte des 17. Jahrhunderts an wird i als Vokal von j dem Konsonanten unterschieden, offenbar unter fremdländischem Einfluß.

Schwieriger war die Unterscheidung von u und v, die ursprünglich identisch sind; v ist aus der scharfwinkeligen Form der Kapitalis, u aus der abgerundeten Form der älteren Kursive und der Unciale abgeleitet. Jedes von ihnen kann ebenso den Selbstlauter wie den Mitlauter darstellen. Es gibt Schriftstücke, in denen überhaupt kein v vorkommt, sondern auch für den Mitlauter nur das u gebraucht wird. Seit dem 14. Jahrh. wird gemeinhin der Vokal im Anlaut mit v, im Inlaut mit u wiedergegeben. Im 15., wie die Schreibung des m, n, und u allmählich in die spitzigen Formen der deutschen Kursive übergeht, beginnt man vereinzelt die u durch ein übergesetztes Häckchen vom n zu unterscheiden; nur vom n, nicht vom v. Bis in das 17. Jahrh. hinein bleibt bestehen, das v und u beide zugleich Vokal und Konsonant sind. Das u-Bögchen aber erhält auch das w, wo es für u steht, z. B. in fraw.

Ein eigenes Alphabet von Großbuchstaben hat sich die deutsche Kursivschrift erst im Lauf dieser Jahrhunderte neu geschaffen. Es sind in der Hauptsache gesteigerte Formen der Kleinbuchstaben, z. T. wie etwa das H, in Anlehnung an die Formen der alten Minuskel. Die seltsamsten Formen, die sich z. B. in den „Schriftproben“ finden, sind vielfach [21] dadurch hervorgerufen, daß noch keine anerkannte Normalform bestand und man auf die Formen der Minuskel angewiesen war, die uns immer wieder an unsere Druckschrift erinnern müssen.

Von Abkürzungen hat man in deutschen Texten auch früher nicht so reichlich wie in lateinischen Gebrauch gemacht. Lange erhalten hat sich die Gewohnheit, die Silbe er durch ein übergesetztes Häkchen zu ersetzen und das Weglassen von Endsilben en oder em, auch das Fehlen des zweiten m oder n bei Verdoppelung im Inlaut, durch einen übergesetzten Strich anzudeuten. Geblieben ist auch die Ligatur für et oder und: &, und die für etc., die in Mißverständnis der im 15. Jahrh. und in Wiegendrucken gebrauchten Form später und heute noch mit x wiedergegeben wird. Von Ligaturen, wie sie noch die gotische Minuskel und Kursive gebraucht, zeigen die Tafeln mancherlei Beispiele, z. B. T. XVIII, und die „Schriftproben“[1].

Das römische Zahlensystem, wie es das Mittelalter übernommen hat, besteht aus 7 Buchstaben, die zur Bezeichnung von Zahlenwerten verwendet werden: MDCLXVI. Heutzutage gebraucht man diese regelmäßig, so wie der Humanismus sie erneuert hat, in den Formen der alten Monumentalschrift der littera quadrata, die in der Schreibschrift sonst nicht mehr verwendet wird. Sie sind also heute bis zu einem gewissen Grad in bestimmter Form erstarrt und außerhalb des Alphabets getreten, selbständige Zahlzeichen geworden. In älterer Zeit war das nicht der Fall. Sie haben vielmehr früher an den mancherlei Aenderungen der Schrift ihren vollen Anteil genommen, sind nacheinander in Kapitalis, Uncialis oder Minuskel verwendet worden und haben [22] nie aufgehört Buchstaben zu sein, die zur Bezeichnung von Zahlwerten dienten und zu diesem Zweck jeweils dem gerade geltenden Alphabet entnommen wurden. Das Mittelalter ist in diesem Verfahren dem Altertum gefolgt, es verwendet sie in den Formen der gotischen Minuskel und den von ihr neu geschaffenen Großbuchstaben und verbindet sie in der Kursive untereinander ebenso wie andere Buchstaben. Das i als Zahl behält den i-Strich oder i-Punkt und hat ihn solange festgehalten, daß er sogar vielfach auf die 1 der arabisch-deutschen Ziffern übergegangen ist. Bei der Wiederholung der I wird, wie im Doppel-i, der letzte Strich unter die Zeile verlängert.

Eine Eigentümlichkeit des Mittelalters, die ebenfalls lange nachwirkt, ist, daß man gerne M D C L als Majuskeln, X V I als Minuskeln geschrieben hat.

Die 7 Buchstaben werden zur Darstellung einer Summe nach Bedarf in der Reihenfolge vom Großen zum Kleinen aneinandergereiht; die Summe ergibt sich durch Addition der Einzelwerte. Um endlose Wiederholung der einzelnen Zeichen zu vermeiden, haben schon die Römer ein Multiplikationsverfahren angewendet: man schreibt etwa zur Darstellung von 300 die einfache Zahl der Tausender III und deutet durch einen darüber gelegten Strich III die Multiplikation an; ebenso z. B. XXX = 30 000. Das Mittelalter, das dieses Verfahren auch kennt, hat vorgezogen, für die Tausender neben die einfache Zahl ein kleines M über die Zeile zu setzen: IIIm = 3000; XXXm = 30 000. Gleichzeitig und besonders in den für uns wichtigen Quellen wird ebenso eine Mehrzahl von Hunderten durch ein beigesetztes kleines C ausgedrückt, also IIIc = 300 (vgl. Schriftprobe Nr. 5 von 1523). Eine andere Darstellung großer Zahlen mit Multiplikation hat der Humanismus neu belebt, indem er die archaischen Formen IƆ und CIƆ für D und M wieder aufnahm. Mit ihnen wird IƆƆ = 5000, CCIƆƆ = 10 000 u. s. f. Für die heutige Verwendung kommen diese Methoden kaum noch in Betracht, dagegen ist ein Verfahren der Vereinfachung durch Subtraktion noch heute in Gebrauch; statt VIIII (= 5 + 4) [23] schreibt man IX, d. h. 10 weniger 1, auch statt VIII: IIX. Ebenso XL = XXXX = 40 oder XC = LXXXX = 90, auch CD = CCCC = 400.

Bruchzahlen (vgl. Schriftproben Nr. 1––6) darzustellen meiden die Urkunden und die Lagerbücher mit Ausnahme von ½; auch hier wird mit Subtraktion verfahren. Um z. B. 1½ zu schreiben, wird durch den zweiten, in der Regel unter die Linie verlängerten Strich der II ein Querstrich gemacht; ebenso wird bei 4½ ein Querstrich durch den etwas verlängerten linken Schaft der V gelegt (vgl. Schriftproben 1, 8). Dieses Subtraktionsverfahren entspricht durchaus der Redeweise, wie sie in Urkunden häufig ist; man sagt gern statt 19 Schillinge: 1 Pfund weniger 1 Schilling und ähnlich. Die Schreibung der Halben spiegelt sich in den noch geläufigen Ausdrücken anderthalb, sechsthalb u. a.

Die indisch-arabischen Ziffern, unsere deutschen Zahlen, die auf europäischem Boden zuerst in Spanien (976) erscheinen, sind in Deutschland allmählich seit dem 12. Jahrhundert eingedrungen. Sie haben die lateinischen Zahlzeichen im offiziellen und dokumentarischen Gebrauch nicht zu verdrängen vermocht, offenbar weil die Rechtsprechung auf diese eingestellt war und der Gebrauch arabischer Ziffern die rechtliche Geltung einer Urkunde oder Rechnung oder eines Lagerbuchs hätte gefährden können. So verbot noch 1494 der Rat von Frankfurt seinen Beamten, in den Rechnungsbüchern des Rats „Ziffern“, d. h. deutsche Zahlen, zu gebrauchen. In den württembergischen Lagerbüchern und Rechnungen sind die römischen Zahlen bis in die Mitte des dreißigjährigen Kriegs verwendet. Mit 1640/46 werden erstmals in der Landschreiberei-Rechnung nur noch deutsche Ziffern verwendet; bis dahin waren die Gulden noch römisch, dagegen die Kreuzer seit etwa 1575 deutsch geschrieben worden. Die Entwicklung war natürlich in den einzelnen Territorien verschieden. In Eßlingen beispielsweise, wo schon in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts einzelne Lagerbücher sich deutscher Ziffern bedienen, ist der offizielle Wechsel auch in den städtischen Rechnungen etwa 1547 oder 1548 [24] eingetreten. Aber was für offizielle, rechtlich erhebliche Dokumente und Aufzeichnungen gilt, braucht für privaten Gebrauch, im innern Verkehr der Behörden oder der Geschäftsleute nicht auch vorausgesetzt zu werden. Gegenüber der Schwerfälligkeit des römischen Systems mußte schon die durch die Verwendung der Null erreichte Einfachheit und Uebersichtlichkeit der arabischen Ziffern diesen einen Vorrang verschaffen. Wie man sich doch zu helfen wußte, zeigt Taf. XXIV f.

Man empfand alle Zahlzeichen als eine besondere Art Kurzschrift, M als Abkürzung für mille und millesimus, C ebenso für centum und centesimus usw. Deshalb hat man in den Urkunden bei dem Datum in der Regel die Wortendung beigesetzt. anno M° CC° LX° IIII°, aber auch sehr häufig millesimo ducentesimo LX° IIII° geschrieben. Seit dem Aufkommen deutschsprachiger Urkunden wird, namentlich im 14. und 15. Jahrhundert, immer mehr üblich, die Jahreszahlen überhaupt nicht mehr in Zahlzeichen sondern in Worten auszudrücken, vielleicht weil der Mehrzahl der Schreibe- und Lesekundigen zwar die arabischen, nicht aber die römischen Zeichen geläufig gewesen wären, man aber die arabischen eben aus rechtlichen Gründen scheute. Doch findet sich auch etwa in Geschäftsbriefen, daß das Datum mit deutschen Ziffern, die Zahlenangaben im Text mit römischen Zeichen geschrieben sind.

II. Das Schrifttum.

Bei dem lückenhaften Bestand der Ueberlieferung wird die Lokalgeschichte sich jeder einzelnen Nachricht freuen müssen, selbst wenn sie zunächst geringfügig erscheint. Sie wird deshalb auch die archivalischen Urkunden, das sind in der[2] Hauptsache Kaufbriefe, Lehenbriefe und -reverse Stiftungen, Schenkungen, Urteilsausfertigungen u. a., sorgfältig beachten. Diese erhalten freilich ihren vollen Wert in der Regel erst, wenn man sie mit der Ueberlieferung von andern Orten, von einem größeren Bereich vergleichen und daraus die Erkenntnis gleicher Rechts- und Wirtschaftsverhältnisse [25] schöpfen kann. Für den einzelnen Ort bleiben die Nachrichten meistens vereinzelt, zusammenhangslos, lassen weder eine fortlaufende Entwicklung noch die zu bestimmten Zeiten herrschenden Zustände vollständig erkennen. Um die Urkunden zu entziffern, dazu mögen die vorausgehenden Ausführungen über die Geschichte der Schrift und die beigegebenen Schrifttafeln helfen. Um sie zu verstehen und zu verwerten, wird noch einiges mehr nötig sein. Um nur das Wichtigste zu nennen: vor allem ein gewisses Maß von Kenntnis des Mittelhochdeutschen, der Sprache des Nibelungenlieds, und des Lateinischen, von diesem so viel, um sich von Cicero frei zu machen und das eigenartige Latein des Mittelalters zu verstehen. Ferner ist es nützlich, die Reichs- und Landesgeschichte zu kennen, mit Kirchengeschichte nicht unbekannt zu sein und etwas von Rechts-, Verfassungs-, Wirtschafts-, Kultur- und Sittengeschichte zu wissen. Mehr also, als hier auf kleinem Raum gesagt werden kann. Ich nenne im Abschnitt III eine möglichst kleine Zahl von wissenschaftlichen Werken, die teils für die Vorbereitung nützlich, teils als zuverlässige Helfer auch dem Kundigen stets willkommen sind.

Nicht anders als bei den Urkunden ist es mit den archivalischen Akten, dem Schrifttum der herrschaftlichen Behörden, bestehend aus Berichten, Erlassen, Korrespondenzen u.a. samt etwaigen Beilagen, Rechnungen, Listen aller Art usw. Auch sie geben für die Geschichte eines Orts höchstens Bruchstücke, einzelne Episoden, Streitigkeiten mit Nachbargemeinden um Weide und Allmand oder einzelner Bürger untereinander u. a. mehr. Wer mit bestimmten Fragen kommt, etwa über Schicksale in Kriegszeiten, über Kirchenbau oder Durchführung der Reformation, wird in der Regel enttäuscht werden, weil er keinen geschlossenen Aktenbestand darüber vorfindet, im besten Fall einzelne zerstreute Notizen verschiedenster Art an verschiedenen Stellen zu suchen hat, die zuletzt doch kein volles Bild geben. Wer dagegen einfach von dem Kenntnis nehmen will, was ihm die vorhandene Ueberlieferung bietet, wird manchmal durch glückliche Funde [26] überrascht werden können und in jedem Fall auf das geführt werden, was für die Einzelgemeinde das Wichtigste ist, die wirtschaftlichen, rechtlichen, sozialen Verhältnisse, Bestand und Zusammensetzung der Einwohnerschaft, Einteilung, Wachstum und Bewirtschaftung der Markung, in alledem auch die Beziehungen der Gemeinde und der Einzelnen zur Obrigkeit, zur Kirche, der Bürger untereinander und zu der Nachbarschaft. Dafür ist wertvolle Quelle auch das, was an alten Akten der Gemeinden noch in den Rathäusern oder Kirchen verwahrt wird, wenn es auch in der Regel nicht über das 17. Jahrhundert oder den Dreißigjährigen Krieg zurückgehen wird. Für Altwürttemberg bieten in Bevölkerungs- und Wirtschaftsfragen die noch vorhandenen Steuerlisten von 1472, 1525, 1542 und 1545, dazu Musterlisten der wehrfähigen Mannschaften aus dem 16. Jahrhundert wertvolles Material. Wichtiger, weil zum Teil schon vom 13. und 14. und bis in das 18. und 19. Jahrhundert vorhanden, wertvoller, weil auf eine größere Zahl von Fragen Antwort gebend, ja überhaupt die eigentliche Hauptquelle für ortsgeschichtliche Forschung sind jene Vermögensverzeichnisse geistlicher und weltlicher Herrschaften, für die in ältester Zeit der Name Rodel, Zinsrodel, später bei veränderter Anlage Urbar und spätestens seit Anfang des 16. Jahrhunderts neben andern Ausdrücken in Altwürttemberg als charakteristische Bezeichnung das Wort Lagerbuch in Gebrauch gewesen ist.

Die Zinsrodel (von rotulus, Rolle) der Klöster vom 10. bis in das 13. Jahrhundert verzeichnen die Einkünfte (census, Zinse) der klösterlichen Herrschaft in Listenform; ganz kurz wird als Träger der Abgabe der Mann oder das Grundstück und Art und Betrag des Zinses aufgeführt. Dabei wird mit großen Einheiten gerechnet, etwa ein Hof, Weiler oder Dorf mit einer einzigen Zeile abgetan. Beispiele aus unserem Arbeitsgebiet sind die nicht mehr in Rodel- und Listenform überlieferten Weingartener Verzeichnisse aus dem 13. Jahrhundert, die im Anhang zu Bd. 4 des Wirtembergischen Urkundenbuchs abgedruckt sind (s. auch Tafel XXV). [27] Die Stufe der Urbare entwickelt sich in der Zeit des Niedergangs der Staufer und der Erstarkung der territorialen Landeshoheit in der Verwaltung weltlicher Herrschaften; als ältestes Beispiel gilt das um 1240 entstandene Urbar des Herzogtums Baiern (Monumenta Boica Bd. 36,1). Sie haben den Namen von Abgaben aus Grund und Boden, die als urbar bezeichnet werden (Betonung der ersten Silbe; für die Verzeichnisse entsteht aus dem späten bastardlateinischen urbarium die Betonung der zweiten Silbe). Ihre Angaben sind ausführlicher als die der Rodel, in Bezeichnung der Grundstücke sorgfältiger, auch gehen sie mehr ins Einzelne und zeugen von stärkerer Zersplitterung des Besitzes. Die einfache Listenform ist vielfach aufgegeben, findet sich aber z.B. noch in dem um 1350 entstandenen ältesten „Urbar“ der Grafschaft Wirtemberg (s. Schriftproben 1, auch Taf. XXVI).

Eine gerade Linie der Entwicklung führt von den Urbaren des 14. u. 15. Jahrh. zu den Lagerbüchern (s. Taf. XXVII; über den Ausdruck siehe nachher). Die österreichische Regierung, die nach der Vertreibung Herzog Ulrichs und Uebergabe des Herzogtums durch den Schwäbischen Bund an Kaiser Karl V. in Stuttgart eingerichtet wurde, hat eine, wie es scheint, auf das ganze Herzogtum ausgedehnte „Erneuerung“ der Einkünfte der Herrschaft machen lassen, für die neue vom alten Herkommen abweichende Formen vorgeschrieben wurden. Das älteste Beispiel ist die Erneuerung von Stuttgart, die am 12. November 1520 angefangen wird. Im September 1521 folgt Dornstetten, im November Pfullingen und Marbach, im Dezember Hoheneck. Im Jahr 1522 werden Bietigheim, Besigheim, Bottwar, Cannstatt, Sachsenheim und Tübingen, im Jahr 1523 Asperg, Böblingen, Calw, Markgröningen, Leonberg, Nagold, Neuenstadt, Vaihingen und Wildberg, im Jahr 1524 Beilstein, Göppingen, Herrenberg, Rosenfeld, Winnenden bearbeitet, Amt Stuttgart fortgeführt. Nach der Unterbrechung durch das Kriegsjahr 1525, aus dem nur Wildbad vorliegt, kommen 1526 Blaubeuren, Heidenheim, Neuffen, Nürtingen, 1527 Brackenheim, Neuenbürg, Dornhan und zum zweitenmal [28] Leonberg, 1528 Backnang und Weinsberg, und zum zweitenmal Stuttgart Stadt, 1529 Güglingen und mit ihm noch einmal Brackenheim, zuletzt 1532 Schorndorf an die Reihe. Leider fehlen eine ganze Anzahl Aemter, bei denen nicht feststeht, ob sie tatsächlich bearbeitet worden sind, darunter Balingen, Kirchheim, Lauffen, Münsingen, Tuttlingen, Urach und Waiblingen. Auch liegen nicht alle Erneuerungen in fertiger Reinschrift vor, wie z. B. Leonberg von 1523 und Pfullingen von 1521, bei denen deshalb die neu eingeführte wichtige Eingangsformel fehlt.

Diese lautet in den übrigen mit jeweils veränderten Namen wörtlich, wie sie schon in der Erneuerung von Stuttgart 1520 zu finden ist: Als man zahlt von Christi unsers lieben herren geburt tusent funf hundert und zwainzig jaure, uss befehle und von wegen - Carolen - als erzherzogen zu Oesterreich und rechten herren des fürstenthumbs Wirtemberg - haben wir nachbenanten, mit namen Johannes Keller, Kastkeller zu Stuttgarten, und Jacob Raminger, genant Schriber, der canzli registrator, irer majestat herrlichait, obrikait, gerechtigkait, zins, gülten und alle ander nutzung, gefäll und inträg zu Stuttgarten in der statt, ouch den derfern und flecken in das ampt gehörig erneuwert und beschriben in bisin und gegenwertigkeit aller und ieder personen, so hernach bei ieden flecken mit namen angezaigt und bestimpt, die sonderlich zu gezeugen von uns darzu berufen und erfordert. Es sind ouch alle und ieglich zinslut und ander, so ainich gult oder dienstparkait schuldig, beschikt vor uns and den gemelten gezügen personlich oder durch ir vollmechtig anwalte, furminder oder pfleger erschinen und söllicher zins, gulten, dienstparkait und nutzungen, wie die genannt und hernach geschriben stend, selbs angichtig und bekantlich gewesen.

Es folgt noch regelmäßig die Bemerkung, daß der Forst besonders erneuert werde und in der vorliegenden Handschrift nicht enthalten sei. In den späteren Bänden dieser Landesaufnahme ist noch weiter die Verwahrung hinzugefügt, daß es der Herrschaft nicht abträglich sein soll, wenn etwas [29] übersehen oder vergessen wäre. Als unmittelbar auftraggebende Behörde erscheinen in der Leonberger Erneuerung von 1528: mine gönstigen hern rentmaister und verordnete von der landschaft bi Sr. Kö. Mt. mins gnedigsten hern camer in Wirtemberg. Von dieser Stelle ist die genaue Formel dieses Eingangs vorgeschrieben. Den ganzen Plan hat wahrscheinlich zuerst Jakob Ramminger der Aeltere, seit 1504 Registrator bei der Kanzlei, entworfen, der von seinem Amt her über die Erfordernisse einer solchen Arbeit unterrichtet sein mußte. Seine Erneuerung über Stuttgart Stadt, die er selbst geschrieben hat, wäre demnach gewissermaßen als Musterbeispiel anzusehen, seine weitere Mitarbeit ist nicht zu belegen; man wird ihn für längere Tätigkeit außerhalb der Stadt bei der Kanzlei nicht haben entbehren können. Die das Werk durchgeführt haben, sind in der Regel die Untervögte, denen im einzelnen Fall noch ein Stadtschreiber beigegeben ist. Nur einer hebt sich aus der Reihe heraus durch Bearbeitung mehrerer Aemter, Balthasar Moser, gen. Marstaller, Vogt zu Herrenberg, kais. Notar. Er begann am 16. März 1523 mit Vaihingen a. E. und nahm noch im gleichen Jahr die Aemter Neuenstadt, Asperg und Nagold auf, in den folgenden Jahren nach einander bis 1529 Beilstein, Göppingen, Herrenberg, Heidenheim, Stuttgart, Backnang und zuletzt einen bis dahin unerledigten Teil des Amts Leonberg. Bis 1524 ist er Vogt zu Herrenberg, noch in diesem Jahr heißt er (Wildberg) sonderer und erkiester commissari gemeines fürstentum Württemberg zu erneuern, 1526, als er mit Jakob v. Bernhausen des Regiments die Erneuerung von Heidenheim macht, Verordneter von der Landschaft in der Kammer zu Württemberg,, seit 1528 aber: (Backnang und Stuttgart) geordneter Renovator in Württemberg, der erste einer langen Reihe von Renovatoren, d. h. von Beamten, deren Amt ist, „Erneuerungen“ durchzuführen.

Neu ist an diesem großen Werk der österreichischen Verwaltung in Württemberg gegenüber den Urbaren des 15. Jahrh. die ausdrücklich eingangs hervorgehobene gemeinschaftliche [30] Abfassung durch Herrschaft und Untertanen, eine gewisse nicht allzuweit gehende Vermehrung des Inhalts, dazu die sorgfältige und streng durchgeführte Gliederung des Stoffes und die umständlich formelhafte Gleichmäßigkeit der einzelnen Einträge. Von den Zutaten ist außer der erwähnten wichtigen Eingangsformel etwa die möglichst vollständige Aufzählung der „eigenen Güter der Herrschaft“, d. h. der Schlösser, Amtshäuser mit Kasten und Keller, Zehntscheuern u. A. zu erwähnen. Außerdem die vollständige Angabe über den Umfang der Zehntrechte. Die einfache Aufzählung der Herrschaftsrechte und Regalien, die im Urbar des 15. Jahrh. nur eine Seite Raum erforderte, wird jetzt bei jedem einzelnen Posten zu genauer Beschreibung des Rechts der Herrschaft auf der einen, der Pflicht der Untertanen auf der andern Seite erweitert. Jeder Abschnitt erhält seine eigene Ueberschrift. So wird, was früher mit einer Zeile berichtet wurde, je ein besonderes Kapitel und dessen Ueberschrift erscheint im Register. Die Zinse und Abgaben von Grundstücken, die früher wohl nur eine Reihe gebildet hatten, werden jetzt unterschieden nach der Art des Ertrags in Geld oder Naturalien, nach der Art des Grundstücks, ob Haus, Acker, Weinberg usw., nach dem Termin der Fälligkeit, nach dem rechtlichen Charakter der Abgabe (ewige Gült, ablosiger Zins u. A.). Gleichartiges wird als Gruppe zusammengefaßt, die ihre eigene Ueberschrift erhält; diese wird auf jeder Seite wiederholt und steht gleichfalls im Register. Wiederum wird jeder Posten besonders herausgehoben, durch gleichmäßige Formel gewissermaßen einzeln beurkundet. Bei Aufzählung der zu einem Lehengut gehörigen Einzelgrundstücke wird das gleiche Verfahren beobachtet; nur ist hier die Gült vom ganzen Hof berechnet, beim einzelnen Grundstück nichts davon ausgesetzt (vgl. Schriftprobe 2 und 3 mit 4 und 5). In allen Fällen wird das Grundstück möglichst deutlich gekennzeichnet. Man begnügt sich nicht mehr mit bloßer Angabe der Flur oder eines Anstoßers, nennt vielmehr womöglich die Nachbarn auf allen 4 Seiten, und dazu noch die Flur. Den Schluß der Angaben aus der einzelnen Gemeinde bildet eine [31] Uebersicht über die Summe der Erträge in Geld und den einzelnen Naturalien.

Alle diese neuen Eigenschaften bilden zweifellos einen Fortschritt in der Richtung auf größte Sicherung der Einkünfte der Herrschaft. In dieser Richtung ging man später, seit dem 17. Jahrh., noch weiter, indem man nach Vollendung der Erneuerung in den einzelnen Gemeinden vor der Versammlung der Zinspflichtigen den Text verlas und das darüber aufgenommene Protokoll durch die Beamten und die Vertreter der Gemeinden unterschreiben und besiegeln ließ. Das ursprünglich von der Herrschaft allein hergestellte und vertretene Vermögensverzeichnis, dessen Anerkennung für die Untertanen selbstverständlich war, wird immer mehr zur gemeinsamen Urkunde, die beide Parteien gleichermaßen bindet, und wird den Fortschritten der Rechtssprechung angepaßt.

Die Ausdrücke Rodel, Urbar, Salbuch, Zinsbuch u. A. sind Gemeingut aller Verwaltungen und werden auch in Altwürttemberg verwendet; register und salbuch steht z. B. in der Ordnung für die Rechnung von 1422/3 (Württ. Vierteljahrshefte 1916, S. 355, § 25). Aber sie finden sich nicht oder selten in Titel, Ueberschrift oder Einleitung der einzelnen Verzeichnisse. Die Aufnahme von ca. 1350 beginnt einfach mit den Worten: dis sint miner herren von Wirtemberg zinse und nütze. In den späteren wird regelmäßig gesagt, daß man die Zinse usw. erneuert habe, eine Redeform, die gleichfalls Gemeingut ist; daraus entsteht das Hauptwort Erneuerung, auch Neuerung, das bis zuletzt als offizielle Bezeichnung gedient hat. Daneben erscheint aber in Altwürttemberg als ein Ausdruck, den man im mündlichen und schriftlichen Verkehr der Kürze halber vorgezogen hat, das Wort Lagerbuch. Ich finde es in der Form legerbüchlin zuerst in der Notiz des Kellers von Schorndorf von 1506 auf dem zinsbuch junker Heinzen von Zillehart, ernuwert in anno 1487, das beim Verkauf eines Anteils an Geradstetten durch Hans von Züllenhardt 1506 der Kellerei Schorndorf mit der Verkaufsurkunde übergeben wurde.

Als nächstes Vorkommen kann ich in der Erneuerung über [32] Besigheim vom 17. März 1522 die gleichzeitige Ueberschrift des vorausgehenden Registers nennen: register des sal- und legerbuch zu Besigheim. In den Berichten der Beamten, denen die Erneuerung der 20er Jahre übertragen war, und die unter dem Titel Spannbücher mit einzelnen jüngeren Stücken vereinigt sind, findet sich diese Bezeichnung hin und wieder. Man kann aus allen diesen Stellen nur den Schluß ziehen, daß sie längst zum anerkannten und gangbaren Sprachschatz der Kanzlei und ihrer untergeordneten Beamten gehörte. In den Erneuerungen von 1520–29 findet sie gelegentlich Verwendung bei Hinweisen auf „das alte Lagerbuch“, während auf das jeweils neu angefertigte Buch als „Erneuerung“ hingewiesen wird. Später haben die Keller gerne auf die Rückentitel ihrer Erneuerungen Lagerbuch geschrieben. Man erkennt, daß sich im Lauf der Jahrhunderte in seiner Verwendung kaum etwas geändert hat. Es ist offenbar als die handlichere Bezeichnung dem schwerfälligen „Erneuerung“ vorgezogen worden, obgleich man dieses in den Ausfertigungen selbst festhielt, weil es der Rechtsprechung bekannt war.

Ueber die Verbreitung des Wortes außerhalb des Herzogtums Württemberg ist heute wohl noch nicht entgültig zu sprechen; man hat vielleicht bis jetzt zu wenig darauf geachtet. Aus Pforzheim ist es im 16. Jahrhundert belegt; aus Horb 1693 ein Legerbuch der Mittleren Sammlung der Schwestern St. Francisci Ordens. Sicher ist, daß es im 18. Jahrhundert da und dort auch in benachbarten Verwaltungen, möglicherweise unter unmittelbarem Einfluß von Württemberg zu finden ist. Von 1730 liegt z. B. ein „Saal- oder Lägerbuch“ der Domkapitlisch augsburgischen Aemter Gmünd und Lorch, von 1791 ein Lagerbuch über Fridingen vor. Bemerkenswert ist auch, daß in Heidenheim, wo unter bairischem Einfluß die Amtsbezeichnung Kastner (st. Keller) sich erhält, 1607 ein „Söld-, Saal- und Lagerbuch“ angelegt wird. Noch früher ist in einer Erneuerung der Speth v. Zwiefalten ein Eintrag von ca. 1580, der den Ausdruck gebraucht. Ursprünglich scheint es auf Altwürttemberg bebschränkt [33] gewesen zu sein. Vielleicht hatten ähnlich auch andere Herrschaften ihre besonderen Bezeichnungen. So nennt sich beispielsweise das Salbuch der Herrschaft Cadolzburg von 1464 (Monumenta Boica N. F. Bd. II, Teil 1, S. 13) lantpuch, was in dieser Bedeutung die Lexika nicht kennen. Auch der Name Berain im Elsaß, Schweiz und alemannischen Baden dürfte hierher gehören.

Die Frage nach der sprachlichen Deutung des Ausdrucks Lagerbuch ist bis jetzt noch nicht befriedigend gelöst. Um hier die Antwort zu finden, ist es nötig, die Aufgabe zu erkennen, die den Rodeln, den Urbaren und den Lagerbüchern von allem Anfang an gestellt war. Wir beginnen zunächst damit, auszuschließen, was sie nicht sind.

Sie dienen nicht zur unmittelbaren Verwendung bei Einzug und Verrechnung der Gefälle und Gülten. Dafür hat man außer den Kerbhölzern und Rechnungsbüchern besondere Listen und Verzeichnisse, die Haisch-, auch Zinsbücher genannt werden und dauernd auf dem laufenden gehalten, erneuert, ergänzt und verbessert werden müssen, weil die Namen der Zinspflichtigen häufig wechseln. Die Lagerbücher dagegen werden nur in größeren Zwischenräumen erneuert, oft erst nach 80 oder 100 Jahren. Als nach den Zerstörungen des dreißigjährigen Kriegs die verlassenen Lehengüter nur langsam wieder besiedelt werden konnten, wurden die Beamten angewiesen, bei der Erneuerung für die unbesetzten Grundstücke einfach den Eintrag des alten Lagerbuchs in das neue herüberzunehmen. Wichtiger als die Nennung des lebenden Zinsers erschien der Nachweis des Grundstücks und des davon zu entrichtenden Zinses. Wenn ein neuer Beständer sich einfand, genügte es, daß der Keller den neuen Namen in seinen Einzugslisten nachtrug. Zuweilen sind solche Einträge auch in den Lagerbüchern selbst gemacht worden; sie ändern nichts am Grundcharakter des Lagerbuchs.

Auch mit der Aufbewahrung und Verwaltung der Naturalgefälle hat das Lagerbuch nichts zu schaffen. Getreide wird im „Kasten“, der Wein im „Keller“ verwahrt (vgl. die Ordnung von 1422/3, Württ. Vierteljahreshefte [34] 1916, S. 357, Nr. 57), für den vorhandenen Bestand von beidem, ebenso wie von Geld, ist die Bezeichnung „Vorrat“ üblich. Weder das eine noch das andere bildete ein Lager im Sinn des heute geläufigen anscheinend weit jüngeren Ausdrucks „Warenlager“. Der mittelalterliche Handel hat das Wort „gelieger“, doch in etwas anderem Sinne.

In seinem Württ. Privatrecht, Bd. II 1842, S. 362 gibt C. G. Wächter folgende Definition: „Lager- oder Saalbuch ist ein Verzeichnis der einer (natürlichen oder juristischen) Person in einem gewissen Bezirke an Liegenschaften oder aus einem Gutsverbande überhaupt oder gegen die Bewohner eines Bezirks zukommenden Rechte und Bezüge und der mit denselben etwa verbundenen Lasten.“ Das letztere gilt freilich nur für die Lagerbücher, wie sie noch im 19. Jahrh. bis zur Ablösung im Gebrauch waren und wie sie etwa seit dem 17. Jahrhundert ausgestaltet worden sind. Von Lasten der Herrschaft ist in den älteren Lagerbüchern nur wenig zu finden. Dagegen gilt für das ganze Schrifttum der Zinsrodel, Urbare und Lagerbücher, was Wächter weiter sagt: „Der Hauptzweck der Lagerbücher ist, vollen und sichern Beweis der zukommenden Rechte und Bezüge zu verschaffen.“ Diesen Zweck erfüllen schon die älteren vom Berechtigten allein ausgegangenen Ausfertigungen; was die noch unbeglaubigten Lagerbücher des 16. Jahrhunderts in der Rechtssprechung bedeutet haben, zeigen die damals zahlreich bei allerlei Streitigkeiten vorgebrachten „Auszüge“, die in den Akten liegen. Von dieser Erkenntnis aus wird auch die Tragweite der Bestimmung in der Ordnung von 1422/3 recht verständlich, daß ein besonders sorgfältig ausgefertigtes Exemplar der Erneuerung in der Registratur der Kanzlei niedergelegt werden soll. Wie in der Maßordnung vom 31. März 1557 das in Stuttgart und Tübingen je für die zwei Landesteile ob und unter der Steig niedergelegte amtliche Normalmaß und -gewicht als legermess und legergewicht bezeichnet wird, so hat sich aus der Bestimmung von 1422/3 über die amtlich deponierte Ausfertigung des für das ganze Gebiet der Herrschaft neu anzulegenden Registers [35] oder Salbuchs die Bezeichnung legerbuch, Lagerbuch ergeben, und zwar vermutlich gleichzeitig oder bald nachher. Man hat sie als neue Schöpfung nicht in die Bücher selbst aufgenommen; aber sie ist wohl nicht lange genug auf das eine Exemplar der Registratur beschränkt geblieben, sondern im amtlichen Gebrauch für alle Erneuerungen überhaupt verwendet worden. Daß es bisher nicht gelungen ist, den Ausdruck schon im 15. Jahrhundert nachzuweisen, erklärt sich leicht aus dem Fehlen einschlägiger Akten.

Außer dem amtlichen Exemplar, für das Pergament vorgeschrieben wurde, sollten weitere Abschriften auf Papier für die Kanzlei und die Amtleute und Keller in den einzelnen Aemtern angefertigt werden. Von der Verwendung von Pergament hat man wohl wegen der Kosten bald abgesehen. Erhalten sind von Exemplaren auf Pergament nur die vier Teile des Urbars von ca. 1350. Man hat auch später die Erneuerung nur mehr ämterweise vorgenommen. Aus späteren Anordnungen ist zu entnehmen, daß man wohl in der Regel mehr als zwei Abschriften auf Papier gemacht hat. Ursprünglich wurden diese Abschriften ohne Zweifel in der Kanzlei geschrieben. Seit der Mitte des 16. Jahrhunderts ist das offenbar nicht mehr der Fall. Es ist ein äußeres Merkmal, das die Aenderung erkennen läßt. Die alten Exemplare sparen Raum und Papier, wie an Schriftprobe 2 und 3 zu sehen ist. Auch die Lagerbücher der österreichischen Zeit sind nur in dem Maße weiträumig, wie es für bessere Gliederung und Uebersichtlichkeit notwendig war (Schriftproben 4, 5, 7), dagegen beschränken die Nr. 9–13, 15–18 den Anteil der Schrift bzw. des eigentlichen Textes auf jeder Seite auf das möglichst geringe Maß, verbrauchen mit überflüssigen Seitenüberschriften, mit Schnörkeln, breitem Rand und übergroßen Abständen unverhältnismäßig viel Platz, kurz zeigen durchaus auf Anfertigung durch Lohnschreiber, deren Lohn nach der Zahl der Seiten berechnet wird. Die verwendeten Schriftformen weisen auf die Modisten, von denen früher die Rede gewesen ist. [36] im Staatsarchiv zu Stuttgart bilden die ehemals bei der Registratur zusammengekommenen und die Handexemplare der Keller, vereinzelt sind auch die Konzepte der Renovatoren erhalten. Eine vollständige Reihe aller einmal im Lauf der Zeit vorhandenen Lagerbücher besitzen wir von keinem einzigen der altwürttembergischen Aemter. Mit diesem Bestand sind die ebenfalls lückenhaften Bestände vereinigt, die in der ersten Hälfte des vorigen Jahrhunderts aus einigen neuwürttembergischen Gebieten eingekommen sind, und zwar sowohl die der weltlichen als die der geistlichen Gebiete. Eine besondere Reihe, die nur altwürttembergische Stücke enthält, bilden die Geistlichen Lagerbücher, die bei den nach der Reformation geschaffenen Geistlichen Verwaltungen und Klosterämtern erwachsen sind, dabei auch alles, was an Zinsbüchern und dgl. von den altwürttembergischen Klöstern noch erhalten und in das württ. Staatsarchiv gekommen ist. Eine dritte Reihe liegt im Staatsfilialarchiv in Ludwigsburg, sie enthält aus Alt- und Neuwürttemberg, was zum Teil bis zu Anfang dieses Jahrhunderts bei den Finanzbehörden des ganzen Landes verwahrt gewesen ist.

Es liegt auf der Hand, daß jede Verwaltung entsprechend ihren besondern Einrichtungen auch ihre Bücher nach eigenen Regeln eingerichtet und geführt hat. Was beispielsweise von solchen Schriften aus den zur Markgrafschaft Ansbach gehörigen Aemtern Crailsheim, Gerabronn, Creglingen hier vorliegt, unterscheidet sich sehr wesentlich von den altwürttembergischen Lagerbüchern oder den entsprechenden Verzeichnissen aus dem oberschwäbischen oder hohenbergischen Vorderösterreich. Doch besitzt das Württ. Staatsarchiv weder vom einen noch vom andern ausreichendes Material, um seine allmähliche Entwicklung in ihre Anfänge zurückzuverfolgen. Als geschichtliche Quelle sind alle in ihrer Art gleich wertvoll und ergiebig für den, der sich die Mühe nimmt, sich gründlich in ihre Eigenart einzuarbeiten.

[37]
III. Die Hilfsmittel
1.

Wer eine wissenschaftliche Arbeit plant wird zuerst sich über ihre Quellen und über etwaige frühere Bearbeitungen unterrichten. Das gilt natürlich auch für orts- und landesgeschichtliche Forschungen. Von den Quellen, soweit sie archivalischer Natur sind, war bisher die Rede. Ueber frühere Bearbeitungen und gedruckte Quellen gibt vollständig Auskunft Wilhelm Heyds Bibliographie der Württ. Geschichte, die jetzt bis zum Jahr 1916 weitergeführt ist; für die folgenden Jahre sind die Literaturübersichten in den Württ. Vierteljahrsheften für Landesgeschichte nachzusehen. An erster Stelle stehen natürlich die Oberamtsbeschreibungen und die Landesbeschreibung (Das Königreich Württemberg, 4 Bände, 1904 ff.). Außerdem sind die Geschichtswerke von Chr. Friedr. Stälin, Paul Friedr. Stälin und Eugen Schneider (Heyd Nr. 143. 145. 9143), dazu für die kirchliche Themen die sogenannte "Calwer" Kirchengeschichte (Heyd Nr. 1942) zur Hand zu nehmen, damit der Forscher in der Lage ist, überall im Zusammenhang mit dem Geschehen im größeren Rahmen zu bleiben. Ueber Kriegsgeschichte unterrichtet: Karl v. Martens, Gesch. der innerhalb der gegenwärtigen Gränzen des Königreichs W. vorgefallenen kriegerischen Ereignisse vom Jahre 15 vor Christi Geburt bis zum Friedensschlusse 1815.

Für Fragen der Verfassungs-, Rechts- und Wirtschaftsgeschichte, insbesondere auch über die Erklärung fremdartiger veralteter Ausdrücke und Redensarten werden im allgemeinen die Schriften von Th. Knapp zur Rechts- und Wirtschaftsgeschichte des Bauernstandes ausreichend Auskunft geben (Heyd 9823, 9825–27, vereinigt unter dem Titel „Gesammelte Beiträge“ 1902 und „Neue Beiträge“ 1919). Außerdem sind die allgemeinen Abschnitte der neuen Oberamtsbeschreibungen (Urach, Münsingen, Tettnang, Riedlingen, bald auch Leonberg) weit über die Grenzen der [38] einzelnen Bezirke hinaus von Bedeutung. Sollte in diesen Werken ein gesuchter Ausdruck nicht zu finden sein, so wird doch Hermann Fischers Schwäbisches Wörterbuch die Auskunft nicht versagen.

Wer sich bei Münz- und Geldwesen damit begnügt, die einzelnen Bezeichnungen und ihr Wertverhältnis untereinander zu kennen, wird in den genannten Werken sich wohl über manches unterrichten können. Für Münzen im besondern kommen noch in Betracht: H.Günter, Münzwesen der Grafschaft Württemberg (Heyd Nr. 9896), Binder-Ebner, Württ. Münz- und Medaillenkunde 1904 ff. und die bei Heyd zu findenden Spezialuntersuchungen, auch das noch unvollendete Werk: J. Cahn, Münz- und Geldgeschichte von Constanz und des Bodenseegebiets bis 1559, 1911. Aber man wird von den zahlreichen Münzgattungen und ihren Namen nur selten etwas in den Urkunden und Lagerbüchern finden. Man rechnet in unserem Gebiet ohne Rücksicht auf die tatsächliche Bezahlung in Münze seit dem 13. Jahrhundert mit Vorliebe mit dem Pfund (lb[3] Pfd. = libra) zu 20 Schillingen (solidi s, später auch s und ß, heute ß) zu 12 Pfenningen (denarii, den., d.) oder Hellern (Hallenses denarii, Hl., H.). Pfenning und Heller sind ursprünglich gleich; doch führt die fortschreitende Verschlechterung der Heller dahin, daß der Pfenning mehr wert ist als der Heller. Neben das einheimische und volkstümliche Pfund Heller tritt im 14. Jahrhundert infolge regeren Handelsverkehrs der Gulden, eine Goldmünze von weiterem Geltungsbereich, die ursprünglich aus Florenz kommt (aureus Florentinus, fl., Gld) und später meist als rheinischer oder ungarischer Gulden auftritt. Er wird in die Hellerwährung eingefügt und gilt anfangs 20 Schilling, wie das Pfund. Im 15. Jahrhundert steigt die Schillingzahl, bis durch den Münzvertrag zwischen den Grafen von Wirtemberg und den Markgrafen von Baden von 1478 endgültig 28 Schilling zu 12 Hellern festgesetzt werden. Ein Viertelsgulden heißt Ort. Im 15. Jahrhundert werden auch Silbergulden ausgeprägt, die [39] späteren Taler; im 16. gibt es Silber-Gulden zu 56 und 57, dann zu 72 Kreuzer oder 18 Batzen (Kr., B.), schließlich zu 60 Kreuzer[4] oder 15 Batzen, die sich bis zur Einführung der Markwährung 1873 gehalten haben. In der Regel geben die Urkunden wohl an, welcher Art Gulden gemeint sind, ohne daß daraus geschlossen werden darf, in welcher Münze tatsächlich gezahlt wird. Die Landschreiberei legt ihre Abrechnung noch unter Hz. Christoph in Hellermünze (Pfund, Schilling, Heller) vor und geht erst unter Hz. Ludwig zur Kreuzerwährung (Gulden, Batzen, Kreuzer) über. Dennoch verschwindet das alte Geld nie völlig aus der Rechnung; durch das ganze 18. Jahrhundert finden sich in den Lagerbüchern noch einige Forderungen in Schilling und Heller. Dar Wirrwarr der Zahlungsmittel ist deutlich erkennbar nur in den „Sortenzetteln“, die bei Abrechnungen oder in Protokollen über den Geldvorrat angelegt werden; ein solches Verzeichnis der Landschreiberei von 1572 zählt 22 verschiedene Sorten, im Gesamtbetrag von 21 503 fl. 39 Kr. auf, darunter allein 9 verschiedene Goldmünzen für 3561 fl. 53 Kr.

Bei Maß und Gewicht versagt W. Heyds Bibliographie: es ist keine Sonderliteratur zu verzeichnen. Für Altwürttemberg wird hoffentlich bald die von der Kommission für Landesgeschichte längst in Aussicht genommene Veröffentlichung der Maßvergleichungen von 1557, die im Württ. Staatsarchiv liegen, vorgelegt werden können. Vieles wird man in den erwähnten Schriften von Knapp und in Herm. Fischers Schwäb. Wörterbuch, auch sonst da und dort verstreut finden. Die Schwierigkeit besteht darin, daß zwar die Bezeichnungen größtenteils von altersher im Gebrauch, aber ihre Werte sehr verschieden sind. Einheit besteht nur für das Herzogtum seit der von Hz. Christoph gegebenen Maßordnung von 1557, zu der die erwähnten Maßvergleichungstabellen gehören. Das altwürttembergische Maß wird 1806 auch für die neuwürttembergischen Landesteile eingeführt. Vorher herrscht eine verwirrende Vielheit, jedes Territorium hat seine eigenen Maße, hat neben den [40] allgemein üblichen nicht auf Schwäb. Gebiet beschränkten auch eigene Bezeichnungen dafür und innerhalb der einzelnen Gemeinden sind in älterer Zeit vielfach mehrere verschiedene Maße im Gebrauch, schon deshalb weil der auswärtige Herr und Besitzer eines Hofs die Gülten nach seinem eigenen Maß fordert.

An Längenmaßen hat man die Rute, Schuh und Zoll, dazu im Handel die Elle, für Gewichte Centner, Pfund, Lot. Flächenmaße sind Morgen, Jauchert oder Juchart, lat. iugerum, Tagwerk (s. H. Fischer, Geographie der Schwäb. Mundart), bei Wiesen Mannsmahd, dazu die Rute; kleine Landstücke, anscheinend unbestimmter Größe, heißen Bletz, lat. petia. Getreidemaß ist alt das Malter. Die württ. Ordnung von 1557 bringt den Scheffel zu 8 Simeri (Sri), das Simeri zu 4 Vierling, den Vierling zu 8 Achteln usw. Dabei wird immer noch wie in älterer Zeit Haufmaß und Streichmaß unterschieden. Für Heu und Stroh gilt die Wanne und das Fuder, für Wein Fuder, Eimer, Imi oder Om und Maß; hier ist unterschieden Helleich, Trübeich und Schenkmaß. Das Klafter als Holzmaß ist jetzt noch nicht ganz aus der Erinnerung und dem Volksgebrauch verschwunden. Alle diese Bezeichnungen sind Gemeingut, aber sie stehen zu keiner Zeit überall für gleichen Wert oder Inhalt. Man muß also jeweils für den einzelnen Ort erst feststellen, was dort Brauch war, wobei die Zugehörigkeit zu einem bestimmten Territorium oder Herrschaft nicht immer maßgebend ist.

Es ist nicht möglich hier für jeden Fall im voraus den Weg zur Aufklärung zu weisen. Wo eigene Forschung auf Grund der hier gegebenen Andeutungen nicht zum Ziele führt, bleibt immer noch übrig, sich mündliche Auskunft zu holen. Manchmal wird man auch finden, daß es nicht für jede Frage eine befriedigende Antwort geben kann, weil dazu die Quellen nicht ausreichen.

[41]
2.

Die folgenden Tafeln I–XXIV sollen zusammen mit den „Schriftproben aus Urbaren und Lagerbüchern des 14. bis 18. Jahrhunderts im Württ. Staatsarchiv“ (s. o. S. 21 A.) die Möglichkeit geben, sich mit dem Werden jedes einzelnen Buchstabens unserer Schrift, mit seiner allmählichen Entwicklung von den Formen der römischen Monumental- und Verkehrsschrift bis kurz vor dem Entstehen der jetzt gebräuchlichen Schriftformen vertraut zu machen. Wer es vermag, einen heutigen Buchstaben der deutschen Schrift durch die Jahrhunderte zurückzuverfolgen und die Linie zu erkennen, die ihn mit den entsprechenden römischen Formen verbindet, der hat schon einen großen Vorteil für das Entziffern mittelalterlicher und jüngerer Schriftstücke gewonnen. Dazu ist nicht nötig, daß die hier vorgelegte Reihe vollständig sei und jede einmal vorkommende Form enthielte. Aber es wird mit ihrer Hilfe jede einmal vorkommende Form an der ihr zukommenden Stelle eingereiht werden können.

Man stelle fest:

1. Aus wie vielen einzelnen Strichen ist die einzelne Buchstabenform zusammengesetzt?

2. In welcher Reihenfolge werden diese Striche ausgeführt?

3. In welcher Richtung zieht dabei die Feder?

4. Ist zu erkennen wie der Schreiber die Feder gehalten hat?

Aus diesen 4 Feststellungen wird jedesmal sich die Erkenntnis ergeben, warum die nächsten Formen der Reihe gerade so geworden sind, wie sie sind, und nicht anders. Für die Federhaltung vgl. besonders Nr. 6 der „Schriftproben“: ähnlich der bei Rundschrift.

Beispiel: Beim A zeigen sich früh zwei entgegengesetzte Verfahren. Die ältere römische Kursive und die rustica führen im Zug von oben nach unten zuerst den rechten Schaft aus, dann den linken, der bei Anlehnung an den rechten gerne [42] verkürzt wird, zuletzt von links nach rechts den Querstrich. Dieser wird häufig als lästig oder als überflüssig weggelassen, namentlich in der Kursive. Wo er beibehalten ist, wie in der Unciale, entsteht das Bestreben, ihn mit dem linken Schaft zusammen unter Bildung eines spitzen Winkels in einem Zug auszuführen. Aus den zweien wird bald ein einziger bogenförmiger Strich. Die auf diese Weise gebildete Figur ist noch im Kleinbuchstaben unserer lateinischen Druckschrift erhalten. Anders wird der Buchstabe in der jüngeren Kursive und der Halbunciale ausgeführt: zuerst der linke, dann der rechte Schaft; der Querstrich verschwindet in dem kleinen Verbindungsbogen, der den linken an den rechten Schaft anschließt. Dieses sogen. „offene a“ ist aus der merowingischen Schrift auch in die ältere karolingische Minuskel übergegangen, wird aber bald wegen leichter Verwechselung mit u durch die geschlossene Form ersetzt oder durch die erstbeschriebene verdrängt. Aus dem geschlossenen a entstand das a, a der deutschen Kursive und der heutigen lateinischen und deutschen Schreibschrift und ebenso das a der Frakturschrift des Buchdrucks. Sie ist die Form der Kursive geworden, wie die andere die der Minuskel gewesen ist.

Man wird nicht leugnen können, daß die Ausführung des Buchstabens von rechts nach links nicht diejenige ist, die sich aus seiner Figur ohne weiteres ergibt. Sie erscheint vielmehr als ein Ueberbleibsel aus einer Zeit, in der die ganze Schrift linksläufig war, d. h. von rechts nach links geschrieben wurde. Dieser Eindruck wird verstärkt durch Beobachtung ähnlicher Erscheinungen bei B und D. Beide, aus einem geraden, einem oder zwei gebogenen Strichen bestehend, haben in der Majuskel die Gerade links, in der älteren Kursive rechts. Es ist unmöglich, die eine Form unmittelbar aus der andern abzuleiten, wie ja überhaupt die Kursive nicht aus der fertigen Majuskel der littera quadrata hervorgegangen ist; beide haben vielmehr eine lange Werdezeit hinter sich, in der ihre Wege nebeneinander her gegangen sind.

Die einfachste Erklärung dürfte sein, daß wir auch hier [43] einen Ueberrest aus linksläufiger Schrift zu erkennen haben. Denn diese zeigt normalerweise das Spiegelbild der rechtsläufigen. Wie die rechtsläufige Schrift naturgemäß die einzelnen Buchstaben von links nach rechts ausführt, so in umgekehrter Richtung die linksläufige. Bei B findet sich die linksläufige Form nur noch in der älteren Kursive. Die jüngere Kursive hat in rechtsläufigem Zug bereits die Aufgabe gelöst, den Buchstaben in einem Strich auszuführen. Aber die spätere Entwicklung in der Minuskel hat das wieder vergessen. Erst in der gotischen Kursive ist die Entdeckung von neuem gemacht worden. Das D hat in Kursive und Minuskel und wieder in Kursive die linksgewendete Form beibehalten, aber ebenso wie B erst in der deutschen Kursive die Ausführung in einem Zug wiedergefunden. Das rechtsgewendete D ist im Großbuchstaben der heutigen Lateinschrift erhalten. Ein ähnlicher Wechsel im Anstrich findet sich noch beim y. Hier ist in der rustica noch der linke Strich von oben bis unten durchgeführt, der rechte kurze an ihn angesetzt. Die ältere Kursive hat das Verhältnis umgekehrt, an den ganz durchgeführten rechten wird der kürzere linke angesetzt. Aber während sie noch den langen Strich zuerst ausführt, beginnt die folgende Zeit mit dem kurzen; dadurch ist in diesem Fall die Ausführung in einem Zug vorbereitet, die in der Form der rustica unmöglich gewesen wäre.

Die Tafeln zeigen den einzelnen Buchstaben für sich, als Einzelerscheinung. Dagegen kann er in den „Schriftproben“ an seiner Stelle innerhalb des Wortes und Textes erkannt werden. Es wird von besonderem Reiz sein, den Buchstaben, den man zuerst in seinem Werdegang verfolgt hat, nachher im Text aufzusuchen, etwa das g in Schriftprobe 5 von 1523. An den Nr. 1–5 läßt sich beispielsweise deutlich erkennen, wie der Schulterstrich des T, in der Minuskel ursprünglich ebenso wie in der Majuskel entweder über den Schaft gelegt oder doch ganz oben an diesem angebracht, immer weiter heruntergerückt wird, um schließlich in der Kursive ganz unten [44] anzugelangen; man sieht leicht, daß das Bedürfnis der Kursive, die Buchstaben unter einander zu verbinden, diese Aenderung bewirkt.

Noch sei auf einige Erscheinungen, die z. T. nicht ohne weiteres erkannt werden können, hingewiesen. C wird in der Schreibschrift von allem Anfang an in 2 Strichen ausgeführt, einem größeren, an den der kleinere oben angesetzt wird; der Berührungspunkt beider ist zugleich ihr Ausgangspunkt. Diese Eigenschaft ist vom C auch auf das im 4. Jahrhundert v. Chr. aus ihm abgeleitete G übergegangen das seinerseits 3 Striche hat; die seltsamen, oft an Z erinnernden Formen der jüngeren Kursive und Halbunciale sind auf diese Weise zu erklären. K ist im lateinischen außer für kalendae fast nur bei Fremdwörtern gebraucht; seine Formen sind im 18. Jahrhundert und bis in das 19. besonders phantastisch und oft schwer zu erkennen. E ist in der Schreibschrift von ähnlicher Zusammensetzung wie C und G. Der Ausgangspunkt seiner 3 Striche ist da, wo sie alle sich über der Mitte treffen. Die allmähliche Entwicklung dieses Buchstabens ist besonders eindrucksvoll. Zu allen Buchstaben mit Ober- und Unterlängen ist zu bemerken, daß sie in späteren Handschriften in der Regel sehr stark nach rechts geneigt sind. In den Schriftproben finden sich mehrfach solche Beispiele. In den Tafeln ist es abgesehen von wenigen Ausnahmen raumeshalber nicht zur Darstellung gebracht.

Tafel XXIV führt eine Probe der Ligaturen der jüngeren römischen Kursive vor, die besonders die Bildung von C und E klar erkennen läßt. Außerdem bringt sie einige Beispiele aus dem 16. Jahrhundert, an denen besonders die Schwierigkeiten des Namenlesens deutlich werden, und Proben von römischen Zahlen des 16. Jahrhunderts. Die Tafeln XXV bis XXVII geben in einer gewissen Verkleinerung Beispiele von Rodel, Urbar und Lagerbuch. [45] Zu Beschäftigung mit den handschriftlichen Quellen füge ich (für den, der ihrer bedarf) einige Ratschläge aus der Praxis bei.

1. Man lasse sich nicht verführen zu raten. Das ist ein gefährliches Hilfsmittel und führt leicht in die Irre.

2. Man brüte nicht allzulange über einer schwierigen Stelle oder einem schwer leserlichen Wort. Besser ist, sich die Stelle zu merken und zunächst ruhig weiter zu arbeiten. Entweder wird irgend ein später vorkommender Ausdruck die Lösung des Rätsels an die Hand geben oder wird sich diese von selbst einstellen, wenn man etwa nach einer Stunde oder am folgenden Tag die schwierige Stelle von neuem vornimmt.

3. Ist ein einzelner Buchstabe zunächst fremdartig, so blättere man weiter, ob er nicht an anderer Stelle wiederkehrt, wo die Deutung naheliegt.

4. Bei Benützung der „Schriftproben“ ist zu empfehlen, zuerst eine eigene Abschrift des alten Textes zur Linken anzufertigen ohne die Reinschrift zur Rechten zu Rate zu ziehen. Man erhält dadurch Gelegenheit, aus etwaigen Fehlern zu lernen oder sich zu freuen, wenn der Versuch fehlerlos gelingt.


  1. Wer sich gründlicher mit der Geschichte der Schrift beschäftigen will, dem seien als Wegweiser besonders zwei Werke empfohlen, die auch die Hauptgrundlage der vorstehenden Ausführungen bilden: W. Arndt, Schrifttafeln zur Erlernung der Paläographie. 4 Aufl. besorgt von M. Tangl 1904-6. Franz Steffens, Latein. Paläographie 1903. Dazu kommen noch die mehrfach zitierten Schriftproben aus Urbaren und Lagerbüchern des 14. bis 18. Jahrh. im Württ. Staatsarchiv 1928.
  2. WS:korrigiert. Komma getilgt
  3. WS: Pfundkürzel
  4. WS:korrigiert: Kreutzer